Active Sourcing Tools in der Schweiz: Zwischen Effizienz und Fairness
Grosse Schweizer Unternehmen setzen verstärkt auf digitale Tools im Recruiting – von LinkedIn Recruiter bis ChatGPT. Doch wie effektiv sind diese Werkzeuge wirklich? Caroline Straub und Mascha Kurpicz-Briki haben untersucht, wie verbreitet Active Sourcing Tools sind, wo ihre Stärken liegen und ob es zu Verzerrungen bzw. Benachteiligung von Personengruppen im digitalen Recruiting kommt.
Ihr habt zu den menschenzentrierten Aspekten von HR-Sourcing-Software in Schweizer Unternehmen geforscht. Was wurde hier konkret untersucht? Weshalb hat dieses Thema eine Bedeutung?
Caroline: Headhunter und HR-Abteilungen verwenden häufig Active Sourcing Tools, um potenzielle Kandidat*innen zu identifizieren. Active Sourcing ist das direkte Ansprechen vielversprechender Kandidat*innen, um sie für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Im Active Sourcing werden zunehmend digitale Matching-Tools genutzt, um passende Kandidat*innen online aufzuspüren. Tools sollen Recruiting Prozesse effizienter machen. Einfache Filter- und Screening-Methoden können aber dazu führen, dass geeignete Kandidat*innen übersehen und andere fälschlicherweise zu teureren Selektionsrunden wie Interviews eingeladen werden. Dies ist ein Nachteil für Unternehmen, und Bewerbende riskieren Diskriminierung. Wir haben erforscht, wie weit verbreitet der Gebrauch von Active Sourcing Tools in der Schweiz ist, wie sie angewendet werden und ob sie zu Verzerrungen in Auswahlprozessen führen.
Wie seid ihr vorgegangen?
Caroline: Wir haben zunächst zehn Personalvermittler*innen (Headhunter, HR Rekruter in Schweizer Unternehmen) interviewt. Durch die Interviews haben wir Informationen über die Verbreitung, den Softwaretyp und die Anwendungsfälle dieser Tools erhalten. Die Interviews verdeutlichten, wie gut Fachkräfte das Tool verstehen, welche Probleme auftreten und wie nützlich es ist, z. B. bei der Personensuche und der Reduzierung des Fachkräftemangels.
Mascha: Im zweiten Schritt führten wir eine Analyse bezüglich der durch die Teilnehmenden genannten Sourcing Softwareprodukte durch. Es sollte dabei primär evaluiert werden, was für Technologien dahinterstehen, und was für Risiken in Bezug auf Diskriminierung das mit sich bringt. Dafür haben wir einerseits eine Online-Recherche über die Software durchgeführt (z.B. Herstellerwebseite, Erfahrungsberichte), und andererseits eine Literaturrecherche (bestehende Studien über diese Software). Aufbauend darauf haben wir 2 Softwareprodukte ausgewählt, und mittels Blackbox Testing weitergehend auf potenziellen Bias geprüft. Dabei wird die Software mit verschiedenen Inputs getestet und der Output analysiert. Dies ist besonders relevant, da wir oft nicht wissen, wie kommerzielle Software implementiert ist oder welche Daten für KI-Software genutzt wurden. Dies ist auch ein grosses Problem für Anwendungen, die auf Sprachmodellen wie ChatGPT basieren.
Welche Tools werden oft genutzt und in welchen Situationen?
Caroline: Die meisten Unternehmen suchen mit Active Sourcing Tools nach passiven Kandidat*innen. Das sind Personen, die keine neue Stelle suchen und von Unternehmen kontaktiert werden, um sie abzuwerben. Alle befragten Unternehmen nutzen LinkedIn Recruiter für die Suche nach passiven Kandidat*innen. Häufig kommt auch Textkernel zum Einsatz, um interne Bewerberpools zu durchsuchen. Einige Unternehmen setzen auf Phenom, ein KI-gestütztes Tool für Talent Management. Auch ChatGPT wird genutzt, etwa für das Generieren von Ansprachen oder Stellenanzeigen.
Wie kann ich mir das vorstellen? Macht das Tool alles automatisch?
Caroline: Nein, es ist immer eine Kombination zwischen HR-Fachkraft, Linienmanager und dem Tool. In der Regel gibt der Linienmanager die Stellenanforderung vor und gibt diese an den Active Sourcer weiter. Der Active Sourcer erstellt mittels Tool eine Longlist möglicher Kandidat*innen. Im dritten Schritt wird diese Longlist mit der Linie besprochen und erst dann erfolgt eine (nicht automatisierte) Kontaktaufnahme. Demnach bleibt es immer noch menschenzentriert.
Wie effektiv sind die Tools bei der Personensuche?
Caroline: Die Tools eignen sich besonders für Bereiche wie IT, Marketing und Business Development. Bei Blue Collar Arbeitenden oder im Gesundheitswesen sind sie weniger effektiv, da diese Zielgruppen seltener auf LinkedIn zu finden sind. Dort setzen Unternehmen eher auf alternative Methoden wie Facebook-Kampagnen, Google-Ads oder sogar Offline-Werbung. Ziel dieser Kampagnen ist es, dass sich das Unternehmen mit seinen Employer Benefits zeigt. Kommt es zum Austausch steht die persönliche Ansprache im Vordergrund. Toolbasiertes Sourcing wird hier eher in Frage gestellt.
Welche Probleme können bei der Anwendung auftreten?
Caroline: Als Hauptkritikpunkt nennen die Interviewten die eingeschränkte Suchfunktion von LinkedIn. Die Suche basiert ausschlieslich auf Keywords in den Profilen, wodurch unvollständige Profile oder fehlende Schlagworte zum Übersehen geeigneter Kandidat*innen führen können. Auch Soft Skills und Führungserfahrung lassen sich nur indirekt über Stellenbezeichnungen ermitteln, was eine manuelle Überprüfung der Profile erforderlich macht.
Wie sieht es mit Verzerrungen aus?
Mascha: In unserer bisherigen Forschung haben wir uns intensiv mit der Erkennung und Reduzierung von solchen Verzerrungen (Bias) in Word Embeddings und Sprachmodellen auseinandergesetzt. Wir konnten zeigen, dass die Stereotypen der Gesellschaft in diesen Modellen vorhanden sind. Diese Methoden brauchen aber Zugriff auf die Modelle, dies ist bei kommerziellen Anwendungen nicht möglich. Bei solchen Anwendungen verhält es sich so, dass wir eine Eingabe machen und uns die Ausgaben ansehen. Basierend auf solchen Methoden haben wir zwei Software Produkte untersucht in diesem Projekt.
Kann durch das Testen verschiedener Szenarien ein Bias in Softwares identifiziert werden?
Mascha: Wir haben im Projekt einerseits eine typische HR Software angeschaut, welche dazu dient, Informationen aus Dokumenten zu extrahieren, welche dann für Matchmaking verwendet werden können, beispielsweise mit Stellenangeboten. Dabei haben wir uns angeschaut, ob dies für Bewerbungsunterlagen von Männern und Frauen gleich gut funktioniert. Obwohl wir hier keine signifikanten Unterschiede feststellen konnten, muss dies mit Vorsicht behandelt werden, und es sollten weitergehende Tests mit grösseren Datensätzen durchgeführt werden, sowie auch mit den Matchmaking Komponenten selber.
Beim zweiten Versuch mit ChatGPT war die Situation anders. Eine Verzerrung wurde von unseren Tests festgestellt. Die Resultate werden in den kommenden Monaten in einem Fachartikel veröffentlicht. Es gibt noch viel zu tun, sowohl technisch als auch bei der Sensibilisierung der Nutzer.
Sind Active Sourcer für das Thema Biases sensibilisiert? Hinterfragen sie die Vorschläge der Tools, Caroline?
Caroline: Wir haben Active Sourcer gefragt, ob sie in den generierten Vorschlägen etwas bemerken. Allen Sourcern ist bewusst, dass sie nur Personen erreichen können, die auf sozialen Netzwerken angemeldet sind, und sie damit alle anderen Personen ausschliessen. Es fällt den meisten auf, dass Männerprofile öfter gefunden werden, weshalb 60 % der Direktansprachen an Männer gerichtet sind und nur 40 % an Frauen. Daher fragen sich die meisten Sourcer, warum Männerprofile «eher» entdeckt werden. Als mögliche Ursache vermuten die Sourcer unterschiedliche Keyword-Nutzung in den Profilen.
Je nach gewählten Suchattributen können sich in Tools wie Visage geschlechtsspezifische Verzerrungen in den Vorschlägen entwickeln. Dies unterstreicht die Bedeutung von Schulungen für HR-Personal zur Erkennung potenzieller Biases im Auswahlprozess – unabhängig vom eingesetzten Tool.
Wie geht es nun weiter?
Mascha: Wir werden unsere Tests weiterführen und insbesondere untersuchen, wie die HR-Branche verantwortungsvoll von den neuen Technologien profitieren kann. Dabei unterstützen wir Unternehmen, geeignete Prozesse zu definieren, um sicherzustellen, dass der Mensch im Fokus steht und Probleme wie Voreingenommenheit berücksichtigt werden können. Das Thema wird auch im Horizon Europe Projekt BIAS (biasproject.eu) untersucht, bei welchem die BFH das technische Work Package leitet.
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