Sensorik im Gesundheitswesen – Chancen und Herausforderungen (Teil 1)

Wie können digitale Technologien in der Gesundheitsversorgung und Prävention eingesetzt werden? Kann Technologie das Pflegepersonal entlasten? Und was braucht es, damit die Technologie von Patient*innen und Personal angenommen wird? Forschende der BFH Gesundheit untersuchen diese Fragen in einem Innosuisse-Projekt. In einer mehrteiligen Artikelserie geben sie einen Einblick in die Aspekte von Datennutzung und Prozessdesign bis Akzeptanz.

Im Zuge der 5. industriellen Revolution haben Robotik und künstliche Intelligenz Einzug in unser Gesundheitssystem erhalten. Dank diesen Technologien können datengestützte Entscheidungen getroffen und die Qualität im Gesundheitssektor verbessert werden. Zudem kann die Kostenentwicklung der Gesundheitsversorgung positiv beeinflusst werden (Popov et al., 2022). Die Integration neuer Technologien in den Pflegealltag ist nach wie vor mit Schwierigkeiten verbunden (Sorg et al., 2022). Dies zum einen, weil Pflegefachpersonen häufig neue Technologien noch nicht mehrwertgenerierend nutzen können. Zum anderen befürchten sie den Kontakt zu den Patienten*innen zu verlieren oder haben Bedenken hinsichtlich Datenschutzes und ethischen Aspekten (bspw. Verantwortung in Diagnostik und Entscheidungsfindung) (Sorg et al., 2022).

Das Innovationsfeld «Digitale Gesundheit» der aF&E Pflege an der Berner Fachhochschule beschäftigt sich unter anderem mit der Frage, was es braucht, damit neue Technologien in der Gesundheitsversorgung erfolgreich eingeführt und angewendet werden können (Technologieadoption). Es wird u.a. erforscht, welche Faktoren die Akzeptanz beeinflussen, z.B. Prozessdesign, Einstellungen oder digitale Kompetenzen und was es braucht, um mit den neuen Technologien einen Mehrwert für die Patienten*innen sowie die Gesundheitsfachpersonen generieren zu können.

RAMOS – ein Forschungsprojekt der BFH

Ein Projekt, welches sich mit eben diesen Fragen beschäftigt, ist das Innosuisse-Projekt «RAMOS» der BFH. In Zusammenarbeit mit ARTORG, dem Zentrum für biomedizinische Forschung und dem Industriepartner «QUMEA» haben wir dieses Projekt im Sommer 2022 lanciert. Gemeinsam untersuchen wir das Nutzungspotenzial von «QUMEA Care», einer sensorbasierten Lösung für Patient*innen-Monitoring für Gesundheitsfachpersonen, im Versorgungsalltag von Langzeitpatienten*innen sowie Langzeitbewohner*innen, d.h. Bewohner*innen eines Alters- und Pflegeheims sowie Patient*innen einer gerontopsychiatrischen Institution. QUMEA Care soll dazu beitragen, dass der hohe Standard der pflegerischen und medizinischen Betreuung, trotz Zunahme multimorbider Patient*innen und fehlender Fachkräfte, aufrechterhalten bleiben kann.

QUMEA Care ist eine Technologie, welche durch radarbasiertes Monitoring Bewegungsdaten erfasst und überprüft. Mehr zu dieser Technologie und wie diese genau funktioniert, erfahren Sie in unserem nächsten Artikel «Von Sensordaten und Algorithmen», welcher in den nächsten Wochen erscheint.

Hürden, die es zu überwinden gilt bei der Einführung neuer Technologien

Oft geschieht die Einführung neuer Technologien schneller, als die Endnutzer*innen Zeit haben, sich die dafür notwendigen Fähigkeiten anzueignen (Gance-Cleveland et al., 2020). Technologien werden immer noch ohne ausreichende Involvierung von Gesundheitsfachpersonen entwickelt, was in einer Lücke zwischen der Absicht des Herstellers und der Implementierung im Versorgungsprozess resultiert (Jahnke et al., 2021).

Aus diesem Grund legen wir bei unserem Forschungsprojekt RAMOS Wert auf die frühzeitige Zusammenarbeit von Nutzern*innen, d.h. den Gesundheitsfachpersonen und den Bewohner*innen/Patient*innen sowie Angehörigen, uns, dem Forschungsteam und dem Technologiehersteller (Pfannstiel et al., 2018). Dies ermöglicht den Mehrwert von QUMEA Care für die Involvierten sowie Schlüsselfaktoren der Technologieadoption zu identifizieren, denn die Sicht der Nutzer*innen, also Anforderungen sowie Bedürfnisse an die Technologie QUMEA Care, wird qualitativ als auch quantitativ erforscht.

Zum einen werden Fragebogen zur Technologieakzeptanz angewendet, wie der UTAUT (Unified theory of Acceptance and use of technology) Fragebogen (Venkatesh et al., 2012), und auch Fragebogen zum physischen und psychischen Gesundheitszustand, z.B. Safety Climate Tool, PSCHO17 und HTF survey (Alsuyayfi & Alanazi, 2022). Zum anderen werden Interviews und Fokusgruppen geführt, um mit der Technologienutzung einhergehende Veränderungen in Prozessen, Praktiken, Kompetenzen und Fertigkeiten sowie förderliche und hinderliche Faktoren umfassend zu verstehen. Datenerhebungen zu mehreren Zeitpunkten lassen mögliche Veränderungen und Zusammenhänge erkennen. Es wird der Einfluss von QUMEA Care auf das Vertrauen, die Sicherheit und das Wohlbefinden der Patient*innen erforscht.

Dieser multi-methodische Zugang ist wichtig, denn es ist bekannt, dass neue Technologien auf unterschiedlichsten Ebenen, also Prozesse, Praktiken, Kompetenzen oder Fertigkeiten, Probleme aufwerfen können. Beispielsweise können digitale Geräte anhand von ausgesendeten Alarmen zu Reizüberflutung führen (Alsuyayfi & Alanazi, 2022) sowie aufgrund des Lärmpegels zu Stressreaktionen (Cohen et al., 2017). Digitale Geräte können aber auch Patient*innen verängstigen, und zwar dann, wenn sie das Gefühl entwickeln, dass die Gesundheitsfachperson, welche die Technologie überwacht, ungeeignet, wenig vertrauensvoll oder wenig fürsorglich ist (Dermody et al., 2021). Zahlreiche im Internet verfügbare Informationen erhöhen die Erwartungshaltung der Patient*innen im Hinblick auf Technologien zusätzlich, da sie in den Entscheidungsprozess des Behandlungsplans miteinbezogen werden wollen (Sorg et al., 2022). Ein weiterer häufig erwähnter Punkt ist die Privatsphäre, die besonders auch bei QUMEA Care zutrifft. Konstantes Monitoring beeinflusst die Privatsphäre und kann als störend wahrgenommen werden bzw. zur Ablehnung einer Technologie führen, und zwar dann, wenn der Mehrwehrt nicht höher als die Privatsphäre eingestuft werden kann. (Dermody et al., 2021).

Chancen, im Zuge der Digitalisierung

Die zunehmende Digitalisierung im Gesundheitswesen fordert nicht nur heraus, sondern eröffnet neue Möglichkeiten. Die Leistungserbringer bewegen sich weg von der «die Gesundheitsfachperson weiss es am besten Einstellung», hin zu einem personenzentrierten Ansatz mit einem zunehmenden Level an Patienteneinbezug (Konttila et al., 2019). Hierdurch kann oft eine höhere Patientenzufriedenheit erreicht werden (Konttila et al., 2019). Genau diese Patientenzufriedenheit wollen wir auch in unserem Projekt berücksichtigen, weshalb wir qualitative Messmethoden im Projektdesign miteinbezogen haben.

Durch frühzeitige Interventionen und bessere Sensibilisierung zum eigenen Gesundheitszustand, kann die Gesundheit verbessert und gleichzeitig die Anzahl Hospitalisierungen und Re-Hospitalisierungen verringert werden, was auch ökonomische Vorteile mit sich bringt (Konttila et al., 2019). Durch die Weiterentwicklung der Algorithmen, mit welchen QUMEA Care funktioniert, soll die Technologie so weit gebracht werden, dass sie prädikativ mithilfe der Mobilitäts- und Verhaltensdaten jedes einzelnen Patienten erkennen kann, wann eine Veränderung des Gesundheitszustands vorliegt. Hierdurch sollen rechtzeitig präventive Massnahmen in die Wege geleitet und die Selbständigkeit länger aufrechterhalten sowie die Sicherheit der Patienten*innen gefördert werden (Konttila et al., 2019).

Die Gesundheitsfachpersonen profitieren von der Digitalisierung, da sie durch den digitalen Fortschritt die Möglichkeit haben, genauere Diagnostik-, Therapie- und Präventionsmassnahmen in die Wege leiten zu können (Sorg et al., 2022). Eine Arbeitsentlastung per se wird jedoch zum jetzigen Zeitpunkt nur selten erreicht und so profitieren vor allem die Patienten und Patientinnen von der zunehmenden Digitalisierung.


Artikel-Serie

Wie die Sensoren und Algorithmen funktionieren, welche hinter QUMEA Care stecken, erfahren Sie im Teil 2 der Serie «Sensorik im Gesundheitswesen». Dieser erscheint in vier Wochen.


Literatur

  1. Alsuyayfi, S., & Alanazi, A. (2022). Impact of clinical alarms on patient safety from nurses’ perspective. Informatics in Medicine Unlocked, 32. https://doi.org/10.1016/j.imu.2022.101047
  2. Cohen, C., Kampel, T., & Verloo, H. (2017). Acceptability Among Community Healthcare Nurses of Intelligent Wireless Sensor-system Technology for the Rapid Detection of Health Issues in Home-dwelling Older Adults. Open Nurs J, 11, 54-63. https://doi.org/10.2174/1874434601711010054
  3. Dermody, G., Fritz, R., Glass, C., Dunham, M., & Whitehead, L. (2021). Factors influencing community-dwelling older adults› readiness to adopt smart home technology: A qualitative exploratory study. J Adv Nurs, 77(12), 4847-4861. https://doi.org/10.1111/jan.14996
  4. Gance-Cleveland, B., McDonald, C. C., & Walker, R. K. (2020). Use of theory to guide development and application of sensor technologies in Nursing. Nurs Outlook, 68(6), 698-710. https://doi.org/10.1016/j.outlook.2020.04.007
  5. Jahnke, I., Riedel, N., Popescu, M., Skubic, M., & Rantz, M. (2021). Social practices of nurse care coordination using sensor technologies – Challenges with an alert system adoption in assisted living communities for older adults. Int J Nurs Sci, 8(3), 289-297. https://doi.org/10.1016/j.ijnss.2021.05.011
  6. Konttila, J., Siira, H., Kyngas, H., Lahtinen, M., Elo, S., Kaariainen, M., . . . Mikkonen, K. (2019). Healthcare professionals› competence in digitalisation: A systematic review. J Clin Nurs, 28(5-6), 745-761. https://doi.org/10.1111/jocn.14710
  7. Pfannstiel, M. A., Krammer, S., & Swoboda, W. (2018). Mitsprache in der Digitalisierung: Systematischer und praxisnaher Einbezug der Nutzenden von gesundheitsrelevanten Technologien. In (pp. 173-186). Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH. https://doi.org/10.1007/978-3-658-13642-0_11
  8. Sorg, H., Ehlers, J. P., & Sorg, C. G. G. (2022). Digitalization in Medicine: Are German Medical Students Well Prepared for the Future? Int J Environ Res Public Health, 19(14). https://doi.org/10.3390/ijerph19148308
  9. Venkatesh, V., Thong, J. Y. L., & Xu, X. (2012). Consumer Acceptance and Use of Information Technology: Extending the Unified Theory of Acceptance and Use of Technology. In Source: MIS Quarterly (Vol. 36, Issue 1).
  10. De/Bai, W. (n.d.). Care Work 4.0. Digitalisierung in der beruflichen & akademischen Bildung für personenbezogene Dienstleistungsberufe. https://doi.org/10.3278/6004710w; Digitalisierung
  11. Popov, V. V., Kudryavtseva, E. V., Katiyar, N. K., Shishkin, A., Stepanov, S. I., & Goel, S. (2022). Industry 4.0 and Digitalisation in Healthcare. In Materials (Vol. 15, Issue 6). MDPI. https://doi.org/10.3390/ma15062140
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AUTHOR: Selina Burch

Selina Burch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Gesundheit der BFH.

AUTHOR: Tabea Schmid

Tabea Schmid ist wissenschaftiche Assistentin am Fachbereich Pflege der BFH Gesundheit.

AUTHOR: Marco Buri

Marco Buri ist Fachspezialist Informatik an der BFH Gesundheit. er arbeitet als Software Engineer/Architekt im Projekt RAMOS mit und entwickelt u.a. Algorithmen zur Früherkennung von Gesundheitsverschlechterung bei Mobilitätsveränderungen.

AUTHOR: Lena Bruhin

Lena Bruhin ist PHD-Studentin an der Universität Bern und Mitarbeiterin am Projekt RAMOS der BFH.

AUTHOR: Friederike J. S. Thilo

Prof. Dr. Friederike Thilo ist Leiterin Innovationsfeld "Digitale Gesundheit", aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Design Zusammenarbeit Mensch und Maschine; Technologieakzeptanz; need-driven Entwicklung, Testung und Evaluation Technologien im Kontext Gesundheit/Krankheit; datenbasierte Pflege (Künstliche Intelligenz).

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