Mit immersivem Neurofeedback gegen den Stress

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Stress ist für viele Menschen in der Schweiz längst Teil des Alltags. Die zunehmende Belastung durch Zeitdruck, ständige Erreichbarkeit und hohe Leistungsanforderungen führt immer häufiger zu mentaler Erschöpfung (Gesundheitsförderung Schweiz, 2022). Eine innovativer Ansatz zur Stressprävention ist das Neurofeedback-Training – insbesondere, wenn es mithilfe von Virtual Reality immersiver und motivierender gestaltet wird.

Laut der Weltgesundheitsorganisation zählt Stress inzwischen zu den grössten Gesundheitsrisiken des 21. Jahrhunderts (WHO, 2020). Die Folgen reichen von Konzentrationsstörungen und sinkender Leistungsfähigkeit bis hin zu ernsthaften Erkrankungen wie Herz-Kreislauf-Leiden, Depressionen, Burn-out oder Angststörungen. Entsprechend steigt der Bedarf an wirksamen Präventionsmassnahmen in Unternehmen und Institutionen, um Mitarbeitende zu unterstützen.

Immersives Neurofeedback: Ein innovativer Trainingsansatz

Ein Ansatz, der in den letzten Jahren zunehmend Beachtung gefunden hat, ist das Neurofeedback-Training. Dabei lernen Teilnehmende, ihre Gehirnaktivität in Echtzeit positiv zu beeinflussen – zum Beispiel, um gezielt einen Entspannungszustand herbeizuführen. Studien zeigen, dass regelmässiges Neurofeedback-Training hilfreich sein kann, um Stress zu reduzieren, die Aufmerksamkeit zu verbessern und die emotionale Regulation zu stärken (Thibault et al., 2018; Marzbani et al., 2016). Da es sich um eine Trainingsmethode handelt, sind Wiederholung und Übung zentrale Voraussetzungen für nachhaltigen Erfolg.

Vor diesem Hintergrund stellte sich im Rahmen eines vom Themenfeld Humane Digitale Transformation geförderten Projekts die Frage, wie sich Neurofeedback-Training motivierender und attraktiver gestalten lässt. Ziel des Projekts „Immersives Neurofeedback“ war es, zu untersuchen, ob ein VR-gestütztes Training die Nutzererfahrung und Motivation gegenüber einer klassischen Bildschirmvariante steigern kann.

Für die Studie absolvierten 27 Teilnehmende jeweils zwei identische-Neurofeedback-Sitzungen – einmal im klassischen Setting mit Bildschirm und einmal in einer immersiven virtuellen Umgebung (immersive virtual environment) mittels VR-Brille. Die an der BFH entwickelte virtuelle Trainingsumgebung simulierte einen Flug durch den Weltraum: Ziel war es, das Tempo eines Raumschiffs durch mentale Entspannung zu verlangsamen, während es ein Meteoritenfeld durchquert.

Erfasst wurden fünf zentrale Parameter: der subjektiv wahrgenommene Entspannungszustand, das körperliche Wohlbefinden (z. B. das Auftreten von Übelkeit oder Kopfschmerzen), die Nutzererfahrung, die Technologieakzeptanz sowie die verhaltensbasierte Motivation – gemessen anhand der freiwillig investierten Trainingszeit.

Mehr Motivation durch Immersion

Die Ergebnisse unserer Studie zeichnen ein differenziertes Bild. In Bezug auf Technologieakzeptanz und körperliches Wohlbefinden zeigten sich keine signifikanten Unterschiede zwischen den beiden Trainingsumgebungen. Besonders bemerkenswert: Das VR-gestützte Neurofeedback-Training verursachte keine physischen Nebenwirkungen wie Übelkeit oder Kopfschmerzen – Symptome, die unter dem Begriff Cybersickness bekannt sind und bei immersiven Technologien häufiger auftreten (Rebenitsch & Owen, 2016).

Auffälliger waren hingegen die Unterschiede im Nutzungserlebnis. Wenig überraschend bewerteten die Teilnehmenden das Training in der VR-Umgebung als deutlich „neuer“ und spannender – ein Befund mit Relevanz, denn neuartige und ansprechende Erfahrungen fördern in der Regel eine intensivere Beteiligung. Besonders deutlich wurde dies in der Trainingsmotivation: In der VR-Umgebung trainierten die Probandinnen und Probanden signifikant länger als im klassischen Setup. Dieses Verhalten deutet auf eine erhöhte intrinsische Motivation hin – ein entscheidender Faktor für den langfristigen Erfolg von Trainingsprogrammen (Deci & Ryan, 2000). Ein unmittelbarer Effekt von VR auf den wahrgenommenen Entspannungszustand konnte hingegen nicht festgestellt werden.

Virtual Reality und Neurofeedback – ein Zukunftsmodell für das Stressmanagement?

Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass Virtual Reality ein vielversprechendes Mittel sein kann, um das Interesse an Neurofeedback-Training zu steigern – insbesondere im beruflichen Kontext. Zwar liess sich in dieser Studie kein unmittelbarer Effekt auf das subjektive Entspannungsempfinden feststellen, doch dafür gibt es plausible Erklärungen: Zum einen war die Trainingsdauer mit lediglich zwei Sitzungen sehr kurz – für nachhaltige Effekte sind in der Regel deutlich mehr Einheiten erforderlich. Zum anderen wurden keine gezielt gestressten Personen rekrutiert, was das Potenzial zur Stressreduktion naturgemäss einschränkt.

Trotzdem zeigen die positiven Rückmeldungen zum Nutzungserlebnis und die gesteigerte Trainingsmotivation, dass VR einen klaren Mehrwert bieten kann – vor allem in Anwendungen, die auf regelmässige Teilnahme angewiesen sind.

Ob sich in stärker belasteten Arbeitsumgebungen auch signifikante Effekte auf Stresslevel und Erholung zeigen, muss in künftigen Studien geprüft werden. Ebenso gilt es, die langfristigen Auswirkungen auf Stressregulation und Resilienz genauer zu erforschen.

Eines steht jedoch bereits fest: Die Kombination aus Neurofeedback und Virtual Reality birgt grosses Potenzial für moderne, wirksame Präventionsangebote am Arbeitsplatz.

 

Quellen:

Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2000). The «what» and «why» of goal pursuits: Human needs and the self-determination of behavior. Psychological Inquiry, 11(4), 227–268.

Gesundheitsförderung Schweiz. (2022). Dossier: Stress | Gesundheitsförderung Schweiz. Retrieved 15 May 2025, from https://gesundheitsfoerderung.ch/node/9466

Marzbani, H., Marateb, H. R., & Mansourian, M. (2016). Methodological note: Neurofeedback: A comprehensive review on system design, methodology and clinical applications. Biomedical Engineering: Applications, Basis and Communications, 28(03), 1630005.

Rebenitsch, L., & Owen, C. (2016). Review on cybersickness in applications and visual displays. Virtual Reality, 20(2), 101–125.

Thibault, R. T., Lifshitz, M., Birbaumer, N., & Raz, A. (2018). Neurofeedback, self-regulation, and brain imaging: Clinical science and fad in the service of mental disorders. Psychotherapy and Psychosomatics, 87(4), 193–207.

WHO (2020). Occupational health: Stress at the workplace. World Health Organization.

 

 

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AUTHOR: Renée Favre

Renée Favre hat ihren Master in Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Fribourg gemacht und ist Projektmitarbeiterin am Institut New Work der BFH Wirtschaft.

AUTHOR: Jonas Born

Jonas Born ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizinische Lehre (IML) an der Universität Bern. Als Externe Fachperson unterrichtet er am Departement Soziale Arbeit der Berner Fachhochschule, wo er sich zuvor mit Virtual Reality beschäftigt hat.

AUTHOR: Manuel Bachmann

Prof. Dr. Manuel Bachmann ist Leiter des Instituts Fachdidaktik, Professionsentwicklung und Digitalisierung und verantwortet das Virtual Reality Lab am Departement Soziale Arbeit der BFH. Er beschäftigt sich mit Virtual Reality in der Forschung und Lehre sowie in der Praxis der Sozialen Arbeit.

AUTHOR: Andreas Sonderegger

Andreas Sonderegger ist Professor an der Berner Fachhochschule Wirtschaft und Lektor an der Universität Fribourg. Er forscht und lehrt in den Bereichen Kognitive Ergonomie, Human-Computer Interaction sowie Arbeits- und Organisationspsychologie. Er ist Gründer und Inhaber von Youser GmbH, einer auf UX-Evaluation und -Konzeption spezialisierten Agentur. Vor seinem Wechsel an die BFH hat Andreas an der Universität Fribourg promoviert, in verschiedenen Stellen im Bereich Human Ressources gearbeitet und war ‘Head of UX Research’ am EPFL+ECAL Lab.

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