Lehren aus Covid-19 – Kunst digital zugänglich machen (3)

Basierend auf den Erfahrungen des ersten Lockdowns, der anschliessenden (teilweisen) Wiedereröffnung und den letzten Tagen im Fast-Lockdown lassen sich klare Empfehlungen an die Stakeholder der Kunst formulieren.

Es ist wichtig, die Krise ernst zu nehmen. Finanziell stabile Institutionen sollten etwas für ihr Publikum und für jene Kunstschaffenden tun, die ihre Einnahmequellen in der Kunst und in kunstfernen Nebenjobs verloren haben. Dies bringt auch ihnen einen Nutzen, denn die Gesundheitskrise ist eine Chance, Sympathien zu gewinnen.

Unsere Empfehlungen lauten:

Für Opernhäuser, Theater und Konzerthäuser

  • Öffnet Eure digitalen Archive fürs Publikum als Trost für die einsamen Tage von Home-Office, Quarantäne und Isolation. Die Wiener Oper hat es bereits getan!
  • Streamt Aufführungen oder auch Proben in die Wohnungen, damit das Publikum Euch nicht vergisst und in den Genuss von anspruchsvoller Unterhaltung bekommt.

Darüber hinaus ist Weiterspielen nach wie vor eine Option, wo dies sicher möglich und erlaubt ist. Fünfzig Zuschauer*innen sind mehr als null. Das Schauspielhaus Zürich demonstriert dies. Das Weiterspielen ist ein Zeichen der Nicht-Aufgabe – und nicht ein Zeichen des Protests – so wie der symbolische Akt des Schiebens einer Strassenbahn einst in Wien die Demokratie gerettet hat.

Für Museen und Ausstellungsorte

  • Erweitert Euer Angebot des Online-Zugangs und ergänzt es um synchrone Events. Was in den letzten Jahren manchen zu viel des Event-Zirkus erschien, das fehlt uns nun. Es ist Zeit, so wie das Ars Electronica Center Linz ins Home Delivery Geschäft einzusteigen.
  • Bietet die Möglichkeit zur Veranstaltung virtueller Workshops an, so wie in «normalen» Zeit in vielen Museen (z.B. im ZPK in Bern) vor-Ort Workshops zur Teambildung oder zur Entwicklung kreativer Inhalte möglich sind.

Für Kunstschaffende

Bringt Freude ins Leben des von Euch abgeschnittenen Publikums und macht Euch selbst eine Freude, indem Ihr gelegentlich über digitale soziale Medien oder andere Kanäle Aufführungen oder Präsentationen Eurer Werke streamt.

Für Dozierende, Forschende, Vermittelnde, Kuratierende und experimentell Kunstschaffende

  • Nutzt die Gelegenheit, Euer Wissen im Rahmen von Online-Kursen einem internationalen Publikum weiterzugeben – umso mehr, wenn ihr bereits ein Netzwerk in den digitalen sozialen Medien besitzt, über das Ihr Eure Kurse effizient und effektiv bewerben könnt.
  • Nutzt die Gelegenheit der Online-Zusammenarbeit, um aus den Korsetts der Terminpläne und des Reiseaufwands auszubrechen. Manche Projekte sind im Frühling nur entstanden, weil man sich zu ungewöhnlichen Zeiten online verabreden konnte.
  • Erfindet – zusammen mit Ingenieur*innen – neue Formate der Aufführung und Ausstellung von Kunst, welche das Internet als Kanal nutzen und dabei das riesige Potential digitaler Technologien besser ausschöpfen.

Zusätzlich gibt es viel spannende Möglichkeiten, mit den Beschränkungen und der künstlichen Intelligenz von Präsenz-Technologien (Videoconferencing, Kollaborationswerkzeuge, etc.) zu spielen, zu experimentieren und daraus neue ästhetische Erfahrungen zu gestalten.

Für Kunsthochschulen und Forschungszentren

  • Bietet internationale Kolloquien an mit Vortragenden und Zuhörenden aus der ganzen Welt, um Euren Studierenden und Dozierenden einen internationalen Austausch zu ermöglichen.
  • Stärkt Eure internationale Vernetzung. Macht das Internet zu Eurem Dorf und arbeitet sowohl beim Online-Unterricht wie auch in der künstlerischen Forschung mit den spannendsten Leuten weltweit zusammen.

Bereits im Frühsommer haben Kunsthochschulen ausserdem gezeigt, dass die Beschränkungen neue Formate für Prüfungen und andere Aufgabenstellungen für Studierende bieten. Wer im virtuellen Raum digital präsentieren muss, kommt auf andere Ideen und bricht leichter aus den Konventionen aus.

Für Technische Hochschulen

Helft mit, Bühnen und Ausstellungsräume virtuell neu zu erfinden. Nutzt die Zusammenarbeit mit Kunstschaffenden, um Euer Können einem breiten Publikumallen zu zeigen. So gewinnt ihr mehr Aufmerksamkeit und könnt junge Menschen für ein Informatikstudium begeistern.

Die Chance des neuen Kontexts

Der Präsident des Schweizer Wissenschaftsrats, Prof. Gerd Folkers, sagte einst in einem Interview, er habe manchmal das Gefühl, dass nicht wir auf den Schultern von Riesen, sondern Riesen auf unseren Schultern stünden. In der Kunst zeigt sich dies oft dadurch, dass Ideen grossartiger Kunstschaffender der Vergangenheit imitiert werden, ohne dass dies jungen Kunststudierenden bewusst würde. Im digitalen Kontext wird trotzdem sehr einfach etwas originär Neues daraus, denn er wurde bislang kaum für Kunstschaffen genutzt.

William Forsythe hat 2005 für den Zürcher Schiffbau eine Performance-Installation zu den Menschenrechten geschaffen, welche auf Einschränkungen des Schreibens beruhte. Wir sollten in den tagtäglichen und oft mühsamen Videokonferenzen ein ähnliches Setting erkennen – nicht zuletzt, um auch darüber zu reflektieren, was denn der Zweck unserer Aufführung jenseits eines guten Geschichtenerzählens ist.


Die Serie

Teil 1 «Die digitale Kunst» erschien am 23. Oktober.

Teil 2 «Wie das Theater sein Publikum digital erreicht» erschien am 30. Oktober.


Acknowledgements

Der besondere Dank gilt den Kolleg*innen der HKB, mit denen der Autor schon spannende Projekte durchführen oder interessante Diskussionen führen konnte, insbesondere dem Leiter der HKB-Forschung, Thomas Gartmann, und der Leiterin des Clusters Musikvermittlung im BFH-Zentrum Arts in Contexts, Barbara Balba Weber.

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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