Zukunftsdenken als wichtiges Handwerk für Führungskräfte

«Es ist eine Utopie, dass das Festhalten an Bestehendem Sicherheit gibt. Im Gegenteil. Bewusst den Prozess der pro-aktiven Gestaltung der Zukunft umzusetzen und zu führen, ist die sicherste Art sich beruflich fit zu halten und der Arbeit mehr Sinn zu geben.» Was die Dozentinnen der BFH Wirtschaft Christina Taylor und Judith Wimmer damit meinen, erläutern sie im Gespräch.

Christina Taylor ist Co-Leiterin des Fachkurses «Future Thinking Skills» der BFH Wirtschaft.

Christina Taylor, Sie waren als Vice President of Innovation fünf Jahre im Outpost im Silicon Valley, danach gründeten und leiteten Sie die Abteilung «Human Centered Design» innerhalb Swisscom. Als Mitglied der Geschäftsbereichsleitung initiierten und orchestrierten Sie die 15-jährige Innovations- und Transformationsreise der Swisscom. Haben Sie damals alles richtig gemacht?

Christina Taylor: Wir haben vor allem einige, für damalige Verhältnisse, unkonventionelle Entscheide getroffen. Beispielsweise fokussierten wir uns stark auf den Einbezug der Kundensicht in allen strategischen Entscheiden. Ein nicht immer konfliktfreies Unterfangen, das von uns allen Konsequenz, Dialog und Durchhaltevermögen erforderte. Weiter nahmen wir uns bewusst Zeit, für die Gestaltung der Zukunft, setzten uns in der Führungscrew mehrmals im Jahr mit Zukunfts-Szenarien und Möglichkeiten auseinander. Revolutionär war, dass wir sagten «die Art, wie wir Arbeiten ist unsere wichtigste Innovation, nicht die Technologie». Wir setzten also bewusst auf die Entwicklung von Fertigkeiten und die Art der Zusammenarbeit, um so einen unkopierbaren Wettbewerbsvorteil zu schaffen.

Ist es die Aufgabe der Führung, die Zukunft des Unternehmens zu definieren?

Christina Taylor: Unternehmen brauchen Personen, die für die Zukunft und deren proaktive Gestaltung brennen; die mit einem weiten Blick in die Welt schauen; die die Fähigkeit haben, Signale der Zukunft zu erkennen, zu verbinden und die für das Unternehmen unkonventionelle Initiativen initiieren, treiben und schützen. Diese Rolle nenne ich «Full Spectrum Leader». Diese Führungskräfte sind jedoch angewiesen auf «Intrapreneurs», die Initiativen starten und zum Erfolg bringen. Intrapreneurs haben die Fähigkeiten, Visionen fassbar machen, Teams zusammenzustellen und gemeinsam konkrete Ziele zu erreichen. Mitarbeitende und Führungskräfte sollten dort eingesetzt werden, wo sie ihre grösste Wirksamkeit entfalten können. Es sind nicht dieselben Skillsets und Einstellungen, die benötigt werden, um den Betrieb operativ exzellent zu führen oder die nächsten künftigen Erfolge herbeizuführen.

Warum finden Sie das gerade jetzt, mitten in der digitalen Transformation relevant?

Christina Taylor: In der Arbeit mit Unternehmen aus unterschiedlichsten Branchen beobachten wir, dass sich diese immer mehr bewusst werden, dass nachhaltige Lösungen nicht alleine entwickelt werden können. Es braucht ein Zusammenarbeiten über Unternehmensgrenzen hinaus, systemische Ansätze, das Bauen von Ökosystemen. Führungskräfte sind gefordert neue Wege zu gehen, mutige Entscheide zu treffen und im grossen Ganzen zu denken.

Judith Wimmer, Sie haben über 15 Jahre Erfahrung in der Leitung und Umsetzung innovativer Vorhaben. Ist zukunftsfähige Führung erlernbar?

Judith Wimmer ist Co-Leiterin des Fachkurses «Future Thinking Skills» der BFH Wirtschaft.

Judith Wimmer: Seit meinem Studium beschäftige ich mich mit der Frage, wie Kreativität angeregt werden kann, wie Neues entsteht? Denkmodelle und Methoden wie z.B. Design Thinking, Business Modelling oder Future Thinking helfen. Sie geben Orientierung, sind eine «gemeinsame Sprache», funktionieren wie Katalysatoren. Handwerk kann erlernt werden: In dem von Christina geschilderten Fall wäre das z.B. Frühzeitiges Erkennen von Signalen der Zukunft; Übersetzen, was Treiber und Trends ganz konkret für das eigene Geschäft bedeuten; Fassbarmachen von Ideen; Pitching; Entwickeln von Szenarien; Führen von Entscheidungsprozessen, etc.

Revolutionär war, dass wir sagten «die Art, wie wir Arbeiten ist unsere wichtigste Innovation, nicht die Technologie».

Neben dem Handwerk braucht es kognitive Flexibilität; Vertrauen in den Prozess und das Team; die Fähigkeit, teilweise kontroverse Perspektiven halten zu können; Entscheide gemeinsam zu treffen, ohne ganz genau zu wissen, wohin die Reise geht. Diese Fähigkeiten haben etwas mit Reflexionsfähigkeit, Mut und Bewusstheit zu tun. Es ist wie beim Muskelaufbau – für beides braucht es das richtige Übungsumfeld, Wiederholungen und den Willen nicht aufzugeben. In diesem Sinne, ja, die Zukunft proaktiv zu gestalten ist eine Kompetenz, die erlernbar ist.

Ideen fassbar machen und Szenarien entwickeln – ist das Future Thinking?

Judith Wimmer: Genau, beim Future Thinking geht es darum, Zukunftsszenarien holistisch und systemorientiert zu entwickelt. Im Gegensatz zum Design Thinking ist der Fokus auf dem Lösen von aktuellen Problemen, sondern um die Beschäftigung mit Zukunftspotenzialen und die Exploration von Wahlmöglichkeiten. Im Kontext Unternehmen kann es der Ebene Strategie/Vision zugeordnet werden, als übergeordneter Aspekt des Strategieentwicklungsprozesses.

Ist das nicht alter Wein in neuen Schläuchen?

Christina Taylor: Viele Methoden und Ansätze werden eingesetzt bevor sie benannt und systematisch erfasst werden. Am Beispiel Swisscom sehe ich viel Future Thinking – ohne es jemals so genannt zu haben. Wenn uns das letzte Jahr mit der Corona-Pandemie etwas gelehrt hat, dann wie fragil unsere gefühlte Sicherheit und wie nützlich unsere Lösungskonzepte in Wahrheit sind. Nachdenken alleine reicht nicht. Wir müssen uns bewusst mit dem Heute, unserer Vergangenheit und der Zukunft auseinandersetzen, mit den Händen denken und mutige Entscheide treffen.


«Future Thinking» kann man lernen

Die BFH Wirtschaft bietet einen 9-tägigen Fachkurs an, bei dem die Teilnehmer*innen einen Einblick in Future Thinking erhalten. Der Kurs nutzt dazu analytische sowie kreativ-intuitive Methoden zur proaktiven Gestaltung der Zukunft. Innerhalb der Kursmodule setzen die Dozentinnen auf die Methodik «mit den Händen» denken und erarbeiten nicht nur strategische Entscheidungsgrundlagen, sondern auch Artefakte der Zukunft. Die Kursteilnehmer*innen werden durch einen interaktiven Prozess geführt und lernen von- und miteinander. Der Kurs setzt auf die in der Praxis bewährten Theorien, Methoden und Modelle, u.a. Strategic Foresight nach IFTF.org, Future Thinking, Storytelling, Systemische Transformation.

Kursbeginn ist am 20. August 202, das Anmeldeformular und weitere Infos finden Sie hier.


Zur Person

Christina Taylor hat über 30 Jahre Erfahrung in strategischen Führungsrollen rund um Innovation, Kundenerlebnis & Transformation bei Firmen wie Swisscom und Omega, in Europa, USA und Asien. Als VP of Innovation der Swisscom war Sie 5 Jahre im Outpost im Silicon Valley und gründete und leitete danach die Abteilung «Human Centered Design». Als Mitglied der Geschäftsbereichsleitung initiierte und orchestrierte sie die 15-jährige Innovations- und Transformationsreise der Swisscom. 2017 überführte Christina die Hälfte ihres 60-köpfigen Teams zu Creaholic, einer der etabliertesten Schweizer Innovationsfabriken. Als Managing Partner arbeitete sie mit unterschiedlichsten Kunden wie z.B. Migros Gruppe, Nestlé, Axa, Botnar Foundation und Post. Heute ist Christina Mitgründerin und Managing Partner von scenarioC sowie Dozentin an diversen Fachhochschulen wie ZHAW, BFH und HSLU.

Judith Wimmer hat über 15 Jahre Erfahrung in der Leitung, Umsetzung und Verankerung innovativer Vorhaben. Als Projektleitern führte sie über 50 Teams von der Generation neuer Ideen, über die Erstellung funktionaler Prototypen, bis zur Entwicklung fundierter Business Cases oder überzeugenden Kundenerlebnisse. Als systemische und kundenorientierte Beraterin konzipiert und begleitet sie die Verankerung von sinnstiftenden Ideen in die operative Umsetzung. Zu ihren Kunden zählen KMUs, internationale Grossunternehmen sowie Verbände aus unterschiedlichen Branchen, wie z.B. Maschinenbau, Lebensmittelindustrie, Landwirtschaft, Gesundheitswesen und Luxusbranche.


Referenzen

  1. Christina Taylor. 2018. Oops! Innovation ist kein Zufall. W. by Editions Weblaw.
Creative Commons Licence

AUTHOR: Anne-Careen Stoltze

Anne-Careen Stoltze ist Redaktorin des Wissenschaftsmagazins SocietyByte und Host des Podcasts "Let's Talk Business". Sie arbeitet in der Kommunikation der BFH Wirtschaft, sie ist Journalistin und Geologin.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert