Die Beziehung zwischen Mensch und Technologie ist so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Technische Innovationen haben zu unserem materiellen Wohlstand beigetragen und lösen immer wieder Euphorie aus. Sie verlangen von Menschen aber auch Anpassungen und stossen deshalb auch auf Widerstand. Die Digitale Revolution gilt als still, doch ihre Wirkung stellt gar das menschliche Selbstverständnis in Frage.
Luppicini (2012) beschreibt, dass sich mit der Digitalisierung deshalb etwas Fundamentales verändert, weil wir uns als Menschen nicht mehr in einer «Auseinandersetzung mit Technologie» oder einem Prozess des «Dafür- oder Dagegen-Entscheidens» befinden. Vielmehr hebt die Digitalisierung die Dualität von Mensch und Technik auf. Die Technik wird also einerseits menschlicher, aber der Mensch ist andererseits auch immer stärker mit Technologie verwoben. Und vielleicht ist es gerade diese zunehmende Vermischung, die uns – oft auch unbewusst – herausfordert. Wie können wir in dieser hybriden Welt, in der „Wirklichkeit“ ein unscharfer Begriff geworden ist, den Kern des Mensch-Seins definieren? Was macht den Menschen aus und unterscheidet ihn von Technologie?
Im Zusammenhang mit dieser Frage ist der Begriff der menschlichen Identität zentral. Die Entwicklungspsychologie betrachtet die Identitätsbildung als einen Prozess, der sich als fortdauernde Interaktion von Person und Umwelt abspielt und normalerweise im frühen bis mittleren Erwachsenenalter eine gewisse Stabilität erreicht hat. Mit dem Begriff der „Digital Natives“ wird angedeutet, dass digitale Technologien für jüngere Generationen bereits fester Bestandteil der Identitätsbildung sind. Damit wird aber auch gesagt, dass dies für ältere Menschen nicht gilt- sie wurden noch weit stärker von einer analogen Umwelt geprägt und nehmen digitale Technologien in der Regel nicht als Teil ihrer Identität sondern durchaus noch als ein Gegenüber wahr, zu dem sie eine bewusste Haltung einnehmen können und wollen. Insofern ist die Herangehensweise älterer Menschen an digitale Technologie oft eine analytischere und weniger intuitive. Die oben genannten Befürchtungen gegenüber digitaler Technologie akzentuieren sich deshalb bei älteren Menschen oft stärker als bei jüngeren.
Es ist zunehmend schwierig geworden, Erfahrungen zu sammeln, die „technologiefrei“ sind (Croon Fors, 2013). Man denke an das allgegenwärtige Phänomen der Handykameras, die es uns vermeintlich erlauben, Erlebnisse festzuhalten. Doch das, was die Einmaligkeit eines Erlebnisses ausmacht, lässt sich vorderhand nur unzureichend digitalisieren. Die Schnappschüsse bringen uns die Wirklichkeit des Erlebten nicht wirklich zurück. Und hier liegt wohl ein weiterer Quell des menschlichen Unbehagens in der digitalen Welt: Die Beobachtung, dass an die Stelle echter und oft auch sozial geteilter Erfahrung digitale Abbilder treten und dass durch diese „Stellvertretung“ etwas essenziell Menschliches verloren geht.
Hinzu kommt ein weiteres fundamentales Problem der Digitalisierung – der Mangel an Vertrauenswürdigkeit. Während uns in zwischenmenschlichen Kontakten eine Vielzahl von feinsten Antennen zur Verfügung steht, mit denen wir uns ein Urteil über die Vertrauenswürdigkeit eines Menschen bilden, bleibt dies in der digitalen Welt eine gewaltige Herausforderung. Dieses Problem wird dadurch verschärft, dass die Datenhegemonie und die damit verbundene Macht weniger globaler Unternehmen tatsächlich sehr bedenklich ist.
Die Alternative eines digitalen Abseitsstehens ist aber längst zur Illusion geworden. Dazu ist die digitale Revolution schon viel zu weit fortgeschritten. Selbst dem eingefleischtesten analogen Zeitungsleser können mittlerweile Texte begegnen, die allein das Ergebnis von Algorithmen sind (van Dalen, 2012). Um es einfacher auszudrücken: Es geht nicht um das „Ob“ sondern um das „Wie“ der Digitalisierung. Für die Stadt der Zukunft ist es deshalb entscheidend, dass die digitale Technologie auch jene Aktivitäten ermöglicht bzw. erleichtert, die unser Menschsein ausmachen. Dies wären zum Beispiel die zwischenmenschliche Begegnung, das Gespräch und das Erleben und der Ausdruck von Emotion. Zum anderen gehören zum Menschen auch Tätigkeiten, die nicht einfach rational und zweckgebunden, aber dennoch oft sehr sinnvoll sind: Nämlich Spiel, Kontemplation und künstlerisches Schaffen.
Allwinkle & Cruickshank (2011) betonen diesbezüglich den Unterschied zwischen intelligenten und smart Cities. Demnach weisen intelligente Städte zwar sehr viel Innovation vor, beziehen aber den Menschen wenig ein. Im Gegenteil: Vanolo (2013) äussert sogar die Sorge, dass die Bürger der intelligenten Stadt „ruhiggestellt“ seien, und Regierung, Verwaltung und Wirtschaft in Ruhe liessen, weil die Digitalisierung ihr Leben „bequem“ mache. Der Preis dieser Bequemlichkeit ist die unhinterfragte datengetriebene Kontrolle von Bürgerinnen und Bürgern und ein Verlust an Zugänglichkeit von Behörden und Verwaltung.
In einer Smart City jedoch, werden digitale Innovationen auch tatsächlich bürgernah umgesetzt. Eben diese Umsetzung bleibt eine grosse Aufgabe sowohl für Politik und Verwaltung als auch für die anwendungsorientierte Forschung. Die so gedachte Stadt der Zukunft überquillt nicht vor digitalen Dienstleistungen an passiv empfangende Einwohner. Sie ist vielmehr ein Ort, der die aktive Mitgestaltung der Lebenswelt von unterschiedlichsten Bürgerinnen und Bürgern fördert. In einer solchen Stadt bleibt die Digitalisierung Mittel zum – guten – Zweck.
Quellen
- Allwinkle, S., & Cruickshank, P. (2011). Creating Smart-er Cities: An Overview. Journal of Urban Technology, 18(2), 1–16. http://www.tandfonline.com/doi/abs/10.1080/10630732.2011.601103
- Croon Fors, A. (2013). The ontology of the subject in digitalization. In R. Luppicini (Ed.), Handbook of Research on Technoself: Identity in a Technological Society (pp. 45–63). Hershey, PA: IGI Global.
- Luppicini, R. (2012). The Emerging Field of Technoself-Studies (TSS). In R. Luppicini (Ed.), Handbook of Research on Technoself: Identity in a Technological Society (pp. 1-25). Hershey, PA: IGI Global.
- Van Dalen, A. (2012). The Algorithms behind the Headlines. Journalism Practice, 6 (5-6). http: //doi.org/10.1080/17512786.2012.667268
- Vanolo, A. (2013). Smartmentality: The Smart City as Disciplinary Strategy. Urban Studies, 42098013494427. http://usj.sagepub.com/content/51/5/883