Lehren aus Covid-19 – Wie Distance Teaching lebendig wird (3)

Online-Vorlesungen stellen Studierende wie Dozierende vor grosse Herausforderungen. Wir müssen umdenken und vermehrt zeitgemässe didaktische Instrumente nutzen. Das Ergebnis wird eine nachhaltige Veränderung der Hochschullehre sein.

Die grösste Herausforderung des synchronen Online-Unterrichts ist die Interaktion mit den vielen Teilnehmer*innen. Das Online-Coaching einzelner Studierender oder kleiner Gruppen funktioniert damit verglichen viel besser. Es ist sogar möglich, mehrere Kleingruppen als Floating Professor (siehe Teil 2) in den Breakout Sessions gleichzeitig zu betreuen – und zwar besser als im traditionellen Vor-Ort-Unterricht. Aber im Frontalunterricht ist man fast immer mit einem schwarzen Loch konfrontiert: Man hat den Eindruck, /dev/null zu unterrichten. Zum einen sind nur wenige Studierende bereit, ihre Kameras einzuschalten. Zum anderen ist es selbst bei eingeschalteten Kameras schwieriger, Reaktionen wahrzunehmen. Es entsteht auch kein Community-Spirit: Studierende beeinflussen sich gegenseitig viel weniger, im Guten wie im Schlechten. Das Ergebnis ist häufig für beide Seiten – Dozierende wie Studierende – äusserst langweilig. Es fehlt die Lebhaftigkeit, Humor findet nicht statt.

Teamteaching

Die Erfahrung zeigt, dass ein zuverlässiges Mittel, mit diesem Problem umzugehen, der Unterricht mit zwei oder drei Dozierenden ist, welche gleichzeitig online präsent sind. Wenn diese miteinander kommunizieren, mit verteilten Rollen die Studierenden adressieren und die Chemie dabei halbwegs stimmt, verbessert dies das Vorlesungserlebnis für alle Beteiligten:

  • Dozierende erleben weniger Stress und können lockerer und entspannter vortragen oder Feedback geben.
  • Viele Unterrichtsuntiefen können vermieden werden, weil man sich gegenseitig zu Hilfe kommen kann, wenn die oder der andere sich gerade um Kopf und Kragen redet, auf Formel-1-Geschwindigkeit beschleunigt oder in einem Detail stecken bleibt.
  • Es ist einfacher möglich, auf Fragen und Diskussionen im Vorlesungschat zu reagieren, weil nicht eine Person alles gleichzeitig machen uns.
  • Es ist leichter möglich, anspruchsvolle digitale Werkzeuge zur Auflockerung des Unterrichts einzusetzen.
  • Technische Probleme können oft ohne effektive Behinderung des Unterrichts gelöst werden.
  • Spezielle Talente von einzelnen Dozierenden – wie die Verbreitung menschlicher Wärme – können gezielt eingesetzt werden und Studierende bekommen einen umfangreicheren Kompetenzmix angeboten.
  • Studierende erleben im Endergebnis den Unterricht bunter, lehrreicher und weniger monoton.
  • In den meisten Fällen sind Studierende eher bereit sich aktiv am Unterricht zu beteiligen, Fragen zu stellen oder sich sogar umgekehrt von Dozierenden befragen zu lassen.
  • Anspruchsvolle didaktische Praktiken sind einfacher realisierbar, beispielsweise das realistische Üben von Kommunikationssituationen.
  • Es gibt mehr Innovationen, weil Dozierende Aufgaben dabei verteilen können.

Ist ein Team-Teaching nicht möglich, können auch Studierende zusätzliche Aufgaben übernehmen. Z.B. können Sie den Chat beobachten, auf Bild- oder Tonprobleme hinweisen. Auch eine aktivere Rolle bis hin zur Moderation ist möglich. Beliebt ist eine derartige Rolle oft aber nicht, die meisten Studierenden konzentrieren sich lieber auf das Verfolgen der Veranstaltung.

Der Natur des Mediums entsprechend haben bei synchronen Online-Vorlesungen beide Seiten – Dozierende wie Studierende – verschiedene Möglichkeiten, miteinander synchron zu kommunizieren. Man kann wählen unter anderem zwischen Interaktion in der Live-Übertragung, Interaktion im Vorlesungschat der Videokonferenz oder im Privatchat mit weiteren Teilnehmenden. Dies ist ein klarer Vorteil des Online-Teamteachings im Vergleich zum konventionellen Teamteaching.

In beiden Fällen, online und vor Ort, hängt der Erfolg des Teamteachings wesentlich davon ab, dass man sich gegenseitig sowohl die Bälle zuspielt als auch unterbricht. Komplementäre Teams tun sich dabei oft leichter als sehr ähnliche Teams, sofern sie die Zielperspektive teilen und den gemeinsamen Erfolg anstreben. Es ist ähnlich wie beim Kochen: Zwei oder drei Mal vom Gleichen schmeckt fader als eine Kombination unterschiedlicher Geschmacksrichtungen, die harmonisch kombiniert wurden.

Selbstverständlich – muss man das erwähnen? – ist es ein No-Go ist, im Stil der Chicagoer Ökonom*innen bei Studierendenpräsentationen über die Köpfe der Studierenden hinweg untereinander eine Diskussion zu beginnen. Es ist aber durchaus möglich, Studierende in respektvollen Rollenspielen dazu zu bringen, ihre Position vor allen anderen gegen kritische Einwände einer/eines Dozierenden zu verteidigen.

Strukturierung und Rhythmisierung

Die Zeiten des Vorlesens oder Vortragens von Manuskripten sind in den meisten Vorlesungen längst vorbei. Die freie Rede der Dozierenden ist mittlerweile die Norm, dagegen stellen Breakout-Sessions und Inputs durch Studierende (gerne als Flipped Classroom bezeichnet) sowohl im konventionellen Unterricht als auch im Online-Unterricht wertvolle didaktische Elemente dar. Dass dabei nicht alles wie vorgesehen funktioniert, wird manchmal zum Problem. Öfter aber schafft es Spannung – und lebenslange Erinnerungen an einzelne Veranstaltungen.

Wo es den Sinn nicht zerstört, empfiehlt es sich, den Onlineunterricht kleinteiliger zu strukturieren als den konventionellen Unterricht, in der Didaktik spricht man dabei von Rhythmisierung. Dabei sollte aber der grosse Spannungsbogen nicht verloren gehen, beziehungsweise immer wieder explizit aufgezeigt werden. Denn der entscheidende Benchmark sind die zahllosen Unterrichtsvideos, die zur Verfügung stehen: Dem synchronen Online-Unterricht zu folgen, muss attraktiver sein, als sich kleine Unterrichtseinheiten auf Youtube zu besorgen, die häufig einzelne Dinge viel perfekter erklären als 95% der Dozierenden dies in ihren besten Live-Unterrichtsmomenten schaffen. Damit man gegen den Youtube-Benchmark bestehen kann, braucht es ein Gruppenerlebnis. Ein erkennbarer roter Faden ist ebenso wichtig wie unterhaltsame Abwechslung, die es ermöglicht geistig wieder einzusteigen in den Unterricht, wenn man zwischendurch den Faden verloren hat. Ein gelegentliches Abwechseln im Vortrag der Dozierenden ist zu wenig, um die Vorlesungsmonotonie zu brechen. Zum Glück für uns Dozierende, ist allerdings das Zusammensuchen von Online-Wissensteilen viel aufwendiger als das Teilhaben an den Vorlesungen, so dass der Youtube-Benchmark meist ein theoretischer bleibt.

Interaktionstools und Zeigekultur

Neben Beiträgen von Studierenden und einer kleinteiligen Strukturierung der Vorlesungsinhalte sind Werkzeuge hilfreich, welche die Interaktion von Studierenden einfordern – von Umfragetools über adhoc-Tests ohne Notenrelevanz (beispielsweise einem Quiz) bis zu Serious Games. Die Resultate von Adhoc-Evaluationen ermöglichen ein Benchmarking der eigenen Position mit der Position der Gesamtheit der Studierenden und damit unter anderem eine individuelle Standortbestimmung. So werden sie zu einem geeigneten Ausgangspunkt und/oder Gegenstand einer inhaltlichen Diskussion im Plenum. Diese sind fast immer (aber nicht immer) möglich, wenn man sie aktiv und namentlich einfordert.

Um das schwarze Loch aber wirklich zu besiegen, muss man den Versuch wagen – mag er noch so oft scheitern – eine Zeigekultur zu etablieren. Wer etwas präsentiert, sollte sich zwingend im Bild zeigen müssen. Im Fall von präsentierenden Teams gilt dies für das ganze Team. Jene, die bereits einmal als Präsentator*innen im Bild waren sollten zudem aufgefordert werden, im Bild zu bleiben. Letzteres verlangt Commitment von Studierenden und gelingt nicht immer. Das Ziel ist aber eine sichtbare Zuhörerschaft.

Selbststudium

Im wirklichen Leben scheitern viele gute Ideen und Absichten an den dafür nötigen Zeitressourcen. Darum wird es beispielsweise in grossen Unternehmen nie eine perfekte Unternehmenskommunikation geben und Compliance wird immer ein Problem sein. Die Erfahrungen mit der Informatik haben uns ein interessantes Prinzip gelehrt: Eliminiere die Notwendigkeit zur Kommunikation so weit als möglich – und investiere alle Energie dahinein, dass die verbleibende notwendige Kommunikation in einem möglichst günstigen Kontext stattfindet. Dies ist das Prinzip hinter DevOps und das Erfolgsgeheimnis multinationaler oder multidisziplinärer Informatik-Projekte. Auf den Unterricht in Covid-19-Zeiten angewendet bedeutet dies: Erstens sollten wir das Selbststudium forcieren – und zwar mit konkreten, interessanten und anspruchsvollen Aufgabestellungen. Zweiten sollten wir viele Aufgaben klassischer Vorlesungen auslagern, beispielsweise statt in der Vorlesung das Interesse an Inhalten zu motivieren, Studierende in «Live Cases» in der Praxis Probleme lösen lassen. Drittens sollten wir die verbleibenden, im Umfang wesentlich reduzierten, Vorlesungseinheiten so gestalten, dass sich Studierende gegenseitig beim Lernen fördern.

Das Selbststudium kurzfristig wesentlich auszuweiten, ist nur schwer möglich, denn das benötigt viel einmaligen Aufwand. Aber ein attraktives Selbststudium aufzubauen, sollte ein wesentliches Ziel sein, über die Covid-19-Zeit hinaus. Ohne Aufwand möglich ist das Aufnehmen der Vorlesung, das von Studierenden sehr geschätzt wird und die Teilnehmendenzahlen an den Live-Online-Vorlesungen kaum reduziert (siehe dazu die Forschung von Nordmann & McGeorge). Aufwendiger, aber auch attraktiver sind selbstgedrehte Videoclips des Dozierendenteams.

Die eigentliche Herausforderung des Selbststudiums – und des Hochschulunterrichts im Allgemeinen – ist aber die Unterstützung des Lernens durch gezielte Vorstrukturierung, Aufgabenstellung und zumindest exemplarischen Feedback. Hochschule muss zuallererst disziplinäre Kompetenzen vermitteln – das heisst ein Denken in den speziellen Perspektiven einer Fachdisziplin. Dies gelingt nur durch Übungen, richtig designte Praxisaufgaben und Feedback, Feedback und nochmals Feedback. Bei allem Nutzen eines verstärkten Selbststudiums bleibt der direkte Kontakt mit Studierenden eine Notwendigkeit. Vieles kann durch Einzelcoachings oder Coachings kleiner Gruppen erledigt werden, aber allein schon aus Effizienzgründen ist der gänzliche Verzicht auf synchrone Vorlesungen keine attraktive Option. Wir müssen lernen, ihn online attraktiv zu gestalten. Wir werden aber von den gemachten Erfahrungen über die Krise hinaus dauerhaft profitieren.

 


Literatur

  1. Mathias Krammer, Peter Rossmann, Angela Gastager, Barbara Gasteiger-Klicpera: Ways of composing teaching teams and their impact on teachers’ perceptions about collaboration, European Journal of Teacher Education 41/4 (2018)
  2. Sophie McKenzie,Rachael Hains-Wesson, Shaun Bangay, Greg Bowtell: A team-teaching approach for blended learning: an experiment, Studies in Higher Education (2020)
  3. Catherine Minett-Smith, Carole L. Davis: Widening the discourse on team-teaching in higher education, Teaching in Higher Education 25/5 (2020)
  4. Emily Nordmann,  Peter McGeorge: Lecture capture in higher education – time to learn from the learners, PsyArXiv (2018)
Creative Commons Licence

AUTHOR: Reto Jud

Reto Jud ist Studiengangsleiter Wirtschaftsinformatik an der BFH Wirtschaft.

AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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