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«Wir brauchen nicht nur eine Technologiedebatte, sondern vor allem eine gesellschaftspolitische Debatte»

Die politischen Strukturen in der Schweiz können beim Thema E-Government blockierend wirken. Worauf es bei institutionellen Reformen ankommt, haben wir mit Benedikt Würth, dem St. Galler Finanzdirektor und Präsidenten der Konferenz der Kantonsregierungen im Interview gesprochen.

Wir haben gesehen, dass der gemeinsame Bericht des eidgenössischen Finanzdepartements (EFD) und der Konferenz der Kantonsregierungen (KdK) zum Thema Organisation der Zusammenarbeit über föderale Ebenen zum Thema eGovernment herausgekommen ist. Können Sie davon berichten?

Die Kernfrage heute ist, wie sich Geschäftsprozesse im Zuge der Digitalisierung verändern und ob unsere Strukturen auf diese Veränderung genügend ausgerichtet sind. Das gilt für private Unternehmen, aber auch für den Staat. Auf die Schweiz bezogen ist die horizontale, d.h. interdepartementale Zusammenarbeit gefordert, aber auch die vertikale, staatsebenübergreifende Zusammenarbeit. Unser Föderalismusverständnis war immer so, dass wir neue Entwicklungen adaptieren. Das heisst, wir müssen neue Zusammenarbeitsformen finden, damit wir die Ansprüche der Wirtschaft, der Gesellschaft im Bereich digitaler Services und Digital Government befriedigen können. Man kann sich natürlich auf den Standpunkt stellen, der Staat steht nicht im Wettbewerb, also machen wir weiter wie bisher. Aber das ist ein Trugschluss. Gesellschaft und Wirtschaft erwarten, dass wir einerseits diese Dienstleistungen digital erbringen und anderseits versuchen, möglichst effizient zu sein. Wenn man den internationalen Vergleich zieht, dann stellt man fest, dass wir als Hightech-Land nicht an der Spitze sind. Das ist bedauerlich und hat mutmasslich auch mit strukturellen Gegebenheiten zu tun.

Sie meinen den Föderalismus?

Nicht nur. Wie erwähnt ist nicht nur die vertikale Zusammenarbeit gefordert, sondern auch die horizontale. Die ausgeprägte Verteilung von Verantwortung ist ein grosser Vorteil der Schweiz. In der digitalen Verwaltung läuft darum eigentlich sehr viel, vielleicht zu viel, so dass die Räder nicht immer ineinandergreifen, sondern sich möglicherweise auch blockieren. Wir müssen uns darum horizontal und vertikal in den digitalen Querschnitthemen wesentlich besser vernetzen. Nur so können wir die digitalen Chancen auch nutzen.

Sie sprechen eigentlich die Nutzung von Synergien horizontal und vertikal an. Es geht in dem Dokument aber auch um die Verbindlichkeit. Können Sie dazu vielleicht noch etwas sagen? Braucht es die?

In St. Gallen haben Kanton und Gemeinden eine Governance, eine gemeinsame Struktur, die in der Lage ist, Verbindlichkeiten zu schaffen. Das ist bei diesem Thema sehr wichtig, denn es nützt nichts, wenn wir 90 Prozent der Gemeinden in einer Lösung haben und die restlichen 10 Prozent machen es nochmals anders. Den richtigen Hebeleffekt haben wir erst, wenn alle an Bord sind. Auf gesamtschweizerischer Ebene wollen wir Verbindlichkeit schrittweise aufbauen. Wir wollen Schritt für Schritt das Ambitionslevel erhöhen. Es soll immer wieder politisch diskutiert werden, ob wir eine nächste Vertiefung der Zusammenarbeit machen. Ich persönlich erhoffe mir schon, dass Bund und Kantone am Ende eine Governance haben, welche Verbindlichkeiten in den zentralen Fragestellungen schaffen kann, sei es bei Identifizierung, Basisdiensten oder beim Stammdatenmanagement. Alles Dinge, die eigentlich der Rohstoff sind, damit in den einzelnen Bereichen weitere, prozessbezogene Anwendungen entwickelt werden können.

Verbindlichkeiten wollen Sie aber auch in der Regulierung. Wie wollen Sie das schaffen?

Selbstverständlich schaffen letztlich das Parlament und das Volk über Gesetze Verbindlichkeit. Aber uns ist wichtig, dass Bund und Kantone künftig eine Struktur haben, die frühzeitig festlegen kann, was wir regulatorisch in der Schweiz im ganzen Digitalisierungsbereich brauchen. Eine bessere und frühzeitige Abstimmung hätte uns beispielsweise beim umstrittenen E-ID-Gesetz möglicherweise geholfen, Widerstände, die sich jetzt im Referendum manifestieren, rechtzeitig zu erkennen und darauf nochmals Antworten zu entwickeln.

Also brauchen wir ein nationales E-Government-Gesetz?

Es kann sein, dass wir beim höchsten Ambitionslevel sogar eine Verfassungsgrundlage brauchen. Ich hoffe immer noch, dass wir im Rahmen der geltenden Ordnung relativ weit kommen. Aber man könnte auch sagen: wir haben den digitalen Wandel und darauf muss man die Verfassung ausrichten. Entscheidend für uns ist, dass diese Thematik gemeinsam vertieft wird und auch Lösungen gefunden werden, die von Bund und Kantonen getragen werden.

Inwiefern unterscheidet sich denn die nationale Ebene von der kantonalen?

Der Komplexitätsgrad ist einfach nochmals viel grösser. Von unserem Verfassungsverständnis her sind die Kantone souverän. Sie haben in diesem Bereich eine originäre Kompetenz. Auch was die interkantonale Zusammenarbeit anbelangt, läuft viel. Mein Kanton mit seinen 77 Gemeinden ist soeben dem Verein www.iGov-Portal.ch beigetreten. Dieser wurde von den Kantonen Freiburg und Jura 2017 gegründet. Nun sind auch die Kantone Solothurn und St. Gallen beigetreten. Somit werden über eine Million Einwohnerinnen und Einwohner über dieses Portal das digitale Leistungsangebot nutzen. Der Föderalismus hat in diesem Punkt auch einen Vorteil, weil er einen gewissen Laborcharakter hat. Man probiert aus, entwickelt Themen und schaut voneinander ab, das ist spannend. Auf nationaler Ebene haben wir eine hohe Komplexität. Ueli Maurer sagt in diesem Zusammenhang jeweils: «Wir haben nicht eine Bundesverwaltung, sondern wir haben 80 Bundesämter.» Diese heterogene Struktur ist eine Herausforderung. Die Bundesverwaltung ist ein grosser Koloss, Departemente und einzelne Ämter entwickeln ihre Strategien. Die Querschnittämter (Informatik, Personal etc.) haben generell eine relativ schwache Stellung. Wenn von verbindlicher Governance gesprochen wird, gibt es darum sofort gewisse Reflexe – man könne oder dürfe etwas nicht mehr. Es geht aber nicht darum, Informatik zu zentralisieren. Wir wollen ein Fundament schaffen, das es ermöglicht, effizienter Anwendungen zu entwickeln, die sich an den Prozessen orientieren und möglichst medienbruchfrei sind. Die kulturelle Herausforderung wird sein, dass wir von einem traditionellen Struktur- und Hierarchiedenken, das der Verwaltung inhärent ist, zu einem Prozessdenken kommen, das sich dann nicht unbedingt nur an den Departementsgrenzen oder Amtsgrenzen orientiert.

Sie sprechen da den regulatorischen Rahmen an. Gleichzeitig nennen Sie auch einen notwendigen Kulturwandel. Braucht es beides?

Ja. Für den Kulturwandel braucht es nicht nur die lineare Denkweise, sondern auch die mehr prozesshafte und vernetzte. Das ist ein Push and Pull: Einerseits werden wir gezogen aufgrund der Entwicklung, die technologisch getrieben ist, anderseits braucht es für die Implementierung auch den entsprechenden regulatorischen Rahmen. Ein Beispiel: Ich bin Finanzminister. Über 50 Prozent der Steuerveranlagungen werden heute bei uns elektronisch eingereicht, in einzelnen Gemeinden bis 70 Prozent. Aber der Prozess ist immer noch nicht vollständig elektronisch, solange wir nicht die elektronische Unterschrift haben. Das ist sehr unbefriedigend, denn technologisch wären die Voraussetzungen längst gegeben.

Kommen wir zum Thema Vertrauen und Datenschutz. Das Bundesparlament wird in Kürze über das Datenschutzgesetz beraten. Die Vorlage ist schwächer als zum Beispiel die europäische DSGV. Wenn man aber das Vertrauen des Volkes gewinnen möchte, wäre das dann nicht der Stein des Anstosses?

Es ist wichtig, dass wir Regulierungen haben, die meine Daten schützen, gleichzeitig stellt man fest, dass die Leute selber mit den eigenen Daten recht locker umgehen. Das ist ein gewisser Widerspruch. Ich glaube, wir sind da immer noch in einer gewissen Übergangsphase. Wichtig bei diesem Thema ist Transparenz. Im E-Government Gesetz meines Kantons haben wir, definiert, wann und unter welchen Voraussetzungen Datenaustauschvereinbarungen geschaffen werden müssen. Diese Vereinbarungen sind alle transparent und abrufbar. Umgekehrt kann es nicht sein, dass am Schluss wegen des Datenschutzes verwaltungsintern dermassen viele Hürden aufgebaut werden, dass die ganzen Vorteile, die wir eigentlich mit digitalen Lösungen haben könnten, wieder zunichte gemacht werden.

Ein weiteres wichtiges Thema ist die Datenpolitik. Wäre das vielleicht ein Weg, um Vertrauen zu schaffen, dass man diesen Diskurs öffentlich austrägt?

Diesen Diskurs müssen wir führen, er ist bereits im Gang. Frankreich steckt aktuell mit der biometrischen Gesichtserkennung in einer grossen Debatte. Die Regierung will einen dritten Kanal für öffentliche Dienstleistungen entwickeln (neben dem analogen und dem Onlinezugang). Das ist eine hoch politische Diskussion. Ich bin nicht euphorisch, was Digitalisierung anbelangt, sondern pragmatisch. Ich sehe die Chancen, aber logischerweise auch die Gefahren. An der aktuellen Diskussion in Frankreich kann man das gut beobachten. In der Schweiz mit der direkten Demokratie und dem Föderalismus sind neue Lösungen nur möglich, wenn eine breite politische Debatte und ein Diskurs geführt werden. Darum braucht es nicht nur eine Technologiedebatte, sondern vor allem eine gesellschaftspolitische Debatte, wie weit man gehen will.

Das war die Idee von Michel Huissoud. Er hat vor ein paar Wochen an einer Netzwerkveranstaltung in einem Podium im Zusammenhang mit Sharing Data in der behördenübergreifenden Zusammenarbeit gesagt, wir können uns lange darüber unterhalten, aber was wichtig wäre, sich darüber Gedanken zu machen, wie die Verwaltung der Basisregister neu designed wird.

Das ist ein wichtiger Kern. Aber dafür brauchen Sie eine Struktur, eine Governance, die in der Lage ist, Verbindlichkeiten und Standards zu setzen, wie man mit dem Datenschutz und dem Datenaustausch umgeht. Es braucht immer wieder eine politische Diskussion, wenn man einen Schritt weitergehen will. Der gemeinsame Bericht EFD/KdK zielt auf dem höchsten Ambitionslevel auf eine gemeinsame Behörde, die in der Lage ist, Standards zu setzen. Ich finde, für die Kantone ist es strategisch wichtig, dass man jetzt in diese Diskussion einsteigt. Wir müssen den digitalen Wandel gemeinsam steuern. Wir wollen nicht, dass der Bund einseitig steuert.

Wie sieht digitale Verwaltung idealerweise für Sie 2030 aus?

Sie wird weit deutlich mehr Möglichkeiten haben für direkte und medienbruchfreie Interaktionen zwischen Bürger und Staat, die rund um die Uhr möglich sind. Wir haben in meinem Kanton bereits eine Amtsstelle, die mit Chatbots arbeitet. Das wird sich ausdehnen in den Bereichen, wo wir grosse Massengeschäfte haben. In spezialisierten Bereichen bleibt aber auch vieles analog. Denken Sie an eine komplexe Steuerveranlagung. Wir werden E-Portallösungen haben, die den Namen verdienen und nicht zig Portale nebeneinander. Eine einheitliche elektronische Identität ist selbstverständlich. Für jemanden, der sich mit den grossen digitalen Umwälzungen – z.B. künstlicher Intelligenz – befasst, sind diese Schritte möglicherweise nicht grossartig. Ich bin aber realistisch. Wenn ich das Tempo der letzten zehn Jahre anschaue, dann müssen wir an Dynamik zulegen und das geht nicht nur über neue Technologien, sondern auch über neue institutionelle Ansätze.


Zur Person

Benedikt Würth (CVP) ist seit 2010 Regierungsrat im Kanton St. Gallen und wird im Mai 2020 aus diesem Amt ausscheiden. Er leitet das Finanzdepartement und ist seit 2017 Präsident der Konferenz der Kantonsregierungen. Benedikt Würth ist seit Juni 2019 Mitglied des Ständerates.

 

 


 

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Die Schweiz braucht eine konstruktive Datenpolitik

Die Vision ist seit längerem klar: Wir wollen eine kooperative, partizipative und offene Nutzung der Daten, die in Wirtschaft und Gesellschaft in immer grösseren Mengen anfallen. Ein florierendes Linked-Open-Data-Ökosystem ist eines der Ziele, ein anderes besteht im selbstbestimmten Austausch von Daten, welche die eigene Person betreffen bzw. an deren Generierung man selber mitgewirkt hat. Dazu braucht es eine Datenpolitik, welche der organisationsübergreifenden Zusammenarbeit und dem Empowerment der Bürgerinnen und Bürgern die höchste Priorität einräumt.

Allerdings sind wir heute in der Schweiz noch ein gutes Stück davon entfernt. Wenn die Schweiz ihren Handlungsspielraum in Sachen Datenpolitik aktiv nutzen und sich die strategischen Entscheide nicht von Google, Facebook & Co diktieren lassen will, müssen sich Politik, Wirtschaft und Verwaltung sputen. Wir brauchen dringend eine kohärente, zukunftsorientierte Datenpolitik. Doch zuallererst müssen Daten zur Chef-Sache werden.

Daten sind die strategische Ressource des 21. Jahrhunderts und bestimmen unser wirtschaftliches, soziales und kulturelles Leben. Daten sind die Grundlage für wirtschaftliche Entscheidungen, administrative Prozesse und wissenschaftliche Erkenntnisse. Die Auswertung explosionsartig wachsender Datenberge – Big Data – erfolgt zunehmend automatisch mithilfe sogenannter künstlicher Intelligenzen und lernender Maschinen. Die zentrale Frage in der digitalisierten Gesellschaft besteht daher darin, wer die Daten sammelt, wer zu den Daten Zugang hat und wer deren Nutzung kontrolliert.

Datenbesitz verändert Machtverhältnisse

In den letzten 10 bis 15 Jahren sind globale Datenmonopole entstanden, welche über eine bis anhin unvorstellbare Informations- und Wissensmenge verfügen. Beinahe 2,5 Milliarden Menschen helfen ihnen dabei. Wir alle sind bei Google, Facebook & Co als Datatypisten angestellt und vergrössern mit jedem Klick deren immensen Datenschatz. Als User dürfen wir die wirklich praktischen Apps nutzen und bezahlen dafür mit unseren Daten. Deren Auswertung und Weiterverwendung entzieht sich allerdings unserer Kontrolle und wir partizipieren auch nicht an den riesigen Gewinnen der globalen Datenkraken. Nur langsam dämmert es uns, dass die Datenmacht dieser Konzerne nicht eine vorübergehende Erscheinung ist, sondern die Machtverhältnisse in unserer Gesellschaft vor grundsätzliche und langfristige Probleme stellt. Denn Daten sind die Grundlage für Wissen, und Wissen ist Macht.

Daten sind die Grundlage für Wissen, und Wissen ist Macht.

Die globalen Internetplattformen verfügen dank Mitarbeit von uns allen auch über einen immensen und rasch wachsenden Datenberg über die Schweiz und ihre EinwohnerInnen. Dieser stellt die Datenmenge der Verwaltung sowie der übrigen Organisationen des öffentlichen und des privaten Sektors bei weitem in den Schatten. Google, Facebook, Amazon & Co wissen dank dieser Daten-menge bereits heute wesentlich mehr über unser Konsumverhalten, unsere Mobilität oder unsere sozialen Beziehungen als unsere öffentlichen Institutionen und wir selber. Vorderhand wird dieses Wissen in erster Linie für personalisierte Werbung eingesetzt. Aber bereits beginnen die erwähnten Plattformen in neue Anwendungsgebiete wie Finanzen, Versicherungen, Gesundheit oder Bildung vorzudringen.

Es ist bloss eine Frage der Zeit, bis sie ihre Daten-Tentakel auch in die öffentliche Verwaltung und in die Politik ausstrecken werden.
Die Schweiz ist durch diese Entwicklung grundsätzlich herausgefordert. Die Daten, welche die öffentlichen Verwaltungen sowie die Unternehmen des öffentlichen und privaten Sektors erfassen und sammeln, sind zwar eine qualitativ hochstehende und äusserst wertvolle Ressource. Aber deren praktische Bedeutung nimmt sehr rasch ab. Was bedeuten die Geodaten des Bundes, wenn fast alle

Es ist bloss eine Frage der Zeit, bis sie ihre Daten-Tentakel auch in die öffentliche Verwaltung und in die Politik ausstrecken werden.

EinwohnerInnen und Einwohner der Schweiz sich anhand von Google Maps orientieren? Was bringt ein elektronisches Patientendossier, wenn Millionen von Menschen in der Schweiz ihre gesundheitlichen Probleme zuerst Facebook, Whatsapp oder Alexa anvertrauen? Und was bringen aufwendig erhobene Wirtschaftsdaten wenn Amazon, Mastercard und Booking.com das Konsumverhalten und die finanziellen Verhältnisse der Schweizer Bevölkerung bereits bis ins kleinste Detail kennen?

Via Apps binden Plattformen die Nutzerinnen und Nutzer an sich

Was also kann die Schweiz, was können ihre Institutionen, Unternehmen und EinwohnerInnen gegen die erdrückende Datenmacht der globalen Internetkonzerne ausrichten? Ist der Kampf nicht bereits verloren? Ein Blick auf die aktuellen Datenlage in der Schweiz ist wenig ermutigend. Die erwähnten globalen Plattformen erfreuen sich einer enormen Beliebtheit bei den Anwendern und beanspruchen deren Aufmerksamkeit täglich bis zu mehreren Stunden, in welchen sie laufend Daten generieren. Die Applikationen von Schweizer Unternehmen und Verwaltungen hingegen binden ihre Benutzer höchstens wenige Minuten pro Woche oder Monat an sich.

Entsprechend gering ist das durch sie generierte Datenvolumen. Kommt hinzu, dass die Schweizer Unternehmen und Verwaltungen ihre mühsam gesammelten Daten-Krümel jeder für sich in abgeschlossenen Silos horten, diese nur selten für neue Erkenntnisse über ihre Kunden und die Entwicklung neuer Angebote nutzen und auf gar keinen Fall mit anderen Unternehmen oder Verwaltungen teilen wollen. Die betroffenen Personen haben in der Regel keinen Zugang zu den von ihnen generierten Daten, und die Schweizer

Daten und ihre Nutzung müssen zu einem prioritären strategischen Thema in Politik, Wirtschaft und Verwaltung werden.

Öffentlichkeit wartet seit Jahren vergeblich auf einen systematischen offenen Zugang zu allen personenunabhängigen Daten der Verwaltung, die mit Steuergeldern finanziert wurden. Wenig attraktive Applikationen, abgeschlossene Datensilos, keine Weiternutzung, keine Partizipation der Benutzer, wenig offene Daten und keine Kooperation der Datenverantwortlichen – so lässt sich die aktuelle, eher düstere Datenlage der Schweizer Unternehmen und Verwaltungen zusammenfassen. In der Tat ein leichtes Spiel für die globalen Plattformen, welche in allen diesen Punkten der Schweiz meilenweit voraus sind und ihren Vorsprung täglich ausbauen.

Was also tun? Auf diese Frage gibt es zahlreiche Antworten, aber ein Punkt steht vor allen anderen: die Daten und ihre Nutzung müssen zu einem prioritären strategischen Thema in Politik, Wirtschaft und Verwaltung werden. Daten sind weder ein technisches noch ein rechtliches Thema, das an IT-Fachleute oder Juristen delegiert werden kann. Daten sind Chefsache, auch in der Politik. Analog zur Energie-, Verkehrs- oder Gesundheitspolitik braucht es in Zukunft eine Datenpolitik. Mit der Verfügbarkeit und Nutzung der Daten steht nichts weniger als die Zukunft des Landes auf dem Spiel. Aufgabe der Datenpolitik ist es, die Grundversorgung der Schweiz und Ihrer EinwohnerInnen mit Daten und damit die digitale Selbstbestimmung auf allen Ebenen langfristig und nachhaltig zu gewährleisten. Der Datenmacht der globalen Internetkonzerne ist die kooperative, partizipative und offene Nutzung der Daten entgegenzusetzen, welche sich unter Kontrolle der Schweizer Unternehmen und Verwaltungen befinden.

Schweiz braucht überarbeitetes Datenschutzgesetz

Im Rahmen der Datenpolitik warten zahlreiche gesetzgeberische Aufgaben auf Parlament und Regierung. Bestehende Gesetze sind so anzupassen und zu ergänzen, dass die umfassende Bereitstellung und Nutzung unserer Daten auf einwandfreier rechtlicher Grundlage stattfinden kann. Dazu zählt die möglichst rasche Anpassung des Schweizer Datenschutzgesetzes an den de facto-Stand der europäischen Datenschutzgrundverordnung und insbesondere die Verankerung des Rechtes auf Datenübertragbarkeit in diesem Gesetz.

Auf Basis eines robusten Datenschutzes zählt zur Datenpolitik aber auch ein einheitlicher gesetzlicher Rahmen für die Publikation und Nutzung nicht personenbezogener Daten und Dienste der Bundesverwaltung im Sinne von Open Government Data. Die Erfahrung der letzten Jahre hat gezeigt, dass eine unverbindliche Strategie nicht ausreicht, um den Datenschatz der Verwaltung der Öffentlichkeit systematisch zugänglich zu machen. Daher hat die Eidgenössische Finanzkontrolle in ihrer Querschnittsprüfung zur Strategieumsetzung Open Government Data empfohlen, «einen wirksamen Rahmen für OGD zu schaffen». Ein entsprechender parlamentarischer Vorstoss wurde von der Parlamentarischen Gruppe Digitale Nachhaltigkeit Parldigi bereits 2015 formuliert, aber – aus Rücksicht auf die damaligen Bedenken von Bundesrat Alain Berset – nicht eingereicht. Angesichts der Dringlichkeit datenpolitischer Massnahmen ist die Frist für diese Bedenken abgelaufen. Die Schweiz benötigt so rasch wie möglich ein OGD-Gesetz, das analog zur DSGVO der europäischen Norm in diesem Bereich entspricht.

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Novemberausgabe: Wie gefährlich ist E-Health? – Von der Datenkrake zur Performance

Ist E-Health eine Gefahr für die Privatsphäre? Ja, natürlich. Bewegen wir uns in Richtung Big Brother? Ja, teilweise. Nur: Es wäre falsch von nur einer Datenkrake zu sprechen. Blickt man in die Zukunft, dann werden wir ein ganzes Ökosystem von Datenkraken im E-Health haben – eigentlich eine ganze Datenkraken-Biosphäre, in der E-Health sich untrennbar mit anderen Digitalisierungsbereichen verbindet.

Schaut man sich allerdings die Gegenwart an, so fehlen zugreifbare Daten an allen Ecken und Enden. Deshalb müssen wir sie für die Forschung Daten aus dem Ausland einkaufen. Und dort, wo potentiell hochspannende persönliche Gesundheitsdaten vorhanden sind und genutzt werden dürften, fehlen andere Mittel – nämlich Geld, Werkzeuge und Skills für die Datennutzung.

Wir wissen zwar, dass Machine Learning bei vielen abgrenzbaren ärztlichen Aufgaben die besten FachärztInnen klar schlägt und durch Mensch-Maschinen-Zusammenarbeit die Qualität der Arbeit noch weiter gesteigert werden kann, aber im regulären medizinischen Einsatz ist die Maschinenintelligenz kaum präsent. Intelligente Datenverarbeitung findet noch immer primär durch geniale numerische Tricks statt, die in die medizinischen Geräte eingebaut sind.

Das heisst, E-Health wird arm an Daten und noch ärmer an Künstlicher Intelligenz praktiziert. Ausgenommen dort, wo es direkt um Menschenleben geht, beispielsweise wenn WissenschaftlerInnen über Jahre hinweg um das Leben eines Kindes kämpfen und dafür Big Data und Simulationen nutzen. Und ausgenommen dort, wo es mittelbar um viele Menschenleben und um Milliardengewinne geht, beispielsweise in der Forschung zu häufig tödlichen Erkrankungen. Denn wo sehr viel auf dem Spiel steht, funktioniert sehr vieles sehr anders: Interdisziplinäre Zusammenarbeit und Offenheit für neue Ideen werden dann zum Glück meist ebenso eine Selbstverständlichkeit wie Investitionen in digitale Werkzeuge und in Digital Skills. Nur die Verfügbarkeit von (rechtmässig) zugreifbaren Daten bleibt auch dort oft ein Problem.

Im High-End Bereich des Gesundheitswesens zeigt sich klar, Daten bringen grossen Nutzen und sind für die Personalisierung der Gesundheitsversorgung von eminenter Bedeutung. Ihre richtige Nutzung verbessert das Gesundheitswesen. Es macht es nicht billiger, aber wirksamer und damit nicht nur effektiver, sondern auch effizienter. Und würde man die Datennutzung auf das gesamte Gesundheitswesen ausweiten, könnte man den Nutzen vervielfachen.

Es ist darum beides unanständig: Daten schlampig zu nutzen und dabei die Privatsphäre zu verletzen UND auf die Nutzung der Daten zu verzichten und deshalb die Menschen schlechter zu versorgen, als es möglich wäre und dafür auch noch mehr Geld auszugeben, als nötig wäre.

E-Health ist gefährlich, ja! Aber Krankheiten sind auch gefährlich! Wir müssen darum lernen, persönliche Gesundheitsdaten und Künstliche Intelligenz effektiv und verantwortungsbewusst zu nutzen!

Herzlichst, Ihr Reinhard Riedl

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«Wir brauchen eine sichere europäische eID»

Das E-Government in Deutschland kommt nicht voran. Die Nutzung von digitalen Behördenleistungen ist im vergangenen Jahr sogar gesunken. Im Interview erläutert E-Government-Expertin Lena-Sophie Müller die Gründe und was sich ändern muss.

Sie sind Politikwissenschaftlerin und leiten Initiative D21, das bedeutendste gemeinnützige Netzwerk für die digitale Gesellschaft in Deutschland. Was ist aus Ihrer Sicht der grösste eGov-Erfolg in Deutschland?

Wenn man sich rein die Nutzungszahlen ansieht, dann lautet die Antwort wohl ELSTER. Die Plattform zur Abwicklung der elektronischen Steuererklärung wird von den deutschen Bürgerinnen und Bürgern laut der aktuellen Studie eGovernment Monitor, die wir zusammen mit Kantar TNS jährlich herausgeben, am häufigsten genutzt. Dies ist aber nur ein einzelnes Projekt, das keine Breitenwirkung auslösen konnte. Bei E-Government-Diensten in Deutschland bestehen zahlreiche Nutzungsbarrieren, weswegen diese nicht häufig genutzt werden. Aus meiner Sicht stellen die E-Government-Gesetze des Bundes und der Länder deswegen die grösseren E-Government-Erfolge dar. Diese verpflichten die deutschen Verwaltungen dazu, elektronische Kommunikationskanäle zu eröffnen und ausserdem die Schriftform durch digitale Verfahren abzulösen. Auch das Onlinezugangsgesetz, das Bund und Länder verpflichtet, ihre Verwaltungsleistungen online über Portale anzubieten, liefert einen wichtigen gesetzlichen Rahmen. Mit diesen Gesetzten wurden rechtliche Hürden abgeschafft, um die elektronische Kommunikation zwischen Bürgerinnen und Bürgern sowie den Behörden zu vereinfachen.

Mit dem E-Government Monitor erhalten Sie seit einigen Jahren zuverlässige Daten über die Nutzung digitaler Verwaltungsangebote im deutschsprachigen Raum. Wie hat sich die eGov-Landschaft in den letzten 10 Jahren verändert?

Betrachtet man die Nutzungszahlen der letzten fünf Jahre zeigt sich eine Stagnation und keine Verbesserungen. In Deutschland sank die Nutzung von E-Government-Diensten im letzten Jahr sogar und verharrt auf niedrigem Niveau. Der letzte Bundestagswahlkampf hat aber gezeigt, dass die Politik den dringenden Handlungsbedarf erkannt hat: E-Government ist jetzt auf der Chefebene angekommen und das Kanzleramt hat Zuständigkeiten übernommen. Was sich verändern muss, ist, dass nicht immer nur einzelne IT-Projekte umgesetzt werden, sondern E-Government eine wirkliche Erleichterung bringt für Bürgerinnen und Bürger sowie die Verwaltungen selbst.

Welches Thema wird denn in Ihrem Land am meisten diskutiert?

Was konkrete Projekte angeht sind wir gespannt auf den Portalverbund. Über dieses Serviceportal sollen Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen Verwaltungsleistungen von Bund, Ländern und Kommunen mit wenigen Klicks finden und gleich online Anträge stellen können. Der Prototyp geht diesen Herbst online. Damit steht den Bürgerinnen und Bürgern ein Einstiegsportal zu Verwaltungsleistungen verschiedener Behörden zur Verfügung. Das Portal soll nicht nur die Auffindbarkeit von Verwaltungsdiensten erleichtern. Gleichzeitig ist beim Portalverbund ein integriertes Bürgerkonto geplant, bei dem wichtige Daten gespeichert und nicht jedes Mal neu eingegeben werden müssen. Dies könnte dann in der Tat ein Mehrwert und eine Erleichterung für die Bürgerinnen und Bürger sein, wenn dieses auch nutzerfreundlich umgesetzt wird.

Wie haben Sie den Digital Summit in Tallinn wahrgenommen?

Leider war der Digital Summit kaum ein Thema, wenn man sich nicht in den Fachkreisen oder der Wissenschaft bewegt. Bei E-Government haben EU-Massnahmenpläne leider aus meiner Sicht noch einen zu geringen Stellenwert in der Aufmerksamkeit in Deutschland.

Das klingt etwas ernüchtert. Was kann die Tallinn Deklaration konkret in Europa bewirken?

Das wird die Zeit zeigen. Die Tallinn Declaration ist nur eine Bekundung der EU-Länder, hat aber keine Bindung. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Punkte aus der Erklärung mit bindenden gesetzlichen Bestimmungen umgesetzt werden. Wünschenswert wären besonders einheitliche Regelungen bei der Informationssicherheit und beim Datenschutz. Die europäische Datenschutz-Grundverordnung DSGVO brachte Datenschutzbestimmungen europaweit bereits auf ein hohes einheitliches Niveau. Dies sollte auch in anderen Bereichen fortgesetzt werden, wie beispielsweise bei einheitlichen sicheren eID-Lösungen, um diese auch grenzüberschreitend in Europa einsetzen zu können.


Zur Person:

Lena-Sophie Müller ist eine der Referentinnen unserer Tagung eGovFokus am 1. Juni im Generationenhaus Bern. Sie wird einen Überblick geben über E-Government aus der BürgerInnen-Perspektive in der Schweiz und Deutschland und nach den Impulsen fragen, die von der Tallinn Deklaration ausgehen können. Lena-Sophie Müller ist seit 2014 Geschäftsführerin des gemeinnützigen Vereins Initiative D21 e.V.  Zuvor arbeitete die Politikwissenschaftlerin seit 2008 am Fraunhofer-Institut FOKUS in Berlin und hat dort zahlreiche Verwaltungsmodernisierungs- und E-Government-Projekte mit der Industrie und der öffentlichen Verwaltung auf EU-, Bundes-, Landes- und Kommunalebene geleitet.


eGov-Fokus

«Die Schweiz im Europäischen E-Government – Projekte und Perspektiven»
Datum: Freitag, 1. Juni 2018
Zeit: 9:00-17:00 Uhr anschliessend Apéro
Ort: Berner GenerationenHaus, Bahnhofplatz 2, 3011 Bern

Referentinnen:

Prof. Dr. Reinhard Riedl, Lena-Sophie Müller, Prof. Dr. Maria Wimmer, Bas Groenveld, Cedric Roy, Marlies Pfister

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Sind Big Data, Innovation und Datenschutz vereinbar?

Bedeutet erfolgreicher Datenschutz das Ende von Big Data oder wird Europa durch die ab Mai 2018 geltende Datenschutz-Grundverordnung gar weniger innovativ? Dieser Beitrag beleuchtet die Auswirkungen dieser neuen Vorschriften und zeigt auf, wie Datenschutz Innovation beeinflusst.

Die wichtigste Ressource der Welt ist nicht mehr Rohöl, sondern Daten – so der Titel des Economists vom 6. Mai 2017. Auch wenn für Big Data keine allgemeingültige Definition vorliegt, ist es das Thema, was die Wirtschaft und die Politik in den letzten Jahren beschäftigt. Die Auswertung und Analyse von Daten verspricht ein besseres Verständnis der Nutzer und somit das Potential Innovationen abzuleiten und sich Vorsprünge zu sichern.

Doch nun tritt im Mai 2018 die europaweit geltende Datenschutz-Grundverordnung (DS GVO 2016/679) in Kraft. Darin enthalten sind strenge Vorschriften zum Umgang mit personenbezogenen Daten von EU-Bürgern. Damit richtet sich die DS-GVO nicht nur an Unternehmen aus der EU, sondern auch an Unternehmen, die ihre Dienste an EU-Bürger vermarkten. Verstöße gegen das neue Regelwerk können mit einer Strafe von 4% des Umsatzes oder maximal 20 Millionen Euro belegt werden.

Ist Big Data damit in Europa Geschichte? Schießen wir uns in puncto Innovationskraft damit selbst ins Aus oder können Datenschutz und die Einführung neuer, wettbewerbsfähiger Produkte und Dienstleistungen vereint werden? Können wir bei den Trendthemen Digitale Plattformen und Big Data weiterhin mitziehen oder wird Innovation durch die DS-GVO massiv behindert?

Um diese Fragen zu beantworten, hat das österreichische Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie (bmvit) ein Forschungsteam beauftragt. Die crowdbasierte Wiener Innovationsagentur cbased hat gemeinsam mit SBA Research und der Wirtschaftsuniversität Wien untersucht wie sich die neuen Vorschriften auswirken. Der erste Entwurf der Studie wurde öffentlich auf der crowdbasierten Plattform Discuto.io diskutiert und kann dort vollständig eingesehen werden.

Behindert strenger Datenschutz Innovation?
Im Rahmen der DS-GVO kommen neue Vorschriften in Bezug auf den Umgang mit personenbezogenen Daten auf Unternehmen zu. Der Verarbeitung von Daten muss explizit zugestimmt werden, wobei bereits das Speichern oder Anonymisieren der Daten als Verarbeitung angesehen wird. Der Verwendungszweck der Datenverarbeitung muss klar hervorgehoben werden und die Daten dürfen nicht über diesen Zweck hinaus analysiert werden.

Weiterhin bringt die DS-GVO das Recht auf Vergessenwerden und damit die Löschung der Daten mit sich. Klingt simpel, ist aber ein rechtlich unscharf definiertes Feld. Denn der Terminus “Löschen” wird in Datenanwendungen unterschiedlich verwendet. Oft verbirgt sich dahinter keine endgültige Vernichtung, wie es die DS-GVO vorsieht, sondern lediglich eine Entfernung aus der Informationsverarbeitung.

Daten dürfen zwar analysiert werden – was für Big Data wichtig ist, aber nur wenn sie anonym weiterverarbeitet werden. Für die Anonymisierung der Daten bedarf es der expliziten Einwilligung. Zudem hat die Verarbeitung der Daten transparent zu erfolgen, d.h. der Besitzer der Daten besitzt weitreichende Kontrolle über die Verwendung seiner Informationen. Diese Vorschriften zur Transparenz können sich teils mit dem Recht auf Vergessenwerden widersprechen. Hinzu kommt, dass auch die technische Umsetzung vieler Vorgaben noch Forschung benötigt, um definitive Aussagen zu den Wirkungen zuzulassen.

Mit der DS-GVO treten also strenge Datenschutzregeln in Kraft. Schon in der Entstehungsphase des Gesetzestextes wurde kritisiert, dass die neuen Regeln Innovation behindern. Aus der Innovationsforschung ist wiederum bekannt, dass Regulierungen durchaus auch zu Innovation beitragen können. Ein Beispiel ist die Umweltgesetzgebung. Trotz strenger Auflagen wurde das Wirtschaftswachstum nicht beeinflusst, aber die Nachfrage nach innovativen Umwelttechnologien erhöht.

Fünf Wirkungsketten von Innovation
Im Rahmen der Studie wurden die rechtlichen Bestimmungen auf ihre technischen Implikationen untersucht und analysiert, wie sich diese wiederum auf Innovation auswirken können.

Die Kernfrage der Studie lautete, ob strenger Datenschutz Unternehmen bei Innovationen behindert oder ob er dazu beiträgt, dass sie neue Angebote, Business Modelle und Technologien entwickeln, die sowohl die regulatorischen Vorgaben als auch die Wünsche der Abnehmer erfüllen.

In dem Zusammenhang wurden 5 Wirkungsketten identifiziert, über die Datenschutz Innovationsaktivitäten beeinflussen kann.

1. Produkt- und Dienstleistungsprozesse
Innovationsprozesse sind tendenziell datengetriebener als in der Vergangenheit. Ansätze wie Lean Startup propagieren die Bildung von Hypothesen und deren datenbasierte Validierung durch potentielle Kunden über den ganzen Innovationsprozess hinweg. Grundsätzlich könnte hier die DS-GVO Einschränkungen bringen, weil ein Teil der Datensubjekte keine Zustimmung zur Verwendung der Daten gibt bzw. weil für die Nutzung historischer Daten eine neuerliche Einwilligung notwendig ist. Allerdings gibt es für Unternehmen eine Reihe von Optionen, um mit den strengeren Vorgaben der DS-GVO umzugehen. Beispielsweise können Tests mit einer Gruppe von Testusern in den Entwicklungsprozess eingebunden werden. Es ist daher schwer zu argumentieren, dass Datenschutz die Entwicklung von Produkt- und Prozessinnovationen grundsätzlich behindert.

2. Werbe- und datenfinanzierte Businessmodelle
Businessmodelle, die auf Werbeeinnahmen oder verkauften Daten basieren, sind hauptsächlich von der DS-GSVO betroffen. Nutzer müssen der Datenverarbeitung und -weitergabe explizit zustimmen. Untersuchungen haben ergeben, dass schon die derzeit gültige Version der DS-GVO die Effizienz von Werbeschaltungen herabsetzt. Diese Tendenz wird durch die zukünftige DS-GVO weiter verstärkt. Abzuwarten bleibt, ob es den NutzerInnen in Zukunft leichter möglich ist, die Weitergabe ihrer Daten zu verfolgen bzw. ob es klarer sein wird, dass sie mit ihren Daten für kostenlose Produkte zahlen. In jedem Fall, kann davon ausgegangen werden, dass die DS-GVO Business Modelle mit werbe- und datenfinanzierte Innovationsaktivitäten weniger attraktiv macht.

3. Datenschutz als Teil der Marketingstrategie
Die Weitergabe von Daten bzw. die Schaltung von gezielter Werbung entsprechen schon heute nicht den Wünschen der Nutzer. Die überwiegende Mehrheit ist klar für strengen Datenschutz und Kontrollmöglichkeiten was die Weiterverbreitung von persönlichen Daten betrifft. In Kombination mit der DS-GVO können Unternehmen Datenschutz als integrierten Teil ihres Produktangebots platzieren und es als Teil ihrer Marketingstrategie kommunizieren. Insbesondere europäische Unternehmen können dies als Differenzierungsmerkmal im Vergleich zur “datenhungrigen” Konkurrenz wahrnehmen.

4. Gesetzliche Vorgaben ermöglichen die Entwicklung von Datenschutztechnologien
Die DS-GVO schafft grundsätzlich einen „Markt“ für Datenschutztechnologien. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind gerade für die Entwicklung von Datenschutztechnologien wesentlich, weil Nachfrage für bestimmte Produkte und Dienstleistungen geschaffen wird. Allerdings müssen die gesetzlichen Bestimmungen hinreichend klar sein, um hier sowohl Nachfrage als auch Angebot zu stimulieren. Wenn Ziele zu viel Interpretationsspielraum lassen, steigt die Unsicherheit und nicht die Zahl der Lösungen zur Erreichung der Ziele. Konkret gibt es großen Interpretationsspielraum bei den Forderungeno zum „Löschen von Daten“ oder „Transparenz“ oder „Datensparsamkeit“. Hier kommt es höchstwahrscheinlich erst über die Gerichte zu einer Klärung der Begriffe.

5. Weniger Spielraum für Prozessinnovationen
Prozessinnovationen werden nach Goldfarb und Tucker (2012) durch mehr Datenschutz behindert und unternehmensinterne Abläufe weniger effizient. Denn persönliche Daten werden auch eingesetzt, um interne Abläufe neu zu gestalten und zu optimieren. Da hierbei oft Lösungen von Drittanbietern einbezogen werden, kann es hier ebenfalls zu Restriktionen bei der Datenweitergabe kommen.

Ergebnisse und Empfehlungen
Im Rahmen der Studie konnte kein Nachweis gefunden werden, dass sich strenge Datenschutzbestimmungen positiv auf Innovation auswirken. Dennoch sehen viele Beobachter eine Positionierung Europas als sicherer Hafen für persönliche Daten als Entwicklungschance für die europäische Wirtschaft. Ein Teilnehmer der Diskussion verwies darauf, dass durch strengere Regeln auch neue Chancen für Arbeitsplätze und Businessmodelle (bspw. Datenschutzbeauftragte, datenschutzkonforme Technologie) geschaffen werden.

Gleichzeitig konnte kein direkter negativer Zusammenhang zwischen Datenschutz, Innovation und Big Data festgestellt werden. Wichtig ist jedoch, dass Unternehmen alle begleitenden Maßnahmen setzen, sowohl auf technischer Seite (z.B. im Hinblick auf die Anonymisierung und Löschung der Daten) als auch auf der Aufklärungsseite, sodass alle Nutzer über die Datenverarbeitung informiert sind und entsprechend zustimmen können.

Welche Effekte die DS-GVO wirklich auf die Innovationskraft Europas hat, wird man natürlich erst nachweislich beobachten können, wenn diese ab Mai 2018 in Kraft getreten ist.

Die gesamte Studie kann auf Discuto.io eingesehen werden:
https://www.discuto.io/de/consultation/29627

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Wie Onlinelösungen die Bürokratie erleichtern

Während der papierlose Staat in Dänemark und Estland längst Realität ist, liegt die Schweiz im internationalen Vergleich  nur auf Rang 28. Einzelne Kantone drängen vorwärts. So hat der Kanton Zug kürzlich eine elektronische Identität eingeführt – während der Bund bis Sommer 2018 die gesetzliche Grundlage schaffen muss. Dieses und andere Pilotprojekte wurden am eGovernment Symposium vorgestellt.

«Es ist viel in Bewegung in Bundesbern und in der Schweiz», sagte Peter Fischer, Präsident des eGovernment Symposiums in seiner Eröffnungsrede im Berner Hotel Bellevue Palace. Als Beispiele nannte er, die Online-Deklaration der Mehrwertsteuer, das Portal für Open Government und den erst kürzlich lancierten Onlineschalter easygov des Staatssekretariats für Wirtschaft SECO, bei dem Unternehmen Behördengänge papierlos erledigen können. Die elektronische Identität werde vorangetrieben. Dennoch gebe es ein grosses Bedürfnis nach Mehr.

Luzerner Finanzdirektor Marcel Schwerzmann

Nicht schnell genug voran geht es Marcel Schwerzmann, Regierungsrat des Kantons Luzern. «Der Föderalismus hemmt die digitale Entwicklung bei der Umsetzung von eGovernment-Lösungen», sagte er. Der Luzerner Finanzdirektor sprach sich neben der elektronischen Identität auch für die elektronische Version der AHV aus. «Das muss kommen, dort müssen wir unseren Schwerpunkt ansetzen», betonte er. Auch den Umzug möchte Schwerzmann digitalisieren. Aber er machte auch klar: «wir machen keine App-Entwicklung, sondern wir fördern Projekte, sind Manager für Service, Partnerschaften und Marketing».

Grundstücke per Formel schätzen

Im Kanton Obwalden werden Grundstücke von der Steuerverwaltung nur noch elektronisch mithilfe von Formeln geschätzt. Finanzdirektorin Maya Büchi stellte diese Praxis vor, die seit Anfang Jahr per Gesetz in Kraft getreten ist. Dabei werden Steuerwert und Eigenmietwert nach bestimmten Eckdaten festgelegt. Die Eigentümerinnen und Eigentümer erhalten einen persönlichen Zugangscode und haben so die Möglichkeit, über das Bewertungsportal wichtige Dinge zu ergänzen oder zu korrigieren. «Das Portal wird überwiegend als benutzerfreundlich, sinnvoll und innovativ bewertet», sagte Büchi. Seit der Lancierung vor rund einem Jahr wurden bereits rund 85 % der eingereichten Bewertungen online eingereicht. Für Büchi ein Erfolg. Ursprünglich sei dieses egov-Projekt aus Kostengründen lanciert worden. Der Aufwand der Vor-Ort-Schätzung in keinem Verhältnis stand. Zwar habe die technische Umsetzung am Anfang Schwierigkeiten bereitet, doch: «Wir würden es wieder tun», schloss Büchi.

Waren per App verzollen

Auch die Eidgenössische Zollverwaltung digitalisiert ihr «Kerngeschäft»: statt einer schriftlichen Anmeldung können Grenzgänger ihre Waren via App anmelden. Die App ist ein erster Teil eines der grössten Projekte des Bundes Dazit, mit dem der Bund für rund 400 Mio. Franken die IT der Zollverwaltung und den Grenzschutz erneuert.  Mit Dazit werden dereinst die gesamten Zollformalitäten digitalisiert oder wie es Zolldirektor Christian Bock ausdrückte: «ein Elefant zum Tanzen gebracht». Ein Elefant, der pro Jahr mehr als 36 Mio. Zollanmeldungen bearbeitet. Das Gesamtprojekt soll 2026 abgeschlossen sein.

Kanton Zug mit Vorreiterrolle

Bereits seit vergangenem Mai können die Bürgerinnen und Bürger des Kantons Zug ihre eigene elektronische ID nutzen. Der Kanton realisierte das 2012 gestartete Projekt «Zuglogin» quasi im Alleingang und noch vor einer Lösung auf Bundesebene. «Unsere Identifikation umfasst neben einem sicheren Login, der digitalen Unterschrift auch die digitale Zustellung anstatt per Briefpost», sagte Projektleiter Rudolf  Gisler. Dies ist in Dänemark bereits Standard. Mit Zuglogin können Behördengänge online erledigt werden sowie Eingaben und Gesuche mit einer elektronischen Unterschrift übermittelt werden.  Die Verwaltung ihrerseits kann Entscheide und Verfügungen ebenfalls via «ZUGLOGIN» online übermitteln. Ab kommendem Jahr soll erstmals die Steuererklärung komplett papierlos eingereicht werden können.

Blockchain und IoT nutzen

Wo Nachbarland Österreich in Sachen eGovernment steht, zeigte Reinhard Posch, Leiter Digitales Österreich und CIO der Bundesregierung von Österreich: «Wir waren überaus erfolgreich, aber wir dürfen uns nicht ausrufen», sagte er. Vor allem in den Bereichen Cybersecurity sowie mobile Techniken und Internet of Things (IoT) müsse mehr getan werden.

Posch konzentrierte sich in seinem Vortrag darauf, dass sorgfältig mit Daten im Bereich des eGovernment gearbeitet werden muss. «Es braucht höchste Genauigkeit und eine hinreichend gut ausgestattete Verwaltung», sagte er und stellte den Data-Only-Once-Ansatz vor. Dieser ist Teil der Tallinn-Deklaration, die 32 Länder der EU und EFTA im vergangenen Monat unterzeichnet haben. «Bürger sollten ihre Daten nur einmal an die Verwaltung weitergeben», sagte Posch.

«Papierlos war gestern», sagte Posch, er denke schon weiter und verwies auf Blockchain-Technologie. Als Baustelle für die Zukunft benannte er den internationalen Austausch von Daten innerhalb Europas. «Wir haben in der EU und in der Schweiz unterschiedliche Rechtssysteme, Kulturen und Verwaltungshistorie.» Die digitale Vorzeigenation habe eine junge Verwaltung und tue sich daher leichter mit der Digitalisierung.

 

 

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