Ein agiles Mindset ist der Schlüssel zur Digitalisierung

Dass Digitalisierung nicht nur Technologie umfasst, ist den meisten Unternehmen klar. Doch Agilität zu lernen, fällt besonders solchen Betrieben schwer, die mit einer traditionellen Firmenkultur erfolgreich waren. Fünf Fallbeispiele werfen Licht auf einen besonderen und noch wenig verstanden Prozess.

In vielen Unternehmen und öffentlichen Institutionen stellt sich längst nicht mehr die Frage, ob man agiler werden muss. Die Frage ist: Wie schaffen wir das? Welche Interventionsstrategien helfen dabei, uns rascher und flexibler auf veränderte Rahmenbedingungen zu reagieren? Um diese Fragen zu beantworten, wurden fünf Fälle eingehend untersucht und als Fallstudien dargestellt.

Spannende Projekte

  1. Die Matterhorn-Gotthard-Bahn (ca. 640 Mitarbeitende) zeichnen sich zunächst dadurch aus, dass sie mit langlebiger Infrastruktur und hohen Sicherheitsanforderungen zu tun hat und daher auch auf Mitarbeitende mit hohem Pflichtbewusstsein angewiesen ist. Und gleichzeitig verlangen die internationalen Tourismusströme ein rasches Anpassen der Angebote.  Ihre Strategie beinhaltete, keine externe Werbeagentur zu beauftragen, sondern mit eigenen Mitarbeitenden Projekte nach neuen Regeln und strukturellen Zusammensetzungen zu bearbeiten, während der übrige Betreib in gewohnten Bahnen verlief.
  2. Die Stadtwerke Konstanz (ca. 700 Mitarbeitende) fallen dadurch auf, dass sie Agilität radikal gedacht und umgesetzt haben: Hierarchische Führung wurde abgeschafft und durch ein holokratisches System der Selbststeuerung ersetzt. Die Stadtwerke hatten sich 2002 von der Stadtverwaltung losgelöst und als GmbH organisiert, wiesen aber immer noch verwaltungsähnliche, hierarchische Strukturen auf. Dies macht den Wandel sehr radikal.  Das Besondere an der Vorgehensweise war ihr primärer Fokus auf die äusseren Strukturen, wobei die bestehenden Funktionen in die Kreisstruktur übertragen wurden. Dies wurde zuerst pilotweise bei einer Abteilung gemacht und anschliessend auf sämtliche weiteren Abteilungen ausgeweitet – in der Hoffnung, dass sich die innere Dimension von selber entwickeln würde.
  3. Bei der Swissom wurde die Transformation der Abteilung DevOps (ca. 140 Mitarbeitende) angeschaut. Besonders an diesem Change war, dass er innerhalb eines Konzerns stattfand, der bereits mit Agilisierung viel Erfahrung hat. Die EAS-Transformation war zudem die letzte noch ausstehende Tribe-Transformation der DevOps@Software und konnte somit auf ein grosses Netzwerk und Knowhow zurückgreifen.
  4. An der Stadtverwaltung Heidelberg (ca. 2’700 Mitarbeitende) fällt nicht nur die Grösse auf, sondern auch die Heterogenität der Aufgaben. Der Auslöser für das Projekt lag beim Oberbürgermeister, welcher 2017 die Agilisierung der Verwaltung innerhalb der bestehenden Strukturen intern in Auftrag gegeben hat. Die Veränderungsstrategie beinhaltete sechs Handlungsfelder, welche es innerhalb eines Jahres umzusetzen galt – ohne dabei die äussern Strukturen zu verändern.
  5. Das Eidgenössische Departement für auswertige Angelegenheiten (EDA) startete ein Bottom-Up Projekt zum agilen IT-Produktmanagement, welches eine agile Zusammenarbeit zwischen der Informatik und dem HRM zur Umsetzung des HR-Cluster ermöglichte (ca.100 Mitarbeitende). Das Besondere bei diesem Projekt war einerseits der starke Fokus auf «Agilisierung durch Technologie» und andererseits dessen Realisierung innerhalb eines klaren und starren Hierarchiesystems, welches nebenher weiterhin bestehen konnte.

Technologie entscheidet nicht

Agilisierung wird oft im Kontext der Digitalen Revolution als Erfordernis wahrgenommen. Vielerorts wird daher ein enger Bezug zum technologischen Umfeld hergestellt, sei es in der Kundenbeziehung oder in der Teamkommunikation. Die Technologie kristallisierte sich allerdings in den Fallstudien nicht als besonders kritisch heraus. Sie war weder ein Engpassfaktor noch ein entscheidender Treiber der beobachteten Projekte. Er liegt der Schluss nahe, dass Technologie gesamtwirtschaftlich sehr wohl wichtig ist, aber heute auch so verfügbar und allgegenwärtig ist, dass ihr für den betrieblichen Agilisierungserfolg keine besondere Bedeutung zukommt. Die eigentlichen Herausforderungen liegen nicht in der Technologie, sondern beim Menschen.

Situative Hindernisse

Im Rahmen der Analyse ergaben sich zahlreiche Aspekte, die den Erfolg behindert haben. Die Datenlage reicht nicht aus, um genau festzustellen, wie erfolgskritisch jeder einzelne Faktor ist oder wovon dies abhängen könnte. Folgende Aspekte führten aber in mehr als einem der Fälle zu Problemen:

  • Im Rahmen des Veränderungsprojekte wurden schwelende Konflikte zu Tage gefördert und mussten erst bearbeitet werden, bevor man im Projekt weiterfahren konnte.
  • Die mit den Mitarbeitenden durchgeführten Trainings waren zu abstrakt und führten zwar zu mehr Wissen, aber nicht zu einer Verhaltensveränderung.
  • Schlüsselpersonen waren in einer alten Denkhaltung verhaftet und konnten folglich ihre Funktion als Identifikationsfiguren einer neuen Denkhaltung nicht richtig wahrnehmen konnten.
  • Es ist nicht gelungen, rasch ein einheitliches Begriffsverständnis zu schaffen. Um zu klären, was denn nun genau das Neue sei, das nun von den Mitarbeitenden gefordert wird, wäre diese aber notwendig gewesen.

Agilisierung ist ein Softfaktor

Für den Erfolg zeigten sich vier Faktoren als entscheidend: Projekt­aufbau sowie Führungsverständnis, Beteiligung  und «inner work». Während der Projektaufbau mit überschaubaren Schnittstellen separat gedacht werden kann, hängen die anderen drei Faktoren eng miteinander zusammen. Das Auseinanderhalten dient vor allem einer umfassenden Beleuchtung.

Mit Projektaufbau ist gemeint, dass die Notwendigkeit des Projektes sowie die Vision und Ziele gut geklärt und den Mitarbeitenden überzeugten vermittelt wurden und man sich Gedanken gemacht hat darüber, wie die übergeordneten Ebenen (Governance-Struktur) mit einzubeziehen seien. Das mag zunächst banal erscheinen. Es ist aber durchaus eine reelle Gefahr, dass ein paar Begeisterte, die den Zeitgeist in ihrem Rücken wissen, ein Agilitätsprojekt ohne betriebliche Notwendigkeit starten und mehr mit Duldung statt Support von weiter oben anfangen. Diese Basics des Changemanagement gelten also auch hier.

Als entscheidend bezeichnen die betreffenden Führungskräfte im Nachhinein das gemeinsame Verständnis von Führung. Es zeigt sich als grösste übergreifende Herausforderung aller Fallstudien. Umso erstaunlicher ist es, dass in fast keiner der Fälle ein agiles Führungsverständnis besonders gefördert wurde. Aktive Interventionen zur Verbesserung des Verständnisses verschiedener Führungsrichtungen wurden kaum umgesetzt. Selbstführung etwa, wurde als Zeitmanagement abgehandelt. Das weist auf ein zentrales Dilemma der Etablierung eines agileren Mindsets auf: Einerseits werden die Führungskräfte wichtiger, weil sie nun neben dem Tagesgeschäft auch Vorbild für etwas Neues sein müssen. Sie müssen die Vision als Multiplikatoren nach aussen tragen und vertreten, um die Mitarbeitenden auch auf kultureller Ebene zu bewegen. Andererseits werden sie weniger wichtig, denn sie geben ihre formelle Macht mindestens teilweise ab, sonst findet inhaltlich keine wirkliche Agilisierung statt. – Am Abgeben von Macht haben manche Führungskräfte, je nach Persönlichkeit, nur begrenzt Interesse. Widerstände bis hin zur Sabotage sind nicht auszuschliessen. Was sie dabei gewinnen können, ist nicht allen automatisch klar und es sind ja vermutlich auch je nach Sichtweise unterschiedliche Dinge. Anders gesagt: Führungskräfte brauchen zunächst eine Extraportion Macht, um Ihre Macht danach abgeben zu können, wobei der zweite Schritt nicht allen gleich leicht fällt. In den beobachteten Fällen findet sich erstaunlich wenig professionelle Vorbereitung auf diese kritische und eigentlich vorhersehbare Problematik.

Selbständigkeit muss sich selbst entfalten

Ein weiterer Punkt schliesst daran: Die Beteiligung der Betroffenen. Das ist nun wirklich nichts Neues.  Es scheint offensichtlich, dass Agilisierung kaum auf andere Art gelingen wird. Trotzdem ist dieser Aspekt nicht lapidar, weil Führungskräfte die Agilisierung umsetzen müssen, die damit gleichzeitig ihre eignen Rollen- und Verhaltensmuster verlassen müssen. Gerade unter Druck ist es herausfordernd, nicht in alte Muster zurückzufallen. Das Paradox ist, dass sich Selbständigkeit der Mitarbeitende nicht durch Führungskräfte anordnen lässt. Man kann an die Selbständigkeit nur heranführen und sie dann gewähren lassen und unterstützen.

Das bringt uns zum letzten Faktor: «Inner Work». Damit meint man die «Arbeit am Individuum und an der Teamkultur» und zielt auf eine «menschliche Reifung, im Zuge derer Mitarbeiter innerlich stärker und selbstbewusster werden». (Breidenbach und Rollow 2019). Es braucht also Massnahmen, die zur Entwicklung eines neuen Mindsets beitragen. Dies betrifft einerseits die einzelnen Mitarbeitenden, andererseits die Team-Ebene, also etwa die gemeinsam geteilte Vorstellung davon, welche Verhaltensweisen normal sind, welche tolerierbar sind und welche nicht. Bemerkenswert ist, dass in allen Fällen dieser Faktor unterschätzt worden ist und im Nachhinein nachgebessert werden musste. Es spricht einerseits für die Führungskräfte, die dieses Fehlen bemerkt und reagiert haben, andererseits scheint dieser konsistent begangene Fehler durch das Berücksichtigen dieser Erfahrungen vermeidbar.

Fazit

Die Analyse der Fallstudien hat ergeben, dass das Augenmerk in einem Agilisierungsprojekt auf vier Aspekte gelenkt werden muss:  Projekt­aufbau, Führungsverständnis, Beteiligung und «inner work». Für die erfolgreiche Agilisierung einer Unternehmung oder Abteilung ist es wichtig, dass diese Faktoren einzeln, aber auch in ihrem Zusammenwirken gut verstanden und als bedeutungsvoll erkannt werden. Die untersuchten Projekte haben diese Faktoren anfangs unterschätzt. Umwege, Spannungen und Belastungen hätten mit den nun vorliegenden Erkenntnissen vermieden werden können. Wichtig ist ebenfalls, dass das Projekt selbst agil ist in dem Sinne, dass Fehler rasch erkannt und behoben werden.


Referenzen:

  1. Breidenbach, Joana; Rollow, Bettina (2019): New Work needs Inner Work. Ein Handbuch für Unternehmen auf dem Weg zur Selbstorganisation. 2. Auflage. München: Verlag Franz Vahlen.
  2. Hofert, Svenja (2018): Das agile Mindset: Springer Fachmedien Wiesbaden.

Dieser Artikel basiert auf Ergebnissen der Masterthesis von BFH-Absolventin Carole Steiner.


Praxispartner gesucht

Wir wollen die Wirkung von kurzen Achtsamkeitsinterventionen auf die Psychologische Sicherheit in Teams untersuchen. Dies ist ein Kernelement der im Beitrag erwähnten «inner work» und somit  hoch relevant im Kontext von Agilisierungsvorhaben. Die Untersuchung der Zusammenhänge könnte aber auch in anderen Kontexten erfolgen. Partnerunternehmen müssten bereit sein, am Projekt mitzuarbeiten und sich finanziell zu beteiligen. Sie erhalten professionell ausgeführte Interventionen und relevante Resultate aus erster Hand. Interessierte melden sich bitte bei alexander.hunziker@bfh.ch.

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AUTHOR: Alexander Hunziker

Prof. Dr. Alexander Hunziker ist Studienleiter des EMBA Public Manager und Dozent für Achtsamkeit, Positive Leadership u.a. an der BFH Wirtschaft.

AUTHOR: Carole Steiner

Carole Steiner hat ihren MSc BA an der Berner Fachhochschule absolviert und ist Projektmanagerin im Personaldienst der Stadtverwaltung Langenthal.

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