Die Europäische Kommission hat 2016 intensiv an der Umsetzung der Strategie für einen digitalen Binnenmarkt gearbeitet und ein gutes Dutzend Vorschläge verabschiedet. Diese sollen ein digitales Europa schaffen und Vorteile für Firmen, Konsumenten und Konsumentinnen, sowie Bürger und Bürgerinnen bringen. Die Massnahmen umfassen Anpassungen der Regulierung, die Bereitstellung grosser Fördersummen und der koordinierte Aufbau digitaler Infrastrukturen für verschiedene Transaktionen. Im Auftrag des Staatssekretariates für Wirtschaft (SECO) beobachtet die BFH seit Januar 2016 die Entwicklungen und zeigt die möglichen Folgen für die digitale Infrastruktur in der Schweiz auf.
Die DSM-Strategie: Eine Top-Priorität der Kommission
Die europäische Strategie für einen digitalen Binnenmarkt (Digital Single Market, DSM) vereint 16 Massnahmen und weitere darauf bezogene Initiativen zu einem koordinierten Vorgehen über verschiedene Politikbereiche und Branchen. Die Juncker-Kommission hat die Schaffung des digitalen Binnenmarktes zu einer ihrer zehn Prioritäten gemacht und innerhalb eines Jahres zu fast allen angekündigten Massnahmen Vorschläge verabschiedet, die letzten zwei sollen Anfang 2017 folgen. „Der EU-Binnenmarkt muss endlich fit für das digitale Zeitalter gemacht werden. Regulierungsbedingte Barrieren müssen beseitigt, die 28 nationalen Märkte zu einem einzigen zusammengeführt werden. Dadurch könnten jährlich 415 Milliarden Euro erwirtschaftet und Hunderttausende neue Arbeitsplätze geschaffen werden.“, so beschreibt die Kommission ihre Absicht.
Wird die Schweiz überholt?
Die Europäische Kommission hat mit der raschen Ankündigung der Massnahmen gezeigt, dass sie die digitale Transformation Europas beschleunigen will. Die Entwicklung von digitalen Infrastrukturen und elektronischen Diensten wurde durch die Parallelisierung von Pilotierung und Regulierungsvorbereitung ebenfalls beschleunigt. Für die Schweiz stellt sich die Frage, wie sie auf die Entwicklungen in der EU reagieren soll, um insbesondere der Schweizer Wirtschaft den Anschluss und damit die Konkurrenzfähigkeit gegenüber der Europäischen Union zu bewahren. Ein Abwarten der Entwicklungen in Europa und eine spätere Prüfung eines Nachvollzugs der europäischen Entwicklungen birgt angesichts der erhöhten Geschwindigkeit das Risiko, hinter die Gruppe führender Umsetzer in Europa entscheidend zurückzufallen. Das 2016 und 2017 laufende Projekt des E-Government-Instituts der BFH im Auftrag des SECO hat zum Ziel, die Entwicklungen in der EU mit Schwerpunkt digitale Infrastrukturen von der Planung der Policies bis hin zur tatsächlichen Implementierung in ausgesuchten Mitgliedstaaten zu verfolgen und mit diesen Erkenntnissen die frühzeitige konzeptionelle und technische Interoperabilität der digitalen Infrastrukturen in der Schweiz mit denjenigen in Europa sicherzustellen.
Eine Strategie, vielfältige Wirkungen
Im Rahmen des Projektes wurden sechs Wirkungsfelder der Strategie herausgearbeitet, die unterschiedlichen Einfluss auf die Entwicklung der digitalen Infrastruktur haben. Damit sind nicht nur die Datennetze sondern vor allem Grundservices gemeint, welche die digitalen Transaktionen zwischen Verwaltung und Unternehmen, Verwaltung und Bürgerinnen und Bürgern aber auch Transaktionen der Wirtschaft unterstützen und vereinfachen sollen. Allen voran elektronische Identitäten für natürliche und juristische Personen. Andere Massnahmen zielen auf die Anpassung und Vereinfachung der Regulierung und haben keinen unmittelbaren Bezug zur digitalen Infrastruktur. In einer Darstellung der Wirkungsfelder und der dazugehörigen Massnahmen sind vier Grundbausteine dargestellt, Infrastruktur, Interoperabilität, Vertrauen und Digitale Fähigkeiten sowie die zwei anwendungsorientierten Wirkungsfelder E-Government und E-Economy.
Digitale Infrastrukturen: Grundlagen für digitale Wirtschaft und Verwaltung
Ein zentrales Element in der Realisierung digitaler Infrastruktur sind die CEF-Building Blocks, von der Kommission entwickelte Softwarekomponenten und konzeptionelle Grundlagen, um in den Bereichen elektronische Identität, elektronische Signatur, gesicherte Zustellung und E-Rechnung grenzüberschreitend funktionierende Services anbieten zu können. Zusammen mit der geplanten Interkonnektivität der europäischen Handels- und Bertreibungsregister, die bis 2019 realisiert werden, können sehr viele Transaktionen elektronisch erfolgen. Die koordinierte Standardisierungspolitik und die notwenige Regulierung, insbesondere die Verordnung über elektronische Identifizierung und Vertrauensdienste (eIDAS) bilden die Grundlagen dazu. Im E-Government-Aktionsplan der EU für 2016 bis 2020 ist ein Ausbau der digitalen Infrastruktur und deren Nutzung fest verankert. Auf der Basis dieser Komponenten soll etwa das elektronische Beschaffungswesen inklusive elektronischer Eingaben bis 2019 in Europa umgesetzt werden. Für Schweizer Firmen, die nicht auf diese Infrastrukturen zugreifen können, werden womöglich bei Transaktionen mit europäischen Behörden, Firmen oder Kunden Nachteile entstehen.
Frühzeitige technische Interoperabilität zentral
Als Reaktion auf die konzentrierten Anstrengungen der EU muss eine aktive Gestaltung der digitalen Infrastruktur über die nationale Perspektive hinaus fortgeführt werden, auch für eine Dateninfrastruktur, die in Europa mit der „free flow of data initiative“ voraussichtlich im Januar einen neuen Impuls erhalten wird. Proaktive Informationsbeschaffung, Beteiligung an den Entwicklungen im Rahmen des Forschungsprogramms Horizon 2020 (das für Schweizer Beteiligungen offen ist), das Befolgen der europäischen Standards bei E-Government-Lösungen und die Konzeption von digitalen Infrastrukturen in der Schweiz im Hinblick auf Interoperabilität mit Europa sind für die Zukunftsfähigkeit der Schweiz zentral.
Die 4 bisher erschienenen Berichte des DSM-Infrastruktur-Observatoriums:
Brugger Jérôme et al. (2016): 1. Digital Single Market Observatorium – Wirkungsfelder und Erfolgsmessung der DSM-Strategie
Brugger Jérôme et al. (2016): 2. Digital Single Market Observatorium – Der E-Government Action Plan und koordinierte Standardisierungsaktivitäten für einen digitalen Binnenmarkt
Brugger Jérôme et al. (2016): 3. Digital Single Market Observatorium – Die digitale Wirtschaft: Standardisierung, Regulierung und koordinierte Förderung
Brugger Jérôme et al. (2017): 4. Datenflüsse, Rechenkapazitäten und Identitätsinformationen im Digitalen Binnenmarkt