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Aprilausgabe: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens

Die Entwicklung des Gesundheitswesens wird derzeit wesentlich geprägt durch die Zielvision «personalisierte Medizin». Vorsorge, Diagnose, Therapie und Nachsorge sollen massgeschneidert werden für den Einzelnen. Das heisst, sie sollen die genetische Disposition, den Lebenswandel, das soziale Umfeld und die aktuellen Biodaten berücksichtigen und der oder dem Betroffenen die bestmögliche Versorgung bieten. Das scheitert bei uns leider oft am Nicht-nutzen-dürfen der Gesundheitsdaten. Die Angst vor der Verletzung der Privatsphäre ist diffus – und genau deshalb ist sie grösser als die Angst, wegen ungenügend personalisierter Medizin schlecht behandelt zu werden. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Zusammenhänge rund um die Nutzung personenbezogener Gesundheitsdaten kaum diskutiert werden und selbst Experten sich mit ihrem Verständnis schwertun. Mehr Diskussion ist also dringend nötig und ich hoffe, diese Ausgabe von Societybyte wird dazu etwas beitragen.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Nutzung von Maschinenintelligenz für die jeweils unterschiedlichen Aufgaben im Gesundheitswesen – sei es als Roboter, der den Menschen weitgehend ersetzt, sei es als hochspezialisiertes Instrument zur Reduktion von Diagnosefehlern oder zur Qualitätskontrolle von Medikamentenverordnungen. Auch hier tauchen schnell ethische Fragen auf, ebenso wie Verlustängste. Manche fürchten sich davor, ihre fachliche Autonomie als Gesundheitsfachpersonen zu verlieren oder zumindest unkonventionelle Interventionen in Zukunft ausführlich begründen zu müssen. Das hemmt den Fortschritt, vielleicht zu Recht.

Natürlich bringt die Digitalisierung auch mehr Möglichkeiten, die eigene Gesundheit selber zu managen. Aber was das wirklich bedeutet und wie man das Potential selber am besten nutzt, dass ist noch nicht ausreichend erforscht – immerhin aber ein spannendes Thema, weil fast jeder von uns mittlerweile digitale Messgeräte mit sich herumträgt.

Last but not least könnte die IT genutzt werden, um effizienter politisch zu planen im Gesundheitswesen. Doch irgendwie will das keiner. Die Digitalisierung ist gut, wenn sie den Patientinnen und Patienten hilft – aber sie stört, wenn sie zu viele Sachargumente für die Zukunftsplanung liefert. Wollen wir das wirklich weiter so handhaben? Auch hier gibt es grossen Diskussionsbedarf.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser Ausgabe, Ihr Reinhard Riedl01

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Aprilausgabe: Die Digitalisierung des Gesundheitswesens

Die Entwicklung des Gesundheitswesens wird derzeit wesentlich geprägt durch die Zielvision «personalisierte Medizin». Vorsorge, Diagnose, Therapie und Nachsorge sollen massgeschneidert werden für den Einzelnen. Das heisst, sie sollen die genetische Disposition, den Lebenswandel, das soziale Umfeld und die aktuellen Biodaten berücksichtigen und der oder dem Betroffenen die bestmögliche Versorgung bieten. Das scheitert bei uns leider oft am Nicht-nutzen-dürfen der Gesundheitsdaten. Die Angst vor der Verletzung der Privatsphäre ist diffus – und genau deshalb ist sie grösser als die Angst, wegen ungenügend personalisierter Medizin schlecht behandelt zu werden. Das liegt unter anderem auch daran, dass die Zusammenhänge rund um die Nutzung personenbezogener Gesundheitsdaten kaum diskutiert werden und selbst Experten sich mit ihrem Verständnis schwertun. Mehr Diskussion ist also dringend nötig und ich hoffe, diese Ausgabe von Societybyte wird dazu etwas beitragen.

Ein anderes wichtiges Thema ist die Nutzung von Maschinenintelligenz für die jeweils unterschiedlichen Aufgaben im Gesundheitswesen – sei es als Roboter, der den Menschen weitgehend ersetzt, sei es als hochspezialisiertes Instrument zur Reduktion von Diagnosefehlern oder zur Qualitätskontrolle von Medikamentenverordnungen. Auch hier tauchen schnell ethische Fragen auf, ebenso wie Verlustängste. Manche fürchten sich davor, ihre fachliche Autonomie als Gesundheitsfachpersonen zu verlieren oder zumindest unkonventionelle Interventionen in Zukunft ausführlich begründen zu müssen. Das hemmt den Fortschritt, vielleicht zu Recht.

Natürlich bringt die Digitalisierung auch mehr Möglichkeiten, die eigene Gesundheit selber zu managen. Aber was das wirklich bedeutet und wie man das Potential selber am besten nutzt, dass ist noch nicht ausreichend erforscht – immerhin aber ein spannendes Thema, weil fast jeder von uns mittlerweile digitale Messgeräte mit sich herumträgt.

Last but not least könnte die IT genutzt werden, um effizienter politisch zu planen im Gesundheitswesen. Doch irgendwie will das keiner. Die Digitalisierung ist gut, wenn sie den Patientinnen und Patienten hilft – aber sie stört, wenn sie zu viele Sachargumente für die Zukunftsplanung liefert. Wollen wir das wirklich weiter so handhaben? Auch hier gibt es grossen Diskussionsbedarf.

Ich wünsche Ihnen viel Vergnügen mit dieser Ausgabe, Ihr Reinhard Riedl01

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Digitale Gesundheit kommt im Schneckentempo voran

Der zweite Teil der diesjährigen Infosocietydays gehörte dem Swiss eHealth Forum. An einem Tag ging es um das Elektronische Patientendossier EPD, dessen politische Fragen und welche Probleme es immer noch ausbremsen. Der zweite Tag beleuchtete, vor welchen Herausforderungen die Spitäler mit ihren Informationssystemen stehen und warum die Branche sich so langsam wandelt.

Der erste Tag des Swiss eHealth Forum stand unter dem Oberthema «Digitale Transformation mit EPD, eHealth und mHealth», wobei das EPD klar die erste Geige spielte. Dabei standen sich zwei konträre Haltungen gegenüber. Die einen sehen das Problem darin, dass die PatientInnen den Nutzen einer digitalen Krankenakte erkennen sollten und dass das Eröffnen eines EPD leichtgemacht werden muss. Dies kam unter anderem im Votum von Michael Jordi, Zentralsekretär der Schweizerischen Gesundheitsdirektoren Konferenz GDK, zum Ausdruck, aber auch in Fragen aus dem Publikum. Die andere Sicht zeigt die ÄrztInnen im Zentrum. Keine Weisung hilft, so sagte Roland Naef, Bereichsleiter Medizinische Applikationen & Services am Universitätsspital Zürich, wenn für sie, beziehungsweise auch für die Gesundheitsversorgung an sich, ein substanzieller Nutzen entsteht. Zu dicht gedrängt ist das Arbeitsprogramm im Spital, als dass die Leistungsträger Zeit für etwas aufwenden würden, das für sie und ihre Arbeit keinen Nutzen bringt.

Daten oder Dokumente

Es ging aber nicht nur um die Frage Patient oder B2B, sondern auch um die Frage digitale Daten oder digitale Dokumente. Das EPD ist ein Dossier für Dokumente. Roland Naef kritisierte das, denn aus seiner Sicht kommt der eigentliche Nutzen erst mit den Daten. Diese Diskussion wird uns noch einige Jahre erhalten bleiben.

Geld, Sicherheit und IAM

Vieles dreht sich ums Geld, das wurde unter anderem im Vortrag von Richard Patt, Geschäftsführer Verein eHealth Südost, thematisiert. Die Kosten der EPD-Einführung sind leider beträchtlich. Im Mobile Health ist die fehlende Vertrauenswürdigkeit der Apps ein Problem, sowohl was die medizinische Richtigkeit als auch was den Datenschutz betrifft, das zeigte Urs-Vito Albrecht von der Medizinischen Hochschule Hannover auf. Und ein Hauptproblem im Spital ist das Identitäts- und Zugriffsmanagement (IAM = Identity and Access Management), das zeigte Roland Naef auf. PatientInnen kommen mit ihren Gesundheits-Apps ins Spital und täglich werden im Spital selber Apps eingeführt. Das führt dazu, dass für jede Patientin, jeden Patienten unterschiedliche elektronische Identitäten existieren und miteinander verknüpft werden müssen.

Im Westen nichts Neues

Apropos IAM: Die SwissID gab ebenso ein Gastspiel wie die Blockchain – erstere nach dem Brecht‘schen Motto „alle Fragen offen“, letztere mit der ungeklärten Frage, wer denn so vertrauenswürdig ist oder gar ganz böse aktiv etwas manipulieren möchte an den Patientendaten. Falls es noch eines Beweises bedurfte: Die Menschen hören es gern, dass alles gut wird mit SwissID und Blockchains.

Kunde oder Patient

So viel Glauben an ihre Zukunft würden sich andere wünschen. Der Vortrag von Fabian Vaucher, Geschäftsführender Präsident des Schweizerischen Apothekerverbands pharmaSuisse, drehte sich mehr oder weniger indirekt um die Existenzrechtfertigung der extramuralen Apotheker. Sie bieten einen niederschwelligen Zugang zur Gesundheitsversorgung, vergütet wird ihnen aber Angabe von Medikamenten, die es im Internet billiger gibt. Vaucher versuchte diese Situation positiv auszuleuchten, in dem er betonte, dass in der Apotheke der Patient vor allem Kunde sei und die Dienste auf Augenhöhe mit dem Kunden angeboten würden. Bei einigen der anwesenden ÄrztInnen kam das erwartungsgemäss ganz schlecht an, weil sie Patienten nicht als Kunden ansehen.

Testen, testen, testen

Die positivste Botschaft kam von Adrian Schmid, Leiter eHealth Schweiz: Es wird viel, ganz viel getestet und die technischen Spezifikationen werden erst danach erstellt werden. Das ist eine gute Nachricht – endlich wird es ernst mit dem Patientendossier.

Versicherer sollten in EPD investieren

Felix Schneuwly

Der zweite Tag des eHealth-Forums widmete sich der Zukunft des Klinikinformationssystems (KIS). Einige Referenten übten Kritik, dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen viel zu langsam voranginge. Bisher würden vor allem Spitäler und niedergelassene ÄrztInnen in die Pflicht genommen, «doch eigentlich müssten die Versicherer Treiber sein und nicht nur Zahlstellen», sagte Felix Schneuwly, Head of Public Affairs bei Comparis. Die Krankenversicherer sollten sich wirklich überlegen, ob sie ins EPD investieren. «Auch wenn sie nicht direkt an die Daten der PatientInnen kommen, werden sie dennoch vom EPD profitieren», ist sich Schneuwly sicher. Und zum Abschluss seines Keynotes will Schneuwly zwar «kein Politikbashing» machen, aber er moniert: «die Politik könnte mehr tun».

Spitäler zu geizig bei Digitalisierung

Auch Jürg Blaser, Präsident der Schweizerischen Gesellschaft für Medizinische Informatik und Professor am Universitätsspital Zürich kritisierte einerseits die Politik. Der Föderalismus trage eine Mitschuld am Schneckentempo. Andererseits nahm Blaser auch die Spitäler in die Pflicht: „Spitäler investieren nur etwa 2 Prozent ihres Budgets in die Digitalisierung ihrer Prozesse». Dies solle sich ändern, wenngleich er befürwortete, dass das Gesundheitswesen die Risiken der technischen Entwicklungen gründlich abwäge. Chancen sieht Blaser etwa in der Mustererkennung bei der medizinischen Bildgebung. Zudem solle die Hoheit bei den Daten bei den PatientInnen liegen.

KIS krankt an schlechter Usability

Martin Pfund

Eine der grössten Herausforderungen der Gesundheitsbranche sind die Klinikinformationssysteme (KIS) der Spitäler, mit deren Zustand die wenigsten Ärztinnen zufrieden sind. Zwei Referenten zeigten auf, woran es hapert und was verbessert werden müsste. «Das KIS ist zwar das wichtigste Instrument in Spitälern, hat aber zu viele Problemstellen, als dass es effizient nützt», sagte Martin Pfund, CIO vom Kantonsspital Graubünden, und benannte die oft schlechte Usability, fehlende Schnittstellen zu spitalinternen Partnersystemen und fehlende Funktionen.

Mehr Kreativität bei den Entwicklern

Pfund kritisierte die Spitäler, die zu wenig finanzielle und personelle Ressourcen für die Digitalisierung einsetzten, aber auch die IT-Hersteller, die mehr Kooperationen eingehen und schneller reagieren sollten. Die IT-Anbieter sollten kreativer werden, Modelle unter anderem für Managed Services entwickeln und bei allen neuen Entwicklungen endlich den Patienten ins Zentrum stellen, forderte Pfund. Die strategische Ausrichtung des KIS sei die zentrale Frage der nächsten Jahre. «Wir am Kantonsspital Graubünden setzen auf ein homogenes KIS, das alle Prozesse im Spital verbindet und auch kliniknahe Bereiche wie Labors und Radiologie anbindet», sagte Pfund.

KIS besser an externe Datenquellen anbinden

Herausforderungen beim KIS 4.0 sieht Michael Lehmann, Arzt und Professor für Medizininformatik am TI der Berner Fachhochschule, unter anderem bei der Systemarchitektur und der semantischen Interoperabilität. «Es braucht eine 360-Grad-Sicht der Patientendaten, einheitliche Stammdaten und Metadaten, die Kontext und Ort enthalten», sagte Lehmann. Profitieren würde das KIS auch durch die Einbindung von Daten, die die PatientInnen durch kontinuierliche Messungen via Apps und Wearables generierten. «Als Arzt sieht man PatientInnen nur fünf Minuten und macht eine einzelne Messung, um eine Diagnose zu stellen, dabei gibt es womöglich Daten über die restlichen Stunden.» Generell sprach sich Lehmann für sinnvolle Verknüpfungen mit spitalinternen und -externen Datenquellen aus, um ein möglichst vollständiges Bild der PatientInnen zu ermöglichen

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Big Data ist eine ethische Entscheidung!

Der Einsatz von Big Data ist immer eine Frage nach dem großen Ganzen und erfordert im Gesundheitswesen den Blick über den Tellerrand hinaus. Denn bei allen Vorteilen, die Big Data mit sich bringt, erfordert das Thema auch ein proaktives Nachdenken über den Umgang mit den Daten, findet Prof. Reinhard Riedl, wissenschaftlicher Leiter des Fachbereichs Wirtschaft an der Berner Fachhochschule. So wird Big Data vor allem zu einer ethischen Herausforderung. Riedl stößt damit eine Diskussion an, die derzeit noch zu wenig Beachtung findet.

Bislang ist Datensicherheit das Thema Nr. 1
„In allen Gesprächen, die zu Big Data stattfinden, wird bei der Diskussion der Gefahren von Big Data der Fokus sehr stark auf den Bereich Datenschutz gelegt. Obwohl dies ein sehr wichtiger Aspekt ist, gibt es auch andere Fragen, die gestellt werden müssen“, führt Reinhard Riedl in das Thema ein. Denn einerseits ist die Nutzung von Big Data für Forschung und Praxis in der Medizin unverzichtbar, weil der Nutzen sehr hoch ist. Anderseits kann aber eine unprofessionelle Nutzung von Big Data schnell zu einem Albtraum werden. Nicht nur hinsichtlich einer möglichen Verletzung der Privatsphäre, sondern auch aufgrund der Situationen und Fragestellungen, mit denen Menschen plötzlich konfrontiert sein können.

„Ein System möglichst sicher zu gestalten ist heutzutage keine Herausforderung mehr, sondern eher eine Kostenfrage. Dies ist auch der Grund, warum das Thema der Datenhaltung und Datensicherheit an vielen Stellen so wenig beachtet wird. Oft fehlen einfach die nötigen finanziellen Mittel“, gibt Riedl zu. „Doch die weit wichtigere Frage ist eher philosophisch: Wie gehen wir mit den gewonnenen Daten und den damit verbundenen möglich gewordenen Vorhersagen richtig um?“

Dieser Aspekt findet in der Öffentlichkeit bislang kaum Beachtung. Denn mit der Nutzung von Big Data und den daraus entstehenden Möglichkeiten für Vorhersagen entstehen Fragestellungen psychischer und emotionaler Art, die den Arzt stärker in die Rolle des Psychologen versetzen. „Der behandelnde Arzt nimmt zunehmend die Rolle eines Beraters ein, der den Patienten bei seinen Entscheidungen emotional begleitet und psychisch stützt“, verdeutlicht Riedl das sensible Thema.

Der Patient wird selbstständiger
Dass der Patient generell mehr Entscheidungskraft übertragen bekommt, ist nur ein Teil der Geschichte. Dass er dabei nicht allein gelassen werden darf, eine ganz andere Seite der Medaille. „Die Erklärung der Datenlage gegenüber dem Patienten wird am Ende immer eine Einzelfallentscheidung des Arztes bleiben. Derzeit trifft der Arzt eine bewusste Entscheidung darüber, was er dem Patienten weitergibt oder nicht. Manchmal kann es schädlicher sein, den Patienten emotional mit Wissen zu belasten, als ihm dieses Wissen vorzuenthalten“, macht Riedl deutlich.

Doch was, wenn vor dem Hintergrund von Big Data Voraussagen für die kommenden 20 Jahre möglich werden? „Plötzlich ergibt sich eine viel bessere Informationslage“, so Riedl. „Wir sammeln eine Menge stochastisches Wissen und in vielen Lebensbereichen werden wir eine Regulierung brauchen, wie wir mit diesem Wissen umgehen wollen. Ein klassisches Beispiel ist der Versicherungsmarkt, wo ja heute schon teilweise personenbezogene Daten genutzt werden, um individuelle Risiken und Tarife für die Kunden zu berechnen“, verdeutlicht Riedl. „Auch Prämienverbilligungen werden oft für jene gewährt, die sich von Versicherungen überwachen lassen.“

Im Umkehrschluss bedeutet dies: Jeder ist für sein Schicksal selbst verantwortlich. „Wenn Menschen nur noch zu günstigen Konditionen versichert werden, wenn sie entsprechend gesund und risikoarm leben, was immer auch die Definition jeweils dafür sein mag, oder wenn sie abgestraft werden, wenn sie ungesund und riskant leben, „dann muss man regulieren, wie weit diese Diskriminierung gehen darf“, bringt Riedl es auf den Punkt und ergänzt: „Kein Mensch hat zu jedem einzelnen Zeitpunkt seines Lebens und in Bezug auf jeden Kontext eine positive Datenlage.“

Datendiskriminierung und Datenemanzipation
Datendiskriminierung ist ein neuer Terminus, auf den wir in Zukunft häufiger treffen werden. Doch noch beschäftigen sich zu wenige Arbeitsgruppen mit dieser Thematik. „Am Ende wird es eine politische Entscheidung darüber geben müssen, welches Wissen man berücksichtigt und welches nicht“, betont der Experte.

Er sieht aber auch Chancen für einen selbstbestimmten Umgang mit Daten. „In der Europäischen Datenschutzgrundverordnung gibt es den Artikel 20, der das Recht auf die Kopie und Weitergabe der einen selber betreffenden Daten in maschinenlesebarer Form regelt. „Damit kann ich meine Daten einer Plattform zur Verfügung stellen, die eine Nutzung für die medizinische Forschung unter kontrollierten Bedingungen ermöglicht“, führt Riedl aus. „Das Problem ist nur, dass wir Governance Regeln entwickeln müssen, die auch zukünftige Risiken und Konsequenzen mit berücksichtigen. Die Vorstellungen der digitalen Transformation sind bislang sehr konventionell. Was die Sache aber so schwierig macht, ist, dass Big Data Methoden, beispielsweise Maschinenlernen, so unglaublich wirkungsvoll sein können.“

„Es ist keine Option Big Data nicht zu nutzen, denn dies wäre unethisch.“ konstatiert Riedl. Dafür birgt die Datenauswertung zu große Vorteile für Medizin und Menschen. „Es ist aber auch unethisch, Big Data zu nutzen, ohne über die Folgen nachzudenken.“ Und: „Für uns als Lieferanten der Daten stellt sich die soziale Frage: Wie weit sind wir auf unsere Sicherheit bedacht, dass wir uns verweigern unsere Daten nutzbar zu machen? Natürlich können wir einseitig von den Daten anderer profitieren ohne sie von unseren Daten profitieren zu lassen, aber wenn zu viele so handeln profitiert niemand. Big Data stellt uns allen nichttriviale ethische Fragen. Auf die Herangehensweise kommt es an!“


Reinhard Riedl promovierter in Reiner Mathematik und hat in verschiedenen Disziplinen zu Fragen rund um das Design und die praktische Nutzung von Informatiklösungen geforscht. Heute leitet er das transdisziplinäre BFH-Forschungszentrum „Digital Society“, an dem Forscher aus über zehn Disziplinen und insgesamt sechs Fakultäten der Berner Fachhochschule zusammenarbeiten. 1995 – 2006 gab er Zürichs Zynischen Theaterindex heraus. Seit 2015 ist Präsident der Internationalen Gesellschaft für Neue Musik Bern.

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Wir wollen nur spielen!

Demenz macht Angst. Demente Angehörige verändern sich und konfrontieren einen mit der eigenen Vergänglichkeit. Immer wieder stellt sich die Frage, was von einem Menschen, von seiner Persönlichkeit bleibt, wenn Teile der Erinnerung und des Bewusstseins durch die Krankheit zerstört worden sind. Die Computer-Spiel-Plattform „Myosotis“ (lat. Vergissmeinnicht) lässt solche Ängste für eine Weile in den Hintergrund treten. Im Zentrum stehen die Begegnung und der gemeinsame Spielspass.

„Meine Mutter ist dement und ist jetzt im Heim. Da sitzt sie oft nur rum und wartet. So möchte ich sie eigentlich gar nicht sehen. Aber was soll ich mit ihr machen? Angebote für Angehörige gibt es hier keine. Und immer dasselbe Fotoalbum anschauen und Kaffee trinken langweilt mich. Meine Kinder kommen schon gar nicht mehr mit. Was sollen sie auch da. Dabei freut sich meine Mutter eigentlich über Kinderbesuch. Es ist schon erstaunlich: zwar erkennt sich mich nicht immer, aber von früher aus meiner und ihrer Kindheit erzählt sie viel. Auch Sachen, die ich noch gar nicht wusste oder vielleicht vergessen habe. Dass ich sie so selten besuche, macht mir ein schlechtes Gewissen. Klar. Aber nächste Woche geh ich mal wieder vorbei! Sicher. Vielleicht. Wenn ich Zeit habe.“ Ähnliche Bedenken und Überlegungen teilen viele Angehörige von an Demenz erkrankten Menschen in Heimen.

Gemeinsames Spiel auf dem Tablet

Aufgrund von eigenen Erfahrungen und Beobachtungen im Altersheim suchte die Autorin und Computerspielerin Bettina Wegenast nach einem anderen Weg, um sich beim Heimbesuch mit ihrer an Demenz erkrankten Schwiegermutter Dorothea zu beschäftigen. Zuerst versuchten sie es mit bekannten Spielen wie „Eile mit Weile“ und UNO. Doch gerade diese altbekannten Spiele erwiesen sich als Frust: die Regeln waren nicht mehr ganz klar, das Material zu kleinteilig und die Spielrunden dauerten zu lang. Zum Glück war Schwiegertochter Bettina eine begeisterte Digital-Spielerin. So begann sie, bei ihren Besuchen ihr Tablet mitzunehmen und darauf mit ihrer Schwiegermutter einfache Computer-Spiele zu spielen.

Obwohl Dorothea Wegenast früher mit Tablets nicht viel anzufangen wusste, liess sie sich sehr schnell auf das, bis dahin unbekannte Gerät ein: durch die intuitive Steuerung und durch die Freude darüber, dass „immer gleich etwas passiert“ war es sehr einfach, sie zum gemeinsamen Spiel zu motivieren.

Passende Spiele sind (noch) rar

Nicht ganz einfach war es allerdings, passende Spiele zu finden. Viele Games eignen sich zwar von der Mechanik, vom Gameplay her gut, wirken aber in der Artwork eher zu kindlich und sind für betagte Menschen manchmal schwierig zu steuern. Ausserdem gibt es nur wenige Spiele, welche man gemeinsam und gleichzeitig bedienen kann, um ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Es braucht also Computerspiele, welche speziell auf diese Zielgruppe zugeschnitten sind.

Noch besser ist es, wenn man sie mit persönlichen Materialen jeweils individuell anpassen kann. Wenn im Spiel zufällige Familienfotos, Bilder von bekannten Dingen oder sogar kleine Filme auftauchen, zu denen die Spielenden einen persönlichen Bezug haben, gewinnt das Spiel an Spannung und Abwechslung und kann die Spielenden zu Gesprächen über neue Themen animieren: „Weißt du noch damals in Italien?“ oder „Wer ist das schon wieder? Der Mäni Weber? Ja, „Dopplet oder nüt“ haben wir früher doch immer geschaut, nur Vater fand die Sendung blöd… da hat er doch dann immer… “.

Erste Prototypen von Studierenden der FHNW

Gemeinsam mit Marco Soldati, Informatikingenieur und Forscher an der Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), schrieb Bettina Wegenast einige Projektarbeiten für Informatikstudierende aus. Mit solchen Arbeiten lassen sich neue Ideen ausprobieren und erste Erfahrungen sammeln. Unter dem Namen «Myosotis» starteten im Herbst 2015 zwei Zweierteams mit der Entwicklung von personalisierten Computerspielen für Menschen in Altersheimen und für ihre Angehörigen.

Souzan Alhenawi und Viviane Bendjus entwickelten im Rahmen ihrer Bachelorarbeit ein Spiel zum Thema Kochen und Essen. Anila Bircher und Markus Recher arbeiteten an einer personalisierten digitalen Adaption von „Eile mit Weile“ und einem „Leiterli-Spiel“. Hilfreich war, dass alle vier Studierenden den Studiengang Informatik mit Profilierung iCompetence absolvierten. iCompetence verbindet Informatik mit Design und Management und bietet damit eine gute Grundlage für die Entwicklung von Software für betagte Menschen.

Iteratives Entwicklungsmodell

In der Aufgabenstellung für die Myosotis-Spiele wurde ein sogenannter User-Centred-Design-Ansatz verlangt. Dabei wird Software in enger Zusammenarbeit mit den zukünftigen Benutzerinnen und Benutzern entwickelt. Innerhalb von etwa 6 Wochen haben die beiden Teams eine erste spielbare Version ihres Games programmiert und mit betagten Menschen und Angehörigen getestet. Nun konnten sie im Monatsrhythmus und basierend auf den Beobachtungen und Rückmeldungen weitere Versionen erstellen und laufend ausprobieren.

Suche nach dem passenden Test-Heim

Anfänglich war es nicht ganz einfach, passende Heime zu finden, um die Games regelmässig zu testen. Aber Dorothea Wegenast im „Zentrum Schönberg“ in Bern entpuppte sich als begeisterte und begnadete Spieletesterin. Als wahrer Glücksfall für das Projekt erwies sich die Aktivierungstherapeutin Stephanie Zeier vom „Lindenpark in Windisch“: „Bei uns können die Studierenden im Rahmen der Aktivierung ihre Spiele jederzeit testen – das ist für alle spannend und bringt frischen Wind“. Ein Angebot, das sowohl von den Studierenden, als auch von den Heimbewohnenden bis heute gerne in Anspruch genommen wird.

Tests mit der Zielgruppe sind wichtig!

Diese regelmässigen Spiele-Tests sind denn auch zentral für den Erfolg des Projekts. So können die Spiele laufend auf die Fähigkeiten und Bedürfnisse der Spielenden abgestimmt werden. Wie bunt, wie unruhig darf eine Spieloberfläche sein? Wie werden Abbildungen besser erkannt, als Fotos oder als Aquarelle? Wie muss ein Sound tönen, damit man ihn gut hört und er doch nicht stört? Und natürlich: welche Spiele machen überhaupt Spass? Welche Spiele interessieren auch Kinder? Und welchen Einfluss haben die persönlichen Bilder auf den Spielverlauf?

Erste Erkenntnisse

Bereits die ersten Spielsessions in den Altersheimen zeigten klar, dass die Idee funktioniert. In „Was gits z’Ässe?“, dem Esspiel von Souzan Alhenawi und Viviane Bendjus geht es darum die Zutaten von klassischen Schweizer Rezepten in einem Labyrinth aufzusammeln. Dabei gibt es Überraschungsmomente, zum Beispiel ertönt der Refrain eines alten Schlagers oder es werden zusätzliche Informationen zu einem Lebensmittel angezeigt. So animiert das Spiel zu Gesprächen über das Thema Essen.

https://vimeo.com/201180228

Im „Eile mit Weile“ von Anila Bircher und Markus Recher sind gewisse Spielfelder farbig markiert. Kommt eine Spielfigur auf ein solches Feld, werden am Bildschirmrand persönliche Fotos angezeigt. Hier zeigte sich, dass auch die digitale Version von „Eile mit Weile“ eher zu kompliziert ist, jedoch waren die persönlichen Bilder äusserst attraktiv. In der Tat änderten die Spielenden kurzerhand das Spielziel: es ging nicht mehr darum, alle Figuren ins Ziel zu bringen, sondern darum, neue Fotos sehen zu können.

Zukunft

Inzwischen wurden 14 weitere Spielprototypen entwickelt, wobei rund die Hälfte davon regelmässig zum Einsatz kommt. Eine Weiterentwicklung von „Was git’s z’Ässe“ hat den ersten Preis der Walder-Stiftung im Bereich „Lebenshilfen“ gewonnen. Mit Mystix, einem personalisierten Multiplayer-Spiel hat der Informatiklernende Luca Schafroth die Bronzemedaille für eine der besten Lehrabschlussarbeiten der Schweiz erhalten .

Drei weitere Bachelorarbeiten sind im Moment in Entwicklung. Projektanträge mit verschiedenen Partnerinstitutionen, darunter auch die Berner Fachhochschule, sind in Planung oder werden gerade evaluiert. Damit können die Spiele in Zukunft in einem professionellen Umfeld entwickelt werden, mit dem Ziel, in absehbarer Zeit eine Sammlung öffentlich verfügbarer Spiele zu erstellen. Der Vertrieb und Unterhalt soll dann von einem kommerziellen Anbieter übernommen werden. Auch hier laufen entsprechende Vorabklärungen.

Positive Nebenwirkungen sind unbeabsichtigt

Für das Myosotis-Team ist wichtig, dass die Spiele keine therapeutischen Zwecke verfolgen. Spielen soll Spass machen und ein unbeschwertes Zusammensein ermöglichen. Hier soll es um die Stärken und nicht die Defizite der Spielenden gehen. Wenn sich dadurch die eine oder andere Fähigkeit oder sogar die allgemeine Befindlichkeit verbessert, ist das erfreulich, aber nicht in erster Linie die Absicht des Projekts.

Wir wollen nur spielen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger!

Mehr Infos: https://myosotis.i4ds.net/

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Novemberausgabe E-Health im Alltag – grosse Chancen und viel Unbehagen

Die Digitalisierung wird das Gesundheitswesen umfassend verändern. Egal ob bei der Ärztin, der Pflegefachfrau oder der Apothekerin, egal ob intramural oder extramural, es wird neue Aufgaben geben, die neue Fähigkeiten voraussetzen. Und es werden gänzlich neue Gesundheitsberufe entstehen, die es so heute nicht einmal ansatzweise gibt. Der resultierende Nutzen werden mehr gesunde Jahre  für die Menschen sein und ein insgesamt längeres Leben. Nur Kostensenkungen wird die Digitalisierung kaum bringen. Denn die Kosteneinsparung wird durch die Verbesserung der Leistungen im Gesundheitswesen aufgefressen werden. Die Frage ist, wie lange es dauert, bis all dies geschieht.

Vor den verursachten Veränderungen haben viele Angst. Sie sind überzeugt, dass die Vorteile der Digitalisierung nicht genutzt werden sollten, weil die Gefahren zu gross sind. Das ist umso bemerkenswerter, als das Wissen um die Gefahren der Digitalisierung gering ist. Selbst unter den Experten und Expertinnen ist oft nicht bekannt, was in der Praxis häufig scheitert und was in Zukunft alles möglich sein wird. In der Öffentlichkeit ist nur bekannt, dass es in Zukunft mehr Transparenz geben wird, dass Evidenz und Daten eine grössere Rolle spielen werden und dass das Ansehen von Technik und Informatik derzeit gerade stark ansteigt. Das allein erzeugt bei vielen schon grosses Unbehagen. Dieses Unbehagen wird durch wissenschaftliche Experimente verstärkt, die zeigen, dass Menschen zu Roboter Beziehungen aufbauen können und dass Maschinen in vielen Situationen viel besser entscheiden als die besten Fachexperten.

Ist das erlaubt? Soll das erlaubt sein? Wir müssen uns wohl oder übel entscheiden, ob wir wirklich das Gesundheitswesen verbessern wollen oder nicht. Entschärft wird die Situation allerdings dadurch, dass Forschung, Praxis und Alltag verschiedene Dinge sind. Es gibt deshalb die Option – und die ist sehr beliebt – die Digitalisierung in der Forschung gutzuheissen, in der Praxis sie zu beschränken und im Alltag je nach Gefühl mal für eine konkrete Technologie zu sein, mal dagegen. Beispielsweise stellen viele Menschen jenen Teil ihrer Gesundheitsdaten, der von Apps erzeugt wird, zur uneingeschränkten Nutzung den Herstellern der Apps und deren Kunden zur Verfügung, sind aber strikt gegen zu viel Big Data mit den Daten des Schweizer Gesundheitswesens. Das führt dann dazu, dass in der Schweiz mit Daten aus den USA geforscht wird, was von der Sache her suboptimal ist, aber vom Gefühl her gut.

Muss man also über die Digitalisierung im Gesundheitswesen keine Diskussionen führen? Aus Forschungsperspektive könnte man sich auf den Standpunkt zurückziehen, dass erstens in der Forschung neue Technologie kaum blockiert werden können und zweitens es unmöglich ist, chinesische Mauern zwischen Forschung einerseits und Praxis und Alltag anderseits zu errichten. Digitalisierung ist in letzter Konsequenz deshalb auch im Alltag keine Frage von Wollen oder Nichtwollen, sondern eine Frage von Können oder Nichtkönnen.

Wir meinen aber, dass es sehr wohl wichtig ist, wie schnell oder langsam die Digitalisierung im Alltag vorankommt und haben uns für diese Ausgabe von Societybyte ganz auf den Alltag konzentriert: Was können wir schon heute mit Digital Health im Alltag alles realisieren und was könnten wir in den nächsten Jahren erreichen, wenn wir ins Tun investieren statt ins Tragen der Bedenken. Damit die Ausgabe nicht zu einseitig wird, thematisieren wir auch die Ängste: Welche realen Gefahren gibt es und welche über tatsächliche Gefahren hinausgehenden Ängste sind darüber hinaus zu berücksichtigen? Denn nur, weil eine Angst unbegründet ist, ist sie noch lange nicht irrelevant.

Ich wünsche Ihnen eine erkenntnisreiche Lektüre. Herzlichst, Ihr Reinhard Riedl

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