Health Chart: Ein Schweizer Kompass für die persönliche Gesundheitsreise

Doctor With Laptop And Male Patient At Hospital

Das interdisziplinäre Forschungsprojekt «Health Chart» hilft Patienten und Patientinnen, ihren Gesundheitsweg zu visualisieren. Initiiert vom Institute of Patient-Centered Digital Health (PcDH)  der BFH in Zusammenarbeit mit dem Institute of Design Research (IDR) und der Aware GmbH, zielt es darauf ab, Gesundheitsverläufe so darzustellen, dass sie sowohl medizinisch bedeutsam als auch für Patient*innen mit eingeschränkter Gesundheitskompetenz verständlich sind – und verbessert damit die Kommunikation zwischen Arzt und Patient.

Der Arzt wird Sie jetzt empfangen …

 Von Rückenschmerzen bis Burnout – die Navigation durch die persönliche Gesundheit kann schnell zu einer entmutigenden Aufgabe werden, besonders wenn sie mit anderen täglichen Pflichten konkurriert. Viele Patient*innen kämpfen nicht nur mit ihren Symptomen, sondern auch mit der Komplexität ihres Problems. Das macht es schwierig, den Überblick zu behalten, die Beschwerden zu erklären und noch schwieriger, sie zu priorisieren, insbesondere unter dem Stress der Konsultation.

«Es ist ein weit verbreitetes Problem», sagt Michaël Laurac, Forscher im Bereich der Medizininformatik an der Berner Fachhochschule (BFH). «Patient*innen kommen zu Terminen mit vagen Symptomen, ohne strukturierte Aufzeichnungen und haben wenig Gespür dafür, was am wichtigsten ist. Und doch könnten die Entscheidungen, die während des Gesprächs mit ihrem medizinischen Fachpersonal getroffen werden, bestimmen, was in den nächsten Tagen, Wochen oder sogar Monaten bei einer Konsultation beim/bei der Facharzt/Fachärztin mit ihnen geschehen wird oder nicht.»

Darüber hinaus haben viele Menschen trotz der Fülle an Gesundheitsdaten Schwierigkeiten, diese zu verstehen. Während technikaffine Personen ihre Gesundheit mühelos verfolgen, empfinden weniger digital versierte und gesundheitskompetente Menschen die Verwaltung dieser Informationen als überfordernd.

«Wenn Menschen mit ernsthafteren Gesundheitsproblemen konfrontiert werden, werden sie meist mit einer Flut an Gesundheitsinformationen überrumpelt, auf die sie nicht vorbereitet sind – und laufen Gefahr, in der Informationsflut unterzugehen», betont Laurac. «Bevor über Präventionsprogrammen gesprochen wird, fehlt eine Synthese auf hohem Niveau, um die Bevölkerung schrittweise zu sensibilisieren – wie die relevantesten Informationen verfügbar, verständlich und handlungsorientiert gemacht werden können, um gemeinsame Entscheidungen zu treffen, bevor Komplikationen auftreten.»

Das Projekt «Health Chart» zielt darauf ab, diese Lücke zu schliessen, indem es eine einfache, aber wirkungsvolle Idee vorschlägt: eine visuelle Darstellung des Gesundheitszustands des/der Patient*in zu erstellen, die von ihnen verstanden und mit Gesundheitsexpert*innen genutzt werden kann. Kein medizinischer Bericht. Keine Tabellenkalkulation. Eine Karte – im wörtlichen, navigatorischen Sinne.

«Stellen Sie sich das wie eine Landkarte vor», sagt Professor Jimmy Schmid, leitender Forscher im Bereich Kommunikationsdesign. «Wenn sie wissen, wo sie sind, wo sie waren und was vor ihnen liegen könnte, wird es einfacher, Entscheidungen zu treffen.»

Design trifft auf Informatik: Eine goldene Verbindung

Das Projekt vereint zwei Welten, die sich bei der Konzeption von Softwarelösungen gegenseitig ergänzen: Datenmodellierung und Kommunikationsdesign. Das Team für medizinische Informatik konzentrierte sich auf die Identifizierung und Organisation relevanter Gesundheitsdaten in einem Prozess, wie er aus der Sicht der Patient*innen und des Gesundheitspersonals erlebt wird: Symptome, Untersuchungen, Diagnose, Therapiewahl, Ergebniskontrolle. Das Design-Team verwandelte diese abstrakten Strukturen dann in eine visuelle Darstellung – ohne Nuancen zu verlieren oder die Benutzer*innen zu überfordern.

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Abb. 1: Allgemeiner Prozess des Gesundheitsmanagements

 

«Design im Gesundheitsbereich dreht sich nie nur um Klarheit», bemerkt Schmid. «Es geht auch um Respekt, Zugänglichkeit und emotionale Wirkung. Wir gestalten keine Wetter-App – wir wollen das Leben eines Menschen repräsentieren.»

Der Health Chart-Wireframe ist ein zweischichtiges Schnittstellenmodell. Patient*innen können schnell einen Überblick über ihren Status erhalten, aber auch tiefer in die Symptomgeschichte, Arbeitsdiagnosen, Behandlungsentscheidungen und Ergebnismessungen eintauchen.

Fig2

Figure 2: Konzeptionelle visuelle Darstellung des Versorgungspfads

 

Was haben wir analysiert, um unsere Designentscheidungen zu unterstützen?

«Wir haben zunächst eine Literaturrecherche durchgeführt und geschaut, was bereits auf dem Markt existiert», sagt Dr. Stephan Gerhard, Gründer der Aware GmbH. «Sie werden überrascht sein, dass die meisten Forschungsergebnisse zu den gleichen Schlussfolgerungen kommen: Eine digitale visuelle Darstellung der Patientengeschichte wäre ein wertvolles Instrument zur Unterstützung der Entscheidungsfindung. Eine visuelle Darstellung komplexer Informationen hilft bei der Kommunikation zwischen den Patient*innen und den Gesundheitsfachkräften.»

Während der Analyse werden die von Patient*innen gemeldeten Gesundheitsbedürfnisse als Symptome dokumentiert, einschliesslich Schweregrad, Beginn und wenn möglich anatomischer Lokalisation. Zusätzliche Untersuchungen wie Bildgebung, Laboranalysen oder klinische Messungen werden mit dem entsprechenden Datum erfasst. Die Arbeitsdiagnose ist das zentrale Informationselement und besteht aus einer Bezeichnung, einem Code und einer Wahrscheinlichkeitsangabe. Behandlungen sind in einem Versorgungsplan strukturiert, jede mit definierten Zielen sowie einem Start- und Enddatum für jede Behandlung. Das Ergebnis der Behandlungen wird während einer Konsultation kommuniziert, wobei sichergestellt wird, dass der*die Patient*in bestätigt, dass seine/ihre Gesundheitsbedürfnisse angemessen berücksichtigt wurden.

Tatsächlich wird der gesamte Prozess chronologisch entlang einer vertikalen Achse dargestellt, wobei die jüngsten Ereignisse unten stehen. Symptome werden als vertikale Linien angezeigt, während zusätzliche Untersuchungen links davon erscheinen, entsprechend ihrem Datum positioniert. Die Arbeitsdiagnose befindet sich am Schnittpunkt von Symptomen und Untersuchungen und wird zum Zeitpunkt der Konsultation erfasst. Behandlungen werden auf der rechten Seite der Symptome angezeigt, wobei kontinuierliche Behandlungen (wie ein Medikament) durch vertikale Linien parallel zu den Symptomen dargestellt werden, bis sie abgeschlossen sind.

Ein sorgfältig entwickeltes Farbcodierungs- und Formensystem erhöht die Übersichtlichkeit:

  • Symptome (rot): Repräsentieren deren negative Auswirkung auf die Lebensqualität und ihre emotionale Belastung.
  • Untersuchungen (cyanblau): Betonen ihren objektiven Charakter.
  • Arbeitsdiagnose (lila): Entsteht dort, wo Symptome und Untersuchungen zusammentreffen, und wird hellgrün, sobald das Problem gelöst ist.
  • Behandlungen (hellblau): Unterstreichen ihre evidenzbasierte Grundlage.

Formen unterscheiden die Elemente zusätzlich – Symptome und Diagnosen, die näher an der Wahrnehmung des Patienten liegen, werden mit abgerundeten Formen dargestellt, während objektive Elemente wie Untersuchungen und Behandlungen eckig sind.

Was haben wir im Laufe des Projekts gelernt?

«Eine unserer wichtigsten Erkenntnisse ist, dass es möglich ist, ein Datenmodell aus einem allgemeinen Gesundheitsmanagementprozess zu extrahieren», erklärt Michaël Laurac. «Obwohl jeder individuelle Pfad für jede*n Patient*in einzigartig ist, konnten wir einen gemeinsamen Prozess abstrahieren, der zu den meisten Fällen passt, und die Rolle jedes Akteurs definieren.»

Es war dann möglich, die relevantesten Informationen zu identifizieren, die zwischen Patient*innen und Fachleuten ausgetauscht werden. «Wir haben nie versucht, allumfassend zu sein. Stattdessen haben wir uns darauf konzentriert, einen gemeinsamen Nenner zu finden – ein Modell, das auf die meisten Situationen anwendbar ist und das wir schrittweise verfeinern können.»

Aufbauend auf dem Informationsgehalt, der als Grundlage für die Kommunikation zwischen Patient*in und Fachleuten dienen könnte, bestätigte das Designteam, dass ein Repräsentationsmodell entworfen und schrittweise verbessert werden konnte.

Was kommt als Nächstes? Ein Prototyp – und ein Gespräch

Dank der Finanzierung durch das strategische Themenfeld Humane Digitale Transformation der BFH hat das Team ein Darstellungskonzept entwickelt. Es ist ein Ausgangspunkt – ausreichend, um Gespräche, Workshops und zukünftige Entwicklungsphasen anzuregen.

«Als nächsten Schritt müssten wir unsere Designhypothesen mit Patient*innen und Fachleuten testen, um das Modell unter Einbeziehung der partizipativen Designmethodik weiter zu verbessern. Dafür müssten wir zusätzliche Finanzierung sichern, die die Einbindung realistischer Patientendaten wie Symptome, Untersuchungsergebnisse, Arbeitsdiagnosen und Behandlungen in das Darstellungsmodell ermöglichen würde», fasst Michaël Laurac zusammen.

«Health Chart» unterstützt die Idee, dass Patient*innen aktive Teilnehmer*innen in ihrer eigenen Versorgung sein können und sollten – wenn wir ihnen die richtige Schnittstelle geben.

Wenn Sie also das nächste Mal zum Arzt gehen und sich fragen, ob Ihre Rückenschmerzen «erwähnenswert» sind, stellen Sie sich vor, Sie haben eine übersichtliche, klare Karte neben sich liegen – bereit zu sagen: «Hier ist, was passiert ist. Lassen Sie uns gemeinsam entscheiden.»

Creative Commons Licence

AUTHOR: Michaël Laurac

M.Sc. Michaël Laurac ist Tenure-Track-Dozent am Institute for Medical Informatics an der Berner Fachhochschule. Er unterrichtet mobile ealth, Abrechnungssysteme und betreut Studierendenprojekte zum Design und zur Implementierung von IT-Lösungen im Gesundheitswesen. In der angewandten Forschung liegen seine Interessenschwerpunkte auf dem Patientenpfad, der gemeinsamen Entscheidungsfindung, PROMs/PREMs, der Analyse und dem Design von Gesundheitsanwendungen.

AUTHOR: Jimmy Schmid

Prof. Jimmy Schmid ist Kommunikationsdesigner und im Leitungsteam des Institute of Design Research IDR an der Hochschule der Künste Bern HKB tätig. Er koordiniert die beiden Forschungsfelder Environmental Communication Design und Knowledge Visualization.
Er ist Studiengangsleiter des berufsbegleitenden Postgraduate Program MAS Signaletik.
Zudem ist er Gastdozent und Experte an verschiedenen nationalen und internationalen Universitäten, Hochschulen und Institutionen und Autor von verschiedenen Signaletik-Fachartikeln und Signaletik-Studienaufträgen sowie als Berater in Signaletik-Fragestellungen tätig (Jurierungen, Wettbewerbe, Agentur-Evaluationen).

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