Eine App zur Behandlung von Geschwüren – Technologie heilt nicht alle Wunden

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Welche Funktionen muss eine App haben, um eine Wundtherapie sinnvoll zu begleiten? Dieser Frage ging ein interdisziplinäres Team der Berner Fachhochschule (BFH) nach. Das Projekt wurde im Rahmen des Themenfelds „Humane Digitale Transformation“ gefördert. Basierend auf einem menschzentrierten Gestaltungsansatz wurde eine Bedürfnisanalyse durchgeführt. Dazu fanden qualitative, halbstrukturierte Interviews mit Patient:innen und Pflegefachpersonen statt, um den Nutzungskontext des medizinischen Geräts besser zu verstehen und Anforderungen an eine begleitende App zu identifizieren. Die Analyse zeigt jedoch: Sowohl Patient:innen als auch Pflegepersonal sehen wenig Mehrwert in der Einbindung einer App in die Therapie.

Heilung chronisch entzündeter Wunden – eine Herausforderung bei älteren Patient:innen

Chronische Wundentzündungen können nach einem Unfall oder einer Operation auftreten. Es gibt verschiedene Methoden zur Behandlung chronisch entzündeter Wunden, wobei Pflegefachpersonen ihre Strategien an den allgemeinen Gesundheitszustand der Patient:innen und die Schwere der Wunde anpassen. Die untersuchte Behandlungsmethode verspricht durch zwei physikalische Stimulationsverfahren die Wundheilung zu beschleunigen, wobei eine regelmässige Anwendung für den Therapieerfolg wichtig ist. Ein entsprechendes Gerät, ein zertifiziertes Medizinprodukt, wird jeweils 16 Minuten lang auf die Wunde aufgelegt, zwei- bis dreimal pro Woche über mehrere Wochen.

Der Hersteller des Gerätes wollte herausfinden, ob eine begleitend genutzte App die Dokumentation sowie die Anwendung des Medizinprodukts unterstützt. Zudem sollte die App den Austausch zwischen Patient:innen, Pflegefachpersonen und Ärzt:innen erleichtern. Ziel des Projekts war es, die Nutzung des Geräts zu vereinfachen, Patient:innen mehr Anreiz zu dessen Anwendung zu geben und die Betreuung der Patient:innen zu verbessern. Unsere Studie untersuchte auf Grundlage eines menschzentrierten Gestaltungsansatzes, welche Inhalte eine solche App sinnvollerweise bieten sollte und welche Funktion sie im Zusammenspiel mit dem Medizinprodukt erfüllen kann.

Kann eine App den Therapieprozess positiv beeinflussen?

Zwei Wundexpertinnen (37 und 58 Jahre alt), die seit mehreren Jahren mit dem Gerät arbeiten, sowie fünf Patient:innen (Altersspanne 66-86 Jahre) nahmen an der Untersuchung teil. Alle befragten Patient:innen leiden an chronisch entzündeten Wunden und wurden bezüglich der Anwendung beraten. Die gestellten Fragen bezogen sich auf den allgemeinen Gesundheitszustand, die Nutzung des Geräts und das Verhältnis zur Technologie. Die Datenerhebung erfolgte durch Interviews vor Ort und telefonisch sowie mittels Fragebogen zur Selbstbearbeitung.

Die Interviews und Fragebögen lieferten wertvolle Einblicke in die Nutzung des Geräts, den Behandlungsablauf sowie den Umgang mit Technologie. Patient:innen und Pflegefachpersonen sind mit der einfachen Handhabung des Geräts zufrieden. Die Anwendung kann ambulant oder zuhause erfolgen. Für den Heimgebrauch werden die Patient:innen durch Pflegefachpersonen im Spital oder durch die Spitex geschult. Schwierigkeiten bereiten die englische Sprache des Geräts sowie die als langwierig empfundene Behandlungsdauer (16 Minuten). Aus den Interviews wurde aber ersichtlich, dass die befragten Patient:innen wenig Interesse und Affinität für neue Technologien zeigen. Die Mehrheit besitzt kein Mobiltelefon und nutzt hauptsächlich Fernsehen oder Radio.

Damit einhergehend sehen Patient:innen keinen Bedarf für eine App. Dagegen wurde die Wichtigkeit des persönlichen Kontakts mit Pflegefachpersonen bei jeder Behandlung betont. Die befragten Patient:innen möchten die Verantwortung für ihre Gesundheit nicht „der Technik überlassen“. Da das Gerät bereits einfach zu bedienen ist, sehen die Patient:innen keinen zusätzlichen Nutzen in einer App.

Die befragten Pflegefachpersonen waren grundsätzlich offener eingestellt gegenüber neuer Technologie. Bedingung ist dabei, dass ein klarer Nutzen und eine Schulung gegeben sind. Aber auch die Pflegefachpersonen erkannten weder Zweck noch Mehrwert einer App zur Unterstützung der Therapie. Sie betonten, dass das hohe Durchschnittsalter der Patient:innen (über 70 Jahre) die Einführung einer App ohnehin erschwere.

Die Ergebnisse aus den Befragungen weisen in eine klare Richtung: Das Therapie-Gerät ist effektiv und einfach in der Anwendung, das Behandlungsschema ist etabliert. Weder Patient:innen noch Pflegefachpersonen sehen einen signifikanten Zusatznutzen in einer App.

Früher Einbezug von Stakeholdern essenziell

Die Studie hatte das Ziel, das Potenzial und die Rolle einer App als Begleitung zur Therapie zu untersuchen. In einem partizipativen Prozess wurden Informationen zum Behandlungskontext sowohl im Setting der Wundsprechstunde wie auch zuhause bei den Patient:innen erhoben, sowie zum Gesundheitszustand und zur Technikaffinität von Patient:innen und zur Sichtweise des Pflegepersonals.

Trotz geringer Stichprobengrösse und der homogenen Gruppe der Patient:innen kristallisierte sich heraus, dass der Bedarf für eine therapieunterstützende App gering ist. Es gab positives Feedback in Bezug auf Handhabung und Wirkung des bestehenden Therapie-Gerätes; die Verbesserung der Wunde motiviert Patient:innen zur Einhaltung der Therapie und regelmässige Kontrollen im Spital sichern den Therapieerfolg. Dies sind aber auch Gründe, welche das Potenzial einer geplanten App infrage stellen.

Es zeigt sich, dass der Einbezug potenzieller Nutzer:innen sowie von Fachpersonen bereits in einer frühen Phase der Anforderungserhebung zentral ist. Mittels partizipativen, menschzentrierten Designs kann gezeigt werden, welche digitale Funktionalitäten in einem bestimmten Anwendungsfall sinnvoll sind und unterstützend wirken können.

Im konkreten Fall eines Produkts, das bereits intuitiv funktioniert und zur aktiven Nutzung motiviert, ergab sich, dass zusätzliche technologischen Spielereien nicht sinnvoll sind. Gerade eine wenig technikaffine Zielgruppe, die gleichzeitig grossen Wert auf menschlichen Kontakt und Nähe legt, lehnt derartige Digitalisierungsversuche eher ab.

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AUTHOR: Sélina Edelmann

Sélina Edelmann studiert Psychologie im Bachelor an der Universität Freiburg und absolviert ein Praktikum im Bereich Mensch-zentrierter Technikgestaltung and der BFH.

AUTHOR: Gabriel Hess

Gabriel Hess ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Medizininformatik I4MI der Berner Fachhochschule. Seine Hauptaufgabenbereiche sind Entwicklung (React Native, Ionic/Angular, Vue.js), FHIR-Konzeption und Betreuung von Studierendenarbeiten.

AUTHOR: Andreas Sonderegger

Andreas Sonderegger ist Professor an der Berner Fachhochschule Wirtschaft und Lektor an der Universität Fribourg. Er forscht und lehrt in den Bereichen Kognitive Ergonomie, Human-Computer Interaction sowie Arbeits- und Organisationspsychologie. Er ist Gründer und Inhaber von Youser GmbH, einer auf UX-Evaluation und -Konzeption spezialisierten Agentur. Vor seinem Wechsel an die BFH hat Andreas an der Universität Fribourg promoviert, in verschiedenen Stellen im Bereich Human Ressources gearbeitet und war ‘Head of UX Research’ am EPFL+ECAL Lab.

AUTHOR: Kerstin Denecke

Prof. Dr. Kerstin Denecke ist Professorin für Medizininformatik und Co-Leiterin des Instituts Patient-centered Digital Health an der Berner Fachhochschule. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit Fragestellungen zum Thema künstliche Intelligenz sowie mit Risiken und Chancen digitaler Gesundheitslösungen.

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