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Apps und Apotheken ebnen den Weg zum Patientendossier

2018 ist ein Meilenstein fürs Schweizer eHealth: Das digitale Patientendossier EPD wird eingeführt. Das Swiss e-Health-Barometer macht jährlich eine Umfrage zur Digitalisierung des Gesundheitssystems. In der jüngsten Ausgabe zeigt sich, dass die Ärzteschaft das EPD skeptisch ansieht und die Bevölkerung zwar grundsätzlich positiv eingestellt ist, aber das Interesse verliert. Über den Status Quo des EPD haben wir mit Dr. Jürgen Holm, Professor für Medizininformatik an der Berner Fachhochschule gesprochen.

Prof. Dr. Jürgen Holm

Die Ärztinnen und Ärzte sind skeptisch, die Patientinnen und Patienten zwar potentiell aufgeschlossen, aber uninteressiert – entspricht das auch Ihrer Wahrnehmung?

Dr. Jürgen Holm: Das Barometer ist eine interessante, aber eigentlich auch eine sehr theoretische Umfrage. Es wird seit Jahren versucht einen Trend herauszufinden zu einem Thema, das real noch gar nicht umgesetzt ist. Unterschwellige, wenn auch berechtigte Fragen zum Datenschutz, Persönlichkeitsschutz, Mehrbelastung, Kosten, Transparenz usw. schwingen in den Köpfen der Befragten mit und sollen spontan beantwortet werden – ohne jegliche Erfahrung und einer brauchbaren Vorstellung davon, wie denn das zukünftige EPD aussehen und in die Arbeitsprozesse integriert sein wird. Es wird also eher mit einem spontanen Bauchgefühl geantwortet und in den täglichen Erfahrungshorizont der aktuellen Diskussion zu ICT-Themen gestellt. Bei der Ärzteschaft, die zunächst einmal Investitionen vor sich hat, stehen natürlich die Finanzierungsthemen vorne an. In einem Umfeld dauerhaft angespannter Prämienentwicklungen sehen sie zurzeit zusätzliche Ausgaben und nicht bezahlte Mehrarbeit auf sich zukommen. Und trotzdem ist für mehr als zwei Drittel der Befragten das EPD grundsätzlich eine «gute Sache» und mehr als die Hälfte geben an, das EPD ihren Patienten und Kunden auch zu empfehlen. Insofern gibt es Skepsis bei den noch unklaren Detailfragen, weniger aber bei der Sache selbst. Die Zustimmung von knapp 70% bei der Wohnbevölkerung ist «spontan» ebenfalls gross. Nur: In meinem privaten Umfeld beispielsweise ist das EPD praktisch unbekannt, bestenfalls hat man mal etwas davon gehört – wahrscheinlich durch mich. Wenn ich dann erkläre, was es ist, wundern sie sich, dass es das noch nicht gibt.

Wie könnten die Politik oder eHealth Schweiz die Ärzteschaft vom EPD überzeugen? Was fehlt dem EPD, um diese Stakeholder zu überzeugen?

Im Grunde erscheint mir das Vorgehen recht nachvollziehbar. Mit dem verabschiedeten Gesetz und den Fristen für die Einführung in Spitälern und Heimen wird aus meiner Sicht in einer ersten Phase das Wichtigste überhaupt erreicht: es werden in der gesamten Schweiz eHealth-Gemeinschaften aufgebaut, an welche die verpflichteten Akteure angeschlossen sind und mit einer vorgegebenen Interoperabilität zum Datenaustausch ab 2020 bzw. 2022 zumindest einmal Dokumente austauschen können. Dann werden wir zum ersten Mal etwas haben, worüber wir wirklich diskutieren können und aufzeigen können was prozessual alles möglich sein wird. Und um zu verstehen, was wir 2020 haben werden, sage ich es gerne noch einmal: wir haben dann eine schweizweite einheitliche eHealth-Basisinfrastruktur mit Vorgaben zum interoperablen Datenaustausch. Etwas, was es bisher noch nicht gegeben hat und aus meiner Sicht die Digitalisierung im Schweizer Gesundheitswesen erst richtig ermöglichen wird. Nicht nur Dokumente sind dann austauschbar, in den folgenden Jahren werden dann zunehmend weitere Daten strukturiert ausgetauscht, können App-Anwender ihre erfassten Daten den Behandelnden zur Verfügung stellen und auf dieser Datenautobahn – exklusiv für das Gesundheitswesen – werden ebenfalls die B2B-Prozesse laufen können. Eine völlig neue Ausgangssituation. Es gilt dann zu zeigen, dass der Mehrwert dieser Infrastruktur neben den bekannten Vorteilen des EPDs selbst in der eigentlichen Digitalisierungsmöglichkeit steckt, auf einer möglichst sicheren Datenautobahn strukturierte Daten auszutauschen – und dies unter den berechtigten Akteuren im Schweizer Gesundheitswesen – schweizweit. In diesem Sinne ist für mich auch die doppelte Freiwilligkeit kein Problem. Es wird einfach etwas länger dauern, als vielleicht der eine oder andere es erhofft – aber die Vorteile werden für die meisten Akteure so gross sein, dass sie dann schon «freiwillig» mitmachen werden. Und wenn nicht, konnten wir mit Nutzen nicht überzeugen. Daher bin ich auch der Meinung: bauen wir doch jetzt die Infrastruktur auf, verpflichten die Spitäler und Heime ein Netzwerk aufzubauen und zeigen dann, welche Mehrwerte wir darauf setzen können. Die Hersteller werden dabei eine grosse Rolle spielen – denn sie müssen und werden Mehrwerte, «Innovationen», schaffen.

Während die Ärzteschaft dem EPD weniger traut, vertraut die Bevölkerung einer solchen Möglichkeit eher. Wie könnte man die Patientinnen und Patienten ganz konkret gewinnen?

Die Vorteile sind gross: So ist die Datenhoheit stets bei den Patienten. Wir haben ein explizites und wahrnehmbares Recht auf Einsicht in unsere Daten. Wir kommen damit dem informationellen Selbstbestimmungsrecht ein Stück näher. Weiter ermöglich das EPD: Unabhängigkeit von Zeit und Ort um Gesundheitsdaten abzurufen, schnellerer Zugang zu medizinischen Informationen für die Leistungserbringer, besser informierte Leistungserbringer für mehr Sicherheit und Behandlungsqualität, mehr Transparenz, „eine Akte“, eMedikation, eImpfdossier, Notfalldaten, eServices wie Patientenverfügung, Organspenderausweis usw.

Aber warum dies alles schon kommunizieren, wenn es doch das EPD so noch gar nicht gibt? Es wäre nicht hilfreich schon jetzt überall Werbung zu machen, für ein zukünftiges EPD. Es gäbe dann sofort Anfragen für die Eröffnung der Akten und diese würden dann ins Leere laufen – und das Interesse und vielleicht auch das Vertrauen ebenfalls. Es ist also im Moment wirklich noch eine recht theoretische Diskussion. Und so lange die Gemeinschaften und die Hersteller von den Plattformen nicht auch attraktive Angebote geschaffen haben, sollte man nicht überstürzt schon Kunden gewinnen. Das kann schnell nach hinten losgehen. Ich denke also: wir sollten erst die Werbetrommel rühren und die damit verbundene Nutzendiskussion für die Wohnbevölkerung lostreten, wenn auch etwas reales attraktives, sicheres und nutzenbringendes existiert.

Gesundheitsapps sind bei der Bevölkerung sehr beliebt. Am eHealth-Forum im März beklagten verschiedene Referenten, dass diese Apps nicht unerhebliche Daten produzieren, die jedoch leider bisher nicht in ein zentrales Patientendossier einfliessen. Stattdessen bleiben diese Daten beim Patienten und natürlich bei den App-Unternehmen. Wie könnte man diese Diskrepanz ändern?

Ich komme gerne auf die «einheitliche eHealth-Basisinfrastruktur» zurück: ein eHealth-Mehrwert wird ebenso sein, dass wir endlich auch die vielen interessanten Appdaten nutzen können, wenn die Daten erst einmal von den Menschen auf ihr EPD hochgeladen werden können. Aber eben: wir sind noch nicht ganz so weit. Zurzeit gibt es zwar diesbezüglich schon einige Lösungsmöglichkeiten auch unabhängig vom EPD – wenn auch dies der logischere Weg wäre. Ich verweise z.B. auf das «MIDATA» Projekt, das von der ETH lanciert wurde und in Zusammenarbeit mit der BFH vorangetrieben wird. Hier können bereits heute Apps angebunden werden, die erfassten Daten auf einem «persönlichen Datenkonto» abgelegt und bei Einwilligung des Kontoinhabers an z.B. Behandelnde oder anonym für die Forschung weitergeleitet werden.

Sehen Sie eine mittelfristige Lösung für die Anbindung dieser Daten?

Bei den Gesundheitsapps wird sich in den nächsten Monaten und Jahren vieles erheblich ändern. Abgesehen von Lifestyle und Fitnessanwendungen, die bereits heute einige interessante Daten aus der vermeintlich gesunden Phase des Patienten aufzeigen könnten, professionalisieren sich die medizinischen Apps zusehends: sie werden zu Medizinprodukten und liefern somit in Zukunft – und einige bereits schon heute – verlässlichere Daten für die Diagnosestellung und Therapiefindung. Ab 2020 wird dies in der EU im Übrigen mit dem neuen Medizinprodukterecht verpflichtend sein und die Schweiz wird da nicht hintenanstehen. Diese parallele Entwicklung bei den Apps wird im Rahmen des EPDs einen hohen Nutzen stiften in der Medizin, beides wird ab 2020 – wohl sicher auch mit einer gewissen Übergangszeit – zur Verfügung stehen. Wir dürfen gespannt sein, wie sich das dann weiterentwickelt. Die Daten solcher professionalisierten Apps gehören sicher nicht mehr auf die Server von Herstellern mit undurchsichtigen AGBs – das EPD könnte hier eine interessante Lösung sein – aber vielleicht haben sich bis dahin auch Initiativen wie z.B. die «MIDATA.coop» durchgesetzt. Das ist schwer vorherzusagen.

Wer könnte aus Ihrer Sicht der entscheidende Treiber sein für das EPD?

Das EPD ist ein Gemeinschaftsprojekt zwischen den Menschen und den Gesundheitsfachpersonen und alle – Datensicherheit vorausgesetzt – sollten ein Interesse daran haben. Aber kommen wir auf den Boden zurück: aus heutiger Sicht erscheint mir die Idee interessant, dass die Apotheken für die Eröffnung eines EPDs stehen könnten. Wenn dies in jeder Apotheke angeboten werden kann und vielleicht noch zusätzliche Dienste wie z.B. Patientenverfügung oder Organspenderausweise angeboten werden, könnte dies ein interessanter Treiber sein. Auch wenn die Menschen erst einmal beworben werden, könnte dies zu einigen EPD-Anträgen führen. Entscheidend dafür wird sein, dass dies einfach und unkompliziert funktioniert – am besten über das Internet. Das eHealth-Barometer zeigte jedoch ein etwas anderes Bild auf. Auf die Frage, wo die Wohnbevölkerung am liebsten ein EPD eröffnen würde, antworteten nur 1% in der Apotheke und 19% im Internet. Mehr als 70% wollten dies bei ihrem Hausarzt. Dies zeigt sehr schön das Vertrauensverhältnis der Patienten zu ihren Hausärzten auf – was ich auch sehr schätze. Und es macht Sinn, wenn man erkrankt ist. Aber in allen anderen Fällen – für das Hochladen von eigenen Dokumenten, wenn ich auf Reisen gehe, Verfügungen, Spenderausweise, meine App-Daten usw. sind Apotheken und Internet sicher gute Treiber.

Sollten sich aus Ihrer Sicht auch die Krankenkassen daran beteiligen?

Ein klares «Jein»! Versicherer werden auch in Zukunft keinen automatischen Zugriff auf Behandlungsdaten haben – die Menschen sind aber natürlich auch frei ihnen Daten zur Verfügung zu stellen. Schon heute gibt es in den Zusatzversicherungen Rabattmöglichkeiten, wenn die Kunden ihnen z.B. Fitnessdaten mitteilen. Und wenn wir dem EPD unterstellen, dass die Behandlungsqualität und die Patientensicherheit, wie auch die Effizienz des Informationsaustauschs sich verbessern, dann spricht aus meiner Sicht nichts dagegen, auch in der Grundversicherung für das Führen eines EPDs einen Rabatt zu gewähren – aber selbstverständlich ohne Einsicht in das EPD. Auch dies könnte im Übrigen ein Treiber sein. Das grundsätzliche Problem «bei mehr Einsicht in meine Daten» mit den Versicherern wäre aber, dass eine Krankenversicherung nur noch dann Produkte verkaufen will, wenn jemand nachweislich gesund ist bzw. gesund lebt. Das wäre aber eine Aufkündigung der Solidarität und würde gesellschaftlich wahrscheinlich schlussendlich in die Einheitskasse münden. Daher sollte die Gewinnorientierung der Versicherer nicht dazu führen Menschen mit Gebrechen in den Zusatzversicherungen auszuschliessen bzw. aus der Grundversicherung möglichst zu verdrängen, sondern Versicherungsmodelle anzubieten, die Gesundheitskompetenz, Prävention und Selbstverantwortung fördern und belohnen. Ein Element in diesem Kontext könnte auch das EPD sein.


Zur Person

Jürgen Holm ist Professor und Studiengangleiter für Medizininformatik am Departement Technik und Informatik der Berner Fachhochschule. Er engagiert sich im Bereich semantische Interoperabilität, ICT-Prozessanalyse und bei der Umsetzung von eHealth-Projekten.

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Warum Usability für eHealth-Anwendungen wichtig ist

Elektronische Gesundheitsanwendungen werden oft gerade von denen nicht angenommen, die davon profitieren könnten. Offenbar sind diese an den Bedürfnissen von den chronisch Kranken oder älteren Menschen vorbei entwickelt worden. Eine bessere Bedienbarkeit dank User-Centered-Design ist im Gesundheitswesen leider noch nicht so etabliert wie z.B. im E-Government. Dabei ist Usability ein entscheidender Erfolgsfaktor für eHealth.

eHealth ist in aller Munde. Bereits im Dezember 2011 ergab die Internetrecherche mit dem Suchbegriff „eHealth“ 659 Treffer in PubMed, 18.600 in Google Scholar und 2.420.000 in yahoo.com sowie 29.500.000 in Google.com (Showell und Nohr, 2012). Erstaunlicherweise gibt es trotzdem keine klare Definition für eHealth. Systematisch aufgearbeitet wurde diese Frage schon von Oh et al. (2005), mit dem – hier etwas verkürzt dargestellten – Resultat, dass eHealth etwas mit Gesundheit und Technologie bzw. Internet zu tun hat, und dass unter anderem Anwendungsbereiche wie die Versorgung chronisch Kranker damit gemeint sind oder ganz allgemein „Gesundheitsversorgung unter Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien“.

Dementsprechend heterogen ist die Palette an eHealth-Anwendungen, welche sich auf Basis neuerer Formen der Mensch-Maschine Interaktion (z.B. ubiquitous und pervasive computing) noch in mHealth-, pHealth- und dHealth-Anwendungen unterteilen lassen. Jedenfalls sind wichtige Prozesse der Gesundheitsversorgung sowohl in der Diagnostik als auch in der Therapie und Pflege bzw. Rehabilitation davon betroffen. Im Zusammenhang mit weiteren technologischen Möglichkeiten wie etwa Wearables, Cloud Computing und Artificial Intelligence bergen eHealth-Anwendungen ein enorm disruptives Potenzial.

Dies mag auch den in Teilbereichen gewaltigen Widerstand gegen eHealth-Anwendungen erklären. Aktuelles Beispiel für diese Situation ist die Einführung elektronischer Gesundheitsdossiers, wo immer neue Argumente aus dem Umfeld berufsgruppenpolitischer Interessensgruppen Risiken adressieren, welche bei genauerer Betrachtung gegenüber den Vorteilen vernachlässigbar scheinen. Nicht selten wird die Argumentationskeule des Datenschutzes ins Treffen geführt, ohne zu reflektieren wie groß das Ausmass vermeidbarer unerwünschter Ereignisse heute, gerade wegen der Informationsmängel an den Schnittstellen noch ist. Wie gross ist denn die Gefahr einer missbräuchlichen Verarbeitung von Impfdaten über einen e-Impfpass wirklich im Vergleich zur Sicherstellung eines aktuell empfohlenen Impfstatus und einer damit einhergehenden Herdimmunität in der Gesamtbevölkerung?

Unterschiedliche eHealth-User
Es lohnt sich daher die Charakteristiken der User von eHealth-Anwendungen näher zu betrachten. Diese können, abgesehen von Organisationen, folgende sein:

  • Health Professionals (Ärztinnen und Ärzte, Pflegepersonal, Hebammen, Physiotherapeutinnen und Physiotherapeuten etc.
  • Administratives Personal in Gesundheitseinrichtungen
  • Patientinnen und Patienten sowie deren Angehörige (insbesondere bei chronischen Krankheiten wie Asthma, Diabetes, COPD)
  • Gesunde Bürgerinnen und Bürger

Je nach Zugehörigkeit zu einer dieser Bevölkerungsgruppen – genauer Rollen -, unterscheiden sich die individuellen Zielvorstellungen erheblich. Bisweilen widersprechen sich die individuellen Ziele sogar je nachdem, welche Rolle man einnimmt: vorstellbar ist z.B. dass ein Arzt eHealth-Anwendungen unter Verweis auf die Datensicherheit in seinem beruflichen Umfeld ablehnt, sich als Freizeitsportler aber einer Fitness-Plattform angeschlossen hat und innerhalb der Community Trainingsdaten austauscht.

Gesunde Bürgerinnen und Bürger (dazu können auch Health Professionals gerechnet werden) nehmen vor allem gesundheitsbezogene Informationsdienste im Internet in Anspruch. Diese sind in der Regel hinsichtlich Usability unkritisch bzw. benutzerfreundlich, da meistens anonymisiert gearbeitet werden kann oder man sich ohne viel Aufwand bei Foren registrieren kann. Dies verhält sich bei Patientinnen, Patienten und deren Angehörigen (im folgenden End-User genannt) erheblich anders. eHealth-Anwendungen für diese Bevölkerungsgruppen weisen oft große Mängel in der Usability auf, welche eine bedeutende Einstiegsbarriere darstellen. Manchmal sind auch regulatorische Rahmenbedingungen verantwortlich für die geringe Usability.

Das heißt die End-User kommen gar nicht soweit, dass sie sich mit dem möglichen Mehrwert der eHealth-Lösung auseinandersetzen, sondern scheitern schon bei der ersten Inbetriebnahme durch Bedienungsfehler oder sogar davor, weil ihnen wichtige infrastrukturelle Vorrausetzungen (Internetanschluss, WLAN, Handysignatur, Eingabegeräte etc.) fehlen. Als Beispiel darf hier die Authentifizierung im Zusammenhang mit der österreichischen elektronischen Gesundheitsakte ELGA angeführt werden, welche nur mittels Handysignatur oder Bürgerkarte möglich ist. Es darf bezweifelt werden, dass in der Allgemeinbevölkerung genügend Wissen über die notwendigen Schritte bzw. Geräte vorhanden ist. Somit sind diese Personen ohne Hilfe faktisch ausgeschlossen, obwohl sie per Gesetz (Opt-Out Regelung) eigentlich Zugang zu ihrer ELGA hätten.
Verstärkend kommt hinzu, dass es sich bei den Patienten und deren Angehörigen aufgrund des Alters, einer chronischen Erkrankung oder einer Medikation oftmals um Personen mit eingeschränkten perzeptiven, kognitiven und psychomotorischen Fähigkeiten handelt. Dies muss im Design der eHealth-Anwendungen berücksichtigt werden.

Aspekte der usability bzw. des User-Centered-Design
Prinzipiell geht es bei eHealth-Anwendungen einerseits um verschiedene Formen der Kommunikation zwischen Health Professionals und Patientinnen und Patienten (in der Telemedizin ist diese räumlich oder sogar zeitlich getrennt) sowie dem Austausch zwischen Gesundheitseinrichtungen und andererseits um die Gesundheitsinformationsversorgung der Bürger und Bürgerinnen über Internet-Technologien.
Zur Gewährleistung der Usability solcher Anwendungen existieren neben allgemeinen Standards wie z.B. der Norm EN ISO 9241, welche Richtlinien der Mensch-Computer-Interaktion beschreibt, spezielle Telemedizin- oder eHealth-Standards. Das European Telecommunications Standards Institute hat z.B. solche entwickelt. Ferner stehen viele User-Centered-Design-Methoden zur Verfügung, die auch in das Gesundheitswesen übernommen werden können. Demiris et al. (2010) führen z.B. „Paper prototyping and sketching, thinking aloud, scenarios and storytelling, interviews and field studies, questionnaires, logging and other observation methods“ sowie „simulation and modeling“ an.
Als eine Art Minimalempfehlung für das Design der Schnittstellen, der Systemeigenschaften und der Implementierung schlagen Demiris et al. (2010) folgende drei Maßnahmen vor:

  • Einbeziehen der End-User in möglichst frühe Design-Phasen
  • Messung der Usability mittels Beobachtungen
  • Reflexion der Informationsbedürfnisse der End-User

Hilfreich ist die Entwicklung sogenannter „Personas“, die bestimmte User-Typen repräsentieren. Letztlich geht es darum, durch Berücksichtigung der Human Factors (HF) die Sicherheit und Effektivität des Gesamtsystems Mensch-Maschine zu verbessern. Die Bandbreite der zu berücksichtigenden Faktoren ist vielfältig und reicht von den Eingabegeräten (Mouse, Keyboard, Touchpad etc. bis zu den psychischen, kognitiven und sozialen Einflussfaktoren der User.
Velsen et al. (2013) haben einen multidisziplinären Ansatz zum Requirements-Development für eHealth vorgeschlagen, um die Diskrepanz zwischen der entwickelten Technologie, den End-User Charakteristiken, physikalischen Rahmenbedingungen und dem organisationalen User-Kontext zu überbrücken.

Ausblick
Möglicherweise muss die Gesellschaft für den sinnvollen Gebrauch von eHealth-Anwendungen auf der Makroebene noch ökonomische Anreize wie Steuererleichterungen, Versicherungsrabatte, Gewinnspiele oder anderes installieren. Grundlegend und hilfreich ist es jedenfalls, wenn eHealth-Anwendungen eine hohe Usability aufweisen und dadurch die Adhärenz zur Erreichung der gewünschten Ziele der Gesundheitsversorgung fördern. Methoden und Tools dazu liegen bereit.


Quellen

  1. Showell, C., Nohr, C. (2012). How should we define eHealth, and does the definition matter? Quality of Life through Quality of Information. J. Mantas et al. (Eds.) doi: 10.3233/978-1-61499-101-4-881
  2. Oh, H., Rizo, C., Enkin, M., Jadad, A. (2005). What Is eHealth (3): A Systematic Review of Published Definitions. J Med Internet Res. 2005 Jan-Mar; 7(1): e1. PMCID: PMC1550636. PMID: 15829471
  3. Demiris, G., Krupinksi, E., Washington, K., Farberow, B. (2010). The Role of Human Factors in Telehealth. Telemedicine and e-Health, May 2010. doi: 10.1089/tmj.2009.0114
  4. Velsen, L., Wentzel, J., Gemert-Pinjen, J. (2013). Designing eHealth that Matters via a Multidisciplinary Requirements Development Approach. JMIR Res Protoc. 2013 Jan-Jun; 2(1): e21. PMCID: PMC38154232. doi: 10.2196/resprot.2547
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