Active and Assisted Living: Nutzen, Auswirkungen und Akzeptanz

Active and Assisted Living hat sich dank Internet der Dinge zu einem wichtigen Thema in der Altersversorgung entwickelt. Die Abteilung für Medizininformatik der Berner Fachhochschule BFH fokussiert sich im Rahmen ihres Living-Labs auch auf diese Herausforderung.

Die demografische Entwicklung in der Schweiz zeigt auf, dass wir immer älter werden. Eine absehbare Folge davon ist, dass immer mehr Menschen in der Schweiz an chronischen Krankheiten und Demenz leiden werden. Damit steigt auch die Zahl derjenigen Menschen, welche Unterstützung beim Bewältigen des Alltags benötigen. Dem gegenüber steht ein Mangel an Pflegekräften im stationären wie im ambulanten Bereich. So ist zum Beispiel die Betreuung von Menschen mit Demenz zu Hause aufwendig und psychisch belastend, gerade wenn es sich um Lebenspartner/in oder die eigenen Eltern handelt. In Studien [1, 2] wurde festgestellt, dass unter anderem das Ankleiden ein wesentlicher Stressfaktor für die Angehörigen und Dementen ist. AAL könnte hier ein Ansatz sein, die Menschen in ihrem Zuhause zu unterstützen und die ambulante Pflege effizienter zu gestalten.

Active and Assisted Living (AAL) [3, 4] ist ein multidisziplinäres Forschungsgebiet, das zum Ziel hat, mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien älteren und unterstützungsbedürftigen Menschen ein sicheres, selbstbestimmtes und unabhängiges Leben in den eigenen vier Wänden zu ermöglichen. Viele der heute verfügbaren Technologien konzentrieren sich auf die Erfassung von Stürzen, zum Beispiel mit Bewegungssensoren im Armband. Andere Systeme versuchen, den Gesundheitszustand zu überwachen. Es ist beispielsweise möglich, ein EKG im Bett abzuleiten oder die Urinmenge und dessen Zusammensetzung in der Toilette zu messen. Es gibt sogar schon Versuche, Hirnstromkurven während des Vollbades zu messen [5]. Wie Studien zeigen, wirken viele dieser Ideen aber abschreckend auf ältere Menschen. Darum geht die Forschung heute in eine andere Richtung: im Zentrum steht, ein «Smart Home für ältere Menschen» zu entwickeln. Ziel ist die aktive Unterstützung der Bewohner. Es geht darum, ihre Sicherheit und Selbständigkeit möglichst lange beizubehalten und damit auch die Angehörigen zu entlasten.

Im Living-Lab der Abteilung für Medizininformatik der BFH verfügen wir über eine reale Zweizimmerwohnung der (virtuellen) Familie Brönnimann, die schrittweise mit den neusten Technologien ausgerüstet wird. Aus den Interviews mit Betroffenen heraus haben wir für die Abteilung Vorgaben entwickelt, die insbesondere den Persönlichkeitsschutz der Menschen versuchen zu adressieren. Dazu gehört zum Beispiel, dass wir kein Monitoring über Kameras implementieren.

Abbildung 1: Blick in Brönnimanns Schlafzimmer. Der Schrank gibt sein Geheimnis erst preis, wenn Kurt sich nähert (siehe Abbildung 2)

In einem aktuellen Projekt haben wir Sensoren in den Fussboden integriert. Dieser kapazitive Sensor funktioniert ähnlich wie der Touchscreen eines Smartphones und misst, wo sich Füsse oder ein Körper befinden. Daraus lässt sich berechnen, wie und wohin sich ein Mensch bewegt. Zurzeit können wir Alarm auslösen, wenn jemand bewegungslos auf dem Boden liegt. Darüber hinaus wollen wir auch anhand des Bewegungsmusters Veränderungen im Gang erkennen. Ziel dieser Forschungsarbeit ist es, eine mögliche Sturzgefahr zu erkennen, bevor ein Unfall überhaupt passiert.

Abbildung 2: Begrüssungsscreen, vorgeschlagene kurze Hose und Anzeige der Lokalisation (von links nach rechts)

In einem zweiten Projekt geht es um einen intelligenten Kleiderschrank, der eine Unterstützung beim Ankleiden bietet [6]. Hinter einem Einwegspiegel in der Schranktüre ist ein Display integriert. Sobald Kurt Brönnimann Unterstützung beim Ankleiden benötigt, wird der Bildschirm sichtbar (Abbildung 2) und führt in der richtigen Reihenfolge durch das Ankleiden. Damit Kurt die Kleider gut finden kann, wird die Position der Kleidungsstücke mittels LED-Lichtern angezeigt. Dabei «weiss» der Kleiderschrank selbständig, welche Kleider überhaupt im Schrank liegen. Wir haben dazu sämtliche Kleidung mit waschbaren RFID-Etiketten versehen. Zusätzlich kann der Schrank auf Temperatur, Wetterprognose und Termine des Tages zurückgreifen, um einen optimierten Kleidungsvorschlag zu präsentieren.

Und wie profitiert Elisabeth vom intelligenten Kleiderschrank? Sie wird für einige Minuten entlastet. Zusätzliche Sensoren in der Wohnung überwachen die Luftqualität, die Temperatur und vieles weitere. Dank Analyse der Veränderung der gemessenen Werte werden wir in Zukunft noch genauer feststellen können, wie es Kurt und Elisabeth geht. Es ist unsere Vision, anbahnende Veränderungen im Verhalten oder der Gesundheit zu erkennen und präventiv eingreifen zu können. Unser SmartHome wird also sehr viel über die Bewohner wissen und wird damit die Behandlung und Pflege durch Hausarzt, SPITEX etc. unterstützen können. Damit entsteht aber auch die Gefahr, dass sich Kurt und Elisabeth überwacht fühlen und ein solches System nicht akzeptieren. Darum ist es für uns zentral, dass die Analyse der Daten direkt in der Wohnung erfolgt: es werden keine Daten via Internet verschickt oder in einer Cloud gespeichert. Erst im Falle eines Unfalles oder eines anderen kritischen Zwischenfalles werden die Angehörigen alarmiert. Überlegungen zur Ethik und zum Persönlichkeitsschutz gehören zu allen unseren Projekten dazu und sind auch integraler Bestandteil in der Ausbildung unserer Studierenden.

Der Einwand, dass ältere und demente Menschen ein SmartHome nicht mehr bedienen können, ist natürlich berechtigt. Die Technik muss sich deshalb so in eine Wohnung integrieren, dass eine eigentliche Bedienung gar nicht nötig sein wird. Wir verfolgen hier, wenn immer möglich eine «No-GUI»-Strategie («ohne Bildschirmoberfläche») und entwickeln unsichtbare Assistenzsysteme, die eingreifen, falls nötig. Diese Technologien sind im Moment noch teuer, was zu einer Zweiklassenmedizin führen könnte. Damit es zukünftig denkbar ist, dass sinnvolle AAL-Produkte durch die Grundversicherung getragen werden, muss das WZW-Prinzip erfüllt sein. In der Tat ist eine Professionalisierung dieser Technologien – auch im Kontext des Medizinproduktegesetzes – zu beobachten. Daneben werden immer mehr Studien publiziert, die auch die Wirksamkeit von AAL aufzeigen. Wir sind überzeugt, dass AAL einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen leisten wird.


  1. Mahoney, Diane Feeney, Sharon La Rose, und Edward L Mahoney. Family caregivers› perspective on dementia-related dressing difficulties at home: The preservation of self model. Article, Dementia, SAGE, 2015 a, 494- 512.
  2. National Alliance For Caregiving. e-Connected Family Caregiver: Bringing Caregiving into the 21st Century. United Health Care. 2011 Jan.
  3. https://www.sbfi.admin.ch/sbfi/de/home/themen/internationale-forschungs–und-innovationszusammenarbeit/zusammenarbeitsprogramme/aal.html (abgerufen am 31. März 2017)
  4. http://www.aalforum.eu/ (abgerufen am 31. März 2017)
  5. T. Tamura, Home geriatric physiological measurements, Topical Review, Physiological Measurements, 33 (2012), R47-R65
  6. https://www.ti.bfh.ch/index.php?id=4398&L=0&absId=1273 (abgerufen am 31. März 2017)
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AUTHOR: Jürgen Holm

Jürgen Holm ist Professor und Abteilungsleiter für Medizininformatik am Departement Technik und Informatik der Berner Fachhochschule. Er engagiert sich im Bereich semantische Interoperabilität, ICT-Prozessanalyse und bei der Umsetzung von eHealth-Projekten.

AUTHOR: Michael Lehmann

Michael Lehmann ist Professor für Medizininformatik an der BFH Technik & Informatik. Er leitet die Studiengänge BSc Medizininformatik und MAS Digital Health. Er forscht über die Digitale Transformation im Gesundheitswesen.

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