KI-Pop: Wie Imaginationen Künstlicher Intelligenz helfen, eine durchtechnologisierte Welt zu verstehen

Group Of Robots Marching In Urban Setting

Künstliche Intelligenz gilt vielen als modernes Phänomen, doch ihre Faszination reicht bis in die Antike zurück – von Pandora über Roboter bis heute verhandelt die Kulturgeschichte längst, was es bedeutet, Mensch zu sein. Diese Fiktionen dienen uns als mentales Rüstzeug, um die komplexen realen Entwicklungen kritisch einzuordnen.

KI-n Entkommen

Seit einigen Jahren sind sie aus öffentlichen Diskursen nicht mehr wegzudenken: die ominösen künstliche Intelligenzen (KI). Oder besser gesagt, die Idee von künstlichen Intelligenzen, die sich vor allem Sichtbarkeit in Form von Large Language Models und Machine Learning-Algorithmen verschafft hat. Diese Wahrnehmung zeigt, dass unser Wissen zu KI eng an die Geschichte der Digitalisierung der Gesellschaft gebunden ist. Je digitaler unsere Umwelt ist, umso eher stehen wir mit ihrer Komplexität im Austausch und nehmen die KI-isierung dieser Umwelt in Form von Navigationsgeräten, Bild-, Musik- und Textgeneratoren und Vorschlagsalgorithmen für den nächsten Einkauf überhaupt erst war. Tatsächlich wird die Idee der KI, also einer vom Menschen erbauten und an seinem eigenen Vorbild orientierten Intelligenz, aber schon viel länger in der menschlichen Kulturgeschichte, insbesondere in der Literatur und der Kunst, verhandelt und reicht von Pandora aus der griechischen Mythologie über den Golem aus der jüdischen Mystik bis zu Frankensteins Monster aus der Schauerliteratur der Romantik, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen.

Sklaventräume

Und heute? Ab dem Beginn des 20. Jahrhundert findet sich das künstliche, also vom Menschen geschaffene Wesen vor allem in Form von Robotern in Literatur, -Film und -Spiel wieder. Die Wissenschaftsphilosophin Manuela Lenzen spricht hier von einer Verwirrung, die uns durch die Brille der Science Fiction diese Intelligenzen äusserlich, emotional, kognitiv anthropomorphisieren lässt. Der vermenschlichte Roboter ist  in den allermeisten Fällen, als Projektion zu verstehen, die eine Gesellschaft mit KI imaginiert und reflektiert. Der Ursprung zum heutigen Verständnis des Wortes Roboter liegt im tschechischen Wort robota, Robot, was mit ‚Frondienst‘ oder ‚Zwangsarbeit‘ übersetzt werden kann. Die Bezeichnung  wurde 1920 von Josef Čapek, einem tschechischen Literaten, geprägt, als er in einem Theaterstück  in Tanks gezüchtete menschenähnliche künstliche Sklavenarbeiter auftreten ließ, die schliesslich gegen ihre Herren revoltierten. Bis heute bildet dieses Befreiungsnarrativ einen wichtigen Arm in den KI-Erzählungen, etwa, wenn die Androiden im Computerspiel Detroit: Become Human aus dem Jahr 2019 ebenfalls gegen die oft unmenschlichen Umstände ihrer Existenzen opponieren.

Androiden als Sklaven in Detroit: Become Human. (Quelle: Quantic Dream)

Androiden als Sklaven in Detroit: Become Human. (Quelle: (c) Quantic Dream)

Sexbot-Fantasien

Die meisten Fiktionen tendieren zu androiden, also menschenähnlichen Darstellungen der Roboter, etwa in den hypermaskulinen Truckrobotern der Transformer-Franchise, oder aber zu weiblich gelesenen und zugleich oft mit weissglänzenden Oberflächen und an den Pygmalion-Mythos erinnernden statuenhaften Figuren. Prägend war hierfür u.a. das von Chris Cunningham umgesetzte Musikvideo zu Björks “All is full of love” aus dem Jahr 1999, dessen ästhetische Spuren sich beispielsweise in I, Robot von 2004 genauso wiederfinden, wie in Ex Machina von 2015 oder in den Androiden-Präsentationen des amerikanischen Roboter-Entwicklers Boston Dynamics.

Natürlich werden auch hier Gender-Stereotype rezipiert (und gebrochen), indem männlich gelesene Roboter überwiegend Kriegsmaschinen darstellen, während weiblich gelesene Roboter (und allgemein KIs) häuslichen Aufgaben und erotischen Dienstleistungen zugeordnet werden. Nicht umsonst heisst auch die Schiffs-KI in Alien (1979) “Mother” und die Schiffs-KIs in Star Trek haben alle weibliche Stimmen.  Doch auch der Bruch gehört ganz im Sinne des Befreiungsnarratives zu diesen gegenderten Darstellungen. Der Murderbot in der gleichnamigen Buchreihe und Serie lebt seine social anxiety und seine Vorliebe für Seifenopern aus und findet als sexloses Wesen Sexszenen in den Serien schlicht sterbenslangweilig. Zugleich ist die weiblich zu lesende “GladOS” im Spiel Portal ein manipulatives Miststück, dass den*die Spieler*in mit Verheissung auf einen Kuchen durch sadistische Experimente lotst (dieses Narrativ der psychopathisch-femininen KI ist für sich schon wieder eine Untersuchung wert).

Vom Körper zum Raum

Mit zunehmender Digitalisierung “westlicher” Gesellschaften weitet sich der vorgestellte Möglichkeitsraum aus, innerhalb dessen KI handeln kann – weg also vom beweglichen aber durch seinen  Körper begrenzten Roboter hin zu (zunächst) begrenzten durchdigitalisierten Räumen wie Smart Houses, Unterwasser- und Raumstationen und Raumschiffen (Observation (2019), Soma (2015)) und in letzter Konsequenz zur totalen globalen Vernetzung in Form des Internet. Dieses Bild der KI ist – im Gegensatz zu den Befreiungsnarrativen, die das Bild des Roboters dominieren – bestimmt durch Vorstellungen der Invasivität und der Bedrohung. Hier stehen insbesondere Fragen der Autonomie im Vordergrund,  wie übergriffig darf KI also eine allgegenwärtige KI zum Wohle der Menschheit sein? In Minority Report bspw. werden zukünftige Verbrechen verhindert, indem eine KI ihr wahrscheinliches Zustandekommen berechnet und die Delinquenten-to-be verhaften lässt. Palantir, ick hör dir trapsen…

Reiter der Apokalypse

Erschreckend wie faszinierend ist, dass KI-Erzählungen und Realität mittlerweile synchronisiert laufen, die Realität holt die Fiktion ein. Wichtig ist hier insbesondere die religiöse Schieflage, in der sich Imaginationen und Philosophien der KI befinden. Figuren wie Ray Kurzweil (KI-Posterboy bei Google) formulieren eine KI-Apokalyptik, nach der sich die körperlichen Zwänge evolutionär auflösen werden und eine Übertragung des menschlichen Geistes in den Cyberspace unvermeidbar sein wird. Diese Apokalyptik steht auch im Zentrum des Science Fiction-Subgenres Cyberpunk, äussert sich hier aber vor allem in einem sozialen Drift, bei dem es im Sinne von «High Tech» vs. «Low Culture» zu einem Feudalismus kommt, in dem der Großteil der Gesellschaft in technologische Abhängigkeiten gerät, während die Eliten durch technologischen Fortschritt Freiheit von allen Zwängen erreichen (so zu spielen auch in den Spielen der Deus Ex-Reihe). Es ist kein Zufall, dass diese Gesellschaftsvision derzeit von Leuten wie Palantir-/Paypal-Chef und der grauen Eminenz Washingtons Peter Thiel geradezu angestrebt wird, also den potenziellen Gewinner*innen dieser Visionen.

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KI-Ikone Ray Kurzweil. (Quelle: Wikimedia  Commons)

Mensch sein

Es kommt wie bei allen Geschichten auch in KI-Fiktionen nicht nur darauf an, wer sie verfasst, sondern auch, wann sie geschrieben werden, und wer sie unter welchen Umständen liest, sieht oder spielt. Dabei ist allen Fiktionen eines gemein: Sie verhandeln grundsätzlich nichts weniger als die Conditio Humana und fragen danach, was es bedeutet, ein Mensch (oder eine Person) zu sein. Was ist der Preis der Freiheit, der Preis, jemand zu sein? Sie liefern uns also mentales Rüstzeug dafür, mit realen, hochkomplexen Entwicklungen umzugehen und diese gesellschaftlich einzuordnen, ja, überhaupt erst kritisch einordnen zu können. Die Roboterarmeen mögen noch nicht vor der Tür stehen. Realiter sind wir aber längst in diesen Fiktionen angekommen und können über jede Hand, Cyborg oder nicht, froh sein, die uns ein Licht hält.

 

Mehr zu diesem Thema in der neusten Ausgabe der HKB-Zeitung zum Thema «Künstlerische Intelligenz» zu lesen. 

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AUTHOR: Arno Görgen

Arno Görgen ist Kulturhistoriker und forscht an der HKB. Gegenwärtig leitet er mit Eugen Pfister das SNF-Projekt «CH ludens – A Swiss History of Games, Play and Game Design 1968–2000». Görgen studierte Europäische Kulturgeschichte an der Universität Augsburg und promovierte anschliessend. Ans Institute of Design Research der HKB kam er 2018, wo er im Rahmen des SNF-Projekts «Horror-Game-Politics» seine zweite Dissertation «Medikalisierung in digitalen Horrorspielen» verfasste.

AUTHOR: Eugen Pfister

Eugen Pfister ist promovierter Historiker und Politikwissenschaftler und kam im April 2018 an die HKB nach Bern. Seine Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der Politikgeschichte und Ideengeschichte des digitalen Spiels. Er ist Gründungsmitglied des Arbeitskreises Geschichtswissenschaft und Digitale Spiele (AKGWDS). Eugen Pfister hat an der Universität Wien und an der Universite de Paris IV - Sorbonne Geschichte und Politikwissenschaft studiert und im Rahmen des Internationalen Gratuierten Kolleg "Geschichte der politischen Kommunikation" an der Universita degli studi Trento und der Johann Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt am Main in co-tutelle promoviert.

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