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Hackathons als Hot Spot für Digital Skills

Wenn buntgemischte Teams stunden- oder tagelang tüfteln, bis sie aus Daten neue Anwendungen programmieren, dann handelt es sich sehr wahrscheinlich um einen Hackathon. Diese unhierarchische Organisationsform gedeiht im digitalen Zeitalter bestens, schreibt unsere Autorin.

Ich interessiere mich für Hackathons: Data- und Codes-sharing Events an denen Programmierer, Designer, Projektmanager und andere Spezialisten und Interessierte für einen begrenzten Zeitraum von 24 bis 48 Stunden zusammen kommen und gemeinsam unter Einbezug von Daten und Code an so genannten Challenges arbeiten, Software optimieren oder Prototypen entwickeln. Jetzt bin ich jedoch keine Informatikerin, kein Data Scientist oder Mathematikerin – noch nicht mal Wirtschaftsinformatikerin. Ich interessiere mich weder für die technische Raffinesse der Lösungen, noch für die User-Freundlichkeit oder den Datenzugang. Nein, als Arbeits- und Organisationswissenschaftlerin stellt sich mir die Frage, inwieweit Hackathons eine neue Organisationsform darstellen und was während dieser Events – neben lines of codes und Prototypen – eigentlich alles produziert wird. Warum diese Frage?

Hackathons als Organisations- und Lernlaboratorium

Hackthons gelten in den Organisationswissenschaften als offene Organisationsform, in der nicht-hierarchische Strukturen dazu führen, dass sich alle Beteiligten unabhängig von Position und Status in Innovationsprozesse einbringen können. Sie gelten daher auch als besonders inklusiv und kollaborativ – zwei Aspekte die im Rahmen der Digitalisierung der Arbeitswelt immer wieder diskutiert werden. Universitäten wenden Hackathons an, um theoretisch vermitteltes Wissen praktisch anzuwenden und Studierenden ein Erfolgserlebnis in der Umsetzung von Lösungen zu geben und Resilienz zu fördern. Zudem hat sich gezeigt, dass an Hackathons neben dem individuellen auch Teamlernen stattfindet: man lernt mit und voneinander. «Etwas lernen» ist für die meisten Teilnehmende daher auch eine Hauptmotivation, sich freiwillig an einem Hackathon zu engagieren (Briscoe & Mulligan, 2014).

Was sind Digital Skills?

Was aber kann man an einem Hackathon konkret lernen? Eine neue Programmiersprache, eine Anwendung oder die sogenannten digital skills? Think Tanks und Beratungsfirmen haben in den letzten Jahren immer wieder darauf hingewiesen, dass die digitale Transformation es notwendig macht, dass wir mehr Menschen mit technologischen Kompetenzen benötigen. In einem Bericht von McKinsey & Company (2018) über die Zukunft der Arbeit in der Schweiz heisst es, dass der Bedarf an technologischen, sozialen und emotionalen Kompetenzen stark zunehmen wird, wohin gegen körperliche oder manuelle Fähigkeiten zurück gehen werden. Zu den technologischen skills zählen sie IT- und Programmierungs-Kenntnisse, Technology design und engineering, Datenanalysen und mathematische Fähigkeiten, sowie basic digital skills (S. 48). Unter die sozialen und emotionalen Skills fallen: Fähigkeit zur Selbstführung, Kommunikations- und Verhandlungsfähigkeit, Wissen an andere weitergeben, Initiative zeigen, Anpassungsfähigkeit und Empathie (S.48). Diese Aufteilung in technologische, soziale und emotionale skills klingt zunächst einleuchtend. Bei genauerer Betrachtung reproduziert sie jedoch das Silo-denken einer Arbeitswelt der letzten Jahrhunderte, in der Technik vornehmlich für Techniker und Soziales vornehmlich für Sozialwissenschaflter relevant war. In unserer heutigen digitalisierten – sprich stark vernetzt und interdisziplinären Arbeitswelt – macht es jedoch Sinn, diese herkömmliche Abgrenzung von Skills zu überdenken.

Digital skills am Hackathon

Kehren wir zurück zum Bärn-häckt-Hackathon. Was man hier während 48 Stunden beobachten konnte, sind augenscheinlich technologische Fähigkeiten: Man entwickelt und programmiert, analysiert Daten und schreibt Codes. Gleichzeitig fällt auf, dass diese technischen Skills unterschiedlich gut zum Einsatz kommen: Da gibt es einige Teilnehmende, die schon beim Auftreten von kleinen Problemen verzweifeln, wohin gegen andere auch beim Auftreten von grösseren Schwierigkeiten motiviert sind, einen neuen Lösungsweg zu suchen. Da gibt es ein Team mit einem Fachexperten, der sein Wissen weitergibt, wodurch das ganze Team zu einer besseren Lösung findet. Oder es gibt Teams, in denen die technische Expertise begrenzt ist, die aber durch ein besonders gutes Kommunikationskonzept und einen humorvollen Pitch am letzten Tag beim Publikum besonders gut ankommt. Emotionale Selbstregulation (in Anbetracht von Erschöpfung, Gereiztheit, Euphorie) ist genauso präsent wie intentionales Verhalten und beides steht in direktem Zusammenhang mit dem technischen Knowhow. Diese Beobachtungen legen nahe, dass das Konzept der digital skills keineswegs nur kognitivie/technische skills beinhalten sondern eng verbunden mit sozialen und emotionalen skills sind.

Einen Schritt weiter in der digitalen Transformation

Mit anderen Worten: Die Arbeitsweise der Hacker legt nahe, dass die Herausforderungen der digitalen Arbeitswelt nicht zu meistern sind, wenn technische skills ohne soziale Fähigkeit auftreten oder emotionale Stabilität ohne fachliche Expertise. Digitale Skills können daher am besten als ‘Bündel’ von sozialen, emotionalen und technischen Praktiken verstanden werden. Eine solcher Perspektivwechsel kann auch dazu beitragen, dass alte – aber immer noch weit verbreitete – Stereotype wie die sozial eher inkompetenten IngenieurInnen oder technikphoben SozialwissenschaftlerInnen überwunden werden und statt dessen digitale skills bei allen Berufsgruppen Voraussetzung werden, die es aufzubauen beziehungsweise weiterzuentwickeln gilt. Hackathons bieten dazu eine gute Gelegenheit. Sie sind eben nicht nur ein Tech-Event, sondern ein Prototyp der neuen Arbeitswelt und somit Lernlaboratorium für die digitale Transformation unserer Arbeitswelt.


48 Stunden hacken

Vom 23.-25. August 2019 fand zum dritten Mal der Bärn-häckt-Hackathon in den Räumlichkeiten der BFH Wirtschaft statt. Die BFH war als eine von zehn Challenge-Sponsoren aktiv an dem Event beteiligt. Unter dem Stichwort «Nachhaltigkeit» rief sie die Teilnehmenden dazu auf, eine Suffizienz-Plattform zu entwickeln. Andere Challenges adressierten Fragen der Navigation, der individualisierten Reiseführung oder die Zukunft des Banking. Nicht nur die Ergebnisse, sondern auch die Arbeitsweisen der einzelnen Teams waren eindrücklich. Sie boten die Gelegenheit, um über das aktuelle Thema der Digital Skills nachzudenken. Eines der Gewinnerteams hat für die BFH eine Suffizienz-Plattform entwickelt. An dieser Stelle nochmals Gratulation an alle Teilnehmenden, die die 48 Stunden durchgehalten und damit ihre digital skills bewiesen haben. Alle Informationen und Impressionen zu «Bärn häckt 2019» finden Sie hier.


Referenzen

  1. Briscoe, G. & Mulligan, C. (2014). Digital innovation: The hackathon phenomenon.
  2. McKinsey & Company (2018). The future of work: Switzerland’s digital opportunity.
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Wenn Daten einen zweiten Frühling erleben

Wissen wurde früher von Mund-zu-Mund oder durch das geschriebene Wort weitergegeben. Heute passiert das immer mehr digital und «Open Data“ ist die Philosophie, mit der es zugänglich gemacht wird. Am «Open Cultural Data Hackathon» in Lausanne zeigten Hacker und Institutionen, wie sich Kulturdaten in spannende Anwendungen verwandeln lassen.

Konzentriert beugen sich Menschen über ihre Laptops. Zweiertische sind zusammengeschoben und von braunen Plastikstühlen umringt. Es wird viel Englisch gesprochen an diesem Tag. Die Universität Lausanne ist vom 15. -16. September 2017 Austragungsort des «Open Cultural Data Hackathons» gewesen, an dem sich Informatiker aus allen Ecken der Schweiz mit Vertretern von Kulturinstitutionen getroffen haben, um gemeinsam Datenträger öffentlich, gratis und sortiert online zur Verfügung zu stellen.

Ideenwand

Museen, Archive, Galerien stellten ihre  Daten zur Verfügung und auch Theater – wie diesjährig das Schauspielhaus Zürich. Eine gemischte Truppe mit unterschiedlichen Sprachen, Vorwissen und Rohdaten. Aber alle mit dem gleichen Ziel: Open Data im Kulturbereich voranzutreiben.

Berner Fachhochschule als Triebfeder

Auch Beat Estermann ist an diesem Wochenende vor Ort. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am E-Government-Institut und stellvertretender Leiter des Schwerpunkts «Open & Linked Data» an der Berner Fachhochschule. Er koordiniert den Kultur-Hackathon und kennt viele der Teilnehmer. Das spürt man an der fast familiären Atmosphäre vor Ort. Der «Open Cultural Data Hackathon» findet zum dritten Mal an wechselnden Orten statt. Estermann forscht im Themenbereich Open Data und OpenGLAM. OpenGLAM ist eine Initiative, die es sich zum Ziel gemacht hat, dass Open Data und Crowdsourcing in Gedächtnisinstitutionen gefördert wird. Ein Teil dieses Efforts manifestierte sich am diesjährigen «Open Cultural Data Hackathon» Lausanne.

Zwei starke Beispiele

Während zwei Tagen konnten sich die rund 100 TeilnehmerInnen an Datensätzen austoben. Am Anfang des Hackathons stand die Präsentation der von den Institutionen zur Verfügung gestellten Datensätzen. Ziel war es Stakeholder wie an einer Tauschbörse zusammenzubringen: Daten gegen Wissen. Interessierte Hacker konnten sich einer Projektgruppe anschliessen und während zwei Tagen an den besagten, zusammengeschobenen Tischen hacken. Wer zwischendurch einen Input wünschte, konnte sich an einem der Side-Event inspirieren lassen und etwas dazulernen. Am letzten Abend wurden die Projekte in der Gruppe vorgestellt.

Entwickelt Games: David Stark

Einer dieser Hacker ist der 33-jährige David Stark aus Zürich, ein professioneller Game-Entwickler. Hacker ist ein Wort, welches kurz aufhorchen lässt. «Hacker ist linguistisch ein negativ besetzter Begriff», erklärt Stark. Aber eigentlich heisse «to hack» so etwas wie basteln. Mit dem Ziel, eine Lösung für ein bestehendes Problem zu finden.

Er ist von Anfang an mit dabei am «Open Cultural Data Hackathon». Insgesamt ist es in etwa sein zehnter Hackathon und ihm gefällt der spielerische Ansatz: «Ein Hackathon ist wie eine Blase aus Software und Algorithmen, in der man sich während einer beschränkten Zeit befindet», so Stark. Er schätze es zudem, dass man sich auch anderen Themenfeldern zuwenden kann, wenn der Zenit einer Idee erreicht ist.

Das Projekt, an dem er mitgearbeitet hat, heisst «Swiss Video Games Directory». Eine Datenbank mit bislang 216 Datensätzen mit Informationen zu allen bislang entwickelten Video-Games in der Schweiz. Er hat die Rohdaten mit verschiedenen Eckdaten in einem Google-Spread-Sheet eingetragen. Danach wurden diese Daten automatisch online in einer Liste mit Videovorschau visualisiert. Sein Ziel? «Wir wollen in der Projektgruppe Informationen zu den bislang erschienenen Video-Games aus der Schweiz konservieren und archivieren». Damit ein Stück Pop-Kultur – das Videospiele inzwischen sind – nicht verloren geht.

Roxanne Fuschetto ist Kunsthistorikerin.

Auch Roxanne Fuschetto hat am «Open Cultural Data Hackathon» teilgenommen. Die studierte Kunsthistorikerin arbeitet am Institut für Medizingeschichte an der Universität Lausanne und gehört zur Gruppe der Datenprovider. Für den Hackathon erstellte sie in einem Team aus dem Archiv des Instituts eine Bibliografie der Bücher über die Objekte –  die «Medical History Collection»

Das Team, in dem Fuschetto zwei Tage zusammen gearbeitet hat, ist zufrieden mit dem Ergebnis. «Bislang war die Liste der Objekte nirgends digitalisiert». Sie sei positiv überrascht über den neu gewonnenen Überblick. Inwiefern das Institut an der Liste weiterarbeiten wird, ist noch nicht klar. Aber der erste Schritt, das erste Verständnis und die erste Liste seien gemacht.

Nächstes Mal im Landesmuseum

Beat Estermann hofft, dass künftig noch mehr Institutionen ihre Datensätze freigeben. Dieses Jahr sind die Teilnehmerzahlen noch in etwa gleichbleibend im Vergleich zu den vorangegangenen Kultur-Hackathons. Der Hackathon im nächsten Jahr hat den Fokus Museen und findet passend dazu im Landesmuseum Zürich statt, dem meistbesuchten kulturhistorischen Museum der Schweiz.

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«Wir haben mehr Datensätze als Programmierer» – Interview B. Estermann Teil II

So viele Kulturdaten wie möglich für den 3. Schweizer Kulturhackathon gewinnen – das Ziel von Koordinator Beat Estermann ist erreicht: die teilnehmenden Hacker können in diesem Jahr aus dem Vollen schöpfen. Mit den Daten werden sie Apps programmieren oder Spiele entwickeln. Im zweiten Teil unseres Interviews spricht Beat Estermann über Altruismus, Kreativität und Best Cases im Bereich Open GLAM.

Wer den Begriff Hackathon zum ersten Mal hört, denkt vielleicht zuerst an den Hackerangriff Wannacry. Wie sind die Hacker, die an Ihren Hackathon kommen?
Der Begriff Hacker stammt ab vom englischen Wort Hack. Das bezeichnet eine schnell gefundene, kreative Lösung, die vielleicht nicht ganz bis zum Ende durchdacht ist. Ziel ist es, in kurzer Zeit etwas Angewandtes zu erfinden. Mit Hack assoziiere ich auch den Aspekt des Innovativen, des Unkonventionellen, des Unerwarteten, etwas zu probieren, was nicht alle machen.

Was findet an dem Hackathon statt?
Am Hackathon geht es grundsätzlich darum, Personen aus verschiedenen beruflichen Hintergründen  aus dem GLAM-Umfeld zusammen zu bringen. Zwei Tage lang arbeiten sie an konkreten Projekten basierend auf offenen Daten. Die Idee ist einerseits aufzuzeigen, was man alles mit den Daten machen kann und damit den Gedächtnisinstitutionen einen Ansporn zu geben, ihre Daten zur Nutzung durch Dritte freizugeben oder selber neue Anwendungen zu schaffen. Der Hackathon erlaubt es den verschiedenen Players, neue Ideen zu entwickeln, sie zu konkretisieren, zu sehen, welche Kompetenzen es zu ihrer Umsetzung braucht, und sich eine erste Vorstellung davon zu machen, wer über diese verfügt mit wem man zusammenspannen könnte.

Dann nutzen Sie den Event auch zum Lobbying in Sachen Open GLAM?
Der Hackathon ist ein wichtiger Anlass, um auf die Institutionen zuzugehen und nachzufragen, ob und von wem wir zusätzliche Daten bekommen können. Es gibt in der Schweiz rund 1500 Gedächtnisinstitutionen. Mit Massenmails haben wir bereits alle angeschrieben. Persönlich angesprochen haben wir 200-300. Es ist ein dauernder und langwieriger Prozess. Bei gewissen Institutionen dauert es von der ersten Kontaktnahme bis zur ersten Freigabe von Daten drei bis vier Jahre. Dabei geht es uns nicht allein um die Daten, sondern auch um einen Kulturwandel seitens der Institutionen.

Zählen Kultureinrichtungen wie Theater und Opernhäuser auch zu Gedächtnisinstitutionen? Oder anders gefragt, was verbindet Kulturdaten und Open GLAM?
Ich benutze die Begriffe „offene Kulturdaten“ und „Open GLAM“ als Synonyme. Generell wäre der Begriff der Kultur natürlich weiter zu fassen als jener der GLAM: Kultur findet im Jetzt statt, die Gedächtnisinstitutionen dokumentieren Ereignisse, die bereits vergangen sind. Gewisse staatliche Archive möchten nicht zu den kulturellen Institutionen gezählt werden, weil sie nicht in erster Linie eine kulturelle, sondern eine staatspolitische Aufgabe wahrnehmen. Sie stehen für die Transparenz und Nachvollziehbarkeit des staatlichen Handelns. Darüber hinaus lassen sich ihre Bestände natürlich auch zur Kultur eines Landes zählen.

Welche Institutionen erwarten Sie zum Hackathon?
Dabei sein werden Institutionen wie das Bundesarchiv, die Nationalbibliothek, das Literaturarchiv, verschiedene Zürcher Archive, die ETH-Bibliothek, Swissbib, die Universitätsbibliotheken Basel und Lausanne, das Landesmuseum sowie etliche weitere Institutionen.

Wie viele Datensätze bieten Sie an?
Aktuell haben wir über 80 Datensätze von über 40 Institutionen; d.h. wir haben mittlerweile mehr offene Datensätze als Programmierer am Hackathon teilnehmen. Es ist schwer vorauszusehen, wie viele es noch werden, denn viele Institutionen melden ihre Datensätze in den letzten beiden Wochen vor dem Hackathon an.

Das war früher wohl schwieriger?
Ja, beim ersten Hackathon hatte ich Angst, dass nicht genügend Daten bereit stehen würden. Ohne Daten funktioniert ein Hackathon nicht. Mittlerweile haben wir jedoch genügend Datensets auch aus den früheren Events und jedes Jahr kommen neue hinzu. Wir können jederzeit einen Hackathon veranstalten und sind nicht mehr so abhängig davon, ob uns die Institutionen neue Daten liefern.

Die Daten werden primär für den Hackathon bereitgestellt. Für wen sind die Daten anschliessend gedacht, wenn sie öffentlich zugänglich sind?
Theoretisch kann sie sich jeder ansehen, genau wie sich jeder im Museum eine Ausstellung ansehen kann. Aber es braucht Intermediäre, Vermittler. Herr und Frau Schweizer gehen ja nicht unbedingt selbst in ein Archiv, um nach Daten zu suchen. Sie würden die Kulturdaten bearbeitet konsumieren – sei es in Wikimedia, mittels einer App, oder indem sie einen journalistischen Beitrag darüber lesen, welcher beispielsweise Erkenntnisse aus der historischen Forschung vermittelt.

Wer sind die Vermittler bzw. die Hacker?
Es sind Historiker, die historische Auswertungen machen, App-Programmierer, die Anwendungen für ein breites Publikum entwickeln, oder Künstler, die die Daten in ein Werk verarbeiten. Zu unseren Hackern zählen Ideengeber, d.h. Leute, die sich mit Kulturdaten auskennen, eine bestimmte Frage zu den Daten haben oder kreative Ideen in den Raum stellen. Wichtig sind auch Webdesigner und Software-Entwickler, welche die Ideen umsetzen, oder die Vertreter der Gedächtnisinstitutionen, welche ihre Fachexpertise einbringen. Wir hatten aber auch schon PerformancekünstlerInnen unter den Teilnehmern; und auch für DatenjournalistInnen würden sich gewisse Datensätze eignen.

Welche Veröffentlichung im Bereich Open GLAM ist für Sie ein Best Case?
Eines der frühen Highlights war der Foto-Upload des deutschen Bundesarchivs. Dabei sind etwa 100.000 Bilder aus dem 2.Weltkrieg erstmals für die breite Öffentlichkeit zugänglich gemacht geworden. Die grösste Aufgabe war dabei, dass die Metadaten in grossen Teilen ergänzt und überarbeitet werden mussten, weil die Beschreibungen noch dem Zeitgeist des 3. Reiches entsprachen. Für die Community war das ein sehr erfolgreiches Ergebnis. Seither gibt es viele andere gute Beispiele; jedes hat seine Eigenheiten.

Woher kommt generell die Motivation, Daten oder eben Fotos frei zugänglich zu machen?
Dafür gibt es verschiedene Gründe. Demokratische Ideen, Transparenz oder auch Altruismus. Im Bereich GLAM haben die Gedächtnisinstitutionen nicht nur den Auftrag zu bewahren, sondern auch zu vermitteln und da öffnet das Internet viele neue Türen. Zum Beispiel sind manche Institutionen in einer thematischen Nische angesiedelt. Dank dem Internet können sie ein weltweites Publikum erreichen. Zudem ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Menschen die neuen Arten des Zugangs und der Vermittlung von Wissen nachfragen.

Wann genau entsteht die Nachfrage – schon vor der Veröffentlichung der Exponate, Informationen oder Daten oder erst danach?
Das ist eine schwierige Frage. Die Überlegungen, Wissen zu sammeln und aufzuzeichnen, gehen zurück bis in die Antike. Es gab immer Menschen, die sich mit Wissen beschäftigten. Die Aufklärer veröffentlichten die ersten grossen Enzyklopädien, um das Wissen der Menschheit zugänglich zu machen. Die Idee an sich ist also schon alt. Sie entwickelte sich mit dem technologischen und gesellschaftlichen Fortschritt weiter, und im Zuge der Demokratisierung wandelte sich zudem das Verständnis des Staates. Früher war das Staatswissen oftmals geheim, unter anderem um die Herrschaft zu erleichtern. In der Demokratie können und sollen aber alle mitwirken und damit das funktioniert, braucht das Volk Informationen. Die Grundlagen des staatlichen Handelns müssen öffentlich zugänglich sein. Die heutige Ausprägung des Open Content ist eine logische Weiterführung dieser Entwicklung und eine wichtige Grundlage einer offenen Gesellschaft.

Gibt es noch die Möglichkeit, sich anzumelden?
Ja, der Anlass ist offen für jeden. Am besten funktioniert es für diejenigen, die in einem Team ein prototypisches Projekt mit den Datensätzen realisieren möchten. Dazu kann man mit einer eigenen Idee an den Event kommen und sie am Anfang des Events kurz vorstellen. Man kann sich aber auch während der Gruppenbildungsphase einem Team anschliessen, das eine Projektidee verfolgt, die man selber interessant findet. Für diejenigen, die noch nie einem Hackathon beigewohnt haben, würde ich unbedingt empfehlen, dass sie die Gruppenbildungsphase am Anfang des Events nicht verpassen. Einfach nur reinschauen, ohne sich selber aktiv einzubringen, funktioniert nur bedingt. Wer aktiv mitmacht, hat sicherlich mehr vom Event. Wir bieten aber auch ein interessantes Workshop-Programm, bei dem man sich über das eigentliche Hacken hinaus, zu verschiedenen Themen kundig machen und austauschen kann.


Hackathon: Am 15. und 16. September findet der Swiss-Open-Cultural-Data-Hackathon an der Universität Lausanne statt. Die Teilnahme ist gratis, Interessierte sind gebeten, sich bis 31. August anzumelden.


Zur Person

Beat Estermann ist stellvertretender Leiter des Schwerpunkts «Open & Linked Data» am E-Government-Institut der Berner Fachhochschule. Er forscht im Themenbereich Open Data und OpenGLAM, d.h. Open Data und Crowdsourcing in Gedächtnisinstitutionen. Zudem koordiniert er die schweizerische OpenGLAM- Arbeitsgruppe des Vereins opendata.ch und die eCH-Fachgruppe Open Government Data.


 

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Die digitalen Räume der Bibliotheken öffnen

Bibliotheken sind ein Ort des Wissens. Neben den gedruckten Werken verfügen sie heute über eine riesige Menge an digitalen Daten. Am Hackathon Geneva Open Libraries tauschten sich SpezialistInnen aus, wie diese allen öffentlich zugänglich gemacht werden könnenen. Einer der Organisatoren des Events, Lionel Walter vom Swissbib-Konsortium erklärt, was es mit diesem Hackathon auf sich hatte.

SocietyByte: Open libraries – offene Bibliotheken, ist das nicht ein Pleonasmus?

Lionel Walter: Bibliotheken sollten ihre Informationsschätze ja eigentlich sowieso für möglichst viele Leute zugänglich machen, denkt man. Doch neben Büchern horten Bibliotheken heute auch immer mehr digitale Datensätze – beziehungsweise, sie übertragen ihre analogen Bestände in die digitale Form. Dazu kommen noch eine Menge Nutzungsdaten; Bibliotheken sind Informationsdrehscheiben und in den gehorteten Daten mag so einiges stecken, das womöglich erst noch an die Oberfläche befördert werden muss. Und dabei könnten ganz verschiedene Leute mit ebenso verschiedenen Ideen und Expertisen helfen – sofern sie denn Zugang zu den Daten haben.

Lionell Walter

Sie haben den Open Libraries-Event in Genf mit organisiert. Inwiefern sind die Bibliotheken heute eher geschlossen als ‹open›?

Eigentlich ist die Grundphilosophie von Bibliotheken natürlich eine offene, aber das gilt vielleicht mehr für die analogen Bestände, für die klassische Idee von Schriftstücken. Im digitalen Bereich gilt das deutlich weniger. Da braucht es Initiativen, die wieder hin zu einer möglichst grossen Offenheit gehen – zum Beispiel damit auch alle digitalisierten Dokumente öffentlich zugänglich gemacht werden. Und zwar mit offenen Lizenzen.

Verraten die Bibliotheken im digitalen Zeitalter also ein wenig ihre Tradition?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Sie haben schon verstanden, was ihre prinzipielle Aufgabe wäre – es ist sehr selten, dass Bibliotheken ihre Informationsschätze nicht verteilen wollen, aber oft wissen sie nicht, wie genau sie das anstellen sollen, sei es in technischer oder in rechtlicher Hinsicht.

Was sind dabei die Schwierigkeiten?

Oft ist es so, dass man auf digitalisierte Dokumente zwar zugreifen kann, die Lizenzen aber nicht klar regeln, was man mit den Dokumenten alles machen darf – kann man sie herunterladen, darf man mit ihnen arbeiten, sie weiterverwenden? Um solche Fragen geht es auch bei ‹Open Libraries›, wir möchten helfen zu klären, wie man welche Lizenzen am besten einsetzt und wie man das dann auch klar kommuniziert. Beispielsweise hat Google einer Bibliothek in Lausanne beim Scannen der Bestände geholfen – nun stellt sich allerdings die Frage, wer welche Rechte auf die Digitalisate hat. Da gibt es oft eine Menge offener rechtlicher Fragen.

Wie schätzen Sie die diesbezügliche Lage in der Schweiz und in anderen Ländern ein?

Ich würde sagen, die Bibliotheken haben in der ganzen Schweiz mit ähnlichen Problemen zu tun, und nach allem was ich von ausländischen Kollegen höre, ist die Situation auch mit anderen Ländern vergleichbar. Es sind also überall dieselben Herausforderungen.

Neben diesen strukturellen Fragen ging es beim Geneva Open Libraries-Anlass vom 12. und 13. Mai auch ganz konkret darum, Datenschätze von Bibliotheken zu heben, um originelle Zugänge oder Analysen aus ungewohnter Warte. Beteiligt waren unter anderem die Bibliothek der UNO, das Bodmer Lab der Uni Genf, das Genfer Staatsarchiv, der universitäre Bibliotheksverbund Rero und die Bibliothek des Musikkonservatoriums. Die UNO-Bibliothek etwa steuerte einen grossen Bestand an historischen Fotografien und anderer Dokumente bei, die unlängst digitalisiert worden sind. Das Bodmer Lab wiederum machte wahre Schätze aus der Sammlung Bodmer zugänglich, unter anderem eine Reihe reich illustrierter Reisebücher aus der Renaissance sowie über hundert Ausgaben von Goethes Faust in diversen Sprachen. Und auch das Staatsarchiv stellte historische Bestände in digitaler Form zur Verfügung.

Herr Walter, was erhoffen Sie sich von einem Hackathon-Event im Bibliotheks- und Archivumfeld?

Es gibt verschiedene Ziele: Mit einem Event kann man einen Rahmen setzen, ein klares Datum, auf das hin Bemühungen fokussiert werden können. Das schafft Motivation bei den Institutionen, im Hinblick auf diesen Event etwas zu tun. Ausserdem sehen die Institutionen sofort Resultate, sie bekommen unmittelbar konkrete Beispiele, was man mit diesen offenen Datensätzen alles machen kann. Und nicht zuletzt kommt es am Hackathon zu einem Austausch verschiedener Spezialisten, die sich sonst nicht unbedingt treffen würden. Oft sind Datenspezialisten angewiesen auf das Detailwissen derjenigen, die die Daten kennen.

Können Sie da ein Beispiel nennen?

Ein tolles Projekt, das am Hackathon erarbeitet worden ist, ergab sich aus dem offenen Fotoarchiv der UNO. Unter anderem war ein Historiker anwesend, der bereits mit diesem Fotofundus gearbeitet hat. Er bringt seine Expertise für die Zeit zwischen 1920-1940 mit und kennt die abgebildeten Menschen deshalb gut. Seine Arbeit, die Fotos entsprechend zu verschlagworten, war allerdings ein mühsames Klein-Klein und die erhobenen Daten waren kaum weiterzuverwenden, falls sich jemand anderes auch dafür interessiert hätte. Er hätte gern eine offenere Herangehensweise für diese Metadaten gefunden. Ein paar Informatik-Studenten aus Lyon, die sich mit Image Recognition auskennen, horchten auf und boten ihre Tools und Expertise an – nun werden die Fotos automatisch gescannt und alle abgebildeten Menschen bestimmt. Das mag als Methode nichts revolutionär neues sein, konnte aber nur in dieser Kombination von Archivexperten, Historikern und Informatik-Spezialisten passieren.

Wie hat das UNO-Bibliothek darauf reagiert?

Sehr positiv, doch es bleibt nach wie vor ein Lizenz-Problem. Wir würden es am liebsten sehen, wenn die Fotos einfach offen ins Netz gestellt werden, so dass die Online-Crowd mit ihnen arbeiten könnte – da würden bestimmt noch mehr spannende Ideen zusammenkommen. Doch das ist ein langer Prozess, der nun immerhin angestossen wurde – die Verantwortlichen haben ein konkretes Resultat gesehen und werden das nun entsprechend weiterdiskutieren.

Wie geht es weiter mit Open Libraries? Welche weiteren Projekte zeichnen sich ab?

Es waren diverse Institutionen am Event zugegen, die auch über die Öffnung ihrer Datensätze nachdenken. Sehr spannend zum Beispiel: ist das Archiv des welschen Fernsehens ist dabei, einen Riesenbestand an Videos zu digitalisieren. Nun stellt sich die Frage, ob zum Beispiel die archivierten Nachrichtensendungen allen Interessierten zugänglich gemacht werden sollen. Dabei bekommt man es wiederum mit komplexen Copyright-Problemen zu tun, weil oft Fremdbilder in die Sendungen eingebaut wurden. Wir haben das in Genf mit den Verantwortlichen diskutiert und hoffen, dass wir da etwas angestossen haben, das noch weitergehen wird.

Was steht als nächstes auf der Agenda?

Der Open Cultural Data Hackathon im September. Wir wollen eine gewisse Kontinuität in die Open Cultural Data-Diskussion hineinbringen, indem wir jedes Jahr einen grossen Hackathon organisieren, in jeweils wechselnden Orten – nach Bern und Basel dieses Jahr in Lausanne.

Hintergund:

Geneva Open Libraries war Teil von opengeneva, eines regelrechten Hackaton-Festivals, das rund 400 Interessierte in Genf zusammenbrachte, um auf ganz verschiedenen Gebieten Projekte mit offenen Daten zu erarbeiten. Für Lionel Walter war der Event eine wichtige Etappe hin zum dritten Open Cultural Data Hackathon, der dieses Jahr Mitte September in Lausanne stattfinden wird. Die Initianten möchten mit Veranstaltungen in verschiedenen Schweizer Städten darauf hinwirken, Datensätze mit Bezug zur Kultur für alle zu öffnen. Ein weiterer Pre-Event wird am 9. Juni am Schweizer Archivtag in Zürich stattfinden.

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