Bei Murten begann es – Ziel ist eine Schweizer E-Government Architektur
Die Schweiz will eine E-Government Architektur. Dieser Beitrag erklärt, warum dieses Vorhaben so wichtig.
Worum es geht
Die organisatorische IT-Maturität des öffentlichen Sektors ist entscheidend für seine Effizienz: Ist die organisatorische IT-Maturität gering, dann können viele Sektoren nicht effizient arbeiten: die öffentliche Verwaltung, die Sicherheitsbehörden und die Justiz, die Infrastrukturanbieter, der öffentliche Verkehr, das Gesundheitswesen, die Schulen und Forschungsinstitute, die Kulturinstitutionen, usw.
Ist die organisatorische IT-Maturität dagegen hoch, dann ist es zumindest möglich, dass diese Sektoren effizient arbeiten. Ob sie es tatsächlich tun, hängt allerdings noch davon ab, dass sie das Potenzial der IT tatsächlich nutzen wollen und die Geschäftsprozesse entsprechend gestalten. Eine hohe organisatorische IT-Maturität verspricht also keine Effizienz, sie macht sie nur möglich. Ohne sie ist Effizienz unmöglich, respektive mit intolerabel hohen operativen Risiken verbunden.
Dabei misst sich Effizienz an den heutigen Möglichkeiten, nicht an irgendeinem absoluten über die Zeit konstanten Massstab. Dies macht deshalb Sinn, weil das durch Ineffizienz verursachte Korruptionsrisiko sich ebenfalls vom Stand der Technik abhängt. Die Verwaltung war 1850 in der Schweiz aufwendiger als heute – Nachrichten wurden handgeschrieben und mit Pferden transportiert – aber ihre Effizienz gemessen am Stand der Technik war hoch, also kein Problem. Heute hingegen gibt es viel bessere und sich schnell weiterentwickelnde technische Möglichkeiten, und wenn die Abläufe diese nicht nutzen, wird die Verwaltung immer ineffizienter gemessen an den Möglichkeiten. Und Ineffizienz ist langfristig immer mit hoher Korruptionswahrscheinlichkeit verbunden.
Ähnliches gilt für Kontrollmechanismen: Sie sollten immer massvoll sein, nicht zu wenig, aber auch nicht zu viel (und in den meisten Fällen eher weniger als mehr). Und wenn sich die Art des Arbeitens verändert, müssen sich auch die Kontrollen verändern, damit sie dem Anspruch «massvoll» weiterhin genügen. Allerdings sind hier die Zusammenhänge komplexer (und nicht mehr so einfach beschreibbar als im Fall der Effizienz – sprich: daraus würde schnell ein ganzes Buch).
Im Übrigen ist es ohne Belang, ob die Organisationen im Privatbesitz sind oder im öffentlichen Besitz. Entscheidend sind vielmehr zwei Aspekte:
- Sind die Aufgaben komplex? Das heisst: Verlangen die Aufgaben unterschiedliche Fachexpertisen oder/und sind sie verteilt auf unterschiedliche Akteure? (Die «ökonomische Komplexität» lässt uns grüssen.)
- Ist eine klienten-bezogene, institutionalisierte, Zusammenarbeit verschiedener unabhängiger Organisationen wichtig? (Wir grüssen die «ökonomische Komplexität» zurück und sagen ihr ganz frech: «Du denkst zu einfach!»)
Der erste Aspekt betrifft die interne organisatorische IT-Maturität, der zweite die systemübergreifende und ist die eigentliche Herausforderung. Hier genügt es nicht, dass Organisation selbst effizienter werden: Das Zusammenarbeiten der Organisationen muss ebenfalls effizienter werden.
In der Fachliteratur werden deshalb häufig Maturitätsstufen-Modelle verwendet. Dabei gilt: Je höher die Maturitätsstufe sein soll, desto weitgehender muss die IT die Zusammenarbeit unterstützen. Die ersten Stufen auf der Maturitätsleiter werden durch das Ermöglichen von effizienter lokaler Zusammenarbeit erreicht, die mittlere Stufen durch das Ermöglichen von effizienter organisationsweiter Zusammenarbeit und die obersten Stufen durch das Ermöglichen einer zugleich effizienten und flexibel anpassbaren organisationsübergreifenden Zusammenarbeit. Die Idee dabei: Wenn wir zu Wochenbeginn eine organisationsübergreifende Kooperation definieren, kann sie in der darauffolgenden Woche am Freitagmorgen in Betrieb gehen: rechtlich geprüft, technisch getestet und mit geschulten Mitarbeitenden. Unvorstellbar? Vielleicht, aber in Krisen muss noch in derselben Woche möglich sein, in Ausnahmefällen sogar in wenigen Stunden gelingen. (Das setzt dann aber voraus, dass es regelmässige Übungen dazu gibt.)
EINSCHUB: Falls Sie bemerkt haben, geschätzte Leserinnen und Leser, dass wir organisatorische IT-Maturität nicht definiert haben: Das hat den Zweck, den Blick aufs Ganze zu richten. Gemeint ist damit die Maturität der Organisation in Bezug auf die Nutzung der IT, beziehungsweise der Grad, in dem die Organisation durch digitale Werkzeuge zu professionellem Handeln befähigt ist. Konkretisiert wird dies in diversen Maturitätsstufen-Modellen, u.a. vom MIT.
Doch zurück zum Alltag: Im Gesundheitswesen sind Patientinnen und Patienten die Klienten rund um die ganz viele Akteure zusammenarbeiten müssen. Also ist die systemweite organisatorische IT-Maturität von besonders grosser Bedeutung. Im Bereich Schutz und Rettung gibt es einen viel kleineren Kreis von Akteuren, die aber besonders eng zusammenarbeiten müssen, denn ihre Klienten sind Menschen, deren Leben oder zumindest deren Besitz in grosser Gefahr sind. Also ist hier die bereichsweite organisatorische IT-Maturität wichtig.
Bei Polizei und Justiz ist der Klient die Gesellschaft, die vor Verbrechen geschützt werden muss. Dies verlangt viele Formen von Zusammenarbeit, in Prozessen und bei Interventionen. In der öffentlichen Verwaltung ganz allgemein haben sich die Schweiz und die EU-Mitgliedsstaaten zum Once-Only-Prinzip bekannt: Menschen und Organisationen müssen Daten nur einmal bekanntgeben. Dies macht eine enge Zusammenarbeit der verschiedenen Institutionen auch dort notwendig, wo es anders als bei Polizei uns Justiz kein zwingendes öffentliches Interesse an einer institutionenübergreifenden Zusammenarbeit gibt. Im Fall ist eine hohe systemweite organisatorische IT-Maturität quasi eine conditio sine qua non für die Erfüllung des Once-Onnly-Prinzips.
Doch auch im Schulwesen braucht es ein Minimum an Zusammenarbeit, denn die Klienten sind Schülerinnen und Schüler, Studierende und Menschen in der Weiterbildung, die im Laufe ihres Lebens unterschiedliche Institutionen besuchen. Sogar im Theaterbereich wäre eine Zusammenarbeit sinnvoll, wenngleich dort – von Bern bis Wien – die Freiheit der Kunst meist endet, wo sich Menschen die Freiheit nehmen wollen, effizient zu arbeiten oder gar herausfinden wollen, wer für einen Finanzskandal verantwortlich ist. Aber das ist ein anderes Thema.
Das Problem
Grundsätzlich ist in allen genannten Feldern zwischen einer Zusammenarbeit auf persönlicher Ebene – man greift beispielsweise bei Problemen zum Telefon – und einer Zusammenarbeit auf institutioneller Ebene zu unterscheiden. Letztere erhöht die Fairness, reduziert den Einfluss persönlicher Neigungen von Mitarbeitenden des öffentlichen Sektors (ob sie kooperieren wollen oder nicht) und schränkt die Möglichkeiten zur Korruption stark ein.
Die eigentliche Herausforderung kommt vom Konflikt zwischen lokaler Optimierung und systemweiter Optimierung. Wenn alle für sich die beste IT wollen, dann resultiert daraus eine schlechte IT für alle. Dass in den Organisationen kein Interesse an einer guten IT besteht, reduziert das Problem nicht. Denn in der Regel bedeutet dies, dass sich die Menschen dort an vordigitale und halbdigitale Praktiken klammern und um jeden Preis ihre veralteten IT-Systeme behalten wollen. Auch wenn die Organisationen deshalb doppelt so viele Mitarbeitenden benötigen und doppelt so hohe IT-Instandhaltungskosten haben.
Die Lösung
Um ein hohe, systemweite, organisatorische IT-Maturität zu erreichen, braucht es eine effektive Interoperabilität der IT-Systeme. Und für die wiederum braucht es unter anderem eine Standardisierung der Schnittstellen, über die man an die IT-Systeme andocken kann.
Leider kann die falsche Standardisierung zum Klotz am Bein werden, der die Weiterentwicklung verhindert. Was wir deshalb benötigen, ist eine Architektur für die einzelnen Bereiche des öffentlichen Sektors, welche einen konstruktiven Diskurs über eine gesetzlich verordnete Standardisierung ermöglicht. Diese würde dann eine zukunftsfitte Interoperabilität schaffen, welche nicht nur effizientes Zusammenarbeiten über Organisationsgrenzen hinweg möglich macht, sondern auch mit geringem Aufwand in Zukunft an die durch den technischen Fortschritt neu entstehenden Optimierungsmöglichkeiten angepasst werden kann.
Was bisher geschah
Am 14. Mai 2025 fand das erste Architektursymposium der Digitalen Verwaltung Schweiz (DVS) im Centre Löwenberg in Muntelier statt – organisiert vom Bereich Digitale Transformation und IKT-Lenkung (DTI) der Bundeskanzlei. Fast 120 Teilnehmende diskutierten die Architekturvision 2050. Der «Chefarchitekt» der Schweiz, Andreas Spichiger, führte ins Thema ein und moderierte die abschliessende Podiumsdiskussion. Den Hauptteil machten sechs Workshops aus
- Workshop «Datenökosystem»
- Workshop «Vertrauen & Identity»
- Workshop «Souveränität und Swiss Government Cloud»
- Workshop «So transformiere ich mein Business zur vernetzten Verwaltung»
- Workshop «Wieviel Architektur brauchen wir für KI?»
- Workshop «Interoperable Portale für digitale Behördenleistungen»
Die Ergebnisse, Präsentationen und Fotos der Veranstaltungen findet man auf Digitale Verwaltung Schweiz | Architektursymposium, Muntelier.
Was in Zukunft geschehen wird
Auf Society Byte folgen weitere Beiträge zum Thema.
Save the date: Das nächste Architektursymposium findet am 2. Juni 2026 in Zürich statt.

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