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Wenn Daten einen zweiten Frühling erleben

Wissen wurde früher von Mund-zu-Mund oder durch das geschriebene Wort weitergegeben. Heute passiert das immer mehr digital und «Open Data“ ist die Philosophie, mit der es zugänglich gemacht wird. Am «Open Cultural Data Hackathon» in Lausanne zeigten Hacker und Institutionen, wie sich Kulturdaten in spannende Anwendungen verwandeln lassen.

Konzentriert beugen sich Menschen über ihre Laptops. Zweiertische sind zusammengeschoben und von braunen Plastikstühlen umringt. Es wird viel Englisch gesprochen an diesem Tag. Die Universität Lausanne ist vom 15. -16. September 2017 Austragungsort des «Open Cultural Data Hackathons» gewesen, an dem sich Informatiker aus allen Ecken der Schweiz mit Vertretern von Kulturinstitutionen getroffen haben, um gemeinsam Datenträger öffentlich, gratis und sortiert online zur Verfügung zu stellen.

Ideenwand

Museen, Archive, Galerien stellten ihre  Daten zur Verfügung und auch Theater – wie diesjährig das Schauspielhaus Zürich. Eine gemischte Truppe mit unterschiedlichen Sprachen, Vorwissen und Rohdaten. Aber alle mit dem gleichen Ziel: Open Data im Kulturbereich voranzutreiben.

Berner Fachhochschule als Triebfeder

Auch Beat Estermann ist an diesem Wochenende vor Ort. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am E-Government-Institut und stellvertretender Leiter des Schwerpunkts «Open & Linked Data» an der Berner Fachhochschule. Er koordiniert den Kultur-Hackathon und kennt viele der Teilnehmer. Das spürt man an der fast familiären Atmosphäre vor Ort. Der «Open Cultural Data Hackathon» findet zum dritten Mal an wechselnden Orten statt. Estermann forscht im Themenbereich Open Data und OpenGLAM. OpenGLAM ist eine Initiative, die es sich zum Ziel gemacht hat, dass Open Data und Crowdsourcing in Gedächtnisinstitutionen gefördert wird. Ein Teil dieses Efforts manifestierte sich am diesjährigen «Open Cultural Data Hackathon» Lausanne.

Zwei starke Beispiele

Während zwei Tagen konnten sich die rund 100 TeilnehmerInnen an Datensätzen austoben. Am Anfang des Hackathons stand die Präsentation der von den Institutionen zur Verfügung gestellten Datensätzen. Ziel war es Stakeholder wie an einer Tauschbörse zusammenzubringen: Daten gegen Wissen. Interessierte Hacker konnten sich einer Projektgruppe anschliessen und während zwei Tagen an den besagten, zusammengeschobenen Tischen hacken. Wer zwischendurch einen Input wünschte, konnte sich an einem der Side-Event inspirieren lassen und etwas dazulernen. Am letzten Abend wurden die Projekte in der Gruppe vorgestellt.

Entwickelt Games: David Stark

Einer dieser Hacker ist der 33-jährige David Stark aus Zürich, ein professioneller Game-Entwickler. Hacker ist ein Wort, welches kurz aufhorchen lässt. «Hacker ist linguistisch ein negativ besetzter Begriff», erklärt Stark. Aber eigentlich heisse «to hack» so etwas wie basteln. Mit dem Ziel, eine Lösung für ein bestehendes Problem zu finden.

Er ist von Anfang an mit dabei am «Open Cultural Data Hackathon». Insgesamt ist es in etwa sein zehnter Hackathon und ihm gefällt der spielerische Ansatz: «Ein Hackathon ist wie eine Blase aus Software und Algorithmen, in der man sich während einer beschränkten Zeit befindet», so Stark. Er schätze es zudem, dass man sich auch anderen Themenfeldern zuwenden kann, wenn der Zenit einer Idee erreicht ist.

Das Projekt, an dem er mitgearbeitet hat, heisst «Swiss Video Games Directory». Eine Datenbank mit bislang 216 Datensätzen mit Informationen zu allen bislang entwickelten Video-Games in der Schweiz. Er hat die Rohdaten mit verschiedenen Eckdaten in einem Google-Spread-Sheet eingetragen. Danach wurden diese Daten automatisch online in einer Liste mit Videovorschau visualisiert. Sein Ziel? «Wir wollen in der Projektgruppe Informationen zu den bislang erschienenen Video-Games aus der Schweiz konservieren und archivieren». Damit ein Stück Pop-Kultur – das Videospiele inzwischen sind – nicht verloren geht.

Roxanne Fuschetto ist Kunsthistorikerin.

Auch Roxanne Fuschetto hat am «Open Cultural Data Hackathon» teilgenommen. Die studierte Kunsthistorikerin arbeitet am Institut für Medizingeschichte an der Universität Lausanne und gehört zur Gruppe der Datenprovider. Für den Hackathon erstellte sie in einem Team aus dem Archiv des Instituts eine Bibliografie der Bücher über die Objekte –  die «Medical History Collection»

Das Team, in dem Fuschetto zwei Tage zusammen gearbeitet hat, ist zufrieden mit dem Ergebnis. «Bislang war die Liste der Objekte nirgends digitalisiert». Sie sei positiv überrascht über den neu gewonnenen Überblick. Inwiefern das Institut an der Liste weiterarbeiten wird, ist noch nicht klar. Aber der erste Schritt, das erste Verständnis und die erste Liste seien gemacht.

Nächstes Mal im Landesmuseum

Beat Estermann hofft, dass künftig noch mehr Institutionen ihre Datensätze freigeben. Dieses Jahr sind die Teilnehmerzahlen noch in etwa gleichbleibend im Vergleich zu den vorangegangenen Kultur-Hackathons. Der Hackathon im nächsten Jahr hat den Fokus Museen und findet passend dazu im Landesmuseum Zürich statt, dem meistbesuchten kulturhistorischen Museum der Schweiz.

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«Der offene Ansatz hat eine enorme Kraft» – Interview B. Estermann Teil I

Daten sind der Rohstoff des digitalen Zeitalters. Museen, Bibliotheken und Archive verfügen über grosse Mengen an Informationen. Während manche Länder diesen Datenschatz schon der Öffentlichkeit zugänglich machen, hinkt die Schweiz im Bereich Open GLAM hinterher, sagt Beat Estermann Forscher am BFH-Zentrum Digital Society und Gründer der OpenGLAM-Arbeitsgruppe von opendata.ch im ersten Teil unseres Interviews.

SocietyByte: Was verbindet Sie mit der Open-GLAM-Community, sind Sie im Herzen ein Hacker?

Beat Estermann: Ich bin selber kein Programmierer, hatte aber schon seit meinem Erststudium als Übersetzer immer wieder Berührungspunkte mit der IT. Ab 2000 habe ich beispielsweise im Rahmen eines Studierendenprojekts den Internetauftritt der Soziologie-Fachschaften der Universitäten Zürich, Basel, Bern und Genf mitgestaltet. Damals war gerade die Auszeichnungssprache XML entwickelt worden, mit der wir die Website bauten. Aber ich habe mich bald wieder auf Inhalte fokussiert und in meinem Masterstudium in Public Management die offene Produktionsweise, wie sie bei der Entwicklung von Open-Source-Software oder bei der Wikipedia anzutreffen ist, unter ökonomischen Gesichtspunkten untersucht. Im Rahmen eines europäischen Forschungsprojekts der Berner Fachhochschule zum Thema „Senioren und Online-Communities“ besuchte ich dann erstmals auch Veranstaltungen der Wikimedia-Community. Das war um das Jahr 2010, als die Wikimedia-Community gerade damit begonnen hatte, systematisch die Kooperation mit Gedächtnisinstitutionen zu suchen.

Wie haben Sie die Verbindung zwischen BFH und Open Data und Open GLAM entwickelt?

Zwischen Open-Government-Data (OGD) und Open GLAM gibt es viele Parallelen; die Bereiche befruchten sich wechselseitig. In der Schweiz ist die Open-Data-Bewegung etwa 2010 entstanden. Ich war dort von Beginn weg involviert und habe das Thema ans E-Government-Institut gebracht. 2012 betreute ich eine Studierendenarbeit über Schweizerische Gedächtnisinstitutionen. Diese Pilotstudie erwies sich als wichtiger Türöffner, denn sie brachte das Thema den Institutionen näher. Das war quasi die Pilotstudie für die grössere Studie im Rahmen meiner Dissertation. Klassischerweise befasst sich die BFH mehr mit E-Government-Themen als mit dem Bereich der Gedächtnisinstitutionen; die Open-GLAM-Thematik passt aber sehr gut zum BFH-Zentrum Digital Society. Seit letztem Jahr bekommen wir auch vermehrt Aufträge aus dem Open-GLAM-Bereich, so zum Beispiel von Memoriav oder der Schweizerischen Nationalbibliothek.

Neben diesen Beratungsaufträgen widmen Sie sich auch der Forschung. Welches sind Ihre aktuellen Projekte?

Neben einem kleineren Forschungsmandat zum Thema Langzeitarchivierung publiziere ich die Ergebnisse meiner vergleichenden Studie über die Gedächtnisinstitutionen in zehn Ländern. Es geht um die Art und Weise, wie die Gedächtnisinstitutionen mit neuen Trends rund um das Internet umgehen.

Dabei fanden Sie heraus, dass die Schweiz im internationalen Vergleich hinterherhinkt bzw. im hinteren Mittelfeld liegt. Was machen die führenden Länder im Open-GLAM-Bereich besser?

Ein grosser Unterschied liegt im Umgang mit föderalen Strukturen. Interessanterweise ist der Heritage-Sektor zum Beispiel auch in den Niederlanden kleinteilig und bei kleineren Institutionen stark auf Freiwilligenarbeit ausgerichtet. Da unterscheiden sich die beiden Länder nicht so stark. Aber die E-Partizipation-Kultur ist dort viel weiter entwickelt als in der Schweiz. Wir haben von jeher eine demokratische Partizipationskultur, die weitgehend ohne Internet auskommt. In vielen EU-Ländern wurde erst mit dem Aufkommen des Internets der Ruf nach mehr Bürgerpartizipation laut. Hinzu kommt, dass sich Gedächtnisinstitutionen in anderen Ländern wie Brasilien oder der Ukraine im Durchschnitt erst recht spät eine Internetpräsenz zugelegt haben, und dann oftmals gleich im Web 2.0. Die Schweizer Institutionen waren zwar früher dran, haben aber ihre Homepages nicht ins Web 2.0 übertragen – die Seiten vieler Institutionen sind daher nicht interaktiv.

Auf welche Weise unterstützt der Staat in den Niederlanden – die in Ihrer Studie die Nase vorn haben – die Open-GLAM-Bewegung?

Das kann ich so direkt nicht sagen. In einem früheren Projekt habe ich aber die Erfahrung gemacht, dass in den Niederlanden die Zentralregierung recht schnell einspringt und die Federführung übernimmt, wenn es um landesweite Ziele geht. Wenn die Umsetzung nach ein paar Jahren läuft, zieht sich die Regierung wieder zurück. So kommen die Niederlande schneller vorwärts.

Der Bundesrat hat im vergangenen Jahr die Strategie „Digitale Schweiz“ verabschiedet. Wie schätzen Sie diese ein?

Die Strategie gibt die allgemeine Stossrichtung vor, aber sie enthält keine Budgets. Über die Budgets müssen die verschiedenen Akteure selbst entscheiden. Ähnlich zahnlos wurde vor zwei Jahren auch die Open-Government-Data-Strategie des Bundes verabschiedet, bei der ebenfalls die Kantone nicht beteiligt sind. Man wartet jetzt ab, wie die einzelnen Kantone darauf reagieren.

Was treibt den Prozess abseits der Politik voran?

Zu den Treibern zähle ich den Verein opendata.ch, das Schweizer Chapter von Open Knowledge International, Creative Commons mit offenen Lizenzen und die Wikimedia-Bewegung. Hinzu kommen innovative Institutionen, welche neue Ansätze ausprobieren. Sie zeigen, wie Crowdsourcing funktioniert, dass Open-Content funktioniert und auch ökonomisch eine Bedeutung hat. Zum Beispiel hat Wikipedia innerhalb nur eines Jahrzehnts im Marktsegment der allgemeinen Enzyklopädien die Grossen aus dem Markt gedrängt. Dieser offene Ansatz hat eine enorme Kraft. Zudem hat die Wikimedia-Community ab 2008 damit begonnen, Gedächtnisinstitutionen direkt zu kontaktieren und ihnen klarzumachen: wir machen im Internet grundsätzlich dasselbe, wir vermitteln kulturelle Inhalte und Wissen.

Diese Entwicklung wurde sicherlich durch die Digitalisierung beschleunigt?

Zu den Trends, die das Internet möglich macht, gehören User-Partizipation, Social Media Crowdsourcing und kollaboratives Arbeiten. Diese Entwicklungen sind nicht grundsätzlich neu. Partizipative Ansätze gibt es schon lange. Der Einbezug von Freiwilligen war zum Beispiel im Bereich der Archäologie lange Gang und Gäbe. Doch dieser Bereich wurde in den letzten Jahrzehnten zunehmend professionalisiert; man wurde vorsichtiger, arbeitete mehr und mehr nach wissenschaftlichen Standards und schloss Laien von vielen Aufgaben aus. Wenn man sich die Entstehungsgeschichte von Museen anschaut, war ihr Ursprung meist das Hobby oder die Leidenschaft eines Einzelnen. Danach ist aber oftmals eine Professionalisierung zu beobachten. Mit dem Aufkommen des Internets wird nun die Frage nach neuen Beteiligungsmöglichkeiten gestellt; zum Beispiel um externes Expertenwissen zu speziellen Themen zu erschliessen, das in den Gedächtnisinstitutionen selbst nicht vorliegt. So hat sich beispielsweise die ETH Bibliothek an ehemalige Mitarbeiter der Swissair gewendet, um die Metadaten der Fotobestände der Fluggesellschaft zu ergänzen.

Ist aus den partizipativen Trends heraus die Open-GLAM-Bewegung entstanden (oder hängt sie vielmehr mit der Hacker-Kultur zusammen)?

Solche Entwicklungen kommen immer schubweise. Im Bereich Open Data sagen manche, dass die Ursprünge im wissenschaftlichen Bereich bis in die 1950er Jahre zurückgehen. Sicher gab die Open-Source-Bewegung einen wichtigen Impetus. Dabei haben sich Computerprogrammierer an US-amerikanischen Universitäten ab den 1970er Jahren zusammengetan, um ihre Software auszutauschen. Andererseits gab es schlaue Leute wie Bill Gates, die wollten sich für ihre Software bezahlen lassen. Beides passte nicht zusammen. Seitdem haben wir im Bereich der Software zwei Paradigmen: Proprietäre Software, bei der sich oftmals Quasi-Monopole herausbilden, und Open Source Software. Wobei die Open-Source-Bewegung die Monopole zum Teil unterläuft  und eine Wettbewerbssituation herstellt. Die Gesellschaft profitiert von diesem Wechselspiel.

Neben den Gedächtnisinstitutionen verfügt auch der Staat über grosse Datenmengen. Wie öffnet der Staat diese?

Ausgehend vom Transparenzgebot und vom Informationsfreiheitsgesetz, welches den BürgerInnen den Zugang zu staatlichen Unterlagen zusichert, entwickelte sich die Idee, nicht einfach PDFs zu veröffentlichen, sondern die Daten in Formaten bereitzustellen, die einfach weiterverwendet werden können. Das ist die OGD-Idee. Wichtigen Anschub gaben Grossbritannien und die erste Obama-Administration, die OGD ab 2009 sehr hoch hängten. Das schwappte über die G8-Staaten auf andere über, die in der Folge OGD-Gesetze bzw. OGD-Strategien verabschiedeten. Seither erfolgt deren Umsetzung, die je nach Kontext und Organisationskultur sehr unterschiedlich ausfallen kann.

Ist es eine Frage des Glaubens oder der Einstellung?

In meiner Wahrnehmung gibt es unter den Gedächtnisinstitutionen wie auch unter den Verwaltungsstellen welche, die eher innovationsaffin sind. Von diesen wird erwartet, dass sie sich als Erste bewegen. Das können beispielsweise Institutionen sein, die an namhafte Forschungs­institutionen gekoppelt sind, wie die ETH-Bibliothek. Da sind die Erwartungen der Nutzer hoch und die Community schaut genau hin: „Was machen die First Movers?“ – Ich denke, es gibt eine ganze Reihe von Institutionen, die niemals zu den Vorreitern gehören werden, da sie genau wissen, wem sie zuerst über die Schulter schauen können, bevor sie sich selber bewegen.


Zur Person

Beat Estermann ist stellvertretender Leiter des Schwerpunkts «Open & Linked Data» am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule. Er forscht im Themenbereich Open Data und OpenGLAM, d.h. Open Data und Crowdsourcing in Gedächtnisinstitutionen. Zudem koordiniert er die schweizerische OpenGLAM- Arbeitsgruppe des Vereins opendata.ch und die eCH-Fachgruppe Open Government Data.

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Hacken erwünscht

In Archiven, Bibliotheken und Museen schlummern grosse Datenschätze, die im digitalen Zeitalter aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden. Wie aus den alten Daten neue Anwendungen entstehen, zeigten Programmiererinnen und Programmierer am „#ZACK – Zürcher Archiv Hackday“. Dafür stellten die beteiligten Archive umfangreiches Text- und Bildmaterial zur Verfügung.

Seit Jahrhunderten sammeln Menschen Akten, Unterlagen, Bilder und andere Artefakte, welche ihr Leben und die Welt um sie herum dokumentieren. Diese Daten und Artefakte werden in Gedächtnisinstitutionen für die kommenden Generationen aufbewahrt und dem interessierten Publikum zugänglich gemacht. Die OpenGLAM-Bewegung engagiert sich im Sinne der Open-Data-Philosophie dafür, dass die Daten und digitalisierten Artefakte aus Gedächtnisinstitutionen („GLAM“ ist Englisch und steht für „Galleries, Libraries, Archives and Museums“) soweit wie möglich im Internet frei verfügbar gemacht werden, damit sie von interessierten Nutzern für diverse Zwecke weiter­verwendet werden können. Am Schweizer Archivtag am 9. Juni  öffneten die Zürcher Archive daher nicht nur ihre Türen, sondern auch gleich einen Teil ihrer Daten und luden Software Programmierer, Digital Humanists, Wikipedianer und andere Geschichts- und Kulturinteressierte dazu ein, diese in unterschiedlichsten Formen weiterzuverwenden. Daneben stellten die Archive im Rahmen einer Vortragsserie verschiedene Pilotprojekte vor.

Dass diese Öffnung der Bestände leider noch nicht überall Common Sense ist, zeigte Beat Estermann, stellvertretender Leiter des Forschungsschwerpunkts Open & Linked Data am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule und Gründer der OpenGLAM-Arbeitsgruppe Schweiz. Auf der Basis einer Umfrage bei Gedächtnisinstitutionen in neun Ländern untersuchte er, inwieweit die Gedächtnisinstitutionen ihre Daten und Digitalisate heute bereits zur freien Weiterverwendung bereitstellen. Die Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern sind zum Teil beträchtlich, wobei die Niederlande generell die Nase vorn hat, während sich die Schweiz im hinteren Mittelfeld tummelt. Allerdings ist der Anteil an Inhalten, die durch Dritte frei genutzt werden dürfen, im Vergleich zu den Gesamtbeständen heute in allen Ländern noch gering. Binnen der nächsten fünf Jahre werde sich diese Situation jedoch grundlegend ändern, ist sich Estermann sicher, denn viele Archive gäben an, künftig einen substantiellen Teil ihrer Bestände für die Weiterverwendung freigeben zu wollen.

Er formuliert fünf Prinzipien, die Institutionen erfüllen müssten, damit OpenGLAM funktioniert:

  1. Metadaten sollen ohne Nutzungsbeschränkungen online veröffentlicht werden.
  2. Auch bei gemeinfreien Werke, welche online publiziert werden, sollen keine Nutzungsbeschränkungen geltend gemacht werden.
  3. Bei der Publikation von urheberrechtlich geschützten Inhalten soll mittels standardisierter Lizenzen deutlich gemacht werden, wie die Inhalte weiterverwendet werden dürfen.
  4. Um die Weiterverwendung zu erleichtern, sind Daten und Inhalte in maschinenlesbarer Form und in Open-Source-Dateiformaten zu veröffentlichen.
  5. Die neuen Partizipationsmöglichkeiten, die sich durch das Internet ergeben, sollen gefördert werden.

Als Hauptgründe, weshalb sich viele Institutionen bei der Freigabe von digitalisierten Inhalten im Netz noch etwas zurückhalten, nennt Estermann das Urheberrecht, den Extraaufwand und die technischen Voraussetzungen, die es erfordert, analoge Dokumente zu digitalisieren, sowie die Angst vor dem Kontrollverlust seitens der Institutionen.

Eine Vorreiterrolle, wenn es um die Verbreitung der Open-Data-Philosophie in der öffentlichen Verwaltung geht, nimmt Open Data Zürich ein. Die Dienststelle ist bei der Stadt Zürich für die Umsetzung von Open Government Data zuständig und macht seit einigen Jahren einen wachsenden Teil von Daten der Zürcher Stadtverwaltung unter offenen Lizenzen zugänglich und unterstützt auch immer wieder Hackathons, um deren Nutzung zu fördern. „Wir verfügen über grosse Datenmengen über die Bürgerinnen und Bürger der Stadt Zürich, von den Beförderungszahlen der Zürcher Verkehrsbetriebe über Eheschliessungen und Taufen bis hin zu den registrierten Hunden und wie sie heissen“, sagt Marco Sieber, Projektleiter Statistik bei der Stadt Zürich. Er gab in seiner Präsentation einen anschaulichen Einblick über den Datenschatz. Zudem veröffentlichte Open Data Zürich eigens für den Hackday Datensätze, darunter die Ehe- und Taufbücher des Grossmünsters von 1708 bis 1732, das Bildarchiv des Schweizerischen Arbeiterhilfswerks sowie Fahrpläne der Tösstalbahn.

Auch andere Archive und Initiativen wie Histhub oder TOPOterm stellten ihre Projekte und Daten vor. Dodis verfügt etwa über die Diplomatischen Dokumente der Schweiz und stellt diese in gedruckter und digitalisierter Form zur Verfügung. Eine Teilnehmerin des letztjährigen Schweizer Kulturhackathons stellte zudem eine Online-Applikation mit Daten des Verbandes Schweizerischer jüdischer Fürsorgen VSJF aus dem Archiv für Zeitgeschichte vor, welche die Bewegungen jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz im Laufe des 20. Jahrhunderts visualisiert.

Die meisten Institutionen besitzen Originaldokumente und suchen nach einer technischen Lösung, wie sie diese in geeignete Dateiformate umwandeln können. Ein besonders kniffeliges Beispiel, die Handschriftenerkennung beim Projekt READ (Recognition and Enrichment of Archival Documents), stellte Tobial Hodel vom Staatsarchiv Zürich vor. Mittels Software werden historische Aufzeichnungen wie gedruckte Texte eingelesen und in Dateien umgewandelt. Dabei setzen die Forscher auf neuronale Netzwerke. „Allerdings müssen die Maschinen noch viel lernen; neu gibt es eine Software, die Frakturschrift erkennen kann“, erläuterte Hodel. Derzeit sei die Fehlerquote noch relativ hoch, sinke aber, je länger die Texte seien: Bei 150 Seiten liege die Quote bei 10 Prozent, bei 1000 Seiten um 3 Prozent. Das Problem sei, dass handschriftliche Texte meist keinen gleichbleibenden Schemen folgten. Randnotizen und Fussnoten erschweren die Erkennung weiter. Als Beispiel zeigte Hodel einen Brief des Dichters Rainer Maria Rilke, den der Algorithmus in eine Datei umwandelte – der Text war aufgrund der vielen Erkennungsfehler jedoch unlesbar.

Das Staatsarchiv stellte denn auch einen Datensatz von Rilkes Aufzeichnungen zur Verfügung, an dem ein Hackerteam arbeitete und die dazugehörigen Metadaten anreicherte und visualisierte. Andere Teams programmierten unter anderem ein Tool, das die Eheschliessungen in Zürich visualisiert, welche grafisch einer Spinne ähnlich sehen. Thomas Weibel, Multimediaproduzent an der BFH  und an der HTW Chur, verwandelte Fotos des Usterner Unternehmers und Fotografen Julius Guyer (1893-1909) in den Prototypen eines Memorys.

Hintergrund:

Der Zürcher Hackday ist ein Gemeinschaftsprojekt von Deutschschweizer Archiven, der Arbeitsgruppe OpenGLAM des Vereins opendata.ch und Wikimedia CH. Organisiert wurde der Anlass von Tobias Hodel vom Staatsarchiv Zürich  und Karin Beck vom Stadtarchiv Zürich in Zusammenarbeit mit Vertretern von vier weiteren Archiven (Sozialarchiv, Stadtarchiv Uster, Stadtarchiv Winterthur, Schweizerisches Literaturarchiv), welche für den Anlass eigene Daten bereitstellten. Der Hackday ist einer der Pre-Events zum Swiss-Open-Cultural-Data-Hackathon, der am 15.-16. September an der Universität Lausanne stattfindet.

 

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Die digitalen Räume der Bibliotheken öffnen

Bibliotheken sind ein Ort des Wissens. Neben den gedruckten Werken verfügen sie heute über eine riesige Menge an digitalen Daten. Am Hackathon Geneva Open Libraries tauschten sich SpezialistInnen aus, wie diese allen öffentlich zugänglich gemacht werden könnenen. Einer der Organisatoren des Events, Lionel Walter vom Swissbib-Konsortium erklärt, was es mit diesem Hackathon auf sich hatte.

SocietyByte: Open libraries – offene Bibliotheken, ist das nicht ein Pleonasmus?

Lionel Walter: Bibliotheken sollten ihre Informationsschätze ja eigentlich sowieso für möglichst viele Leute zugänglich machen, denkt man. Doch neben Büchern horten Bibliotheken heute auch immer mehr digitale Datensätze – beziehungsweise, sie übertragen ihre analogen Bestände in die digitale Form. Dazu kommen noch eine Menge Nutzungsdaten; Bibliotheken sind Informationsdrehscheiben und in den gehorteten Daten mag so einiges stecken, das womöglich erst noch an die Oberfläche befördert werden muss. Und dabei könnten ganz verschiedene Leute mit ebenso verschiedenen Ideen und Expertisen helfen – sofern sie denn Zugang zu den Daten haben.

Lionell Walter

Sie haben den Open Libraries-Event in Genf mit organisiert. Inwiefern sind die Bibliotheken heute eher geschlossen als ‹open›?

Eigentlich ist die Grundphilosophie von Bibliotheken natürlich eine offene, aber das gilt vielleicht mehr für die analogen Bestände, für die klassische Idee von Schriftstücken. Im digitalen Bereich gilt das deutlich weniger. Da braucht es Initiativen, die wieder hin zu einer möglichst grossen Offenheit gehen – zum Beispiel damit auch alle digitalisierten Dokumente öffentlich zugänglich gemacht werden. Und zwar mit offenen Lizenzen.

Verraten die Bibliotheken im digitalen Zeitalter also ein wenig ihre Tradition?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Sie haben schon verstanden, was ihre prinzipielle Aufgabe wäre – es ist sehr selten, dass Bibliotheken ihre Informationsschätze nicht verteilen wollen, aber oft wissen sie nicht, wie genau sie das anstellen sollen, sei es in technischer oder in rechtlicher Hinsicht.

Was sind dabei die Schwierigkeiten?

Oft ist es so, dass man auf digitalisierte Dokumente zwar zugreifen kann, die Lizenzen aber nicht klar regeln, was man mit den Dokumenten alles machen darf – kann man sie herunterladen, darf man mit ihnen arbeiten, sie weiterverwenden? Um solche Fragen geht es auch bei ‹Open Libraries›, wir möchten helfen zu klären, wie man welche Lizenzen am besten einsetzt und wie man das dann auch klar kommuniziert. Beispielsweise hat Google einer Bibliothek in Lausanne beim Scannen der Bestände geholfen – nun stellt sich allerdings die Frage, wer welche Rechte auf die Digitalisate hat. Da gibt es oft eine Menge offener rechtlicher Fragen.

Wie schätzen Sie die diesbezügliche Lage in der Schweiz und in anderen Ländern ein?

Ich würde sagen, die Bibliotheken haben in der ganzen Schweiz mit ähnlichen Problemen zu tun, und nach allem was ich von ausländischen Kollegen höre, ist die Situation auch mit anderen Ländern vergleichbar. Es sind also überall dieselben Herausforderungen.

Neben diesen strukturellen Fragen ging es beim Geneva Open Libraries-Anlass vom 12. und 13. Mai auch ganz konkret darum, Datenschätze von Bibliotheken zu heben, um originelle Zugänge oder Analysen aus ungewohnter Warte. Beteiligt waren unter anderem die Bibliothek der UNO, das Bodmer Lab der Uni Genf, das Genfer Staatsarchiv, der universitäre Bibliotheksverbund Rero und die Bibliothek des Musikkonservatoriums. Die UNO-Bibliothek etwa steuerte einen grossen Bestand an historischen Fotografien und anderer Dokumente bei, die unlängst digitalisiert worden sind. Das Bodmer Lab wiederum machte wahre Schätze aus der Sammlung Bodmer zugänglich, unter anderem eine Reihe reich illustrierter Reisebücher aus der Renaissance sowie über hundert Ausgaben von Goethes Faust in diversen Sprachen. Und auch das Staatsarchiv stellte historische Bestände in digitaler Form zur Verfügung.

Herr Walter, was erhoffen Sie sich von einem Hackathon-Event im Bibliotheks- und Archivumfeld?

Es gibt verschiedene Ziele: Mit einem Event kann man einen Rahmen setzen, ein klares Datum, auf das hin Bemühungen fokussiert werden können. Das schafft Motivation bei den Institutionen, im Hinblick auf diesen Event etwas zu tun. Ausserdem sehen die Institutionen sofort Resultate, sie bekommen unmittelbar konkrete Beispiele, was man mit diesen offenen Datensätzen alles machen kann. Und nicht zuletzt kommt es am Hackathon zu einem Austausch verschiedener Spezialisten, die sich sonst nicht unbedingt treffen würden. Oft sind Datenspezialisten angewiesen auf das Detailwissen derjenigen, die die Daten kennen.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Ein tolles Projekt, das am Hackathon erarbeitet worden ist, ergab sich aus dem offenen Fotoarchiv der UNO. Unter anderem war ein Historiker anwesend, der bereits mit diesem Fotofundus gearbeitet hat. Er bringt seine Expertise für die Zeit zwischen 1920-1940 mit und kennt die abgebildeten Menschen deshalb gut. Seine Arbeit, die Fotos entsprechend zu verschlagworten, war allerdings ein mühsames Klein-Klein und die erhobenen Daten waren kaum weiterzuverwenden, falls sich jemand anderes auch dafür interessiert hätte. Er hätte gern eine offenere Herangehensweise für diese Metadaten gefunden. Ein paar Informatik-Studenten aus Lyon, die sich mit Image Recognition auskennen, horchten auf und boten ihre Tools und Expertise an – nun werden die Fotos automatisch gescannt und alle abgebildeten Menschen bestimmt. Das mag als Methode nichts revolutionär neues sein, konnte aber nur in dieser Kombination von Archivexperten, Historikern und Informatik-Spezialisten passieren.

Wie hat das UNO-Bibliothek darauf reagiert?

Sehr positiv, doch es bleibt nach wie vor ein Lizenz-Problem. Wir würden es am liebsten sehen, wenn die Fotos einfach offen ins Netz gestellt werden, so dass die Online-Crowd mit ihnen arbeiten könnte – da würden bestimmt noch mehr spannende Ideen zusammenkommen. Doch das ist ein langer Prozess, der nun immerhin angestossen wurde – die Verantwortlichen haben ein konkretes Resultat gesehen und werden das nun entsprechend weiterdiskutieren.

Wie geht es weiter mit Open Libraries? Welche weiteren Projekte zeichnen sich ab?

Es waren diverse Institutionen am Event zugegen, die auch über die Öffnung ihrer Datensätze nachdenken. Sehr spannend zum Beispiel: ist das Archiv des welschen Fernsehens ist dabei, einen Riesenbestand an Videos zu digitalisieren. Nun stellt sich die Frage, ob zum Beispiel die archivierten Nachrichtensendungen allen Interessierten zugänglich gemacht werden sollen. Dabei bekommt man es wiederum mit komplexen Copyright-Problemen zu tun, weil oft Fremdbilder in die Sendungen eingebaut wurden. Wir haben das in Genf mit den Verantwortlichen diskutiert und hoffen, dass wir da etwas angestossen haben, das noch weitergehen wird.

Was steht als nächstes auf der Agenda?

Der Open Cultural Data Hackathon im September. Wir wollen eine gewisse Kontinuität in die Open Cultural Data-Diskussion hineinbringen, indem wir jedes Jahr einen grossen Hackathon organisieren, in jeweils wechselnden Orten – nach Bern und Basel dieses Jahr in Lausanne.

Hintergund:

Geneva Open Libraries war Teil von opengeneva, eines regelrechten Hackaton-Festivals, das rund 400 Interessierte in Genf zusammenbrachte, um auf ganz verschiedenen Gebieten Projekte mit offenen Daten zu erarbeiten. Für Lionel Walter war der Event eine wichtige Etappe hin zum dritten Open Cultural Data Hackathon, der dieses Jahr Mitte September in Lausanne stattfinden wird. Die Initianten möchten mit Veranstaltungen in verschiedenen Schweizer Städten darauf hinwirken, Datensätze mit Bezug zur Kultur für alle zu öffnen. Ein weiterer Pre-Event wird am 9. Juni am Schweizer Archivtag in Zürich stattfinden.

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