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«Der Public Sector braucht mehr Dialog und weniger Gärtlidenken»

Damit der Public Sector in der Schweiz digital richtig durchstarten kann, brauche es einen Kulturwandel, bei dem alle Beteiligten das oft noch vorherrschende «Gärtlidenken» überwinden müssten. Besonders Bund, Kantone und Gemeinden sollten sich über ihre Grenzen hinaus stärker vernetzen, sagt E-Government-Experte Alain Gut, Director Public Affairs bei IBM Schweiz.

Wie hat sich aus Ihrer Sicht der Public Sector in den vergangenen fünf Jahren aus Sicht der Wirtschaft transformiert? Sind Sie zufrieden mit der heutigen Maturität?

Der Public Sector hat sich in den letzten fünf Jahren zwar technologisch verbessert, jedoch nur sehr langsam. Es braucht nach wie vor sehr viel Zeit, dass man sich mit neuen Technologien und deren möglichen Einflüssen befasst und dann auch entsprechende Projekte auslöst. Ein Massstab im öffentlichen Sektor sind nach wie vor die Fortschritte im eGovernment und da werden in der Schweiz nicht wirklich grosse Erfolge erzielt. Wobei wir im Vergleich mit anderen Ländern nicht unbedingt schlechter werden, sondern die anderen besser. In diesem Sinne kann man mit der Maturität auch nicht zufrieden sein. Wir sind mit wichtigen Basisdienstleistungen wie beispielsweise einer funktionierenden und weit verbreiteten E-ID Jahre im Rückstand. Obwohl wir (noch immer) als ein innovatives Land gelten, tut man sich im Public Sector schwer, neue Entwicklungen anzunehmen und auch umzusetzen. Politische Rahmenbedingungen und auch unser ausgeprägt föderales System helfen hier auch nicht, für etwas mehr Flexibilität und manchmal auch Geschwindigkeit zu sorgen.

Wenn wir von Transformation reden: Wohin soll sich der Public Sector bewegen? Was sind die Erwartungen der Wirtschaft?

Ein sicherlich grosses Hemmnis für Transformation ist das Beschaffungsrecht, das sowohl der Verwaltung wie auch den Anbietern sehr enge Fesseln anlegt. Auch führt dies dazu, dass grössere Projekte sehr lange dauern und wenn umgesetzt, oft schon wieder «renovationsbedürftig» sind. Mit mehr Dialog (dies sieht das alte wie auch das neue Beschaffungsgesetz vor) könnten sicherlich bessere und innovativere Lösungen gefunden werden. Zudem ist es absolut essentiell, dass sich im Public Sector auch ein kultureller Wandel durchsetzt. Mit den heutigen und zukünftigen technologischen Möglichkeiten und der Notwendigkeit von durchgängigen End-to-end-Prozessen muss das «Gärtlidenken» von Departementen, Direktionen, Abteilungen und Ämtern der Vergangenheit angehören. Dafür braucht es den politischen Willen und das nötige technologische Verständnis der Exekutive und eine Verwaltung, die als eine Einheit ihren Kunden, den Bürgern und den Unternehmen, moderne und einfache Interaktionen rund um die Uhr ermöglicht.

Wie kommt es zu Innovation im Public Sector?

Das ist eine Frage, die mich beschäftigt, seit ich mit dem Public Sector zu tun habe und das sind nun doch schon einige Jahre. Was sind die Merkmale einer innovativen Kultur? Dazu gehören sicherlich Kreativität, Vertrauen in die Mitarbeiter und das Zulassen von Fehlern – das heisst, man muss bereit sein, auch Risiken einzugehen – und ein ausgeprägtes und transparentes Kommunikationsverhalten. Es ist sicherlich nicht vermessen zu behaupten, dass dies nicht die ausgeprägten Verhaltensmerkmale einer Verwaltung sind. Zudem lässt es auch das Beschaffungsrecht fast nicht zu, dass der Public Sector zusammen mit Anbietern Pilotprojekte oder Tests durchführt. Einerseits will die Verwaltung, wenn möglich, dafür Ausschreibungen verhindern und andererseits wollen sich Anbieter keiner Vorbefassung aussetzen und Knowhow einbringen, ohne auf einen entsprechenden Auftrag zählen zu können. Innovation braucht also ein entsprechendes kulturelles Umfeld und Rahmenbedingungen, die innovative Ideen zulassen. Die OECD hat dazu ein Framework entwickelt, das die Problematik sehr gut zusammenfasst: People, Knowledge, Ways of working, Rules and processes.

Der Bundesrat hat am 20. November 2019 die E-Government-Strategie Schweiz 2020-2023 verabschiedet. Die verbindliche Regelung der Zusammenarbeit zwischen Bund, Kantonen und Gemeinden wird darin grossgeschrieben. In diesem Zusammenhang ist dem Schlussbericht des Projektes «Digitale Verwaltung» des EFD und der KdK, der Ende Oktober veröffentlicht wurde, von drei Varianten die Rede, wonach die dritte Variante die Gründung einer Behörde ist, v.a. für transversale Belange zuständig sein soll. Was halten Sie von den vorgeschlagenen Modellen?

Es ist erfreulich, dass auf allen Ebenen erkannt wurde, dass es im Bereich des eGovernments und der digitalen Verwaltung einer Strategieänderung bedarf, um die technologischen Herausforderungen meistern zu können. Die vorgeschlagenen Modelle sind ein typisch schweizerischer Kompromiss. Eigentlich wollen alle die beste, dritte Variante, sind sich aber bewusst, dass in unserem föderalen System die notwendigen (gesetzlichen) Rahmenbedingungen dies (fast) unmöglich machen und sehr viel Zeit benötigen. Der Druck auf eine gesamtschweizerisch koordinierte Lösung ist wahrscheinlich auch zu gering, dafür funktioniert unser Verwaltungsapparat immer noch zu gut. Ein vergleichbares Projekt haben auch die Polizeien mit HPi (Harmonisierung der Schweizer Polizeiinformatik). Nach acht Jahren sind die erzielten Ergebnisse überschaubar und es mussten viele Hürden organisatorischer, rechtlicher und projektbedingter Art überwunden werden.

Im Projekt «Digitale Verwaltung» geht es um Steuerung und Zusammenarbeit. Sollen wir weitere Aspekte auf die Agenda dringend setzen?

Das Projekt «Digitale Verwaltung» deckt die wichtigsten Bereiche wie Strategie, Standards, Innovation, Dienstleistungen und Vernetzung sehr gut ab. Wie immer liegt es auch hier nicht an der Strategie selbst, sondern wie die Strategie umgesetzt werden kann. Grundsätzlich ist es nachvollziehbar, dass sich der Bund, die Kantone und die Gemeinden in der Verantwortung sehen. Das ist sicherlich auch richtig so. Wünschenswert wäre, wenn mehr Kooperation mit der Wirtschaft und der Wissenschaft stattfinden würde. Ob dies in Form von PPPs (Public Private Partnerships) oder in Arbeitsgruppen stattfindet, ist nebensächlich. Wichtig ist der Austausch von Ideen und Möglichkeiten, das Miteinander, um die besten Lösungen zu finden und die breite Verankerung von Ergebnissen auf allen staatlichen Ebenen, vor allem auch bei der Bevölkerung.

Wir haben in den letzten Jahren viel in Projekte und Services investiert. Brüssel verteilt uns schlechte Noten, weil wir im internationalen Vergleich im Bereich Basisdienste im Rückstand sind (vgl. EU-Benchmark 2019). Welche Basisdienste sollten priorisiert werden? Was ist konkret vorgesehen? Wo sehen Sie die Herausforderungen?

Zu priorisieren sind sicherlich die Elektronische Identität, die digitale Post (elektronischer Versand von Dokumenten und Informationen zwischen Staat und Bevölkerung/Unternehmen), eDokumente (Dokumente können sicher herunter- und heraufgeladen werden) sowie authentische Quellen (Behörden füllen Formulare mit bekannten Daten im Voraus aus). Grundlage von allem ist aber die Elektronische Identität. Sie ist an sich Voraussetzung für alle behördlichen Prozesse. Die neue E-Government-Strategie der Schweiz sieht entsprechende Massnahmen im Bereich der Basisdienste und Infrastruktur vor. Standards und Schnittstellen müssen dafür geschaffen werden. Ohne diese sind Identitäts-, Zugriffs- und Datenverwaltung kaum umsetzbar. Bund, Kantone und Gemeinden sind hier gefordert. Dabei ist aber immer zu beachten, dass die Schweiz sich nicht auf einer Insel befindet. Die Schnittstellen müssen auch den elektronischen Austausch mit anderen Ländern, vor allem aus der EU, ermöglichen.

Gegen die E-ID-Gesetzesvorlage wird voraussichtlich ein Referendum ergriffen. Die Gegner der Vorlage sind der Meinung, dass der Identitätsnachweis eine hoheitliche Aufgabe ist, die nicht der Wirtschaft überlassen werden kann. Geht es hier im Grunde um eine Frage des Vertrauens oder eher um die Rolle des Staates im digitalen Zeitalter?

Es geht um Beides. Der Staat muss an sich in der Lage sein, eine Elektronische Identität anzubieten. Warum er dies im Rahmen des neuen E-ID Gesetzes nicht tun will, ist eine Sache für sich. Vorgesehen ist ja, dass der Staat die Identität prüft, die Lösung selbst von Dritten erbracht wird. Ob durch eine allfällige Volksabstimmung der Staat dazu gezwungen werden kann, das werden wir sehen. Auch ist dies nicht eine optimale Ausgangslage und würde die Einführung der elektronischen Identität um Jahre verzögern. Wichtiger als wer sie herausgibt ist, dass die Lösung die notwendige «blindness» erfüllt, das heisst, dass niemand – auch nicht der Herausgeber der E-ID – sehen kann, wer mit wem eine Transaktion ausgeführt hat. Das ist die Voraussetzung für das Vertrauen in die Elektronische Identität. Die Rolle des Staates im digitalen Zeitalter ist eine spannende und noch ungeklärte Frage und wird einen intensiven Dialog zwischen Staat, Bevölkerung, Unternehmen und vor allem auch der Politik bedingen.

An einer Podiumsdiskussion der Netzwerkveranstaltung 2019 «Digitale Verwaltung zum Nutzen Aller» hat Michel Huissoud, Direktor der Eidg. Finanzkontrolle, das Ergreifen einer Verfassungsinitiative vorgeschlagen, um die Verwaltung der Basisregister neu zu gestalten. Wäre dies der richtige Ansatz, um den öffentlichen Diskurs zum Thema Datenpolitik zu lancieren?

Eine Verfassungsinitiative wäre sicherlich eine Möglichkeit, eine breite Diskussion zum Thema Datenpolitik zu starten. Es gibt jedoch bereits einige Bestrebungen, den Umgang mit Daten zu sensibilisieren und auf das politische Parkett zu bringen. Open Government Data, Data Governance, Datenportabilität und Swiss Data Space sind nur einige der Begriffe, die im Rahmen einer Datenpolitik von Relevanz sind. Für Europa hat IBM eine solche Vision für bis ins Jahr 2024 erarbeitet – «For a responsible, open and inclusive digital Europe». Nicht nur für eGovernment, sondern auch für Initiativen wie eHealth oder eMobilität ist eine akzeptierte Datenpolitik notwendig. Open Data als der neue Rohstoff nicht nur der digitalen Verwaltung, rechtliche Voraussetzungen und Rahmenbedingungen, die die Schweiz zu einem attraktiven Daten-Standort machen, müssen die Ziele der Datenpolitik sein. Nach den grossen Skandalen um Social-Media-Plattformen, die gefährliche Informationen verbreiten und personenbezogene Daten in einem beispiellosen Ausmass missbrauchen, ist an sich die Sensibilität zum Thema Daten in hohem Masse vorhanden. Aber auch hier gilt, es braucht die Verwaltung, die Wirtschaft, die Wissenschaft und die Politik. Nur gemeinsam lässt sich eine Datenpolitik etablieren.

Welche Themen sollen Ihrer Meinung nach im politischen Diskurs aufgenommen werden? Ist der Schweizer Public Sector bereit für Künstliche Intelligenz?

Grundsätzlich sollte sich der Public Sector mit allen neuen Technologien auseinandersetzen. Egal ob Blockchain, Künstliche Intelligenz, Quantencomputing oder Hybrid Clouds, sie alle werden den öffentlichen Sektor beeinflussen. Notwendig für den Public Sector wird es aber sein, sowohl die traditionellen als auch die neuen Systeme zu integrieren. Dabei ist sowohl betriebswirtschaftliches Fachwissen als auch Wissen über neue Technologien Voraussetzung. Es geht eigentlich nicht nur darum, diese miteinander zu «integrieren», sondern sie auch ineinander zu überführen. Eine Kultur der Agilität und Innovation wird zunehmend wichtig. Das Verständnis eines Verwaltungsprozesses und wie Technologie in diesen Ablauf eingebettet werden kann, wird der Schlüsselfaktor für den zukünftigen Erfolg des Public Sectors sein. In diesem Sinne ist man auch für einen konkreten Einsatz von Künstlicher Intelligenz (noch) nicht bereit. Und auch hier gilt es zu beachten, dass man die Regulierung in Grenzen hält.

Die Bundeskanzlei hat (mit NZZLibro) soeben eine Publikation zur Schweiz 2030 herausgegeben: Wie sieht die digitale Verwaltung 2030 aus? Und davon ausgehend: Was sind die nächsten Schritte?

Für die digitale Verwaltung 2030 stehen ja nur noch zehn Jahre zur Verfügung. Das ist sehr wenig Zeit für die Verwaltung. Wenn es jedoch gelingt, alle Strategien – wie die eGovernment Strategie oder die Strategie zur Digitalen Verwaltung – wie geplant umzusetzen, steht die Schweiz sicherlich besser als heute da. Eine grosse Gefahr besteht jedoch darin, dass es nicht gelingt, neue Technologien wie beispielsweise 5G, rechtzeitig einzuführen. Dem Bund kommt dabei die wichtige Rolle zu, vorgängig die Bevölkerung zu sensibilisieren und entsprechende Informationen aufzubereiten. Die Digitalisierung wird immer stärker zur treibenden Kraft für Innovationen in Wirtschaft und Gesellschaft. Die Chancen dieser Transformation proaktiv zu ergreifen ist notwendig, um die Schweiz auch zukünftig als innovativen und wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort zu positionieren. Deshalb ist es wichtig, dass auch im öffentlichen Sektor den Mitarbeitern – egal ob Mann oder Frau – neue Perspektiven gegeben werden und sie auf die neuen Jobs und Skills entsprechend befähigt werden. Sehen wir Digitalisierung als Chance – auch für den Public Sector!


Zur Person

Dr. Alain Gut ist Director Public Affairs bei IBM Schweiz. Er setzt sich in zahlreichen Kommissionen und Gremien für die Themen Bildung und Informatik, Cyber-Sicherheit, Mobilität und Datenpolitik ein.

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«Wir brauchen nicht nur eine Technologiedebatte, sondern vor allem eine gesellschaftspolitische Debatte»

Die politischen Strukturen in der Schweiz können beim Thema E-Government blockierend wirken. Worauf es bei institutionellen Reformen ankommt, haben wir mit Benedikt Würth, dem St. Galler Finanzdirektor und Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen im Interview gesprochen.

Wir haben gesehen, dass der gemeinsame Bericht des eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) und der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) zum Thema Organisation der Zusammenarbeit über föderale Ebenen zum Thema eGovernment herausgekommen ist. Können Sie davon berichten?

Die Kernfrage heute ist, wie sich Geschäftsprozesse im Zuge der Digitalisierung verändern und ob unsere Strukturen auf diese Veränderung genügend ausgerichtet sind. Das gilt für private Unternehmen, aber auch für den Staat. Auf die Schweiz bezogen ist die horizontale, d.h. interdepartementale Zusammenarbeit gefordert, aber auch die vertikale, staatsebenübergreifende Zusammenarbeit. Unser Föderalismusverständnis war immer so, dass wir neue Entwicklungen adaptieren. Das heisst, wir müssen neue Zusammenarbeitsformen finden, damit wir die Ansprüche der Wirtschaft, der Gesellschaft im Bereich digitaler Services und Digital Government befriedigen können. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, der Staat steht nicht im Wettbewerb, also machen wir weiter wie bisher. Aber das ist ein Trugschluss. Gesellschaft und Wirtschaft erwarten, dass wir einerseits diese Dienstleistungen digital erbringen und anderseits versuchen, möglichst effizient zu sein. Wenn man den internationalen Vergleich zieht, dann stellt man fest, dass wir als Hightech-Land nicht an der Spitze sind. Das ist bedauerlich und hat mutmasslich auch mit strukturellen Gegebenheiten zu tun.

Sie meinen den Föderalismus?

Nicht nur. Wie erwähnt ist nicht nur die vertikale Zusammenarbeit gefordert, sondern auch die horizontale. Die ausgeprägte Verteilung von Verantwortung ist ein grosser Vorteil der Schweiz. In der digitalen Verwaltung läuft darum eigentlich sehr viel, vielleicht zu viel, so dass die Räder nicht immer ineinandergreifen, sondern sich möglicherweise auch blockieren. Wir müssen uns darum horizontal und vertikal in den digitalen Querschnitthemen wesentlich besser vernetzen. Nur so können wir die digitalen Chancen auch nutzen.

Sie sprechen eigentlich die Nutzung von Synergien horizontal und vertikal an. Es geht in dem Dokument aber auch um die Verbindlichkeit. Können Sie dazu vielleicht noch etwas sagen? Braucht es die?

In St. Gallen haben Kanton und Gemeinden eine Governance, eine gemeinsame Struktur, die in der Lage ist, Verbindlichkeiten zu schaffen. Das ist bei diesem Thema sehr wichtig, denn es nützt nichts, wenn wir 90 Prozent der Gemeinden in einer Lösung haben und die restlichen 10 Prozent machen es nochmals anders. Den richtigen Hebeleffekt haben wir erst, wenn alle an Bord sind. Auf gesamtschweizerischer Ebene wollen wir Verbindlichkeit schrittweise aufbauen. Wir wollen Schritt für Schritt das Ambitionslevel erhöhen. Es soll immer wieder politisch diskutiert werden, ob wir eine nächste Vertiefung der Zusammenarbeit machen. Ich persönlich erhoffe mir schon, dass Bund und Kantone am Ende eine Governance haben, welche Verbindlichkeiten in den zentralen Fragestellungen schaffen kann, sei es bei Identifizierung, Basisdiensten oder beim Stammdatenmanagement. Alles Dinge, die eigentlich der Rohstoff sind, damit in den einzelnen Bereichen weitere, prozessbezogene Anwendungen entwickelt werden können.

Verbindlichkeiten wollen Sie aber auch in der Regulierung. Wie wollen Sie das schaffen?

Selbstverständlich schaffen letztlich das Parlament und das Volk über Gesetze Verbindlichkeit. Aber uns ist wichtig, dass Bund und Kantone künftig eine Struktur haben, die frühzeitig festlegen kann, was wir regulatorisch in der Schweiz im ganzen Digitalisierungsbereich brauchen. Eine bessere und frühzeitige Abstimmung hätte uns beispielsweise beim umstrittenen E-ID-Gesetz möglicherweise geholfen, Widerstände, die sich jetzt im Referendum manifestieren, rechtzeitig zu erkennen und darauf nochmals Antworten zu entwickeln.

Also brauchen wir ein nationales E-Government-Gesetz?

Es kann sein, dass wir beim höchsten Ambitionslevel sogar eine Verfassungsgrundlage brauchen. Ich hoffe immer noch, dass wir im Rahmen der geltenden Ordnung relativ weit kommen. Aber man könnte auch sagen: wir haben den digitalen Wandel und darauf muss man die Verfassung ausrichten. Entscheidend für uns ist, dass diese Thematik gemeinsam vertieft wird und auch Lösungen gefunden werden, die von Bund und Kantonen getragen werden.

Inwiefern unterscheidet sich denn die nationale Ebene von der kantonalen?

Der Komplexitätsgrad ist einfach nochmals viel grösser. Von unserem Verfassungsverständnis her sind die Kantone souverän. Sie haben in diesem Bereich eine originäre Kompetenz. Auch was die interkantonale Zusammenarbeit anbelangt, läuft viel. Mein Kanton mit seinen 77 Gemeinden ist soeben dem Verein www.iGov-Portal.ch beigetreten. Dieser wurde von den Kantonen Freiburg und Jura 2017 gegründet. Nun sind auch die Kantone Solothurn und St. Gallen beigetreten. Somit werden über eine Million Einwohnerinnen und Einwohner über dieses Portal das digitale Leistungsangebot nutzen. Der Föderalismus hat in diesem Punkt auch einen Vorteil, weil er einen gewissen Laborcharakter hat. Man probiert aus, entwickelt Themen und schaut voneinander ab, das ist spannend. Auf nationaler Ebene haben wir eine hohe Komplexität. Ueli Maurer sagt in diesem Zusammenhang jeweils: «Wir haben nicht eine Bundesverwaltung, sondern wir haben 80 Bundesämter.» Diese heterogene Struktur ist eine Herausforderung. Die Bundesverwaltung ist ein grosser Koloss, Departemente und einzelne Ämter entwickeln ihre Strategien. Die Querschnittämter (Informatik, Personal etc.) haben generell eine relativ schwache Stellung. Wenn von verbindlicher Governance gesprochen wird, gibt es darum sofort gewisse Reflexe – man könne oder dürfe etwas nicht mehr. Es geht aber nicht darum, Informatik zu zentralisieren. Wir wollen ein Fundament schaffen, das es ermöglicht, effizienter Anwendungen zu entwickeln, die sich an den Prozessen orientieren und möglichst medienbruchfrei sind. Die kulturelle Herausforderung wird sein, dass wir von einem traditionellen Struktur- und Hierarchiedenken, das der Verwaltung inhärent ist, zu einem Prozessdenken kommen, das sich dann nicht unbedingt nur an den Departementsgrenzen oder Amtsgrenzen orientiert.

Sie sprechen da den regulatorischen Rahmen an. Gleichzeitig nennen Sie auch einen notwendigen Kulturwandel. Braucht es beides?

Ja. Für den Kulturwandel braucht es nicht nur die lineare Denkweise, sondern auch die mehr prozesshafte und vernetzte. Das ist ein Push and Pull: Einerseits werden wir gezogen aufgrund der Entwicklung, die technologisch getrieben ist, anderseits braucht es für die Implementierung auch den entsprechenden regulatorischen Rahmen. Ein Beispiel: Ich bin Finanzminister. Über 50 Prozent der Steuerveranlagungen werden heute bei uns elektronisch eingereicht, in einzelnen Gemeinden bis 70 Prozent. Aber der Prozess ist immer noch nicht vollständig elektronisch, solange wir nicht die elektronische Unterschrift haben. Das ist sehr unbefriedigend, denn technologisch wären die Voraussetzungen längst gegeben.

Kommen wir zum Thema Vertrauen und Datenschutz. Das Bundesparlament wird in Kürze über das Datenschutzgesetz beraten. Die Vorlage ist schwächer als zum Beispiel die europäische DSGV. Wenn man aber das Vertrauen des Volkes gewinnen möchte, wäre das dann nicht der Stein des Anstosses?

Es ist wichtig, dass wir Regulierungen haben, die meine Daten schützen, gleichzeitig stellt man fest, dass die Leute selber mit den eigenen Daten recht locker umgehen. Das ist ein gewisser Widerspruch. Ich glaube, wir sind da immer noch in einer gewissen Übergangsphase. Wichtig bei diesem Thema ist Transparenz. Im E-Government Gesetz meines Kantons haben wir, definiert, wann und unter welchen Voraussetzungen Datenaustauschvereinbarungen geschaffen werden müssen. Diese Vereinbarungen sind alle transparent und abrufbar. Umgekehrt kann es nicht sein, dass am Schluss wegen des Datenschutzes verwaltungsintern dermassen viele Hürden aufgebaut werden, dass die ganzen Vorteile, die wir eigentlich mit digitalen Lösungen haben könnten, wieder zunichte gemacht werden.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Datenpolitik. Wäre das vielleicht ein Weg, um Vertrauen zu schaffen, dass man diesen Diskurs öffentlich austrägt?

Diesen Diskurs müssen wir führen, er ist bereits im Gang. Frankreich steckt aktuell mit der biometrischen Gesichtserkennung in einer grossen Debatte. Die Regierung will einen dritten Kanal für öffentliche Dienstleistungen entwickeln (neben dem analogen und dem Onlinezugang). Das ist eine hoch politische Diskussion. Ich bin nicht euphorisch, was Digitalisierung anbelangt, sondern pragmatisch. Ich sehe die Chancen, aber logischerweise auch die Gefahren. An der aktuellen Diskussion in Frankreich kann man das gut beobachten. In der Schweiz mit der direkten Demokratie und dem Föderalismus sind neue Lösungen nur möglich, wenn eine breite politische Debatte und ein Diskurs geführt werden. Darum braucht es nicht nur eine Technologiedebatte, sondern vor allem eine gesellschaftspolitische Debatte, wie weit man gehen will.

Das war die Idee von Michel Huissoud. Er hat vor ein paar Wochen an einer Netzwerkveranstaltung in einem Podium im Zusammenhang mit Sharing Data in der behördenübergreifenden Zusammenarbeit gesagt, wir können uns lange darüber unterhalten, aber was wichtig wäre, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Verwaltung der Basisregister neu designed wird.

Das ist ein wichtiger Kern. Aber dafür brauchen Sie eine Struktur, eine Governance, die in der Lage ist, Verbindlichkeiten und Standards zu setzen, wie man mit dem Datenschutz und dem Datenaustausch umgeht. Es braucht immer wieder eine politische Diskussion, wenn man einen Schritt weitergehen will. Der gemeinsame Bericht EFD/KdK zielt auf dem höchsten Ambitionslevel auf eine gemeinsame Behörde, die in der Lage ist, Standards zu setzen. Ich finde, für die Kantone ist es strategisch wichtig, dass man jetzt in diese Diskussion einsteigt. Wir müssen den digitalen Wandel gemeinsam steuern. Wir wollen nicht, dass der Bund einseitig steuert.

Wie sieht digitale Verwaltung idealerweise für Sie 2030 aus?

Sie wird weit deutlich mehr Möglichkeiten haben für direkte und medienbruchfreie Interaktionen zwischen Bürger und Staat, die rund um die Uhr möglich sind. Wir haben in meinem Kanton bereits eine Amtsstelle, die mit Chatbots arbeitet. Das wird sich ausdehnen in den Bereichen, wo wir grosse Massengeschäfte haben. In spezialisierten Bereichen bleibt aber auch vieles analog. Denken Sie an eine komplexe Steuerveranlagung. Wir werden E-Portallösungen haben, die den Namen verdienen und nicht zig Portale nebeneinander. Eine einheitliche elektronische Identität ist selbstverständlich. Für jemanden, der sich mit den grossen digitalen Umwälzungen – z.B. künstlicher Intelligenz – befasst, sind diese Schritte möglicherweise nicht grossartig. Ich bin aber realistisch. Wenn ich das Tempo der letzten zehn Jahre anschaue, dann müssen wir an Dynamik zulegen und das geht nicht nur über neue Technologien, sondern auch über neue institutionelle Ansätze.


Zur Person

Benedikt Würth (CVP) ist seit 2010 Regierungsrat im Kanton St. Gallen und wird im Mai 2020 aus diesem Amt ausscheiden. Er leitet das Finanzdepartement und ist seit 2017 Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. Benedikt Würth ist seit Juni 2019 Mitglied des Ständerates.

 

 


 

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Die BildungsID als Grundlage für die digitale Schule

Wenn im Unterricht vermehrt digitale Lehrmittel benutzt werden, brauchen Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen eine elektronische Identität, um Anwendungen und Plattformen sicher nutzen zu können. Für die Schulen wird dies zunehmend zu einem kritischen Erfolgsfaktor für die Schule. Aus Sicht der Kantone müssen dabei die nationalen Entwicklungen und die kantonalen Anforderungen in Einklang gebracht werden. In einem Forschungsprojekt des Zentrums Digital Society wurden die Situation für den Kanton Bern analysiert.

Die digitale Transformation der Schule beinhaltet auch die vermehrte Nutzung digitaler Inhalte und Anwendungen. Wird die Frage des Zugangs und der Nutzung der Benutzerdaten nicht systematisch gelöst, können zahlreiche Angebote in der Praxis nicht mehr genutzt und die Daten nicht ausreichend geschützt werden. Diesem Negativszenario haben die Bildungsdirektorinnnen und -direktoren der Kantone das Projekt FIDES entgegengesetzt, das eine Föderation von Bildungsidentitäten entwickeln soll. Damit entsteht eine nationale Lösung, die den Zugang zu vielen Angeboten mit einer kantonalen oder lokalen BildungsIDs ermöglicht. Das Konzept der Föderation bedingt, dass kantonale BildungsIDs vorhanden sind, denn FIDES schliesst explizit aus, eine nationale BildungsID zu schaffen. Es will mit der Föderation nur ein Netzwerk für die bestehenden Identitäten ermöglichen.

Was die BildungsID können soll

In dieser Ausgangslage hatte die Erziehungsdirektion des Kantons Bern ein Team von Forschenden des Zentrums Digital Society beauftragt, die Ausgangslage im Kanton Bern zu klären. Das Projekt dokumentierte die Anforderungen sowie die vorhandene Infrastruktur, entwickelte ein Lösungskonzept und befragte die Stakeholder. Ziel der Studie war es, Empfehlungen zum weiteren Vorgehen zu geben und so einen Baustein zur digitalen Transformation der Schule bereitzustellen.

Dabei wurde davon ausgegangen, dass eine BildungsID zwei zentrale Aspekte und Funktionalitäten beinhaltet:

  1. Eine BildungsID ist ein eindeutiger Identifikator in Form einer Nummer, die für die gesamte Bildungslaufbahn der Lernenden oder durch die gesamte Berufslaufbahn als Lehrperson in den Schulen des Kantons Bern mit einer Person verbunden ist. Mit dieser Nummer können weitere Daten verknüpft werden.
  2. Mit dieser BildungsID ist ein Zugangsschlüssel (z.B. in Form eines Benutzernamens und Passworts) verbunden, der der Person erlaubt, gegenüber unterschiedlichen Diensten ihre Identität zu bestätigen und damit Zugriff zu unterschiedlichen Diensten im Bildungssektor zu erhalten.

Die Verantwortlichen der Schulen und die Stakeholder wünschen sich einen einfachen Weg:

  • für den Zugang,
  • um Lizenzen zu verwalten und
  • um die Daten von Lehrpersonen und Schülerinnen und Schülern wirksam zu schützen.

Damit ist der Zeitpunkt für die Realisierung einer Lösung richtig. Die grössten Bedenken in Bezug auf eine BildungsID betreffen den Schutz der persönlichen Daten, insbesondere soll «die gläserne Lehrperson» verhindert werden. Die Schulverlage und Anbieter von Schulverwaltungslösungen ziehen eine nationale Lösung vor, um nicht die einzelnen kantonalen Lösungen integrieren zu müssen.

Heterogene Ausgangslage

Die Ausgangslage ist in den verschiedenen Schulstufen in Bezug auf die Maturität der vorhandenen Infrastruktur unterschiedlich: Gymnasien und Berufsschulen nutzen fast alle eine vom Kanton betriebene, einheitliche Schulverwaltungslösung, die als Datengrundlage für eine BildungsID dienen kann. In der Volksschule hingegen sind die eingesetzten Werkzeuge sehr unterschiedlich: Während viele Schulen eine Schulverwaltungslösung der drei Marktführer in der Schweiz, Scolaris, iCampus und Lehreroffice, einsetzen, werden – grob geschätzt – in einem Drittel der Schulen Excel, Access und Filemaker verwendet. Diese Lösungen basierend auf Office-Tools lassen keinen einfachen automatisierten Datenabgleich zu und stellen damit hohe Hürden für die Schaffung einer BildungsID dar.

Bei der Lösungskonzeption wurde einer dezentralen Lösung, die auf der Verwaltung der Daten und der Provisionierung einer ID durch die Schulen, aus zwei Gründen der Vorzug gegeben:

  1. Die Daten sollen weiterhin in den Schulen verwaltet werden, um die Aktualität der Daten garantieren zu können.
  2. Die dezentrale Datenspeicherung vermeidet eine grosse Datenbank, die weitere Kosten und Angriffsrisiken mit sich bringt.

Die vorgeschlagene Umsetzung setzt drei Elemente voraus:

  1. In den einzelnen Schulen ist die bestehende Schulverwaltungslösung so zu erweitern, dass die Identitätsinformationen als elektronisch bestätigbare Attribute verwendet können. Das bedeutet, dass die einzelnen Schulen eine Schulverwaltungslösung mit einem Zusatzelement benötigen, die auch als Identitätsprovider funktioniert.
  2. Damit keine doppelten Bildungsidentitäten ausgegeben werden, wird eine zentrale Datenbank geschaffen, die zu jeder BildungsID eine datenführende Institution verzeichnet.
  3. Als zentrales Element wird ein Vermittlungsinstanz geschaffen, Hub oder Broker genannt, die Bestätigungsanfragen von berechtigten Applikationen an die datenführenden Schulen weiterleitet und Bestätigungen wieder an die Applikationen weitergibt. Über dieses zentrale Element kann gesteuert werden, welche Applikation berechtigt sind, die entsprechenden Identitätsinformationen zu erhalten.

Dank Datensparsamkeit kann erreicht werden, dass eine Verlagsplattform nur die Nummer, Rolle und die eventuell notwendige Zugehörigkeit zu einer Klasse erfährt, sofern nicht weitere Angaben notwendig sind.

Hub-Funktion in der Zukunft

Im Projektverlauf wurde auch das Zusammenspiel mit den nationalen Infrastrukturen thematisiert. Klar ist, dass die Hub-Funktionalität dereinst von der FIDES-Infrastruktur bereitgestellt werden soll und damit auch die Organisation der Berechtigungen, um Attribute bestätigt zu erhalten. Weiter kann aktuell davon ausgegangen werden, dass auch die Register-Funktionalität auf nationaler Ebene bereitgestellt wird. Die Pilotierung der nationalen Lösung läuft aktuell und zeigt, wie die Lösung funktioniert.

Für den Kanton Bern zeigt die Studie auf, dass die nationalen Entwicklungen eng begleitet werden sollen, um sicherzustellen, dass eine funktionierende und den Bedürfnissen des Kantons entsprechende Lösung gebaut wird. Weiter soll der Kanton Optionen prüfen, wie Schulgemeinden im Wechsel auf eine Schulverwaltungslösung unterstützt werden können, die den automatischen Austausch von Daten ermöglicht. Damit kann einfacher sichergestellt werden, dass alle Schülerinnen und Schüler sowie Lehrpersonen der Volksschule und der Mittel- und Berufsschulen eine BildungsID nutzen können und so in Zukunft einen einfachen und sicheren Zugriff auf unterschiedliche digitale Anwendungen und Inhalte erhalten.


Den Bericht zum Projekt finden Sie unter Forschungsberichte und Studien hier.

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