Rund 100 Personen aus der Gemeindepolitik und -verwaltung diskutierten am 1. November an der Berner Fachhochschule (BFH) in Bern über «Exekutive und Verwaltung der Zukunft». Zum Austausch eingeladen hat der Verein ♯ FJG Förderung junge Personen in der Gemeindepolitik.
Präsident Matthias Zurflüh wies in seiner Begrüssung darauf hin, dass man an diesem Anlass den Dialog fördern wolle und deshalb nach den Inputreferaten sechs Workshops zu verschiedenen Themen organisiert habe. Anschliessend richtete die Berner Regierungsrätin Evi Allemann (SP) das Wort an die Anwesenden. Die kantonale Justizdirektorin zeigte sich besorgt, dass es immer schwieriger wird, Leute zu finden, die sich kommunal engagieren. Deshalb sei sie froh, dass man der Frage nachgehe, wie man Junge dafür rekrutieren könne. Als nächstes sprach Herbert Binggeli, Rektor der BFH, von seiner bereichernden Erfahrung als Gemeinderat in Rapperswil BE und erzählte, dass er sein Amt wegen der Belastung abgegeben habe. Er wies darauf hin, dass die Familie ein wichtiger Motivationsfaktor für politisches Interesse sei. Er wisse aber, dass es schwierig sein könne, seine Kinder dafür zu begeistern.
Studie von der HTW Chur
Spannende Erkenntnisse verkündete Dario Wellinger, Co-Projektleiter Studie PROMO 35 der HTW Chur. Die Ergebnisse der Studie wurden erstmals an diesem Anlass der Öffentlichkeit präsentiert. Das Forschungsprojekt konzentrierte sich auf die Jungen bis 35 Jahre. Man hat festgestellt, dass 35 % aller Gemeinden in der Deutschschweiz Mühe haben mit der Besetzung der Gemeindeexekutive. Und wenn es darum geht, Junge zu mobilisieren, haben gar 70 % davon Mühe, an diese heranzukommen. Aktuell ist nur jedes 18. Exekutivmitglied unter 35 Jahre alt – 20 % der Jungen könnten sich allerdings vorstellen, ein politisches Mandat auf Stufe Gemeinde zu übernehmen. Die Studie zeigt weiter, dass man die Leute rekrutieren muss und dass die Parteizugehörigkeit dabei auf kommunaler Ebene keine entscheidende Rolle spielt. Interessant: Der Kandidaturprozess sowie das Wahlprozeder kennen 83 % der Jungen nicht. Die Studie hat auch die Gründe für oder gegen ein politisches Mandat erforscht. Aus den Resultaten und Analysen sind 18 Stossrichtungen mit 84 Massnahmen entstanden, mit dem Ziel, bis Ende Januar 2019 ein Online-Tool für Gemeinden zu entwickeln.
«Man kann es nie allen recht machen»
In ihrem Referat «Faszination Politik» erzählte FDP-Nationalrätin Christa Markwalder aus ihren Anfängen als junge Politikerin. Ihr Interesse sei im Teenie-Alter geweckt worden, als sie für eine Petition erfolgreich Unterschriften sammelte. Sie führte diverse Gründe auf, was das politische Interesse wecken könne. So etwa die Bereitschaft Verantwortung im öffentlichen Leben zu übernehmen, die persönliche Herkunft oder Schlüsselerlebnisse. Eines ihrer Schlüsselerlebnisse hatte sie als 16-Jährige im europäischen Jugendlager zu Ehren des Jubiläums 750 Jahre Schweiz. Man habe sich eine Woche lang mit anderen Jugendlichen unterhalten, wie man Europa in Zukunft gestalten wolle. Das vorhandene Potenzial habe sie sehr motiviert. Sie wies aber auch auf die Frustrationstoleranz hin, die man sich aneignen müsse. «Man kann es in der Politik nie allen recht machen, sonst macht man keine gute Politik», meinte sie dazu. Hingegen könne man nirgends so viel lernen, wie in der Politik.
Spagat zwischen Kaderfunktion und Gemeindepräsidium
Daniel Hodel (SVP), Gemeindepräsident von Konolfingen, war 29 Jahre alt, als er vor fünf Jahren sein Amt antrat. Er weiss, dass das Alter nicht relevant ist. Akzeptanz erhalte man, wenn man sicher in den Dossiers sei. Durch sein Amt habe er sich in kurzer Zeit ein enorm breites Wissen aneignen können. Zudem habe er bereits im jungen Alter zahlreiche Beschäftigte auf strategischer Ebene führen können und Grossprojekte in Millionenhöhe durchgeführt und mitgestaltet. Das könne man in der Privatwirtschaft als junge Person in der Regel nicht. In der Politik lerne man Kompromisse einzugehen, Mehrheiten zu bilden, auf Leute zuzugehen und sie zu führen. Daraus entstehe ein grosses Netzwerk mit interessanten und wichtigen Leuten. Als Nachteil empfindet er die Belastung, bzw. die Opferung der Freizeit. Er habe mit dem Gemeindepräsidium ein Halb-Amt und sei parallel in einer Kaderfunktion in der Privatwirtschaft tätig. Das sei ein Spagat und es brauche ein starkes familiäres Umfeld.
Fazit der Workshops
Nach den spannenden Referaten teilten sich die Anwesenden in sechs Gruppen auf und diskutieren in verschiedenen Workshops Problemstellungen und Lösungsansätze.
Workshop: Finanzierung und Entschädigung der Gemeindemandate
Leitung: Dario Wellinger, HTW Chur
Motivation ist nicht von den Finanzen abhängig, zeigt sich. Viele der Teilnehmer haben erst nach der Amtsübernahme erfahren, wie hoch ihre Entschädigung ist. Es wird aber festgestellt, dass die Finanzen immer öfter ein Thema werden, je länger man im Amt ist. Sie sind auch Teil der Wertschätzung. Ein Entschädigungsmodell muss transparent sein. Es handelt sich um ein sensibles, aber wichtiges Thema. Abschliessend wird festgehalten, dass ein Milizamt nicht gratis oder ehrenamtlich sein muss.
Workshop: Motivation von Jugendlichen
Leitung: Martin Wild, BFH Soziale Arbeit
Der Workshopleiter zeigt sich beeindruckt davon, dass jeder Teilnehmende eine eigene Geschichte hat, wie er für sein Amt motiviert wurde. Jemand wurde vom Gemeindepräsidenten angefragt, jemand hat Lehre auf der Gemeinde absolviert und jemand begann sich zu engagieren, nachdem ihm die Gemeinde im Alter von 13 Jahren einen Brief geschickt hatte, in dem sie alle Jugendlichen bat, sich im Jugendparlament zu engagieren. Es liegt folglich an der Exekutive, die Jungen auf ihre Möglichkeiten hinzuweisen.
Workshop: Vereinbarkeit von Beruf und Politik
Leitung: Reinhard Riedl, BFH Wirtschaft
Hier wurde festgestellt, dass das Zeitmanagement das grosse Problem ist. Da die Jungen am Karriere-Anfang stehen, sind die Faktoren Zeit und Flexibilität für ein politisches Amt schwierig. Zudem steht oftmals auch die Familie im Fokus. Die Lösungsansätze: die Involvierten sollten sich absprechen, es braucht eine gute Planung, man sollte gegenüber dem Arbeitgeber frecher auftreten und erklären, dass die Schweiz vom Milizsystem lebt und es sollte in die politische Bildung investiert werden, um der Bevölkerung die Bedeutung des Milizsystems aufzuzeigen. Alles in allem muss die Wirtschaft in die Pflicht genommen und ihr die Mehrwerte aufgezeigt werden.
Workshop: Bedeutung der Parteizugehörigkeit
Leitung: Nina Gasche, BFH Wirtschaft
Der Workshop ergab, dass es für Junge eine Hemmschwelle sein könnte, wenn sie sich zuerst zu einer Partei bekennen müssen. Deshalb sollte ein Gefäss geschaffen werden, wie man parteilos kandidieren und mitwirken kann. Dazu sollte die Verwaltung Wege aufzeigen, wie man beispielswies auf eine freie Liste kommt oder vor der ersten Sitzung an Unterlagen kommt. Wer Ambitionen für ein Mandat in der Kantonspolitik hat, für den ist die Parteizugehörigkeit wichtig.
Workshop: Kompetenzen in Public Management
Thomas Gees, BFH Wirtschaft
Kernpunkt dieses Dialogs war, dass man als neuer Gemeinderat verloren ist, wenn man sein Amt antritt. Dies wurde von den jungen Workshopteilnehmern so empfunden, die Älteren sahen es anders. Sicherlich wäre es gut, wenn junge, bzw. neue Gemeinderäte mehr Aufklärung erhalten würden. Beispielsweise wie man eine Sitzung durchführt oder vor der Gemeindeversammlung spricht. Eine mögliche Idee wäre, ein Göttisystem einzuführen.
Workshop: Zusammenarbeit Verwaltung und Exekutive
Leitung: Mark Bucher, BFH Wirtschaft
In der Diskussion zeigte sich, dass die Zusammenarbeit bei der einen Hälfte der Teilnehmenden gut läuft und bei der anderen nur mittemässig bis nicht optimal. Für Politiker ist es beim Einstieg schwierig, auf die richtige Flughöhe zu kommen, um sich in der Verwaltung durchzusetzen. Die Verwaltung darf sich nicht als graue Eminenz aufspielen und die Fäden ziehen, was scheinbar oft gemacht wird. Gegenseitiges Vertrauen ist massgeblich. Es mangelt oft auch an der gemeinsamen Sprache. Hier wäre der Lösungsansatz relativ einfach: Man sollte sich möglichst einfach ausdrücken.