Die Politik wird durch die Digitalisierung stark gefordert: Die Bürgerinnen und Bürger, aber auch die Wirtschaft und die Wissenschaft erwarten diesbezüglich zukunftsweisende Entscheide. Vor diesem Hintergrund lancierte das Institut Public Sector Transformation (IPST) der Berner Fachhochschule zusammen mit den Universitäten Zürich und Genf, der Online-Wahlhilfe «smartvote» sowie dem ICT- und Online-Branchenverband Swico im Vorfeld der Eidgenössischen Wahlen vom Oktober 2019 den «Digitalisierungsmonitor 2019». Im Rahmen des Projektes wurden die Kandidierenden der National- und Ständeratswahlen anhand eines thematisch breit gefächerten Fragebogens zu ihren Positionen bezüglich der Digitalisierung befragt.
Die BFH hat nun einen Analysebericht zum Digitalisierungsmonitor veröffentlicht, der eine gezielte Auswertung der erhobenen Daten mit Fokus auf die Haltung gegenüber der Digitalisierung im Allgemeinen, auf die digitale Demokratie und Meinungsbildung sowie auf die institutionellen Rahmenbedingungen, die für den Ausbau und für die Entwicklung neuer Ansätze einer digitalen Demokratie unverzichtbar sind, vornimmt.[1]
Mässiges Interesse am Thema
Eine erste Erkenntnis leitet sich bereits aus der Tatsache ab, dass die 20 Fragen des Digitalisierungsmonitors bloss von knapp einem Viertel der insgesamt 4’736 Kandidierenden beantwortet worden sind. Zum Vergleich: bei der Online-Wahlhilfe «smartvote», die 75 Fragen umfasste, fiel die Antwortquote mehr als drei Mal so hoch aus. Trotz der hohen Präsenz in der Berichterstattung der Medien scheint die Digitalisierung in der Politik einen deutlich geringeren Stellenwert aufzuweisen und bei den Kandidierenden lediglich ein mässiges Interesse hervorzurufen. Somit zeigt sich aber auch, dass das Sensibilisierungsziel des Digitalisierungsmonitors nach wie vor absolut vordringlich ist.
Mit Blick auf die vorliegenden Auswertungen bleibt positiv zu vermerken, dass trotz der eher geringen Antwortquote die Daten des Digitalisierungsmonitors eine hohe Aussagekraft aufweisen. In einer vergleichenden Analyse der Antworten aus dem Digitalisierungsmonitor und der «smartvote»-Daten zeigt sich, dass es zu keinen nennenswerten Verzerrungen kommt bzw. die Teilnehmenden am Digitalisierungsmonitor vergleichbare Antwortmuster wie die «smartvote»-Teilnehmenden aufweisen (für Details vgl. BFH-Analysebericht).
Positive Grundhaltung – Skepsis bezüglich einzelner Projekte
Generell werden die Digitalisierung und ihre Auswirkungen von den Kandidierenden aller Parteien weitgehend positiv beurteilt (vgl. Abbildung 1). Grössere Unterschiede und auch skeptischere Positionsbezüge ergeben sich jedoch, wenn gezielt nach einzelnen Bereichen gefragt wird (beispielsweise danach, ob die Digitalisierung die Gesellschaft auch gerechter macht). Über mehrere Fragen hinweg betrachtet zeigt sich, dass die Haltung gegenüber der Digitalisierung auch eine ideologische Prägung aufweist: Liberale Kandidierende (vor allem GLP- und FDP-Kandidierende) neigen zu optimistisch-positiven Einschätzungen, links-grüne und konservative Kandidierende (vor allem Grüne und SVP-Kandidierende) neigen zu eher skeptischen Einschätzungen. Daneben zeigt sich, dass Männer und Kandidierende aus der Deutschschweiz eine positivere Grundhaltung einnehmen als Frauen resp. französisch- und italienischsprachige Kandidierende. Bemerkenswert ist, dass das Alter der Kandidierenden insgesamt eine geringere Rolle spielt als gemeinhin angenommen wird.
Abbildung 1
Positionen zur Digitalen Demokratie
Auch bei digitalen Innovationen im Bereich der demokratischen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung erfolgt die Beurteilung oft entlang ideologischer Linien. Insbesondere, wenn Regulierungsfragen ins Spiel kommen, tritt der in der Politik dominante Links-rechts-Gegensatz auch bei Digitalisierungsfragen deutlich hervor (beispielsweise beim Thema Regulierung von Social-Media-Plattformen). Interessant ist die unterschiedliche Beurteilung von E-Voting (elektronische Stimmabgabe) und E-Collecting (Sammeln von Online-Unterschriften für Initiativen und Referenden): Während das E-Voting-Thema tendenziell liberale Befürworter von konservativen Gegnern trennt, spaltet das E-Collecting linke Befürworter und rechte Gegner (vgl. Abbildung 2).
Abbildung 2
Bei einer ganzen Reihe von Themen sind sich hingegen die Kandidierenden aller Parteien mehrheitlich einig. So finden sich in allen Parteien Mehrheiten für die Bekämpfung der negativen Auswüchse von Social-Media-Plattformen (z.B. im Bereich der «Fake News»-Verbreitung). Umstritten ist hingegen, ob dies mittels staatlicher Regulierung oder über eine Selbstregulierung der Plattformen geschehen soll (vgl. Abbildung 3). Das Thema «Social Media» ist zudem eines der wenigen Themen, bei denen das Alter der Kandidierenden eine klare Rolle spielt: Junge Kandidierende betrachten die Regulierung dieser Plattformen deutlich kritischer als die älteren Kandidierenden.
Abbildung 3
Darüber hinaus weist die Auswertung auf den zweifelhaften Ruf hin, den der Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) im Rahmen staatlicher Entscheidungen geniesst (vgl. Abbildung 4). In diesem Bereich besteht ganz offensichtlich eine grössere Kluft zwischen der Einschätzung durch die Politik und der Rolle, die KI in der Forschung und der Industrie heute bereits spielt.
Abbildung 4
Bei Fragen zur digitalen Infrastruktur, zu E-Government und zum Datenschutz zeigen sich häufig klare Mehrheiten. In den Medien werden Themen wie das 5G-Mobilfunknetz, E-Health, E-ID oder der Datenschutz oft als heftig umstritten dargestellt, im Rahmen der Auswertungen des Digitialisierungsmonitors erweisen sich die Kandidierenden und die Parteien allerdings als deutlich konsensorientierter. So wird der 5G-Netzausbau vor allem von den Grünen bekämpft, während in den Bereichen E-Government und Datenschutz die SVP opponiert (vgl. Abbildung 5). Bei allen übrigen Parteien überwiegen positive Einschätzungen.
Abbildung 5
So stehen z.B. auch alle Parteien dem Vorschlag, ein Grundrecht auf digitale Unversehrtheit (z.B. mit dem Recht auf Vergessen) in der Verfassung zu verankern, wohlwollend gegenüber. Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass sich unter den Kandidierenden und Parteien in allen Bereichen der Digitalisierungspolitik im Grundsatz Mehrheiten für zukunftsweisende Lösungen finden lassen.
Fazit und Ausblick
Für die zukünftige Ausgestaltung der Digitalisierungspolitik der Schweiz sind die Erkenntnisse des «Digitalisierungsmonitors 2019» vielfach erhellend. Ebenso zeigt sich, dass noch vieles zu tun bleibt. Zum einen macht das nur mässige Interesse am Projekt deutlich, dass das Thema «Digitalisierung» in der Politik noch nicht den Stellenwert einnimmt, den es verdient. Die Sensibilisierung für das Thema muss darum dringend vorangetrieben werden – nicht nur bei politischen Entscheidungsträgern, sondern auch in der breiten Öffentlichkeit. Zum anderen zeigt sich, dass die Schweizer Parteien noch keine kohärenten Positionen zur Digitalisierung entwickelt haben. Dies ist zugegebenermassen bei einem so breit gefächerten Querschnittsthema alles andere als einfach. Dennoch wäre es für die Öffentlichkeit wichtig, dass die Parteien ihre politische Rolle wahrnehmen und rasch eine Klärung ihrer digitalisierungspolitischen Ziele und Positionen vornehmen, um so vor Wahlen den Bürgerinnen und Bürgern eine klare programmatische Orientierung zu bieten.
Referenzen
[1] Der vollständige Bericht steht als Download hier zur Verfügung.