Mit datenbasiertem Tool das Klassenklima und Wohlbefinden in Schulklassen reflektieren

Adobestock 627187636 Klassenzimmer

Der Schulalltag von Lehrpersonen umfasst Daten unterschiedlicher Form und Informationsgehalts. Lehrpersonen nutzen informelle Beobachtungen, Lernprozessbegleitungen und Prüfungen, um Lernende zu unterstützen und zu fördern. Allerdings fehlen oft Werkzeuge, um soziale Dynamiken im Klassenzimmer systematisch zu erfassen und zu analysieren. Ein gemeinsames Projekt Berner Institutionen, finanziert durch BeLEARN, integriert pädagogische Forschung und IT, um ein digitales soziales Klimamonitoring-Tool für Schulklassen zu entwickeln. Ziel ist es, Lehrpersonen zu helfen, ihre Wahrnehmung mit quantitativen Daten zu ergänzen, um das Klassenklima und das Wohlbefinden aller Schülerinnen und Schüler zu verbessern.

Obwohl auf Anhieb nicht erkennbar, gehört die Tätigkeit als Lehrperson zu einem der datenintensivsten Berufe. Lehrpersonen arbeiten implizit und explizit mit Daten, die aus kontinuierlichen Beobachtungen aus dem Schulalltag stammen. Diese umfassen nicht nur Informationen zu Fähigkeiten, Leistungen, und Potentialen einzelner Lernenden, sondern auch zum Lernklima, zur Klassengemeinschaft und zu den Beziehungen zwischen den Lernenden. Dabei wird erwartet, dass sich Lehrpersonen auch um das Wohlfbefinden aller Lernenden und um ein positives Klassenklima kümmern. Tatsächlich haben sie als «unsichtbare Hand» einen grossen Einfluss auf die Gestaltung sozialer Prozesse. Die Forschung zeigt aber auch, dass oft Diskrepanzen zwischen der Wahrnehmung der Lehrpersonen und der Perspektive der Lernenden besteht. Datenbasierte Rückmeldungen zu sozial-emotionalen Aspekten in Schulklassen sind – im Gegensatz zu Instrumenten für die Lernstandserfassung – noch relatives Neuland.

Unsere Forschung konzentriert sich darauf, eine Softwareanwendung zu entwickeln, welche standardisierte Schüler:innenbefragungen, komplexe Netzwerkanalysen und Datenvisualisierungen integriert, um sozial-emotionale Daten der Lernenden den Lehrpersonen in geeigneter Weise zugänglich zu machen. Dies zielt darauf ab, einerseits das Bewusstsein für sozial-emotionale Prozesse zu fördern und andererseits Lehrpersonen bei der Gestaltung inklusiver Klassenräume zu unterstützen.

Ein Softwaresystem allein reicht nicht aus

Unser Forschungsprojekt unterscheidet sich erheblich von dem üblichen Szenario «IT entwickelt eine Anwendung, um Geschäftsanforderungen zu erfüllen«, da wir verschiedene Forschungsfragen verfolgen, die nur durch die Zusammenarbeit von IT- und pädagogischen Expert:innen gelöst werden können:

  • Definition und Messung wichtiger Konzepte: Es stellt keine grosse Herausforderung dar, mathematische Kompetenzen zu messen. Aber wie steht es um das Wohlbefinden oder das soziale Klima? Was macht eine gute Beziehung aus? Bei den drei zu erforschenden Themenbereichen handelt es sich um komplexe Konstrukte, weshalb die pädagogische Konzepterarbeitung des Forschungsprojekts von Expert:innen in diesen Bereichen unterstützt wird.
  • Erhebung der richtigen Daten mit der richtigen Qualität: Die eingesetzten Instrumente müssen objektiv, reliabel und valide sein. Sie sollten zwischen Kindern unterscheiden, die gute Beziehungen haben und sich wohl, eingebunden und akzeptiert fühlen, und zwischen jenen, die das nicht tun. Derzeit erproben wir eine Kombination verschiedener wissenschaftlich fundierter Fragebogenskalen für Kinder.
  • Benutzerfreundlichkeit für Lehrpersonen und Lernende: Während Einfachheit und Barrierefreiheit bei der Befragung der Lernenden im Vordergrund steht, stellt für die Lehrpersonen vor allem die Visualisierung der Beziehungsnetzwerke, den Aspekten des Wohlbefindens der Lernenden und dem Klassenklima eine Herausforderung dar. Lehrpersonen sollen durch die umfangreiche Datengrundlage nicht überfordert, sondern zum Nachdenken und zum Handeln angeregt werden zum. Eine intuitive, benutzerfreundliche Auswertung ist der Schlüssel dazu.
  • Datenschutz und Sicherheit: Die Daten der Lernenden sind sensible Daten und sollen in Übereinstimmung mit den Datenschutzgesetzen und ethischen Standards gesammelt, gespeichert und von der Lehrperson analysiert werden. Wie Lehrpersonen mit den Ergebnissen der Befragungen umgehen und diese den Lernenden und Erziehungsberechtigten kommunizieren, sind aber ebenso wichtige Fragen, denen innerhalb des Forschungsprojektes nachgegangen wird.
  • Integration in den bestehenden Unterricht: Das Tool soll ein kontinuierliches Monitoring darüber ermöglichen, wie es den Lernenden in der Klasse geht und wie sich Wohlbefinden, Beziehungen und Klima über die Zeit verändern. Wie Lehrpersonen das Tool am effektivsten in ihren Unterricht integrieren, und wie die Motivation der Schüler:innen und die Qualität der Daten über die Zeit sichergestellt werden können, sind ebenfalls aktive Forschungsthemen.
  • Zusammenarbeit im Team: Das Tool ist als niederschwelliges Instrument gedacht, um Lehrpersonen dabei zu unterstützen, soziale Prozesse innerhalb der eigenen Klasse zu analysieren und das Wohlbefinden aller Lernenden zu fördern. Lehrpersonen sind aber keine Einzelkämpfer und gerade bei schwierigen Situationen wie Mobbing ist die fachliche Zusammenarbeit mit anderen Lehr- und Fachpersonen wichtig. Das Tool soll entsprechend auch die Zusammenarbeit mit Fachpersonen der schulischen Heilpädagogik und der Schulsozialarbeit fördern. Wie das konkret umgesetzt werden kann, ist eine weitere Forschungsfrage.

Die Zusammenarbeit zwischen Expert:innen im pädagogischen- und IT-Bereich zielt darauf ab, diese Herausforderungen durch die Nutzung ihrer kombinierten Expertise anzugehen. Durch die Entwicklung eines ausgeklügelten, benutzerfreundlichen Tools, das sinnvolle Einblicke in die sozialen Dynamiken im Klassenzimmer bietet, strebt das Projekt an, die soziale Integration aller Schüler:innen und ein empathisches Lernumfeld zu fördern, um damit das Lernen Aller zu verbessern.

Fazit

Die Arbeit von Lehrpersonen ist – wenn auch nicht auf Anhieb erkennbar – eine datenintensive Profession. Lehrpersonen sammeln über die Zeit hinweg vielfältige Erfahrungen in der Arbeit mit den Lernenden. Dabei entwickeln Lehrpersonen bemerkenswerte Fähigkeiten bei der Sammlung und Nutzung dieser Daten. Indem wir Lehrpersonen mit ausgefeilten Werkzeugen ausstatten, möchten wir diese Stärken ergänzen – nicht ersetzen. Die Erweiterung durch ein benutzerfreundliches Tool zur Erfassung des Klassenklimas, der sozialen Beziehungen, sowie dem Wohlbefinden der Lernenden, unterstützt Lehrpersonen in ihrer Arbeit und trägt dazu bei ein positives Lernumfeld für alle Schüler:innen zu schaffen.


Danksagung

Wir danken der BeLEARN-Organisation für die Finanzierung und Unterstützung dieses Projekts. Wir danken auch unseren Forschungspartner:innen Caroline Sahli Lozano (PHBern), Michael Eckhart (PHBern), Tina Hascher (Universität Bern), Carmen Zurbriggen (Universität Freiburg), Victoria Mirata (Fernfachhochschule Schweiz), Barbara Muntwyler (Mosaikschule Munzinger). Wir danken auch unserem Softwarearchitekten Hugues Clavadetscher und unseren Softwareentwicklern Roman Schneiter und Christian Schmidhalter.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Kenneth Ritley

Kenneth Ritley ist Professor für Informatik am Institut für Datenanwendungen und Sicherheit (IDAS) der BFH Technik & Informatik. Der gebürtige US-Amerikaner hat schon eine internationale Karriere in IT hinter sich, er hatte diverse Führungspositionen in mehreren Schweizer Unternehmen inne wie Swiss Post Solutions und Sulzer und baute unter anderem Offshore-Teams in Indien und Nearshore-Teams in Bulgarien auf.

AUTHOR: Sergej Wüthrich

Dr. Sergej Wüthrich ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Forschung, Entwicklung und Evaluation an der Pädagogischen Hochschule PH Bern.

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