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Embodied Conversational Agents: Können sie zur Minderung von sozialer Isolation beitragen?

Soziale Isolation wirkt sich negativ auf Wohlbefinden und Gesundheit aus. Kann hier künstliche Intelligenz Abhilfe schaffen? Können automatisierte Systeme soziale Beziehungen simulieren?

Soziale Beziehungen haben zahlreiche gut belegte Auswirkungen auf das Wohlbefinden, die Gesundheit und sogar die Mortalität (Holt-Lunstadt, Smith & Layton, 2010). Umgekehrt ist soziale Isolation ein wichtiger Risikofaktor für Gesundheitsprobleme und Mortalität (House, Landis & Umberson, 1988). Auch im Rahmen der von der BFH durchgeführten Befragung von 700 zuhause lebenden Menschen 70+ konnte gezeigt werden, dass mit der Häufigkeit von sozialen Beziehungen auch die Wahrscheinlichkeit einer hohen Lebenszufriedenheit zunimmt (Bennett & Riedel, 2010). Gleichzeitig wissen wir, dass Personen ab 75 Jahren in der Schweiz ein erhöhtes Risiko der sozialen Isolation aufweisen (Gazareth & Modetta, 2006).

Aufgrund der klar erwiesenen negativen Folgen sozialer Isolation besteht also ein gesellschaftliches Interesse daran, sozialer Isolation wirksam zu begegnen. Angesichts der demographischen Entwicklung und dem sich gleichzeitig abzeichnenden Fachkräftemangel ist aber einerseits von einer Zunahme der von sozialer Isolation bedrohten Personen auszugehen und andererseits unwahrscheinlich, dass soziale Kontakte durch Fachkräfte hergestellt werden können. Das Engagement von Freiwilligen wird deshalb in Zukunft eine Schlüsselrolle spielen. Doch zugleich gewinnt auch die Frage an Bedeutung, welchen Beitrag zur Bekämpfung der sozialen Isolation computergesteuerte Systeme leisten können. Ist es möglich, die positiven Merkmale von zwischenmenschlichen Kontakten – zumindest annäherungsweise – durch automatisierte Systeme zu simulieren? Wenn ja, so eröffnete sich dadurch eine grosse Chance, sozial isolierte Personen an den positiven Effekten von sozialen Kontakten teilhaben zu lassen.

Affective Computing – Das Erkennen von menschlichen Emotionen
Als grosse Herausforderung bei der Simulation eines sozialen Gegenübers hat sich die Erkennung von menschlichen Emotionen erwiesen. Während wir aus der Psychologie wissen, dass Menschen kulturunabhängig Basis-Emotionen aufgrund der Mimik eines menschlichen Gegenübers identifizieren können (Ekman, 1999), so ist dies für computerbasierte Systeme ungleich schwieriger. Das «Affective Computing» hat sich dieser Herausforderung gestellt und kann erste Erfolge vorweisen. In diesem Zusammenhang haben sich auch die Fortschritte im Bereich Emotionserkennung auf der Basis der verwendeten Sprache als sehr bedeutsam erwiesen (Koolagudi & Rao, 2012). Unter Affective Computing wird Forschung verstanden, die intelligente Systeme dazu befähigen will, menschliche Emotionen erkennen und interpretieren zu können (Poria et al., 2017). Dies ist eine zentrale Voraussetzung, damit diese Systeme ein adäquates Gespräch mit einem Menschen führen können.

Eine konkrete Anwendung dieser Forschungsrichtung sind sogenannte Embodied Conversational Agents (ECA), animierte Computerpersonen, die so designt sind, dass sie sowohl äusserlich als auch von ihren Verhaltensweisen her einem Menschen gleichen. ECA agieren in der Regel sowohl verbal als auch non-verbal (z.B. durch Gesten; Ring et al., 2015). Sie sind affektiv intelligente Systeme, die beispielsweise in der Lage sind, Small Talk zu führen, mit ihrem menschlichen Gegenüber Spiele zu spielen und den Kontakt zu anderen Menschen zu stimulieren und initiieren. Schliesslich kann ein Conversational Agent auch die körperliche Aktivität eines Menschen fördern, was sich bekanntermassen positiv auf das emotionale Wohlbefinden auswirkt (Ring et al., 2015).

Eine Anwendung von Embodied Conversational Agents bei sozial isolierten Personen
Wie ECA nun zugunsten von sozial isolierten Personen eingesetzt werden können, soll anhand einer konkreten Interventionsstudie (Ring et al., 2015) illustriert werden. Bemerkenswert an der Vorgehensweise der beteiligten Forschergruppe ist, dass sie im ersten Schritt die konkrete Alltagssituation von sozial isolierten Personen näher untersuchten. So analysierten sie, über welche sozialen Kontakte diese Personen verfügten und welche Themen dort besprochen wurden. Zudem unterhielten sich die Forschenden mit Freiwilligen, die sozial isolierte ältere Menschen besuchen, um auch von ihnen typische Merkmale dieser sozialen Kontakte zu erfahren. Dabei zeigte sich, dass neben Small Talk insbesondere das Zuhören ein zentrales Element des sozialen Kontakts war.

Die Feldforschung wurde dann bei den teilnehmenden Personen zuhause durch ein sogenanntes „Wizard of Oz-Experiment“ (Dahlbäck, Jönsson & Ahrenberg, 1993) komplettiert. Dabei glauben die Teilnehmenden, dass sie ein autonomes Computer-System vor sich haben, welches tatsächlich aber aus Distanz von einem Menschen gesteuert wird. Die Forschenden sind so in der Lage zu erfahren, worüber die Nutzenden mit dem ECA sprechen. Auf der Basis dieser explorativen Voruntersuchung entwickelten die Forschenden einen ECA auf einem Touchscreen Computer. Dieser ECA verwendete eine synthetisierte Stimme und angemessenes non-verbales Verhalten wie Gesten, Nicken, Veränderungen der Körperhaltung und emotionsbezogene Mimik. Er verfügte zudem über Bewegungssensoren, um die Anwesenheit der Person zu erkennen und ein Gespräch initiieren zu können. Im Zeitalter von Siri mag vielleicht erstaunen, dass das Interface über Bildschirmberührung gestaltet wurde und nicht auf der Basis von Spracherkennung funktionierte. Die teilnehmenden älteren Menschen „sprachen“ nämlich in Form von vorgegebenen Sätzen und Redewendungen, welche sie durch Berühren des Bildschirms auswählten. Grund für diese eher konventionell anmutende Lösung ist offenbar, dass viele Spracherkennungs-Anwendungen bei älteren Menschen an Grenzen stossen.

Während einer Woche wurde der ECA dann bei sozial isolierten Personen eingesetzt. Dabei konnte einerseits mit einem quantitativen Messinstrument gezeigt werden, dass sich die berichtete Einsamkeit verringerte. Andererseits ergab die qualitative Analyse von Tagebuchdaten, dass die teilnehmenden Personen die ECA tatsächlich als sozial unterstützend wahrnahmen und als empathisch erlebten. Auch löste der ECA positive Emotionen aus, insbesondere durch das Erzählen humorvoller Geschichten. Diese Effekte wurden aber nur für diejenige ECA ermittelt, die sensorgestützt in der Lage waren, ein Gespräch zu initiieren. Mussten dagegen die Gespräche ausschliesslich von der sozial isolierten Person begonnen werden, so verschwanden auch die positiven Auswirkungen bezüglich berichteter Einsamkeit und positiver Emotionen.

Auch wenn die Untersuchungsanlage gewisse Schwächen aufweist (z.B. das Fehlen einer Kontrollgruppe), so zeigen diese Ergebnisse dennoch, welches Potenzial ECA im Zusammenhang mit sozial isolierten älteren Menschen haben. Zudem darf angenommen werden, dass mit der erfolgreichen Anwendung von Stimmerkennungssoftware noch grössere Effekte erzielt werden könnten als mit einer Touch-Screen Anwendung. Eine entscheidende Voraussetzung für eine gut akzeptierte ECA ist sicher die sorgfältige Anknüpfung am Alltag der betroffenen Personen durch vorgelagerte Feldforschung. Hier wird eine hervorragende Möglichkeit für die Zusammenarbeit von Computer Sciences und Sozialwissenschaften sichtbar.

Einschränkungen und Ausblick
Trotz der interessanten und auch ermutigenden Ergebnisse der zitierten Studie wurden auch Schwächen von ECA deutlich. So beurteilten Nutzende beispielsweise die limitierte Bandbreite von möglichen Gesprächsthemen, die vielen Repetitionen und den Mangel an Humor des ECA kritisch. Zieht man in Betracht, dass die Einsatzdauer der ECA lediglich eine Woche betrug, so müssen wir vermuten, dass ein längerfristiger Beziehungsaufbau zu einem ECA die Fähigkeit zu einer sehr viel variantenreicheren Gesprächsführung voraussetzen würde. Bezüglich der ebenfalls intendierten Stimulation von körperlicher Betätigung kam es auch zu bewusstem Vermeidungsverhalten von Personen. Zudem scheint die Verwendung des ECA bei den betroffenen Personen teilweise dazu zu führen, dass ihnen ihre soziale Isoliertheit bewusst wird, sie sich aber emotional davon zu distanzieren versuchen und deshalb auch den ECA abwerten. Bereits erwähnt wurde, dass die meisten Stimmerkennungsprogramme Mühe haben, ältere Menschen zu verstehen. Dies ist auch deshalb eine wichtige Einschränkung, weil Sehbehinderungen insbesondere bei hochaltrigen Menschen sehr häufig vorkommen und die stimmliche Kommunikation dadurch umso wichtiger wird, ganz abgesehen davon, dass sie die Bedienung eines Touch-Screens erschweren.
Eine interessante Entwicklungsmöglichkeit bietet sich in der Verbindung zwischen Affective Computing und Positiver Psychologie (Seligman & Csikszentmihalyi, 2014). Die Positive Psychologie hat in den letzten zwei Jahrzehnten viel Evidenz dazu hervorgebracht, dass das Richten der Aufmerksamkeit auf das, was ein Leben lebenswert macht, Gesundheit und Wohlbefinden positiv beeinflusst. Die meisten Menschen müssen diese Aufmerksamkeit allerdings regelmässig üben und dazu könnten ECA – gerade auch bei sozial isolierten älteren Menschen  – einen wichtigen Beitrag leisten.



Literatur
Bennett, P. D. J., & Riedel, P. D. M. (2013). Was beeinflusst die Lebenszufriedenheit im hohen Alter? Zeitschrift für Gerontologie und Geriatrie, 46(1), 21–26. https://doi.org/10.1007/s00391-012-0457-5

Dahlbäck, N., Jönsson, A., & Ahrenberg, L. (1993). Wizard of Oz studies — why and how. Knowledge-Based Systems, 6(4), 258–266. https://doi.org/10.1016/0950-7051(93)90017-N

Ekman, P. (1999). Basic Emotions. In T. Dalgleish & M. J. Power (Hrsg.), Handbook of Cognition and Emotion (S. 45–60). John Wiley & Sons, Ltd. https://doi.org/10.1002/0470013494.ch3

Gazareth, P., & Modetta, C. (2006). Intégration et réseaux sociaux. Déterminants de l’isolement social en Suisse. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik.

Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., & Layton, J. B. (2010). Social Relationships and Mortality Risk: A Meta-analytic Review. PLOS Medicine, 7(7), e1000316. https://doi.org/10.1371/journal.pmed.1000316

House, J. S., Landis, K. R., & Umberson, D. (1988). Social relationships and health. Science, 241(4865), 540–545. https://doi.org/10.1126/science.3399889

Koolagudi, S. G., & Rao, K. S. (2012). Emotion recognition from speech: a review. International Journal of Speech Technology, 15(2), 99–117. https://doi.org/10.1007/s10772-011-9125-1

Poria, S., Cambria, E., Bajpai, R., & Hussain, A. (2017). A review of affective computing: From unimodal analysis to multimodal fusion. Information Fusion, 37(Supplement C), 98–125. https://doi.org/10.1016/j.inffus.2017.02.003

Ring, L., Shi, L., Totzke, K., & Bickmore, T. (2015). Social support agents for older adults: longitudinal affective computing in the home. Journal on Multimodal User Interfaces, 9(1), 79–88. https://doi.org/10.1007/s12193-014-0157-0

Seligman, M. E. P., & Csikszentmihalyi, M. (2014). Positive Psychology: An Introduction. In Flow and the Foundations of Positive Psychology (S. 279–298). Springer, Dordrecht. https://doi.org/10.1007/978-94-017-9088-8_18

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Digitale Transformation im Gesundheitswesen – von Systemen zu Netzwerken

Digitale Transformation im Gesundheitswesen ist ein vielschichtiger und kaum überschaubarer Themenbereich. Diskutiert wird über Big Data und Predictive Analytics, eHealth, mobile Health, Apps und Sensoren, über neue Ansätze in Forschung, Diagnose und Therapie. Der gesetzliche Rahmen für sichere digitale Kommunikation im Gesundheitswesen wurde geschaffen und langsam finden diese technologischen Entwicklungen Beachtung und Eingang in die Kliniken, Praxen und Labors und damit in den Alltag des ersten Gesundheitsmarktes. Unabhängig vom klassischen Gesundheitswesen hat sich aber, wenn es um die persönliche Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit geht, schon länger eine Art Paralleluniversum entwickelt. Die Welt der vernetzten Bürger und Konsumenten, die Welt der ePatienten. Ein Paralleluniversum, das in den Möglichkeiten der Vernetzung gründet, neue Werte und Normen und damit neue Ansprüche hervorbringt und von dem eine starke transformative Kraft ausgeht, die das Gesundheitswesen, so wie wir es heute kennen, gerade ziemlich auf den Kopf stellt.

Konnektivität
Die Wurzeln digitaler Transformation bildet das Thema der Konnektivität. Konnektivität bedeutet die zunehmende Organisation unserer Welt in Netzwerken und impliziert einen Paradigmenwechsel in allen Gesellschaftsbereichen von „Systemen“ hin zum „Netzwerken“.
Was ist der Unterschied zwischen Systemen und Netzwerken? Jedes System – ob mechanisch wie eine Uhr, organisch wie der Körper oder sozial wie ein Spital – hat ein Organisationsprinzip, das drei Funktionen erfüllt:

  • es selegiert die Elemente, die zum System gehören,
  • es relationiert, d.h. es setzt die Elemente zueinander in Beziehung und
  • es steuert.

Die „Elemente“ des Systems, also die Rollen und Funktionen, sind vom System „konstruiert“. Ein Arzt ist ein Arzt, eine Pflegefachperson eine Pflegefachperson, ein Patient ein Patient. Sie haben bestimmte Funktionen und Rollen in der Organisation zu erfüllen. Netzwerke geben keine klaren Rollen und Funktionen vor, sondern sind einfach eine Ansammlung von irgendwie miteinander verbundenen Akteuren. Eine Mutter eines chronisch kranken Kindes hat möglicherweise durch ihr Vernetztsein mehr Wissen über diese spezifische Krankheit, als der sie behandelnde Hausarzt.

Jedes System ist auf eine Differenz zur Umwelt begründet und diese Differenz ist für jedes System konstitutiv. Das System schliesst aus, um zu funktionieren. Alles, was aus dem System ausgeschlossen wird, bildet die Umwelt des Systems. Systeme müssen also klare Grenzen haben. Sie müssen wissen, was und wer dazu gehört und was nicht. Ein Spital als System betrachtet grenzt sich traditionellerweise klar ab von ambulanter Pflege, von niedergelassen Ärzten, von Pflegeeinrichtungen oder einem Altersheim.

Im Gegensatz zu Systemen haben Netzwerke durchlässige und unscharfe Grenzen. Es ist weniger wichtig zu wissen, wer oder was dazu gehört, als zu wissen, wer mit wem verbunden ist. Ein Netzwerk differenziert sich von anderen Netzwerken nicht durch Grenzen, sondern durch die Intensität und Qualität der Kommunikationen. Für einen Diabetespatienten gehört deshalb seine aus online Freunden bestehende Diabetes-Community z.B. auf mySugr genauso zum Netzwerk wie der Arzt im Spital, sein Case Manager bei der Versicherung und sein Blutzuckermessgerät. Im Gegensatz zu Systemen, die zur eigenen Identitätsbildung möglichst eindeutig wissen müssen, wer sie sind, erlauben Netzwerke multiple Identitäten. Jeder Akteur in einem Netzwerk ist gleichzeitig Teil anderer Netzwerke. Gesundheit und Krankheit betrachte ich je anders, je nachdem ob ich im konkreten Fall Patientin, Steuerzahlerin und Versicherungsnehmerin bin.

Soziale Systeme grenzen sich gegenüber der Umwelt, wo unendlich viel Anderes passieren kann, durch zentrale Steuerung, klare Zielsetzungen und strenge Funktionalisierungen ab und reduzieren auf diese Weise Komplexität. Netzwerke wie traditionelle Organisationen managen oder steuern zu wollen, ist äusserst schwierig. Netzwerke sind flexibel, innovativ und komplex. Wandel ist in Netzwerken grundgelegt. Für ein Netzwerk entsteht Ordnung nicht dadurch, dass möglichst viel Komplexität durch zentrale Steuerung, klare Zielsetzungen und strenge Funktionalisierungen reduziert wird, sondern durch das Freisetzen der Kräfte der Selbstorganisation. Ordnung entsteht „bottom up“.Gegenwärtig erleben wir in allen Gesellschaftsbereichen einen Übergang von Systemen hin zu Netzwerken. Und dies mit ziemlich weitreichenden Folgen. Die traditionellen Akteure im Gesundheitswesen befinden sich gegenwärtig eher noch auf der Systemseite, die vernetzten Patienten, Konsumenten und Bürger bewegen sich vermehrt in der Netzwerkwelt.

Neue Werte und Normen
Aus der Organisation unserer Gesellschaft in Netzwerken heraus sind eine Reihe neuer Werte und Normen entstanden: Die Forderung nach offener Kommunikation, Transparenz, Partizipation, Authentizität, Empathie, Heterogenität und Flexibilität. Diese Werte sind mehr als Schlagworte – sie sind eine Realität der vernetzten Welt. An ihnen werden alle unsere Produkte, Dienstleistungen und Konversationen – als Einzelpersonen oder als Organisationen auch im Gesundheitswesen – gemessen.

Technologie als Treiber
Auch wenn Technologie nicht Kern der digitalen Transformation ist, so ist sie doch ein ganz mächtiger Treiber und Katalysator – allen voran die Mobiltechnologie. Kein Techniktrend hat sich so rasant etabliert wie die Kommunikation via smarte mobile Endgeräte. Ende 2013 gab es weltweit erstmals mehr Mobilgeräte als Menschen und wir sind die erste Generation, die überall wo wir hinkommen kostenloses Wi-Fi erwarten. Mobilgeräte sind zu Türöffnern für den Zugang zu Information, Kommunikation und Partizipation für ganz unterschiedliche Generationen geworden. Und natürlich bedienen sich auch Gesundheits- und Wellnessaktivitäten zunehmend mobiler Technologien. Mobiltechnologie hat zu so etwas wie „seamless health“ geführt – die Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit ist aus Sicht von Gesundheitskonsumenten und Patienten fliessend geworden. Sie macht nicht mehr an der Spitalpforte oder der Tür zur Arztpraxis halt. Die Auseinandersetzung mit Gesundheit und Krankheit ist vielmehr zu einem Kontinuum über verschiedene Orte, Zeiten, Technologien, soziale Settings, aber auch über verschiedene Märkte hinweg geworden.

ePatienten-Bewegung
Neben unterschiedlichsten Auswirkungen der digitalen Transformation auf unseren Umgang mit Gesundheit und Krankheit wie Quantified Self-Bewegung, Consumer Genomics, Big Data und Predictive, Ansätze künstlicher Intelligenz bei der Befundung und Früherkennung von Krankheiten, partizipativer Forschung und Patient Crowdsourcing, einem neuen Umgang mit Gesundheitsdaten, partizipativer Medizin und Shared Decision Making, um nur ein paar wenige zu nennen, steht insbesondere die Forderung nach einer neuen Patienten- oder Kundenkommunikation im Raum. Die vernetzte Gesellschaft  verlangt eine offene Form der Kommunikation. Kommunikation, auch Patienten- und Angehörigenkommunikation muss offen, selbstkritisch, respektvoll, ehrlich sein. Einige Institutionen im Gesundheitswesen haben diese Tendenz erkannt und kommunizieren auf allen nur erdenklichen Kanälen mit den Patienten und ihren Angehörigen. Die amerikanische Mayo Clinic tut dies sehr erfolgreich via Blog, Podcast, Diskussionsforen, Videokanal auf iTunes und YouTube, Facebook, Twitter und sehr ausgefeiltem Patientenportal inklusive App. Kommunikation mit Ärzten und Pflegepersonen wird in den meisten Studien als Hauptgrund für Patientenzufriedenheit genannt. Und Patientenzufriedenheit wiederum als massgeblicher Treiber für Health Outcome. In Europa wird diesem Thema langsam aber sicher mehr Beachtung geschenkt. Das Dresdner Sozialunternehmen „was-hab-ich“ übersetzt für Patienten kostenlos medizinische Berichte und Befunde in ein verständliches Deutsch und der Direktor des ReShape Institute an der Radboud Universität in den Niederlanden hat an der eigenen Klinik eine neue Funktion, die des CLO, des Chief Listening Officers eingerichtet, dessen bzw. deren Aufgabe nichts weiter beinhaltet, als den Patienten, ihren Angehörigen, aber auch den Mitarbeitenden zuzuhören und die Learnings wieder in die Qualitätsprozesse der Organisation einfliessen zu lassen.

Tatsächlich ist eine neue Generation von Patienten, die so genannten ePatienten, am Entstehen, die die Werte der vernetzten Welt, offene Kommunikation, Transparenz und Partizipation ins Zentrum stellt. Das kleine „e“ vor Patient steht übrigens nicht nur für „elektronisch“, sondern für educated, enabled, engaged und empowered – aktiv, befähigt, kompetent. Die ePatienten sind mit ihren Forderungen nach Kommunikation, Partizipation und Transparenz zu einer neuen ernstzunehmenden Einflussgrösse auf dem Gesundheitsmarkt geworden.


Weiterbildungen zum Thema:

CAS eHealth – Gesundheit digital
nächster Start: Februar 2018

CAS Digitale Transformation
nächster Start: März 2018


 

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Testlauf für das elektronische Patientendossier

Röntgenbilder, Blutwerte und Spitalberichte werden auf dem elektronischen Patientendossier (EPD) gespeichert. Das Zusammenspiel aller Beteiligten ist komplex. In dieser Woche haben 16 Software-Unternehmen aus vier Ländern die Programme und die verschiedenen Prozesse getestet.

Lange Tische, ein Laptop neben dem anderen, konzentriert schauen Programmierer und IT-Ingenieure auf die Bildschirme. Über allem liegt Neonlicht und gedämpftes Gemurmel. Das Untergeschoss des Campus Liebefeld des Bundesamtes für Gesundheit hat sich für eine Woche in eine Art Laboratorium verwandelt: Am Projectathon von eHealth Suisse, EDI und IHE testen 16 Software-Unternehmen, darunter auch Swisscom eHealth, ob ihre Anwendungen im Zusammenspiel funktionieren.

Für die Infrastruktur haben die Organisatoren 1,5 Kilometer Kupfer- und Glasfaserkabel verlegt, eine eigene Internet- und Stromleitung installiert sowie eine separate Lüftung eingebaut, damit der Raum mit knapp 100 IT-Spezialisten und ebenso vielen Rechnern nicht heiss läuft. Gerechnet hatten die Organisatoren um Adrian Schmid, den Leiter von eHealth Suisse, mit 50 Anmeldungen. Etwa 20 Mitarbeitende überwachen den Testlauf und fungieren quasi als Schiedsrichter.

Einer von ihnen ist Projektleiter Tony Schaller von IHE Suisse. Er schaut den Testern über die Schulter. «Das EPD ist kein Einzelprodukt sondern ein Zusammenspiel von mehreren Produkten, da ist es besonders wichtig, dass die Transaktionen zwischen den verschiedenen Anbietern», sagt Schaller. Gemeint sind damit nicht nur die Interaktionen zwischen Spitälern, Gesundheitspersonal, Apotheken und anderen Playern sondern auch der Austausch zwischen den kantonalen Gemeinschaften. Anders als in Dänemark, wo es ein staatlich einheitliches Patientendossier gibt, bleibt die Schweiz dem Föderalismus treu. «Das mag zwar auf den ersten Blick komplex sein, aber es bringt auch den Vorteil, dass die Daten niemals nur an einem Ort gespeichert werden und so vor einem Missbrauch sicherer sind», erläutert Schaller.

Der Projectathon biete den Unternehmen eine einmalige Umgebung mit einer sehr hohen Effizienz. «Fehler werden innerhalb von Minuten gefunden und behoben, sonst würde das vielleicht Wochen dauern.» Nicht nur die kurzen Wege sind besonders an diesem Event sondern auch, dass eigentlich Konkurrenten nebeneinander sitzen, miteinander an ihren Produkten feilen und sich gegenseitig testen. Getestet werden neben Use-Cases auch die Referenzumgebung.

Nach der Lancierung des EPD nächsten Sommer sollen jährlich ähnliche Testläufe stattfinden.

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Ombudsstellen für elektronische Gesundheitsakten in Niederösterreich

Niederöstereich eröffnet die ersten Ombudsstellen für die elektronische Gesundheitsakte (ELGA). Die ELGA-Ombudsstellen – angesiedelt bei den Patientenanwaltschaften – beraten und unterstützen die Bürgerinnen und Bürger bzw. Patientinnen und Patienten bei der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte in Angelegenheiten von ELGA und hinsichtlich des Datenschutzes. Ein erster Erfahrungsbericht.

Geknüpft an die Inbetriebnahme von ELGA in den einzelnen Bundesländern, gehen die neuen ELGA-Ombudsstellen Zug um Zug in Betrieb. In Niederösterreich ist sie seit 10. Januar 2017 für die Bürger und Bürgerinnen, sowie für Patienten und Patientinnen geöffnet. Die grundlegende Idee von Ombudsstellen in Zusammenhang mit ELGA geht bereits auf die ELGA-Machbarkeitsstudie zurück und ist mehr als 10 Jahre alt.

Die Einführung dieses Informationssystems zielt nicht auf eine neue Zwei-Klassen Informationsgesellschaft ab. Denn während ein Grossteil der Personen die Informations- und Kommunikationstechnologie mit einer Selbstverständlichkeit nutzen, haben andere Kreise grössere Schwierigkeiten. Daher war sehr früh schon klar, dass Hilfe- und Unterstützung für die Bürger und Bürgerinnen sowie für Patienten und Patientinnen niedrigschwellig und proaktiv angeboten werden muss. In den ersten Umsetzungsphasen war geplant, bloß eine einzige zentrale Ombudsstelle für ganz Österreich einzurichten. Um aber näher beim Bürger/Patienten agieren zu können wurden die ELGA Ombudsstellen an die bestehenden Patientenanwaltschaften der Länder angeschlossen. Sie sind aber doch eigenständige Einrichtungen, die vom Bund (Gesundheitsministerium) betrieben werden.

Aufgabe der neuen ELGA-Ombudsstellen ist ihre Teilnehmer und Teilnehmerinnen bei der Wahrnehmung und Durchsetzung ihrer Rechte und in Angelegenheiten des Datenschutzes zu unterstützen. Also ein weites Feld für individuelle Hilfestellungen für die Bürger/Patienten. Kernaufgaben sind Information, Beratung und Unterstützung:

  • bei vermuteten Datenschutzverletzungen, bei der Einsichtnahme in ELGA-Gesundheitsdaten
  • bei der Einsicht in Protokolle und das Eintragen von individuellen Zugriffsberechtigungen

Die ELGA-Ombudsstellen sind „one stop shop“ Einrichtungen, die umfassend die Bedürfnisse der Bürger/Patienten entgegennehmen und umfassend lösen werden.

Die aktuellen Erfahrungen zeigen, dass der Andrang an die Ombudsstellen überschaubar und verhalten ist. Das könnte daran liegen, dass Bürger/Patienten erst bei konkreten Kontakten mit dem Gesundheitswesen auf ELGA aufmerksam werden, sowie am Projekt selber. Denn es wird erst nach und nach ausgerollt. So ist zum Beispiel der große Bereich der e-Medikation noch nicht in Betrieb.
Die bisherigen Anfragen zeigen, dass noch sehr viel an Grundlageninformation über ELGA nicht angekommen ist, weil viele Beratungen sich auf grundsätzliche Möglichkeiten von ELGA beziehen. Einige Hilfestellungen haben sich auch auf individuelle Einsicht in die eigenen ELGA-Gesundheitsdaten bezogen, mit nachfolgenden Ausdrucken von ELGA-Befunden. Auffallend ist, dass immer wieder Bürger/Patienten mit dem Wunsch nach Ausführung eines Widerspruches herantreten. Bei nahezu allen Anfragen ziehen die Bürger/Patienten diesen Wunsch nach einer persönlichen Beratung wieder zurück. Hier zeigt sich vor allem der Wert einer persönlichen „face to face“ Beratung, die Vertrauen schafft. Auch die Durchführung der Gespräche unter dem Dach der Patientenanwaltschaften trägt dazu bei. Denn die Stellen werden von den Patienten als vertrauenswürdig wahrgenommen.

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Interview mit Adrian Schmid: Papierakten behindern bestmögliche Gesundheitsversorgung

Das elektronische Patientendossier ist beschlossene Sache. Doch bei der Umsetzung müssen noch viele Widerstände überwunden werden. Dabei geht es längst nicht nur um technische Lösungen, sagt Adrian Schmid. Er leitet die Koordinationsstelle eHealth Suisse.

Interview: Reinhard Riedl

Was sind die wesentlichen Erfolge von eHealth Suisse?
Ich weiss nicht, ob Sie die Frage der richtigen Person stellen. Aussenstehende können das vielleicht besser beurteilen. Ich kann auch noch nicht beurteilen, ob wir wirklich erfolgreich sein werden. Diese Frage kann ich wohl erst in etwa 10 Jahren beantwortet, wenn das elektronische Patientendossier im Alltag der Bevölkerung und aller Behandelnden tiefe Wurzeln geschlagen hat. Wenn ich zurückblicke, dürfen wir aber für uns in Anspruch nehmen, dass wir gemeinsam mit allen Akteuren ein Konzept für die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen etablieren konnten, das breit mitgetragen wird und inzwischen auch international auf Interesse stösst.

Was waren die grössten Schwierigkeiten, die überwunden werden mussten?
Es gab sicher zwei heikle Phase. Einerseits der Start im Jahr 2008, als wir mit einer Vision von Bund und Kantonen für ein elektronisches Patientendossier bei den Akteuren auf grosse Skepsis stiessen. Viele kritisierten, dass die Patienten in Zukunft die Berichte und Dokumente ihrer Ärzte, Spitäler oder Apotheken online einsehen können. Auch die Idee, dass die Patienten entscheiden sollen, wer auf ihr Dossier zugreifen darf, ging vielen zu weit. Es brauchte rund fünf Jahre bis die Konzepte reif genug waren für die politische Diskussion im Parlament. Und damit begann die zweite heikle Phase. Wenn ein neues Bundesgesetz zur Beratung in den National- und Ständerat geht, bleibt unbekannt, ob das Geschäft nicht zurückgewiesen oder verzögert wird. Das war zum Glück nicht der Fall.

Wo steht die Schweiz im Bereich eHealth im internationalen Vergleich?
Es gibt zweifellos Länder, die wesentlich weiter sind. Es sind vor allem Staaten, die das Gesundheitswesen viel zentraler steuern als die Schweiz. Dazu gehören zum Beispiel die skandinavischen Staaten. Bei unseren direkten Nachbarn kommt Österreich mit einem ähnlichen Konzept wie die Schweiz gut voran. Die anderen Nachbarländer haben zwar teilweise sehr gute und reife regionale Projekte, mit einer nationalen Lösung tun sich aber Italien, Frankreich oder Deutschland noch schwer.

Wie bringt das Patientendossier konkret das Schweizer Gesundheitswesen vorwärts?
In den Bergen bestehend aus Papierakten, die Spitäler oder Arztpraxen produzieren, ist eine Unmenge Wissen vergraben, das für eine bessere Versorgung und Behandlung der Bevölkerung wichtig wäre. Das Patientendossier ist ein erster kleiner Schritt, damit die wichtigsten Informationen über den Patienten immer und überall verfügbar sind. Zum Beispiel kommen schädliche und unbeabsichtigte Reaktionen auf ein Arzneimittel häufig vor, weil bei deren Verschreibung oder Abgabe nicht bekannt ist, welche Wirkstoffe ein Patient nicht verträgt oder welche Medikamente er bereits anderswo erhalten hat. Der zukünftige Nutzen der Digitalisierung geht aber über das Patientendossier hinaus. Wenn das Wissen in den Papierakten systematisch aufgearbeitet werden könnte, dann wüsste man heute schon viel mehr, welche Therapien wirklich nützlich sind und welche nicht.

In der Praxis entscheiden aber Gesundheitsfachpersonen, allen voran die Ärzte, über den Einsatz von IT im Berufsalltag. Es wird immer propagiert, dass der Patient im Zentrum von eHealth stehen soll. Wie passt das zusammen?
Die Frage suggeriert, dass der Patient in der Papierwelt nicht im Zentrum steht. Die Gesundheitsversorgung hat aber einzig das Ziel, die Patientinnen und Patienten bestmöglich zu versorgen und zu behandeln. Je mehr nützliche Informationen eine Gesundheitsfachperson in möglichst kurzer Zeit erhält, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass eine treffende Diagnose gestellt und die richtige Therapie angeordnet werden kann. Mit dezentralen Papierakten ist dieser Anspruch nicht einlösbar.

Viele haben den Eindruck, dass eHealth ein Administrationsthema ist, bei dem es darum geht, die Ärzte zu überwachen und gerade für sie zusätzlicher, unbezahlter Aufwand entsteht. Was sagen Sie jenen, die diesen Eindruck haben?
Heute füllen Gesundheitsfachpersonen täglich eine Reihe von Papierformularen für verschiedene Zwecke aus. Das braucht viel Zeit und Energie. Das Ziel der digitalen Vernetzung muss sein, dass eine Gesundheitsfachperson die wesentlichen Angaben zur Diagnose oder Therapie ein einziges Mal erfasst. Was davon für die Weiterbehandlung, die Abrechnung, die Statistik oder die Qualitätssicherung verwendet wird, sollte sie nicht mehr weiter kümmern müssen. Dies bedingt aber auch, dass die relevanten Prozesse im Gesundheitswesen viel besser koordiniert werden als bisher.

Oft werden in der Diskussion zu eHealth die technischen Risiken thematisiert – nicht nur in der Schweiz, sondern auch im Ausland. Wie gross sind die Cyber-Risiken tatsächlich?
Die 100-Prozent-Sicherheit gibt es nicht. Das Bundesgesetz über das elektronische Patientendossier macht aber erstmals im Gesundheitswesen klare Vorgaben, wie medizinische Daten sicher gelagert und vor Angriffen geschützt werden können. Das ist ein sehr wichtiges Signal. Bei Umfragen zeigt sich jedoch deutlich, dass die Bevölkerung die Cyberrisiken sehr wohl kennt. Dennoch wird der Nutzen des Patientendossiers höher bewertet als die Risiken. Wer das anders sieht, muss kein Patientendossier eröffnen, für die Bevölkerung bleibt es freiwillig.

Wie beurteilen Sie Initiativen wie MIDATA.coop?
Interessant ist, dass Projekte wie MIDATA.coop oder andere die informationelle Selbstbestimmung in den Vordergrund stellen. Ich denke, dass die digitale Vernetzung – in welcher Form auch immer – dann bei der Bevölkerung gut akzeptiert wird, wenn die persönlichen Daten nicht ungefragt und unkontrolliert bei kommerziellen Anbietern landen, die damit ein gutes Geschäft machen. Auch das Patientendossier geht diesen Weg der Selbstbestimmung.

Was ist Ihre persönliche Vision für eHealth 2030 in der Schweiz? Oder passen Visionen nicht zum Schweizer Gesundheitswesen?
Wenn das Kostenwachstum weiter geht wie bisher, dann wird das Gesundheitswesen ohne massive Eingriffe im Jahr 2030 nicht mehr finanzierbar sein. Kluge digitale Lösungen haben das Potential, trotz Kostendruck eine bessere und effizientere Behandlung der Bevölkerung zu ermöglichen.


Zur Person:
Adrian Schmid ist seit Anfang 2008 Leiter der Geschäftsstelle von eHealth Suisse, der damals neu gegründeten Kompetenz- und Koordinationsstelle von Bund und Kantonen. Die Organisation wird von Bund und Kantonen gemeinsam finanziert und geführt. Nach einem pädagogischen Studium war Adrian Schmid während vielen Jahren als Redaktor bei verschiedenen Schweizer Medien tätig (mit Spezialgebiet „Gesundheitswesen“). Anschliessend wechselte er als Projektleiter ins Bundesamt für Gesundheit (BAG). In dieser Funktion leitete er unter anderem die Arbeiten an den rechtlichen Grundlagen zur nationalen Versichertenkarte und der «Strategie eHealth Schweiz».

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Potenziale von Big-Data im Gesundheitswesen

Aufgrund der zunehmenden IT-Unterstützung produzieren Spitäler eine Vielzahl digital vorgehaltener Informationen. Es stellt sich daher immer häufiger die Frage, welchen Nutzen eine Analyse und Verwendung von großen heterogenen Datenmengen (Big-Data) bieten kann.

Eine Definition für Big-Data lautet [1]: „By definition, big data in healthcare refers to electronic health data sets so large and complex that they are difficult (or impossible) to manage with traditional software and/or hardware; nor can they be easily managed with traditional or common data management tools and methods.“

Diese Definition kann der häufig anzutreffenden 3V-Definition insoweit vorgezogen werden, als sie deutlich macht, dass man zusätzliche Anstrengungen zu vorhandenen Lösungen wie „klassischen“ Data Warehouses unternehmen muss [2]. Die drei V‘s rekurrieren auf Volume (Größe), Variety (Heterogenität) und Velocity (Geschwindigkeit) von Daten. Variety und Velocity lassen sich dabei dem Begriff „complex“ in der obigen Definition zuordnen, was ein weiteres Problem der 3V-Definition anzeigt, da sich die Komplexität durch ganz andere Eigenschaften als Geschwindigkeit manifestieren kann.

Als Daten für ein Big-Data-System in Spitälern kommen neben den klassischen strukturierten klinischen und verwaltungsbezogenen Daten, die im Krankenhaus vorwiegend im klinischen Informationssystem vorhanden sind, unter anderem folgende Formen vor:

  • Omics-Daten (beispielsweise DNA- oder Proteinsequenzdaten)
  • Medizinische Referenzdaten aus externen Quellen (beispielsweise Datenbanken zur Pharmakovigilanz oder klinischen Studien)
  • Streamdaten von Software auf technischen Geräten (beispielsweise von MRT-Geräten oder mHealth-Apps)
  • unstrukturierte Textdaten (beispielweise Arzt- und Pflegeberichte,)
  • Umweltdaten (beispielsweise über Ereignisse, Krankheitsentwicklungen und das Wetter).

Die Verknpüfung dieser Daten erfordert syntaktische und semantische Harmonisierungen, bevor diese in Datenbanken zur weiteren Analyse genutzt werden können. In der Medizin sind zur semantischen Harmonisierung in der Vergangenheit u.a. Ontologien und Standards wie UMLS, SNOMED-CT, DICOM, LOINC entwickelt worden. Geht es über die gemeinsame Speicherung hinaus – auch um ein horizontales und vertikales Verknüpfen der Daten – sind Linkage-Verfahren auf Wert-, Record- und Ontologie-Ebene vorzusehen.

Für den Big-Data-Kontext sind neuartige Speicherformen erforderlich:

  • Dazu gehören in erster Linie NoSQL-Architekturen, die es erlauben eine hohe Anzahl unterschiedlichster Objekte zu speichern, ohne starre Schemavorgaben machen zu müssen. Vertreter sind beispielsweise ([3], [4]) Cassandra, SAP HANA, CouchDB, MongoDB, ArrangoDB und Virtuoso.
  • Neben solchen Datenbanken benötigen Big-Data-Anwendungen gegebenenfalls auch angepasste Dateisysteme mit den Möglichkeiten, mehrere Millionen Dateien effizient und redundant zu speichern,
  • aber auch Kompressionsverfahren und erweiterte Data-Warehousing-Funktionalitäten.

Apache Hadoop ist ein Framework, das all diese Bereiche zu adressieren beansprucht [5]. Dazu nutzt es unter anderem das Hadoop Distributed File System (HDFS) als Dateisystem, HBase als Datenbank, MapReduce beziehungsweise gerichtete azyklische Graphen als Prinzip der verteilten Berechnungen und Hive als Data Warehouse [6].

Abbildung 1: Auszeichnende Komponenten von Big-Data in Datenquellen, bei Harmonisierung/Speicherung und Analyse.

Zur neuartigen Analyse solcher Daten eignen sich vor allem Methoden aus dem Bereich des maschinellen Lernens. Bekannte Vertreter sind Support-Vector-Machines, Random-Forests, künstliche neuronale Netze und Conditional-Random-Fields. Eine zusammenfassende Graphik zu den Besonderheiten von Big-Data in den Bereichen Datenquellen, Datenspeicherung und Analyse präsentiert Abbildung 1.

1. Use-Case: Verbesserung der Diagnose von Brustkrebs
Brustkrebs zeichnet sich durch viele unterschiedliche Subtypen aus, die jedoch noch nicht en Detail studiert und in ihren Charakteristika bekannt sind. Wichtige onkologische Daten zu Brustkrebs sind Omics-Daten (Metabolit-, Protein- und genetische Profile), Bilddaten (Computertomographie, Magnetresonanztomographie, etc.) sowie klinische Daten wie Tumor staging und Labordaten. Um zu einer verbesserten Diagnose und damit Therapie zu kommen, sollen alle Datenquellen in eine Big-Data-Diagnose-Pipeline integriert werden und zu einem stabilen Diagnosemechanismus führen. Dabei sind vor allem für die Omics-Daten Fragen nach Real-Time-Analysen, In-Memory-Verarbeitung, Parallelisierung und Größe des benötigten langfristigen Speichers zu klären. Aktuell gibt es noch keine maschinellen Lernenverfahren, die in klinischen Studien validiert worden sind (was für die Anwendung im Behandlungskontext sehr entscheidend ist), insoweit ist für entsprechende Analysen zumeist auf herkömmliche statistische Analysen zu rekurrieren.

2. Use-Case: Aufsetzen einer Datenbank zur onkologischen Forschung
Eine integrierte Big-Data-Anwendung kann zur Beantwortung komplexerer Fragestellungen und Hypothesen im Bereich Onkologie führen. In erster Linie sind forschende Ärzte in der Onkologie daran interessiert, dass möglichst viel Wissen, auch aus externen Datenquellen, in eine Forschungsinfrastruktur einfließt. Zeitkritische Aspekte sind in diesem Fall eher selten. Interpretationen der Ergebnisse spielen hier jedoch eine größere Rolle, weil es bei onkologischen Fragestellungen um die Erkennung neuartiger Muster geht und nicht um die gleichbleibende Nutzung von Daten in einem komplexen aber bekannten Diagnoseprozess. Das bedeutet konkret, dass die Einbindung von Methodikern und Visualisierungen in diesem Fall sehr wichtig ist. Der Fokus auf neue Hypothesen bedingt auch, dass man eventuell sehr viel mehr Daten und (Zwischen-)Resultate speichert, als dies aus ökonomischen Gründen angebracht erscheinen könnte.

3. Use-Case: Geschäftskennzahlen
Die Geschäftsführung eines Krankenhauses interessiert sich mehr für eine Gesamtstrategie , die auch zu einem ökonomischen Optimum führt, als für einzelne Verbesserungspotenziale.. Eine mögliche Frage könnte etwa lauten: Welcher Mix an DRG’s in welchen Mengen führt zu einem ökonomischen Optimum für das Krankenhaus? Zur Beurteilung einer entsprechenden Strategie eines Krankenhauses gehören etwa avisierte Klinikauslastung, Zufriedenheit der Mitarbeiter oder Lieferantenbeziehungen (zu Großhandels-Apotheken, Pharmadistributoren oder etwa Lieferanten von Lebensmitteln, Verbrauchsmateriallieferanten, etc.). Von Interesse kann hier etwa auch die Optimierung der Zuweiserpopulation sein. Typischerweise erfordern solche Analysen lediglich ein klinisches Data Warehouse mit OLAP-Funktionalität (Online Analytical Processing). Insoweit dient dieser Fall der exemplarischen Klarstellung dessen, dass man nicht jede digitale Datennutzung im Dunstkreis von Anstrengungen zu Big-Data unter Big-Data subsumieren sollte.

Ein großer Problembereich von Big-Data betrifft die Qualität und Validität der Ergebnisse. Da große Datenvolumen nicht mehr rein manuell hinsichtlich Plausibilität und Qualität beurteilt werden können, braucht es etablierte und automatisierbare Verfahren, um die Güte der generierten Daten beurteilen zu können. Weitere Probleme betreffen den Datenschutz und ethische Sachverhalte zur Datenverwendung etwa von Personen- und Krankheitsdaten. Je mehr Daten bezüglich der Patienten gesammelt werden, desto größer wird das Risiko, dass Daten missbraucht werden, auch dann, wenn Daten als anonymisiert deklariert werden. Gerade hochdimensionale Daten sind jedoch schwer zu anonymisieren. Dies macht in der Data-Value-Chain weitere organisatorische und technische Absicherungen notwendig.

Beispielhafte Maßnahmen sind: Ausarbeitung klar definierter Policies, Konsens über die Anwendung dieser Policies, Arbeiten mit klaren und sanktionierenden „Terms of Use“, Monitoring aller Aktivitäten in Zusammenhang mit den entsprechenden Daten, Zugangsermöglichung zu den Daten nur über dezidierte dafür vorgesehene Rechner und der Einsatz mehrschichtiger Firewalls.
Ob die Anschaffung und Implementierung von Big-Data-Technologien geboten erscheint, hängt von der adäquaten Einschätzung dessen ab, was man an Ergebnissen erwarten kann und welche Risiken existieren. Die Vernetzung von Leistungserbringern im Gesundheitswesen wird jedoch immer häufiger zu Datensammlungen führen, welche die Big-Data-Nutzung unumgänglich machen.


Literatur

  1. Rubin DL, Desser TS. A Data Warehouse for Integrating Radiologic and Pathologic Data. J Am Coll Radiol. März 2008;5(3):210–7.
  2. Marz N, Warren J. Big Data: Principles and best practices of scalable realtime data systems. Greenwich: Manning Publications; 2015.
  3. Stonebraker M. SQL databases v. NoSQL databases. Commun ACM. 2010;53(4):10.
  4. Jing Han, Haihong E, Guan Le, Jian Du. Survey on NoSQL database. In 6th International Conference on Pervasive Computing and Applications (IEEE). 2011;363-366.
  5. Nandimath J, Banerjee E, Patil A et al. Big data analysis using Apache Hadoop. In In Proceedings of 14th International Conference on Information Reuse and Intergration (IEEE); 2013;700–703.
  6. Thusoo A, Sarma JS, Jain N, Shao Z, Chakka P, Anthony S, u. a. Hive: a warehousing solution over a map-reduce framework. Proc VLDB Endow. 2009;2(2):1626–1629.
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