Technologieadoption in der Pflege – welche Gelingensbedingungen? (Teil 3)

Adobestock 478754063

Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Pflegefachpersonen Technologien annehmen, in ihren Alltag integrieren und regelmässig nutzen? Dieser Frage gingen Forschende der BFH-Gesundheit im Rahmen eines Innosuisse-Projekts, genannt RAMOS, nach. In einer dreiteiligen Artikelreihe gewährt das Forschungsteam Einblicke in Themen wie Datennutzung, Prozessgestaltung und die Technologieadoption in der Praxis.

Im ersten und zweiten Artikel haben wir Ihnen zum einen die Technologie (QUMEA) und deren Funktionsweise (Teil 2) und zum anderen die mit der Einführung von QUMEA verbundenen Chancen und Herausforderungen (Teil 1) vorgestellt. Hier im dritten Teil geben wir Ihnen Einblicke in Studienergebnisse, und zwar wie sich die Technologieadoption von Pflegefachpersonen im Spital am Beispiel von QUMEA zeigt und wie ihre Technologieadoption zukünftig noch besser gelingen kann.

Technologieadoption verstehen – die Theorie

Technologieadoption bezeichnet den Prozess, bei dem eine neue Technologie angenommen, akzeptiert und in die täglichen Abläufe der Anwender*innen integriert wird. Der theoretische Bezugsrahmen der Studie orientierte sich an der Diffusionstheorie von Everett Rogers (2008). Diese beschreibt, verkürzt gesagt, einen mehrphasigen Prozess, in der unterschiedliche Gruppen von Nutzenden technologische Innovationen annehmen oder ablehnen. Auf diesen Adoptionsprozess wirken unterschiedlichste Einflussfaktoren ein, beispielsweise soziale Netzwerke (Werbung, Peers), wie über die Innovation kommuniziert wird sowie die Kommunikation, Meinungen und Erfahrungen anderer (Dykes et al., 2020; Rogers, 2008). Folglich sind soziale, kommunikative und interaktive Prozesse von besonderem Interesse, wenn es um die Technologieadoption bei Pflegefachpersonen geht.

Von der Theorie zur Praxis: Vorgehen im Projekt RAMOS

Basierend auf der Diffusionstheorie wurden sowohl Personen berücksichtigt, die die Technologie im realen Feld anwenden, als auch diejenigen, die die Einführung der Technologie begleiten. Im Zeitraum September 2023 bis Juni 2024 nahmen 29 Teilnehmende einmalig an einem Interview oder einer Fokusgruppe teil. Eingeschlossen wurden 26 Pflegefachpersonen aus acht Spitälern der Deutschschweiz, die mit QUMEA seit mindestens drei Monaten arbeiteten, sowie drei Kundenberater*innen der Firma QUMEA, die die Pflegefachpersonen und Spitäler in der Einführung dieser Technologie begleiteten. Alle Interviews und Fokusgruppen wurden transkribiert und anhand der Thematischen Analyse nach Braun und Clarke (2006) ausgewertet.

Dieser Beitrag legt den Fokus auf vier Gelingensbedingungen einer erfolgreichen Technologieadoption am Beispiel QUMEA bei Pflegefachpersonen im Akutspital, siehe Abbildung 1.

Vier Gelingungsbedingungen

Abbildung 1: Vier Gelingensbedingungen der Technologieadoption am Beispiel QUMEA- im Akutspital

Die vier Gelingensbedingungen

  1. Es braucht Vertrauensbildung dann kann die Technologie zu mehr Entlastung führen, da ihr ‘tatsächliche’ Unterstützung zugetraut wird und ‘Aufgaben’ abgegeben werden können. So verlässt sich beispielsweise eine Pflegefachpersonen nachts auf die Technologie und erfährt mehr Sicherheit, weil sie im klinischen Alltag erfahren konnte, dass bei Aufstehversuchen einer sturzgefährdeten Patientin ein QUMEA Alarm abgesetzt wird. Durch dieses Vertrauen vermeidet die Pflegefachperson unnötige Kontrollgänge, wodurch zusätzlich der Patientenschlaf positiv beeinflusst werden kann.
  2. Wissen beeinflusst Vertrauen: Das Vertrauen in eine Technologie wie QUEMA hängt stark davon ab, wie gut Pflegefachpersonen deren Funktionsweise verstehen. Wenn sie wissen, wie eine Technologie funktioniert, gibt es weniger Fehler in der Anwendung. Fehlt dieses Wissen, treten dagegen häufiger Fehler auf, was das Vertrauen in die Zuverlässigkeit der Technologie beeinträchtigt, wie ein anschauliches Beispiel verdeutlicht: Eine Pflegefachperson wusste nicht, dass das Verschieben des Patientenbetts dazu führen kann, dass sich der Patient ausserhalb des vom Sensor erfassten Bereichs befindet und somit kein sinnvolles Monitoring mehr möglich ist. Dadurch blieb der Alarm aus, als der Patient aufstand. Das Vertrauen der Pflegefachpersonen in die Technologie wurde geschwächt. In Folge können Pflegefachpersonen dazu tendieren auf den Einsatz zusätzlicher Systeme zurückzugreifen, wie z.B. eine Klingelmatte, um im Sinne der Patientensicherheit die ‘neue’ Technologie zu überprüfen. Wenn hingegen das benötigte Wissen aufgebaut wird, das Vertrauen stetig wächst, kann im nächsten Schritt der Nutzen einer Technologie im Alltag wahrgenommen werden, wie beispielsweise eine Entlastung.
  3. Entlastung – Der Nutzen von QUMEA liegt besonders in der wahrgenommenen Entlastung der Pflegefachpersonen. In Nachtschichten bspw., in denen weniger Personal zur Verfügung steht, informiert die Technologie über unruhige Patient*innen, bei denen unbegleitete Mobilität, z.B. Aufstehen, mit einem Sturzrisiko einhergeht. Pflegefachpersonen greifen gezielt ein, wenn bei solchen Patient*innen ein entsprechender Alarm eingestellt wurde. Die qualitative Analyse zeigte klar, dass diese wahrgenommene Entlastung jedoch kein Selbstläufer ist, sondern erarbeitet werden muss. Das bedeutet, erst wurde eine höhere Belastung wahrgenommen, da die Anzahl der Alarme zu Beginn hoch war und erst verstanden werden musste, wie durch Wissens- und Vertrauensaufbau im Alltag Nutzen entstehen kann, damit die Entlastung zusätzliche Belastungen einer Technologieeinführung überwiegen können.
  4. Die vierte Gelingensbedingung beziehet sich auf die Beziehung zwischen den Pflegefachpersonen, den Kundenberaterinnen von QUMEA und der Technologie, benannt als Die Kundenberaterinnen sind das Bindeglied zwischen der Technologie und den Anwenderinnen, ihre Beziehung zur Pflege beeinflusst stark den Vertrauensaufbau und die Vertrauensfestigung in die Technologie. Ihre Kommunikationsfähigkeit, ihre ständige Erreichbarkeit und ihre Empathie-Fähigkeit sind nützliche und notwendige Strategien in der Adoption von QUMEA.

Diese vier Gelingensbedingungen zeigen, dass die Funktionalität und technische Qualität einer Technologie, am Beispiel QUMEA, nicht ausreicht. Zentral ist die Triade aus Wissensaufbau und -erhalt, Vertrauensbildung durch Wissen und Anwendung sowie die subjektiv wahrnehmbare Entlastung im klinischen Alltag. Aber diese Triade kann nur dann erfolgreich werden, wenn der Technologieanbieter eng mit den Pflegekräften zusammenarbeitet und über einen längeren Zeitraum präsent ist und interagiert.

Zukünftig gilt es zu klären, wie Schulungsformate und Strukturen in der Praxis optimal gestaltet werden sollten, um sowohl die Technologieadoption als auch die langfristige Nutzung der Technologie durch Pflegefachpersonen und -management zu fördern. Nur so kann das Nutzungspotenzial technologischer Unterstützung durch Pflegefachpersonen ausgeschöpft und im Sinne der Patient*innen eingesetzt werden.

 

Literatur

  • Braun, V., & Clarke, V. (2006). Using thematic analysis in psychology. Qualitative Research in Psychology, 3(2), 77–101. https://doi.org/10.1191/1478088706qp063oa
  • Dykes, P. C., Lowenthal, G., Faris, A., Leonard, M. W., Hack, R., Harding, D., Huffman Whnp, C., Hurley, A., & An, P. (2021). An Implementation Science Approach to Promote Optimal Implementation, Adoption, Use, and Spread of Continuous Clinical Monitoring System Technology. Journal of Patient Safety, 17(1), 56–62. https://doi.org/10.1097/PTS.0000000000000790
  • Rogers, E. M., Singhal, A., & Quinlan, M. M. (2008). Diffusion of Innovations. In An Integrated Approach to Communication Theory and Research (2. ). Routledge.

 

Creative Commons Licence

AUTHOR: Pascale Zürcher

Pascale Zürcher ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Innovationsfeld "Digitale Gesundheit", aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind digitale Transformationsprozesse, Technologieadoption in der Pflege und die Interaktion Mensch-Maschine. Dabei greift sie auf pflegerische Expertise als dipl. Pflegefachfrau und Advanced Practice Nurse (APN) zurück.

AUTHOR: Marco Buri

Marco Buri ist Fachspezialist Informatik an der BFH Gesundheit. Er arbeitet als Software Engineer/Architekt im Projekt RAMOS mit und entwickelt u.a. Algorithmen zur Früherkennung von Gesundheitsverschlechterung bei Mobilitätsveränderungen.

AUTHOR: Friederike J. S. Thilo

Prof. Dr. Friederike Thilo ist Leiterin Innovationsfeld "Digitale Gesundheit", aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind das Design der Interaktion Mensch und Maschine in der Patientenversorgung mit Fokus auf der Profession Pflege im interprofessionellen Kontext, digitale Transformationsprozesse in der Gesundheitsversorgung und die Professionsentwicklung in Care@home-Versorgungsmodellen.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert