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Augmented Reality in der Krebschirurgie: Kopf-Hals-Karzinome besser lokalisieren

Bietet Augmented Reality (AR) in der Krebschirurgie einen bedeutenden Mehrwert oder ist das Neue auch in dieser Domäne bloss einem Hype geschuldet? Die Universität Basel stellt ihr Forschungsprojekt MOONSTAR vor: Neuartige Detektoren für das CERN in Genf ermöglichen die präzisere Biopsie bei der Krebsfrüherkennung.

Der hochspezialisierte und teure Werkplatz Schweiz profitiert stark von der Kooperation zwischen Hochschulen und der Industrie. Insbesondere in der Medizintechnik ermöglicht diese eine fortlaufende und nachhaltige Transformation vieler klassischer Behandlungsmethoden zum Nutzen der PatientInnen. Unser aktuelles Forschungsprojekt MOONSTAR (Mobile Optical Navigated SPECT Camera with Augmented Reality) widmet sich dieser Aufgabe. Wir entwickeln ein portables Gammastrahlen Sensor- und Anzeigegerät, welches den ChirurgInnen in Zukunft ermöglicht, mit Hilfe einer AR Brille bei der Früherkennung spezifischer Krebserkrankungen genauer zu arbeiten. Dank der Zusammenarbeit zwischen dem Department of Biomedical Engineering der Universität Basel unter der Leitung von Prof. Dr. Philippe Cattin, Prof. Dr. med. Stephan Haerle von der Hirslanden Klinik Luzern und der auf Detektorelementen für das CERN spezialisierten Firma DECTRIS aus Baden konnten bereits erste Erfolge dieser Forschung erzielt werden [1]. Finanziell wird das Projekt durch die Gebert-Rüf-Stiftung unterstützt.

Verhinderung unnötiger Eingriffe

Bei Kopf-Hals-Karzinomen, z. B. dem Tumorbefall der Zunge oder des Rachens, besteht die Standard Behandlung der PatientenInnen darin, den entdeckten Tumor zusammen mit den umliegenden Lymphgefässen zu entfernen, um eine Streuung (Metastasierung) zu verhindern. Dieser Eingriff wird Dissektion genannt und ist sehr invasiv. Dabei wird eine potentielle Überbehandlung der PatientInnen allerdings in Kauf genommen. Studien haben gezeigt, dass bei rund 70% aller Fälle eine solche radikale Intervention gar nicht nötig ist [2]. Die Wächterlymphknoten-Biopsie (SNB) ist eine Methode, die die Stadienbestimmung (Staging) des Krebs minimalinvasiv ermöglicht und eine Überbehandlung verhindern kann. Durch das Staging kann der adäquate Einsatz der Behandlungsmöglichkeiten – Chemotherapie, Bestrahlung, Immuntherapie – der Erkrankung geplant werden.

Feststellen der Streuung eines Tumors

Diese Form der Biopsie wird vor allem für die Diagnose von Brustkrebs- und Hautkrebsmetastasen erfolgreich eingesetzt und aktuell auch für die Früherkennung von Kopf-Hals-Karzinomen evaluiert. Dabei wird eine radioaktiv markierte Flüssigkeit (Tracer) in der Nähe des Tumors des Patienten injiziert. Der Tracer wird langsam über die Lymphbahnen des Körpers hin zu den umliegenden Wächterlymphknoten (SLN) transportiert und dort deponiert (siehe Abbildung 1). Auf dem gleichen Weg erfolgt die Metastasierung der Krebszellen vom Primärtumor aus. Da die so radioaktiv angereicherten Lymphknoten mit einer Gammastrahlen-Messsonde gefunden werden können, erfolgt an diesen Stellen ein Hauteinschnitt und danach die Entnahme der Wächterlymphknoten (SLN) für die anschliessende Analyse im Labor. Falls im Gewebe der SLN keine Krebszellen zu finden sind, hat mit grosser Wahrscheinlichkeit keine Streuung des Tumors stattgefunden. Somit wird eine potentielle Überbehandlung durch eine unnötige prophylaktische Dissektion verhindert.

Abbildung 1: TU – Tumor, SLN – Wächterlymphknoten, LN – Lymphknoten

 

Limitierungen der aktuellen Diagnostik

Die Gammastrahlen-Messsonde ist allerdings in ihrer Anwendung eingeschränkt, da diese den ChirurgInnen die Aktivitätsanzeige der Strahlung häufig nur als einfaches Audiosignal zur Verfügung stellt. Mit einem Filzstift muss dann die Stelle auf der Haut markiert werden, wo die Aktivität am höchsten ist, um anschliessend die darunterliegenden SLN lokalisieren und entnehmen zu können. Das Vorstellungsvermögen des Chirurgen wird daher stark gefordert und resultiert in einer erheblichen Arbeitsbelastung.

Verbesserung der Diagnostik dank AR

Unsere Methode wird es ermöglichen, anstatt der Audiosignale eine visuelle Repräsentation der Aktivität zu generieren. Dabei wird eine von uns entwickelte spezielle Lochblende (Multi-Pinhole Kollimator) zusammen mit einem mobilen DECTRIS 2D Detektor (basierend auf der im CERN verwendeten Sensortechnologie) eingesetzt und die Strahlung von den Lymphknoten für wenige Sekunden gemessen. Unter Zuhilfenahme der Geometrie des Kollimators und dem Aktivitätsbild aus dem Detektor kann die Lage der Lymphknoten mit einem mathematischen Verfahren berechnet werden. Diese Information wird anschliessend grafisch aufbereitet und an die halbtransparente AR-Brille des Chirurgen gesendet. Dadurch sieht er, dank der Überblendung dieser Information, wo sich die Lymphknoten in den PatientInnen befinden (augmented reality). Dies führt unmittelbar zu einer Arbeitsentlastung und zu einer präziseren Biopsie. Es muss einzig sichergestellt sein, dass der Detektor und die AR-Brille über ein gemeinsames Koordinatensystem verfügen, damit die Darstellung der Aktivität am richtigen Ort innerhalb des aktuellen Blickfeldes des Chirurgen erscheint.

Ausblick

Erste Tests unseres Verfahrens mit einfachen Phantomen (künstliche Testkörper) zeigen vielversprechende Ergebnisse und bestätigen, dass wir in der Lage sind, die Strahlungsverteilung zu rekonstruieren und die so generierten Aktivitäts-Punktewolken darzustellen. Allerdings ist es noch ein weiter Weg, bis sich die bis jetzt getätigte Forschungsarbeit in einem konkreten Medizinprodukt manifestiert. Zuerst müssen die Ergebnisse durch weitere ausführliche Tests validiert werden. Die Firma DECTRIS als Industriepartner investiert bereits viel in die weitere Optimierung und Miniaturisierung ihrer Detektortechnologie für den Einsatz in der Medizin. Mit unserer gemeinsamen Forschung leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der SN-Biopsie, damit unnötige und teure Eingriffe in der Krebsbehandlung in Zukunft verhindert werden können.

Wir sind überzeugt, dass AR, wie in anderen Bereichen der Medizin, einen Mehrwert in der Krebschirurgie bietet. Ziel eines jeden angewandten Forschungsprojekts muss es deshalb sein, Alternativen zur state-of-the-art zu bieten, um neue Wege aufzuzeigen. Dafür benötigt es allerdings unkonventionelle Lösungen und die nötigen finanziellen Mittel, gepaart mit einer guten Zusammenarbeit mit kompetenten Industriepartnern.


Referenzen

  1. Peter von Niederhäusern et al. Augmenting Scintigraphy Images with Pinhole Aligned Endoscopic Cameras: A Feasibility Study. LNCS (Springer) 2016
  2. Hakan Coskun et al. Current philosophy in the surgical management of neck metastases for head and neck squamous cell carcinoma. Head and Neck 2015
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