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Was wäre, wenn die AHV-Nummer zur Emailadresse wird?

Die digitale Identität ist besonders wichtig bei der offiziellen Kommunikation mit Behörden. Über seinen Alltag in der Ausgleichkasse im Kanton Schwyz und künftige Sicherheitslösungen in Behörden schreibt unser Gastautor und Präsident der Konferenz der Kantonalen Ausgleichskassen (KKAK) Andreas Dummermuth. 

Soziale Sicherheit ist die teuerste Infrastruktur der Schweiz. Nicht die wichtigste, aber eben die teuerste. Im Jahr 2015 sind 163 Milliarden Franken in eine Krankenkasse, eine Pensionskasse, eine Familienausgleichskasse, eine Unfallkasse oder eine andere Kasse geflossen. Tendenz: Steigend!

163 Milliarden Franken, das sind 25 Prozent des Bruttoinlandproduktes der Schweiz. Jeder vierte Franken, der also in der Schweiz erarbeitet wird, fliesst in die soziale Sicherheit. Diese enorme volkswirtschaftliche Bedeutung spiegelt sich zwingend in den laufenden finanz- und sozialpolitischen Diskussionen wider. Jeder Franken, der ausgegeben wird, muss entsprechend einer engen Regulierung ausgegeben werden. Jeder Franken, der eingeht, bedarf ebenfalls einer klaren sachlichen und rechtlichen Grundlage. Soziale Sicherheit ist deshalb derart hoch reglementiert, weil es um 163 Milliarden Franken für über acht Millionen Menschen geht. Eine gute, verlässliche und greifbare Organisation und Durchführung der sozialen Sicherheit ist deshalb ein Standortvorteil für die Schweiz.

Sicherheit im Massengeschäft

Das Verfahren für die Abwicklung dieses Massengeschäftes ist im Bundesgesetz über den allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) geregelt. Das Verfahren kann im Telegrammstil beschrieben werden: Keine Leistung ohne Anmeldung – keine Leistung ohne Verfügung. Anmeldung und Verfügung sind also die beiden Eckwerte – dazwischen findet ein hoch reglementierter Abklärungs- und Entscheidprozess statt.

Als Geschäftsleiter einer kantonalen Sozialversicherungsstelle, der Ausgleichkasse / IV-Stelle Schwyz, muss ich dafür sorgen, dass alle unsere gesetzlich definierten Sozialversicherungsprodukte richtig, wirtschaftlich, speditiv und bürgerfreundlich hergestellt werden. Unsere Produkte haben Abkürzungen: AHV, IV, EO, MSE, FZ, EL, IPV, PF, usw. In einem kleinen Kanton mit rund 157’000 Einwohnerinnen und Einwohnern richten wir jährliche Leistungen von rund 750 Mio. Franken aus und nehmen Sozialversicherungsbeiträge von einer halben Milliarde Franken ein. Dafür scannen wir knapp eine Million Seiten Papier ein, das uns jedes Jahr ins Haus geliefert wird. Seit zwanzig Jahren haben wir in Schwyz ein ‹papierloses› Büro mit einem digitalen Archiv und einem Workflow-System, das sich hervorragend für das interne Kontrollsystem und das Qualitätsmanagementsystem bewährt hat und so revisionssichere Prozesse erlaubt. Sehr schnelle und sehr genaue Kundenauskunft sind jedoch das Wichtigste dabei. Wir wissen in jedem Fall und in jedem Stadium, wer was gemacht hat. Übrigens: Alles, was eingescannt wird, wird physisch gesichert entsorgt. Was bleibt, sind nur noch digitale Informationen. Mit jährlichen IT-Security-Audits lassen wir dieses System laufend auf Sicherheit und Funktionalität überprüfen. Weil wir der Meinung sind, dass die föderale Struktur der Durchführung auch bei den Sozialversicherungen der beste aller Wege ist, pflegen wir noch lange keinen Kantönligeist. In der Informatikgesellschaft für Sozialversicherungen haben zwanzig Kantone und das Fürstentum Liechtenstein die IT gepoolt.

App versus Papier

Zwischenfazit: Wir haben betriebsintern ein völlig papierloses Verfahren. Aber vorher und nachher? ‹In-bound› (Eingang) und ‹out-bound› (Ausgang) sind noch nicht vollständig digital. Die digitale Anmeldung und die digitale Verfügung sind also die nächsten notwendigen Schritte. Ich persönlich meine, dass dies technisch die viel kleinere Herausforderung ist als das papierlose Workflow-System mit den enormen Datenbeständen. Während wir jedoch betriebsintern relativ selbständig agieren können, sind wir beim ‹in-bound› und ‹out-bound› logischerweise auf Schnittstellen angewiesen. Aber nun Schritt für Schritt gemäss ATSG. Starten wir also mit der Anmeldung.

Wir können in Schwyz den Arbeitgebern eine kostenlose Applikation der digitalen gesicherten Kommunikation anbieten. Das ganze Handling der Sozialversicherungsbeiträge, der Familienzulagen, der Mutterschaftsentschädigung und der Erwerbsersatzordnung werden von den Unternehmen und der Ausgleichskasse papierlos und unterschriftslos abgewickelt. AHVeasy ist selbstverständlich mit www.swissdec.ch kompatibel. Leider aber bevorzugen noch viele KMU den traditionellen Papierweg, obwohl wir in Schwyz den Firmen jedes Jahr zwanzig Prozent Rabatt auf ihre Verwaltungskostenbeiträge gewähren. Mit den Unternehmen klappt die digitale Kommunikation also mehr und mehr.

Anders aber bei den Einzelkunden, den Versicherten, die eine Leistung beziehen wollen. Die Vereine ‹eAHV/IV und ‹Informationsstelle AHV/IV arbeiten in einem gemeinsamen Projekt daran, solche neue digitalen Anmeldemöglichkeiten zu bieten. Dabei ist uns ein Problem im Weg, das gar kein Problem ist. Was meine ich? Eine Anmeldung muss rechtlich keine Unterschrift der versicherten Person haben. Dieser Grundsatz wird aber nicht gelebt. Die Tradition der handschriftlichen Unterschrift auf einem Papierformular hält sich aber seit 200 Jahren. Das nennt man Usanz.

Vom Digitalen ins Reale

Bei der Anmeldung haben wir also einen Spielraum: Die Anmeldung muss eigentlich nicht unterschrieben werden, die Verifizierung der Person ist jedoch immer möglich. Dieser Spielraum könnte genutzt werden für digitale und intelligente Anmeldetools. Diese würden die Versicherten unterstützen, ihnen unnötige Formulararbeiten abnehmen und den Versicherungsorganen die Datengrundlagen für ihre Produktionsapplikationen geben. Kommen wir damit zum zweiten Punkt: Der Verfügung. Das grössere Problem ist die Zustellung des Entscheides, dem Versand der Verfügung. Das muss genau erfolgen: Name und Postadresse der versicherten Person sowie ihre Vertretungen sind heute eruierter, verifizierbar und standardisiert. Soweit notwendig, bietet die Post auch gesicherte Zustellwege (z.B. A-Post plus oder Einschreiben) an. Leider haben die Versicherungsträger keinen sicheren digitalen Weg. Mit einer staatlich geregelten digitalen Identität wäre das dann möglich. Oder anders formuliert: Die Sozialversicherung ist auf eine digitale Basis-Infrastruktur (e-ID, gesicherte Mailadresse, verlässliche Bandbreite) angewiesen.

Wenn wir das hätten, dann wäre für die Sozialversicherungen ein einfacher, billiger und technisch unspektakulärer Weg vorstellbar. Konkret: AHV-Nummer = Emailadresse. Punkt. Jede natürliche Person in der Schweiz hat heute schon eine Sozialversicherungsnummer. Daraus wird z.B. AHV-Nummer@ahv.ch z.B. oder AHV-Nummer@sss.ch. ’sss› steht für «Soziale Sicherheit Schweiz», was in allen Landessprachen und Englisch aussagekräftig wäre. Eine zentrale Stelle, z.B. die Zentrale Ausgleichsstelle ZAS, welche bereits heute schon die AHV-Nummern vergibt, befasst sich damit und stellt die E-Mailadresse zur Verfügung. Die Crux dabei ist die gleiche, wie es alle anderen Wirtschaftsteilnehmer haben: Die Verifizierung von Person und Adresse. Aber die halbe Welt macht das heute schon und deshalb können wir das in der Schweiz auch.

Der Vorteil für die Bevölkerung und alle Organe der sozialen Sicherheit ist klar: Jede Kommunikation und jede Zustellung einer Verfügung kann auf diese Emailadresse erfolgen. Und auch hier: Gesicherte E-Mails gibt es im privaten und öffentlichen Geschäftsleben. Auch das muss man nicht machen, sondern nur installieren. Wenn man will.

Soziale Sicherheit ist die teuerste Infrastruktur der Schweiz. Wie gesagt nicht die wichtigste, aber eben die teuerste. Genau deshalb lohnt es sich, dass diese volkswirtschaftliche Infrastrukturaufgabe auch eine betriebswirtschaftlich moderne Infrastruktur für die Kommunikation hat.

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Soll die AHV-Nr. als Personenidentifikator verwendet werden? Eine Auslegeordnung.

Ein im Oktober erschienenes ETH-Gutachten liefert neue Einsichten rund um die Verwendung der AHV-Nummer als sektorübergreifender Personenidentifikator. Es zeigt Sicherheitslücken im Status Quo auf, die es zu beheben gilt, wenn der Datenschutz sichergestellt werden soll. Um diese Risiken zu beheben, reicht es jedoch nicht aus, zwischen der AHV-Nummer oder einem sektoriellen Personenidentifikator zu entscheiden.

Im Oktober erschienen in der Presse mehrere Meldungen, die die Verwendung der AHV-Nummer zur eindeutigen Identifizierung und den damit einhergehenden Gefahren aus Sicht Datenschutz thematisieren. Anlass dafür gab die Veröffentlichung eines Gutachtens der ETH Zürich [2], das die Risiken der heutigen Verwendung der AHV-Nr. sowie einer Erweiterung deren Nutzung analysiert. Die kantonalen Datenschützer lesen das Gutachten als empirischen Beleg dafür, dass die aktuelle und jede weitere Verwendung der AHV-Nummer als Personenidentifikator den Datenschutz untergräbt und fordern Kantonsregierungen auf, auf die weitere Verwendung der AHV-Nummer als universellen Personenidentifikator zu verzichten. Bei genauerer Betrachtung des Gutachtens wird jedoch ersichtlich, dass dieser Schluss zu kurz greift und die tatsächlichen Gefahren für den Datenschutz übersehen werden.

Sektorieller Personenidentifikator hebt aktuelle Datenschutzrisiken nicht auf
Das ETH-Gutachten erklärt, dass der Einsatz von sektorspezifischen, nicht-sprechenden Identifikatoren das Risiko im Vergleich zur Verwendung eines nicht-sprechenden sektorübergreifenden Identifikators, wie sie die AHV-Nummer ist, minimiert. Es unterstreicht jedoch die Tatsache, dass diese Massnahme in geeigneter Weise umgesetzt werden muss, um ihre Wirkung zu entfalten. Das Gutachten betont, dass die Datenschutzrisiken durch das gemeinsame Aufbewahren von Registerdaten mit Identitätsattributen auch weiterbestehen würden, wenn lediglich die AHV-Nummer durch einen sektoriellen Personenidentifikator ersetzt wird. Aus ganzheitlicher Betrachtung ist also die Forderung der kantonalen Datenschutzbeauftragten nach einem sektoriellen Personenidentifikator nicht falsch. Sie ist jedoch, als alleinstehende Massnahme, nicht diejenige Massnahme, die die heutigen Datenschutzrisiken in wesentlichem Masse reduzieren wird.

Ein System mit sektoriellen Personenidentifikatoren kostet jährlich sieben Mal mehr
Zudem verweist das ETH-Gutachten darauf, dass die Wahl des Personenidentifikators auch von Kosten- und Effizienzüberlegungen geleitet sein sollte. Diese Aspekte bedürfen einer genauen Prüfung, wurden im betroffenen Gutachten jedoch nicht untersucht. Abhilfe schafft eine Analyse des E-Government-Instituts der Berner Fachhochschule. Die Analyse geht der Frage nach, wie hoch die Kosten für die Schweiz ausfallen, wenn die AHV-Nummer als sektorübergreifender Identifikator verwendet wird, und wie hoch sie für ein System mit sektoriellen, von der AHV-Nummer abgeleiteten Personenidentifikatoren ausfallen würden. Die Berechnungen beruhen auf Kostenmodellen, die auf Basis von Szenarien gebildet wurden und stützen sich auf effektive Ausgaben für den Aufbau und den Betrieb der UPI-Datenbank der Zentralen Ausgleichsstelle ZAS. Die Analyse kommt zum Ergebnis, dass die Eindeutigkeit der Personenidentifikation in Schweizer Behördenabläufen am kostengünstigsten damit sicherzustellen ist, indem Behörden ermächtigt werden, die AHVN13 systematisch als Personenidentifikator zu verwenden. Dieser Weg fällt im jährlichen Betrieb sogar um ein dreifaches günstiger aus, als wenn die Schweiz gänzlich auf einen nationalen Personenidentifikator verzichten würde. Ein System mit sektoriellen Personenidentifikatoren hätte mit ca. 21 Millionen jährlichen Betriebskosten sowie mit ca. 268 Millionen Initialkosten zu rechnen. Dabei sind die Identifikationskosten für jede natürliche Person pro Nummer nicht eingerechnet. Im Vergleich zu einem System, in dem die AHV-Nummer als nationaler Personenidentifikator für Behörden aller Ebenen verwendet wird, fallen hier die Kosten initial um das 2.5-fache und jährlich um das Siebenfache höher an [1].

AHV-Nummer oder nicht AHV-Nummer?
Werden also Kostenbetrachtungen berücksichtigt, so müsste sich die Schweiz klar für die Erweiterung der systematischen Verwendung der AHV-Nummer entscheiden. Der Bundesrat hat bereits Schritte in diese Richtung unternommen und das EDI mit der Vorbereitung der nötigen Gesetze beauftragt, die Behörden von Bund, Kantonen und Gemeinden generell zur systematischen Verwendung der AHVN13 im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufgaben ermächtigt. Die Vernehmlassung dazu ist in nächster Zeit zu erwarten, wurde sie doch für das letzte Quartal 2017 geplant.

Die von der Risikoanalyse der ETH hervorgebrachten Punkte weisen jedoch auf konkrete Sicherheitslücken im heutigen System hin, die es anzugehen gilt. Werden diese Sicherheitslücken nicht behoben, so wird die Erweiterung der systematischen Nutzung der AHV-Nummer als Personenidentifikator auf zusätzliche Bereiche das Datenschutzrisiko erhöhen. Werden diese Lücken jedoch nicht behoben, so wird auch der Verzicht auf die systematische Verwendung der AHV-Nummer das Datenschutzrisiko nur minim reduzieren. Auch das Ersetzen der AHV-Nummer mit einem sektoriellen Identifikator vermag die Risiken nicht substanziell zu verringern. Die Frage, die es zu stellen gilt lautet demnach: Welche Massnahmen sind erforderlich, um die Datenschutzrisiken zu minimieren?

Identitätsdaten von anderen Daten entkoppeln
Das ETH-Gutachten beschreibt ein System als besonders datenschutzfreundlich, wenn darin administrative und organisationale Daten von Identitätsdaten voneinander entkoppelt geführt werden. Als Identitätsdaten verstanden werden jedoch nicht nur eindeutige Personenidentifikatoren, sondern alle Attribute, die Informationen zur Identität einer Person beinhalten, wie z. B. Name, Geburtsdatum oder aber auch Vorname der Eltern. Eine Identifikation von Personen ist also auch unter Verwendung dieser Attribute möglich, nur nicht immer eindeutig. Durch die Kombination verschiedener Identitätsattribute ist jedoch auch ohne Personenidentifikator eine eindeutige Identifikation möglich. Diese «Quasi-Identifikatoren» können mittels einer Kombination von verschiedenen Identitätsattributen gebildet werden. So bildet z. B. die Kombination von Vorname, Name und Geburtsdatum ein Quasi-Identifikator, der mehr als 99.98% der Personen in der Schweiz zu identifizieren vermag. 75.89% der Personen können anhand der Kombination von Namen und Vornamen eindeutig identifiziert werden. Je mehr Identitätsattribute in einem System geführt werden, umso mehr steigt die Wahrscheinlichkeit, damit einen Quasi-Identifikator bilden zu können. Um den Datenschutz zu gewährleisten, ist das reine Verhindern einer zusätzlichen Anreihung der AHV-Nummer an bereits im System geführte Identitätsattribute deshalb nicht hinreichend.

Daten reorganisieren und verteilt speichern
Die Reorganisation der Daten und deren verteilte Speicherung wird im Gutachten mehrmals als Voraussetzung für den Datenschutz genannt. Solange Angaben z.B. zu einer begangenen Strafe einer Person X im selben System gespeichert werden, wie auch die Angaben der tatsächlichen Identität der Person X, ist der Datenschutz gefährdet. Diese Gefährdung liegt auch vor, wenn in den gespeicherten Identitätsattributen die AHV-Nummer nicht vorkommt. Die getrennte Speicherung von Identitätsattributen und administrativen Daten, und der angemessene Schutz der Verknüpfungstabellen, die die Verknüpfung der administrativen Datensätze mit den entsprechenden Identitätsdaten sicherstellt, wird demnach als Schlüsselmassnahme gesehen, die den Datenschutz, in heutigen Systemen stark zu verbessern vermag.

Weitere zu behebende Mängel im Status quo
Im Gutachten stellt Prof. Basin fest, dass der Bund an ihre eigenen Systeme höhere Sicherheitsanforderungen stellt als an Systeme ausserhalb der Bundesverwaltung, die die AHV-Nummer führen. So wird in der Tendenz die Sicherheit der Systeme auf Kantons- oder Gemeindeebene, wie z. B. bei Schulen oder Spitälern als niedriger eingestuft als bei Systemen innerhalb der Bundesverwaltung. Nichts destotrotz empfiehlt er die Erhöhung der Sicherheitsanforderungen sowohl für die Systeme ausserhalb wie auch innerhalb der Bundesverwaltung.
Letztlich weist das ETH-Gutachten darauf hin, dass Datenschutz nur dann gewährleistet werden kann, wenn ein System sicher ist und der Zugang zu Daten kontrolliert abläuft. Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es jedoch nicht, und mit Cyberangriffen ist auch zu rechnen, wenn ein System nach dem neuesten und höchsten Sicherheitsstandard geschützt wird. Daraus kann gefolgert werden, dass unabhängig davon, ob ein System die AHV-Nummer mitführt oder nicht, es immer notwendig ist, ein Massnahmenplan für den Fall eines Cyberangriffs zu entwickeln.

Weckruf an Politik und Verwaltung
Das ETH-Gutachten zeigt deutliche Mängel im Bereich Datenschutz auf, die es dringend zu beheben gibt. Diese Mängel lassen sich nicht durch die Diskussion über sektorielle oder universelle Personenidentifikatoren lösen, sondern bedürfen einer grundlegenden Diskussion darüber, welche Identitätsdaten der Staat überhaupt erhebt, wo sie gespeichert werden und wer sie bearbeiten und darauf zugreifen darf und zu welchem Zweck. Es ist an der Zeit, dass die Diskussion rund um die eindeutige Identifikation von Personen in den IT-Systemen der öffentlichen Verwaltungen sich wegbewegt von der Frage sektorieller oder sektorübergreifender Identifikator und eher Antworten auf die Frage liefert: Wie kann der Datenschutz von Personen sichergestellt werden, die bereits mittels Namen und Vornamen eindeutig identifizierbar sind?
Wir können hierfür von den Erfahrungen anderer Länder lernen. In Dänemark empfiehlt der Rat der Digitalen Sicherheit die Nummer nicht zur Online-Authentifikation von Personen zuzulassen und die Möglichkeit, einmal vergebene Nummern z.B. nach einem Identitätsdiebstahl, zu wechseln [3].


Referenzen
[1] Dungga, Angelina und Andreas Spichiger: Personenidentifikatoren. Analyse der gesamtschweizerischen Kosten. In: Stember, Jürgen / Eixelsberger, Wolfgang / Spichiger, Andreas (Hrsg.) 2017: Wirkungen von E-Government. Neue Strategien, Instrumente und Beispiele für die wirkungsgesteuerte und technikinduzierte Verwaltungsreform. Wiesbaden: Springer Gabler.

[2] Basin, David 2017: Risk Analysis on Different Usages of the Swiss AHV Number. Evaluation on behalf of the Federal Office of Justice and the Federal Data Protection and Information Commissioner. Zurich: ETH, Department of Computer Science, Information Security Group. Online: https://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/00786/00946/index.html?lang=de

[3] Brian, Oliver, Jérôme Brugger, Angelina Dungga, Esther Hefti, Thomas Selzam, Andreas Spichiger, Katinka Weissenfeld 2015: AHV-Nummer als einheitlicher, organisations-übergreifender Personenidentifikator. Gutachten. URL: https://www.egovernment.ch/index.php/download_file/force/265/3343/

[4] Der Bundesrat 2017: Breitere Verwendung der AHV-Nummer. Medienmitteilung vom 1.02.2017. https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-65458.html

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Der steinige Weg zum einheitlichen Personenidentifikator

Obwohl die Schaffung eines eindeutigen, universellen Personenidentifikators in Form der heutigen AHV- Nummer im Grundsatz weitherum begrüsst wird, verhindern Bedenken aus Datenschutzkreisen bislang einen solchen. Ein neues Gutachten zeigt indessen, dass sich universeller Personenidentifikator und Datenschutz nicht ausschliessen. Die Fallbeispiele schildern zudem die Gefahren von Falschidentifikation bzw. Nichtidentifikation bei Verzicht auf einen Identifikator und untermauern damit die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs.

Die Digitalisierung der Verwaltung erfordert die Schaffung eines eindeutigen, universellen Personenidentifikators. Die Diskussion darüber wird bereits seit Jahrzehnten geführt. Dabei können zwei Meinungspositionen ausgemacht werden:

  • diejenigen, die in einem universellen Identifikator einen klaren Effizienzgewinn sehen
  • diejenigen, die wegen Datenschutzbedenken eine entsprechende Entwicklung zu verhindern suchen

Die Notwendigkeit eines behördenübergreifenden, eindeutigen Personenidentifikators wurde letztmals eingehend bei der Einführung des Registerharmonisierungsgesetzes (RHG) diskutiert (vgl. 1). Ziel des RHG ist, die Einwohnerregister in den Kantonen und Gemeinden zu harmonisieren und sie (wie auch die Personenregister des Bundes) für die bevölkerungsstatistischen Erhebungen und für die Modernisierung der Volkszählung nutzbar zu machen. Dabei braucht es einen behördenübergreifenden, eindeutigen Personenidentifikator für den Datenaustausch zwischen den verschiedenen Bundesregistern und den Einwohnerämtern. Die Verwendung der damals neuen AHV-Nummer bot sich an, zumal sie aufgrund ihrer Beschaffenheit  (im  Gegensatz  zur  alten «sprechenden» Nummer) keine Rückschlüsse mehr auf Personen zulässt.

Schaffung eines administrativen Personenidentifikators
Bereits damals war klar, dass ein behördenübergreifender, eindeutiger Personenidentifikator auch ausserhalb des statistischen Bereichs gebraucht wird. Der Botschaft des Bundesrates vom 23. November 2005 (vgl. 2) ist zu entnehmen, dass die neue AHV-Nummer ursprünglich als universeller Personenidentifikator angedacht war. Die Botschaft verweist auf den Nutzen einer solchen Entwicklung für das E-Government und für die Bevölkerung. Etwa zeitgleich debattierten die Räte über die Einführung der neuen AHV-Nummer (der sogenannten AHVN13) 3. Beide Vorlagen erkannten die Notwendigkeit, einen behördenübergreifenden Personenidentifikator zur Verfügung zu stellen. So listete der Bundesrat bereits damals konkrete Punkte für die Eignung der neuen AHV-Nummer zum universellen Personenidentifikator auf, nämlich die hohe Akzeptanz in der Bevölkerung, der weit verbreitete Einsatz sowie die Tatsache, dass die Nummer keine Rückschlüsse auf personenbezogene Merkmale zulässt und an die gesamte Wohnbevölkerung der Schweiz ausgegeben wird (vgl.. 3, p.516).

Datenschutzbedenken
Die Schaffung eines universellen Personenidentifikators in Form der neuen AHV-Nummer wurde im Rahmen des Vernehmlassungsverfahrens zum RHG grossmehrheitlich positiv beurteilt und für die Weiterentwicklung von E-Government als unerlässlich betrachtet. Bedenken kamen dagegen aus Datenschutzkreisen, wo eine missbräuchliche Verknüpfung von Daten befürchtet wurde. Am deutlichsten kommt dies in einer gemeinsamen Stellungnahme von EDÖB und privatim (der Vereinigung der schweizerischen Datenschutzbeauftragten) zum Ausdruck: «Die AHV-Versichertennummer führt dazu, dass die Register auf einfachste Weise verknüpft werden könnten. Damit wird ein erhebliches Missbrauchspotential geschaffen: Flächendeckende Auswertungen werden ermöglicht und der gläserne Bürger rückt in greifbare Nähe.» (vgl. 4)

Datenschutzbedenken waren auch der Grund, weshalb die AHVG-Vorlage nur eine eingeschränkte Verwendung der neuen AHV-Nummer vorschlug (vgl. 3, p.516). Damit sollte (neben den bereits bestehenden Massnahmen aufgrund der geltenden Datenschutzgesetzgebung) dem erwähnten Missbrauchspotenzial begegnet werden (vgl. 3, p.516).

Resultat dieser Debatten sind Gesetze, welche die Nutzung der AHV-Nummer ausserhalb des Sozialversicherungsbereichs stark einschränken. Dort ist die Verwendung der AHV-Nummer auf Ebene Bund oder Kanton grundsätzlich nur gestützt auf eine gesetzliche Grundlage erlaubt. Gemäss einem Brief des damaligen Direktors des BSV, Yves Rossier, an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten Hanspeter Thür zielt die heutige Regelung darauf ab, jede Verwendung der AHV-Nummer ausserhalb der Sozialversicherungen einer demokratischen Kontrolle zu unterziehen. So soll von Fall zu Fall zwischen Datenqualität, Effizienz und dem Schutz der Persönlichkeitsrechte abgewogen werden. Damit wird die Entwicklung der AHV-Nummer hin zu einem administrativen Personenidentifikator explizit nicht ausgeschlossen. Die heutige Regelung bezweckt aber, dass der Prozess demokratisch begleitet wird (vgl. 5).

Rechtlicher Flickenteppich
Der andauernde bzw. stetig wachsende Bedarf nach einem universellen, eindeutigen Personenidentifikator äussert sich u.a. in der Zahl der Gesetzesentwürfe und Gesetze, die eine Nutzung der AHV-Nummer zu administrativen Zwecken vorsehen. Eine von der entsprechenden SIK-Arbeitsgruppe 2011 durchgeführte Umfrage ergab, dass 13 Kantone bereits eigene rechtliche Regelungen im Hinblick auf den Gebrauch der AHVN13 getroffen haben; fünf weitere Kantone äusserten einen Bedarf, haben aber noch keine eigene Regelung getroffen (vgl. 6, p.2). Aktuell liegen schon nur auf Bundesebene Vorlagen zum Grundbuch, Handelsregister und Strafregister vor.

Interessanterweise zeigen die Ergebnisse der Umfrage (vgl. 6, p.3) bei den Kantonen grosse Unsicherheiten, ob die von ihnen geschaffenen Grundlagen den Anforderungen des AHVG genügen. So wurde in acht Kantonen die kantonale Gesetzesgrundlage als pauschale Generalklausel gestaltet, welche weder den Verwendungszweck noch die Nutzungsberechtigten explizit definiert. Bei vier Kantonen wird die Definition des Verwendungszwecks und/oder der Nutzungsberechtigten auf die Verordnungsebene delegiert. Wie das Bundesrecht auf Kantonsebene korrekt auszulegen ist, ist unklar bzw. umstritten. Ein klärender höchstrichterlicher Entscheid in dieser Frage steht nach wie vor aus.

Der Abschlussbericht zum priorisierten Vorhaben «Rechtsgrundlagen» (B1.02) schlägt in die gleiche Kerbe. Er anerkennt den Handlungsbedarf ausdrücklich als dringend. Als Konsequenz empfiehlt er die Erarbeitung eines Konzeptes für einen nationalen E-Government-Personenidentifikator (vgl. 7,  p.16).

Bedarf nach einheitlicher Normierung
Die Umfrage der SIK aus dem Jahre 2011 ergab auch, dass die Kantone an einer einfachen, den dynamischen Bedürfnissen des E-Governments angepassten Lösung in hohem Masse interessiert sind. Die Fixierung des Verwendungszwecks und der Nutzungsberechtigten in der (starren) Gesetzesform wird als erhebliche Hürde empfunden, wodurch die prozessorientierte Zusammenarbeit zwi- schen Behörden in einem dynamischen Informatikumfeld erschwert wird (vgl. 6, p.3). Aus den Umfrageergebnissen schliesst die SIK-Arbeitsgruppe, dass eine einheitliche, abschliessende und klare Regelung von Verwendung und Nutzungsberechtigten der AHV-Nummer auf Stufe Bund erhebliche Verbesserungen brächte. Sie empfiehlt deshalb entweder die Anpassung des AHVG (insbesondere von Art. 50e) an die Bedürfnisse des E-Government oder die Herauslösung des Identifikators aus dem AHVG und dessen Regelung in einem E-Government-Gesetz auf Stufe Bund (vgl. 6, p.4).

In dieselbe Richtung zielt das Schreiben der Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK) Anfang 2014 an die Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements (EFD), Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (vgl. 8). Sie wird gebeten, die Schaffung von bundesgesetzlichen Grundlagen zur Einführung eines eindeutigen, universell einsetzbaren behördlichen Personenidentifikators zu prüfen. Mit Hinweis auf ein von der SIK-Arbeitsgruppe erarbeitetes Argumentarium (vgl. 9) listet es eine beträchtliche Zahl an Gründen auf, weshalb sich die Verwendung der AHV-Nummer eignet und mit dem Datenschutz vereinbar ist. In ihrer Antwort bestätigt Eveline Widmer-Schlumpf die Notwendigkeit eines eindeutigen Personenidentifikators für den Austausch von Personendaten. Vorbehalte äussert sie namentlich hinsichtlich der Kompetenz des Bundes zur Einführung eines zentralen Identifikators. In der Folge wurde das Informatiksteuerungsorgan (ISB) beauftragt, zuhanden des Bundesrates ein Grundlagenpapier als Entscheidungsgrundlage zu erarbeiten (vgl. 10).

Wie weiter?
Um neue Impulse in die festgefahrene Diskussion zu bringen, erstellte die Berner Fachhochschule im Auftrag der SIK das Gutachten «AHV-Nummer als einheitlicher, organisationsübergreifender Personenidentifikator» (vgl. 11). Es zeigt Risiken auf, die mit einem fehlenden Identifikator verbunden sind und untermauert damit die Dringlichkeit der Angelegenheit. Gleichzeitig belegt es, dass andere Länder (teils seit Jahrzehnten) gute Erfahrungen mit einem universell einsetzbaren Personenidentifikator gemacht haben und ihn daher auch der Schweiz empfehlen können.

Nun ist die Politik gefordert, das Anliegen eines einheitlichen Identifikators zu vertreten. Dank dem Gutachten der BFH riskiert dabei aber niemand mehr den Vorwurf, den «gläsernen Bürger» in Kauf zu nehmen oder gar anzustreben.


Quellen

  1. Die Bundesversammlung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, «Bundesgesetz über die Harmonisierung der Einwohnerregister und anderer amtlicher Personenregister (Registerharmonisierungsgesetz RHG; SR 431.02)», 23. Juni 2006. [Online]. Available: https://www.admin.ch/opc/de/classified-compilation/20052012/index.html. [Zugriff am 21. 10. 2015].
  2. Der Schweizerische Bundesrat, «Botschaft zur Harmonisierung amtlicher Personenregister vom 23. November 2005». [Online]. Available: https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2006/427.pdf. [Zugriff am 12. 10. 2015].
  3. Der Schweizerische Bundesrat, «Botschaft zur Änderung des Bundesgeset- zes über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (Neue AHV-Versichertennummer) vom 23. November 2005». [Online]. Available: https://www.admin.ch/opc/de/federal-gazette/2006/501.pdf. [Zugriff am 21. 10. 2015].
  4. Eidgenössischer Datenschutz- und Öff    tlichkeitsbeauftragter EDÖB und privatim, «Stellungnahme vom EDÖB und privatem zur Verwendung der AHV-Versichertennummer in den Kantonen vom 1. Dezember 2006». [Online]. Available: http://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/00786/ 00946/00949/index.html?lang=de. [Zugriff am 21. 10. 2015].
  5. Bundesamt für Sozialversicherungen BSV, «Stellungnahme des BSV zur Verwendung der AHV-Versichertennummer in den Kantonen vom 23. Oktober 2006». [Online]. Available: http://www.edoeb.admin.ch/datenschutz/ 00786/00946/00949/index.html?lang=de. [Zugriff am 21. 10. 2015].
  6. SIK-Arbeitsgruppe, «Zusammenfassung der Erkenntnisse aus der Umfrage zur systematischen Verwendung der AHVN13 im kantonalen Zuständigkeitsbereich». Schweizerische Informatikkonferenz (SIK), Bern, 2011.
  7. Bundesamt für Justiz BJ, «Abschlussbericht Lösungsansätze und Massnahmen», Mai 2012. [Online]. Available: https://www.bj.admin.ch/dam/data/bj/staat/rechtsinformatik/magglingen/2013/10b_konzept-d.pdf. [Zugriff   am  21. 10. 2015].
  8. Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren (FDK), «AHV-Nummer Personenidentifikator. Brief der FDK an Vorsteherin EFD vom 31.01.2014». [Online]. Available: http://www.fdk-cdf.ch/downloads/lu/kr/dateien/140131_personenid_e-brf_sik_def_d_uz.pdf. [Zugriff am 23. 10. 2015].
  9. SIK-Arbeitsgruppe, «Argumentation für die Verwendung der AHV-Nummer als Personenidentifikator aus Sicht der Verwaltung». Schweizerische Informatikkonferenz (SIK), Bern, 2012.
  10. Die Vorsteherin des Eidgenössischen Finanzdepartements EFD, Eindeutiger und universell einsetzbarer behördlicher Personenidentifikator. Antwortbrief vom 2. April 2014 an die Konferenz der Kantonalen Finanzdirektorinnen und Finanzdirektoren. Bern.
  11. Berner Fachhochschule (BFH), im Auftrag der SIK-Arbeitsgruppe, «AHV-Nummer als einheitlicher, organisationsübergreifender Personenidentifikator. Gutachten». Schweizerische Informatikkonferenz (SIK), Bern, 2015.
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