Gesundheit 2030 – Digital Health richtig umsetzen

Wie müssen wir die Gesundheitsversorgung umgestalten, damit die Menschen mehr gesunde Lebensjahre haben? Der österreichische Verein Praevenire erarbeitet zusammen mit einigen Hundert Expertinnen und Experten das Weissbuch Gesundheit 2030, das auf die Eingangsfrage eine Antwort geben soll.

Ein wichtiger Aspekt ist Digital Health, respektive die digitale Transformation der Gesundheitsversorgung. Digital Health verspricht eine wesentliche Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung zum Nutzen für Patient*innen. Deshalb wird im Weissbuch ein ganzes Kapitel dem Thema Digital Health gewidmet sein.

Um dieses Kapitel zu erarbeiten, wurde Im Rahmen eines von der BFH gestalteten Digital Health Workshops am Praevenire Gesundheitsforum 2019 eine erste Auslegordnung zu Digital Health erarbeitet, die viele spannende Zukunftsperspektiven aufzeigte. Konkrete Chancen und konkrete Hindernisse wurden identifiziert, ebenso wie offene, ungelöste Fragen. Viele dieser Resultate erscheinen uns nach einem Jahr intensiver Diskussion schon sehr vertraut, obwohl wir erst am Anfang mit ihrem Verständnis stehen. Beispielsweise, dass Blended Care in ganz unterschiedlichen medizinischen Fachbereichen gleichzeitig Kosten sparen und die Qualität der Versorgung verbessern kann. Oder, dass Künstliche Intelligenz Automatisierung einfacher Entscheidungen ebenso unterstützt wie sie als Augmented Intelligence einerseits in der Allgemeinmedizin Risiken erkennen hilft und anderseits in der Spitzenmedizin zur Ordnung der Informationsfülle genutzt werden kann. Wobei es nach wie vor klare Grenzen für Maschinenlernen gibt und in jedem Einzelfall die Machbarkeit, beziehungsweise die Qualität der Resultate, sorgfältig geprüft werden muss. Oder – um ein drittes Beispiel zu nennen – dass es zahlreiche Möglichkeiten gibt, mittels Big Data das System der Systeme innerhalb der Gesundheitsversorgung zu optimieren, während gleichzeitig der Nachweis des ökonomischen Nutzens vieler offensichtlicher medizinischer Fortschritte schwierig ist.

In zahlreichen Einzelinterviews, mehreren online durchgeführten Runden Tischen und zwei Feedbackschlaufen wurde die ursprüngliche Auslegeordnung erweitert und führte letztlich zur Identifikation von zehn Gestaltungsprinzipien, welche nützlich sind und notwendigerweise befolgt werden müssen, damit Digital Health Projekte und Programme in der Praxis erfolgreich sind. Diese zehn Gestaltungsprinzipien sind:

  1. Patientenzentrierung
  2. Orientierung an den Gesundheitsfachpersonen
  3. Fokussierung auf Informationsflüssen
  4. Verstärkte Nutzung von Augmented Intelligence
  5. Anleitung durch Good Practices
  6. Einbezug aller ohne Blockaden
  7. Sicherheit und Solidarität
  8. Interoperabilität und hohe IT-Maturität als Normalfall
  9. Gute Ausbildung, permanente Weiterbildung und Kristallisationspunkte für neues Wissen
  10. Autonomie und internationale Zusammenarbeit

Jedes dieser Gestaltungsprinzipien wurde durch die Beschreibung von Umsetzungsformen, Zielen und Erfolgsvoraussetzungen konkretisiert. In Summe führte dies zu vorläufig etwa 170 unterschiedlichen Aspekten von Digital Health. Für ein konkretes Projekt sind nur ein Teil dieser Einzelaspekte relevant. Aber für sehr viele Projekte sind alle zehn Gestaltungsprinzipien wichtig.

Diese Komplexität überrascht. Geht es nicht viel einfacher? Ist solch ein Herangehen strategisch überhaupt tauglich? Die Antwort darauf lautet, dass es zugleich noch schwieriger und viel einfacher ist, als es auf den ersten Blick scheint. «Einbezug aller ohne Blockaden» bedeutet beispielsweise konkret nicht, dass man Multi-Stakeholder-Management in multirationalen Kontexten praktiziert. Es bedeutet vielmehr, dass auf Programmebene alle auf Augenhöhe involviert werden, während konkrete Projekte so fokussiert durchgeführt werden, dass nur wenige Stakeholder involviert sind und es möglichst nur eine rationale Perspektive gibt. Es kommt also auf die richtige Anwendung des Gestaltungsprinzips an.

Das Beispiel ist auch dahingehend typisch, dass die digitale Transformation beides mit sich bringt: die Bestätigung alter Wahrheiten (z.B. wird aus «Usability ist wichtig!» neu ein «UX ist wichtig!») und die Abkehr von alten Prinzipien (z.B. wird aus «Jeder muss gehört werden!» ein «Wir sorgen dafür, dass wenige gehört werden müssen, indem wir fokussierte Projekte durchführen!») Im konkreten Fall ist das fast immer ganz einfach, wenn man sich auskennt, und häufig hyperkomplex, wenn man keine Ahnung hat. Ein klein wenig Tragik liegt allenfalls darin, dass man weder fürs Richtigmachen Lob bekommt (das wäre ja trivial!), noch fürs Richtigverstehen (das ist ja viel zu komplex!). Aber um Lob geht es nicht. Denn die ersten beiden Gestaltungsprinzipien definieren das Spiel: Patientenzentrierung und Orientierung an den Gesundheitsfachpersonen!


Praevenire Gesundheitsforum 2020

Die hier zusammengefassten Ergebnisse werden ausführlich am Praevenire Gesundheitsforum 2020 vorgestellt werden. Das BFH-Zentrum Digital Society wird dabei wieder den Digital Health Workshop gestalten.

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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