Recht, Gesetz und Künstliche Intelligenz – Resümée von der Tagung Informatik und Recht

Welche Veränderungen bringt das neue Schweizer Datenschutzgesetz? Wann ist Cloudcomputing rechtskonform? Was ist bei der Nutzung von KI zu beachten und wer macht sich dabei eventuell strafbar? Die 16. Tagung Informatik und Recht beantwortete diese Fragen, soweit es heute schon Antworten darauf gibt.

Das Thema der 16. Tagung Informatik und Recht im Berner Rathaus (am 29.8.2023) lautete «ZWISCHEN INNOVATION UND SICHERHEIT – DIGITALES ARBEITEN IM RECHTSWESEN DES 21. JAHRHUNDERTS». Die Vorträge auf Deutsch, Französisch und Englisch präsentierten die grundlegenden fachlichen Modellvorstellung, unter anderem zum KI-Einsatz, zur Cloud-Nutzung und zu ethischen Leitplanken. Basierend darauf gaben sie praktisch anwendbare Antworten auf aktuelle Rechtsfragen zur digitalen Transformation. Sogar der abschliessende Vortrag zu ethischen Navigationshilfen war insofern praxisnah, als er kritische Perspektiven konkret benannte und an bekannten praktischen Beispielen illustrierte.

In Erinnerung bleiben nach dieser perspektivenreichen, vielschichtigen Veranstaltung insbesondere 5 Aspekte:

  1. Notwendigkeit zur Professionalisierung im Umgang mit der Gefahr von Cyberangriffen, beim Einsatz von Künstlicher Intelligenz und bei der digitalen Nutzung generell – man muss kein Genie sein, aber es braucht mehr Wissen, kognitives Verstehen und Verantwortungsbewusstsein als bisher
  2. Konkrete praktische Einsichten zu Good Practices und Identifikation der aktuell umstrittenen Rechtsfragen – Hardware-gestütztes Confidential Computing ist aktuell der Königsweg (alle anderen Lösungen haben mindestens Performanceprobleme), fundamental umstritten ist die Zulässigkeit der Nutzung amerikanischer Cloudangebote, deren Server in der Schweiz stehen
  3. Hohe Komplexität der Fragestellungen – Designfragen und Narrative sind ebenso kritisch wie mathematische, technische und organisatorische Qualitätsaspekte
  4. Grundfragen im Sinne von Sein oder nicht sein: Endkontrolle durch den Menschen oder die Maschine, Prüfung der Rechtslage durch das Parlament oder die Gerichte – hier gibt es viele romantische Vorstellungen und grossen Nachholbedarf bei der Vermittlung des Stands der Wissenschaft
  5. Ungeklärte offene Fragen – so einfach und klar vieles ist, es gibt genügend Themen mit einem absehbaren politischen Handlungsbedarf – beispielsweise in Bezug auf Transparenz –, die geklärt werden sollten, bevor anlassbedingt eine Gesetzgebung notwendig wird

Wie im Fussballtraining

Das eigentlich Erstaunliche ist: Das meiste ist klar, es ist benennbar und ein fachlich richtiges und risikobezogen vernünftiges Handeln ist keine grosse Kunst, ABER erstens gibt es eine stark ausgeprägte Ignoranz gegenüber kritischen Aspekten der digitalen Transformation in vielen Organisationen und zweitens gibt es wichtige grundsätzlich ungeklärte Fragen. Die Diskussionen in den Pausen waren dementsprechend oft sehr engagiert und intensiv.

Man könnte es auch so sagen: Weil wir wissensmässig so grosse Fortschritte gemacht haben ist die noch vorhandene Unprofessionalität so (ver-)störend und die Konfliktlinien der Rechtsinterpretationen und die noch offenen Rechtsfragen sind so gut sichtbar. Das ist keine schlechte Situation. Die Schweiz ist gut vorbereitet, in den nächsten Jahren in Sachen Umgang mit digitalen Daten grosse Fortschritte zu machen. Aber diese Fortschritte brauchen Massnahmen und Investitionen. Vieles ist schon im Entstehen, ähnlich vieles steht aber noch aus. Entscheidend wird sein, ob Politik und Verwaltung an den Themen dranbleiben und spezifisches Wissen aufbauen.

Ein wenig ist es auch wie im Fussballtraining: Es braucht Spass (im Fall an professionellem Handeln), Intensität (im tatsächlichen Tun) und Wiederholung (in der Wissensvermittlung und in der Wissensanwendung), um erfolgreich zu werden, beziehungsweise zu bleiben. Die digitale Transformation ist eine Riesenchance für die Schweiz / Mitteleuropa, aber gleichzeitig auch eine Bedrohung, denn wir treten gegen digitale Vorreiter-Demokratien ebenso an, wie gegen sehr konsequent agierende Nicht-Demokratien. Mehr strategisches Denken als in der Schweiz üblich ist deshalb notwendig, um diese Chance zu nutzen und zu vermeiden, zum Nachzügler hinter digital hochentwickelten Diktaturen zu werden. Die neue Schweizer Cybersecurity-Strategie ist deshalb ein guter Schritt vorwärts, aber dieser Schritt muss auf allen Feldern wiederholt werden.

Transparenz im Zentrum

Ein sehr breites offenes Regulierungsthema ist «Wie viel Transparenz wollen?». Genauer: welche Standards zur Deklaration und Überprüfung von Transparenz wollen wir schaffen? Plus: Welche Form von Transparenz soll verpflichtend vorgeschrieben werden? Dabei ist die erste Frage ein heute aktuelles Thema für die angewandte Forschung, während die zweite Frage demnächst ein Thema für die Politik werden wird. Wobei jedoch die Politik erst dann die zweite Frage sinnvoll diskutieren kann, wenn es grundlegende Klärungen zur ersten Frage gibt. Erst wenn geklärt ist, welche Informationen über eine konkrete KI-basierte Anwendung nützlich für die Nutzer*innen ist, macht es Sinn Deklarationspflichten politisch zu diskutieren. Bislang ist das jedoch weitgehend unbekannt.

Die Berner Tagung Informatik und Recht machte klar, was wir gut verstehen, wo wir uns unter Rechtsinformatker*innen streiten und wo wir wenig Ahnung haben. Daraus muss man keine Konsequenzen ziehen, aber man könnte. Man könnte beispielsweise mehr in Cybersecurity und in angewandte Forschung investieren. Warum auch nicht: Warum nöd, wie es anderswo heisst. Es gibt keinen Zwang, erst mit dem Nachdenken anzufangen, wenn Rom oder Brüssel gesprochen hat. Denn Wissen ist vorhanden und das Interesse ist gross.

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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