Das E-Government in Deutschland kommt nicht voran. Die Nutzung von digitalen Behördenleistungen ist im vergangenen Jahr sogar gesunken. Im Interview erläutert E-Government-Expertin Lena-Sophie Müller die Gründe und was sich ändern muss.
Sie sind Politikwissenschaftlerin und leiten Initiative D21, das bedeutendste gemeinnützige Netzwerk für die digitale Gesellschaft in Deutschland. Was ist aus Ihrer Sicht der grösste eGov-Erfolg in Deutschland?
Wenn man sich rein die Nutzungszahlen ansieht, dann lautet die Antwort wohl ELSTER. Die Plattform zur Abwicklung der elektronischen Steuererklärung wird von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern laut der aktuellen Studie eGovernment Monitor, die wir zusammen mit Kantar TNS jährlich herausgeben, am häufigsten genutzt. Dies ist aber nur ein einzelnes Projekt, das keine Breitenwirkung auslösen konnte. Bei E-Government-Diensten in Deutschland bestehen zahlreiche Nutzungsbarrieren, weswegen diese nicht häufig genutzt werden. Aus meiner Sicht stellen die E-Government-Gesetze des Bundes und der Länder deswegen die grösseren E-Government-Erfolge dar. Diese verpflichten die deutschen Verwaltungen dazu, elektronische Kommunikationskanäle zu eröffnen und ausserdem die Schriftform durch digitale Verfahren abzulösen. Auch das Onlinezugangsgesetz, das Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen online über Portale anzubieten, liefert einen wichtigen gesetzlichen Rahmen. Mit diesen Gesetzten wurden rechtliche Hürden abgeschafft, um die elektronische Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie den Behörden zu vereinfachen.
Mit dem E-Government Monitor erhalten Sie seit einigen Jahren zuverlässige Daten über die Nutzung digitaler Verwaltungsangebote im deutschsprachigen Raum. Wie hat sich die eGov-Landschaft in den letzten 10 Jahren verändert?
Betrachtet man die Nutzungszahlen der letzten fünf Jahre zeigt sich eine Stagnation und keine Verbesserungen. In Deutschland sank die Nutzung von E-Government-Diensten im letzten Jahr sogar und verharrt auf niedrigem Niveau. Der letzte Bundestagswahlkampf hat aber gezeigt, dass die Politik den dringenden Handlungsbedarf erkannt hat: E-Government ist jetzt auf der Chefebene angekommen und das Kanzleramt hat Zuständigkeiten übernommen. Was sich verändern muss, ist, dass nicht immer nur einzelne IT-Projekte umgesetzt werden, sondern E-Government eine wirkliche Erleichterung bringt für Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltungen selbst.
Welches Thema wird denn in Ihrem Land am meisten diskutiert?
Was konkrete Projekte angeht sind wir gespannt auf den Portalverbund. Über dieses Serviceportal sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen mit wenigen Klicks finden und gleich online Anträge stellen können. Der Prototyp geht diesen Herbst online. Damit steht den Bürgerinnen und Bürgern ein Einstiegsportal zu Verwaltungsleistungen verschiedener Behörden zur Verfügung. Das Portal soll nicht nur die Auffindbarkeit von Verwaltungsdiensten erleichtern. Gleichzeitig ist beim Portalverbund ein integriertes Bürgerkonto geplant, bei dem wichtige Daten gespeichert und nicht jedes Mal neu eingegeben werden müssen. Dies könnte dann in der Tat ein Mehrwert und eine Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger sein, wenn dieses auch nutzerfreundlich umgesetzt wird.
Wie haben Sie den Digital Summit in Tallinn wahrgenommen?
Leider war der Digital Summit kaum ein Thema, wenn man sich nicht in den Fachkreisen oder der Wissenschaft bewegt. Bei E-Government haben EU-Massnahmenpläne leider aus meiner Sicht noch einen zu geringen Stellenwert in der Aufmerksamkeit in Deutschland.
Das klingt etwas ernüchtert. Was kann die Tallinn Deklaration konkret in Europa bewirken?
Das wird die Zeit zeigen. Die Tallinn Declaration ist nur eine Bekundung der EU-Länder, hat aber keine Bindung. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Punkte aus der Erklärung mit bindenden gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden. Wünschenswert wären besonders einheitliche Regelungen bei der Informationssicherheit und beim Datenschutz. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung DSGVO brachte Datenschutzbestimmungen europaweit bereits auf ein hohes einheitliches Niveau. Dies sollte auch in anderen Bereichen fortgesetzt werden, wie beispielsweise bei einheitlichen sicheren eID-Lösungen, um diese auch grenzüberschreitend in Europa einsetzen zu können.
Zur Person:
Lena-Sophie Müller ist eine der Referentinnen unserer Tagung eGovFokus am 1. Juni im Generationenhaus Bern. Sie wird einen Überblick geben über E-Government aus der BürgerInnen-Perspektive in der Schweiz und Deutschland und nach den Impulsen fragen, die von der Tallinn Deklaration ausgehen können. Lena-Sophie Müller ist seit 2014 Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins Initiative D21 e.V. Zuvor arbeitete die Politikwissenschaftlerin seit 2008 am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin und hat dort zahlreiche Verwaltungsmodernisierungs- und E-Government-Projekte mit der Industrie und der öffentlichen Verwaltung auf EU-, Bundes-, Landes- und Kommunalebene geleitet.
eGov-Fokus
«Die Schweiz im Europäischen E-Government – Projekte und Perspektiven»
Datum: Freitag, 1. Juni 2018
Zeit: 9:00-17:00 Uhr anschliessend Apéro
Ort: Berner GenerationenHaus, Bahnhofplatz 2, 3011 Bern
Referentinnen:
Prof. Dr. Reinhard Riedl, Lena-Sophie Müller, Prof. Dr. Maria Wimmer, Bas Groenveld, Cedric Roy, Marlies Pfister
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