Umstieg statt Ausstieg – Eine digitale Matching-Plattform eröffnet neue Wege zum Berufsverbleib in der Pflege

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Das Projekt «Umstieg statt Ausstieg» fördert den Verbleib in der Pflege. Pflegende, die kündigen wollen oder bereits gekündigt haben, werden über eine digitale Plattform mit passenden Arbeitgebern vernetzt. Initiiert und unterstützt wird das Projekt vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, Sektion Bern (SBK Bern).

Ausgangslage

Der weltweite Mangel an Pflegepersonal stellt das Gesundheitswesen vor grosse Herausforderungen. Um den steigenden Bedarf an Pflegefachpersonen zu decken und die Qualität der Versorgung langfristig zu sichern, ist es entscheidend, Pflegende im Beruf zu halten. Viele Pflegefachpersonen, die kündigen, verlassen nicht nur ihre aktuelle Stelle, sondern den gesamten Beruf. Dadurch geht dem Gesundheitssystem dringend benötigtes Fachpersonal verloren, und der Personalmangel verschärft sich weiter. Bisher fehlen organisationsübergreifende Ansätze, um Pflegende mit Austrittsabsicht gezielt zu unterstützen und mit neuen Arbeitgebern zu vernetzen. Die Folge sind vorzeitige Berufsausstiege, die den langfristigen Verbleib von Pflegefachpersonen im Gesundheitssystem gefährden.

Hier setzt das Projekt «Umstieg statt Ausstieg» an. Es soll Pflegende beim Verbleib im Beruf unterstützen und neue Perspektiven innerhalb des Berufsfeldes eröffnen. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung einer digitalen Matching-Plattform, die Pflegende mit passenden Arbeitgebern und Tätigkeitsfeldern zusammenbringt. Über ein standardisiertes Assessment werden individuelle Anforderungen, Werte und Präferenzen der Pflegenden erfasst, um geeignete neue Arbeitsstellen zu vermitteln. So sollen Berufsausstiege reduziert und die Bindung an den Pflegeberuf gestärkt werden. Initiiert und finanziert wird das Projekt vom Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner, Sektion Bern (SBK Bern). Die Berner Fachhochschule (BFH) führt das Forschungsprojekt im Auftrag des SBK Bern in Zusammenarbeit der Departemente Gesundheit sowie Technik und Informatik durch [1].

Vorgehen – Von der Analyse zur digitalen Matching-Plattform

Das Projekt «Umstieg statt Ausstieg» folgt einem daten- und praxisbasierten Ansatz, der wissenschaftliche Erkenntnisse mit technischer Innovation verbindet. Ziel ist es, eine digitale Plattform zu entwickeln, die Pflegende mit Kündigungsabsicht oder bereits erfolgter Kündigung gezielt mit passenden Arbeitgebern vernetzt und so neue Perspektiven im Beruf eröffnet. Die Umsetzung erfolgt in vier Phasen.

1. Analyse bestehender Daten und Forschungsergebnisse

Zu Beginn werden nationale und internationale Forschungsdaten ausgewertet, unter anderem aus den STRAIN- und STRAIN-2.0-Datensätzen mit über 25’000 Daten von Gesundheitsfachpersonen [2][3]. Diese liefern wertvolle Hinweise auf Belastungsfaktoren und Merkmale von Pflegenden mit hoher Austrittsabsicht. Ergänzend fliessen Erkenntnisse aus Studien wie SCOHPICA [4] sowie aus internationaler Forschung ein [5][6]. Die Analysen zeigen, dass insbesondere die Vereinbarkeit von Arbeits- und Privatleben, etwa durch Dienstplangestaltung und Arbeitsbelastung, eng mit der Austrittsabsicht zusammenhängt [7,8]. Ebenso wichtig sind Teamkultur, Unterstützung im Arbeitsalltag, wertschätzende Führung sowie Möglichkeiten zur beruflichen Entwicklung und Weiterbildung [7] [8].

2. Qualitative Erhebung und Anforderungsanalyse

In der zweiten Projektphase steht der partizipative Ansatz im Vordergrund. Gesundheitsorganisationen und Pflegende gestalten die Anforderungen an die Plattform gemeinsam. Ziel ist eine Lösung, die den Bedürfnissen der Pflegenden ebenso gerecht wird wie den Anforderungen der Arbeitgeber.

In moderierten Fokusgruppen mit Pflegenden, die gekündigt haben oder einen Berufswechsel erwägen, werden Erwartungen, Herausforderungen und Wünsche erhoben. Im Zentrum stehen Fragen, was Pflegende zum langfristigen Verbleib motiviert, welche Faktoren bei einem Wechsel entscheidend sind und welche Rahmenbedingungen den Berufsverbleib fördern. Diese Rückmeldungen bilden die Grundlage für die technische Entwicklung. Parallel dazu erhalten Pflegende über die Plattform Zugang zu passenden Stellen sowie Schnupperangeboten und unterstützen deren Weiterentwicklung im Praxistest. Eine erste Testversion ist ab Sommer 2026 geplant. Zur Mitwirkung eingeladen sind Pflegende aus der gesamten Deutschschweiz und aus verschiedenen Tätigkeitsbereichen wie Akutspital, Psychiatrie, Langzeitpflege und Spitex.

Auch Gesundheitsorganisationen aus dem Kanton Bern können sich beteiligen. Sie haben die Möglichkeit, offene Stellen kostenlos zu veröffentlichen und Mitarbeitende mit Kündigungsabsicht allgemein darauf aufmerksam zu machen. Schlüsselpersonen aus Human Resources und Management bringen in Online-Interviews ihre Erfahrungen ein und diskutieren Erfolgsfaktoren, Hürden sowie den Nutzen der Plattform für Personalgewinnung und Personalbindung. So entsteht eine Plattform aus der Praxis für die Praxis. Weitere Informationen finden sich auf der BFH-Projektseite «Umstieg statt Ausstieg»

3. Entwicklung der Matching-Plattform

Auf Basis der Analyseergebnisse wird eine digitale Matching-Plattform entwickelt, die Pflegende und Gesundheitsorganisationen miteinander vernetzt. Mithilfe standardisierter Assessments werden sowohl Präferenzen und Kompetenzen der Pflegenden als auch Anforderungen der Organisationen erfasst und daraus individuelle Stellenangebote und Organisationsprofile generiert. Die Entwicklung des Assessments bringt erste methodische Herausforderungen mit sich. Viele Faktoren beeinflussen die Austrittsabsicht, doch nicht alle lassen sich in messbare Kriterien übersetzen. Besonders weiche Faktoren wie Organisationskultur oder gemeinsame Wertvorstellungen sind zentral, aber schwer objektiv erfassbar. Dies verdeutlicht, wie anspruchsvoll die Entwicklung eines Instruments ist, das neben fachlichen Kompetenzen auch kulturelle und zwischenmenschliche Passung berücksichtigt. Das Matching erfolgt unter Verwendung erklärbarer Technologie und ermöglicht so hohe Nachvollziehbarkeit und Transparenz.

4. Pilotphase und Evaluation

In der abschliessenden Projektphase wird eine Pilotversion der Plattform entwickelt, iterativ getestet und über ein Jahr wissenschaftlich evaluiert. Dabei werden Daten vor der Nutzung, vor Stellenantritt und sechs Monate nach dem Einsatz erhoben. Im Mittelpunkt stehen die Reduktion der Austrittsabsicht, die Steigerung der Arbeitszufriedenheit und der langfristige Berufsverbleib. Bei erfolgreichem Verlauf ist eine Ausweitung auf weitere Kantone und Landessprachen vorgesehen.

Fazit

Das Projekt «Umstieg statt Ausstieg» verbindet Forschung, digitale Innovation und Praxiswissen, um den Pflegeberuf nachhaltig zu stärken. Die Plattform fördert berufliche Zufriedenheit, schafft neue Entwicklungsperspektiven und unterstützt Pflegende dabei, im Beruf zu bleiben. Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Zukunftsfähigkeit der Pflege und zur Stabilisierung des Gesundheitssystems.


Referenzen

[1] Umstieg statt Ausstieg – Förderung des Berufsverbleibs bei Pflegenden. (o. J.). Abgerufen 10. Oktober 2025, von https://www.bfh.ch/de/forschung/referenzprojekte/umstieg-statt-ausstieg-pflege/

[2] STRAIN – Work-related stress among health professionals in Switzerland. (o. J.). Abgerufen 10. Oktober 2025, von https://www.bfh.ch/de/forschung/referenzprojekte/strain/

[3] STRAIN 2.0 – Work-related stress among health professionals in Switzerland. (o. J.). Abgerufen 10. Oktober 2025, von https://www.bfh.ch/de/forschung/referenzprojekte/strain-20/

[4] Jolidon, V., Jubin, J., Zuercher, E., Roth, L., Carron, T., Oulevey Bachmann, A., Gilles, I., & Peytremann-Bridevaux, I. (2024). Health Workforce Challenges: Key Findings From the Swiss Cohort of Healthcare Professionals and Informal Caregivers (SCOHPICA). International Journal of Public Health, 69, 1607419. https://doi.org/10.3389/ijph.2024.1607419

[5] Chen, Y., Zhou, X., Bai, X., Liu, B., Chen, F., Chang, L., & Liu, H. (2024). A systematic review and meta-analysis of the effectiveness of social support on turnover intention in clinical nurses. Frontiers in Public Health, 12. https://doi.org/10.3389/fpubh.2024.1393024

[6] Vries, N. de, Maniscalco, L., Matranga, D., Bouman, J., & Winter, J. P. de. (2024). Determinants of intention to leave among nurses and physicians in a hospital setting during the COVID-19 pandemic: A systematic review and meta-analysis. PLOS ONE, 19(3), e0300377. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0300377

[7] Peter, K. A., Voirol, C., Kunz, S., Gurtner, A., Renggli, F., Juvet, T., & Golz, C. (2024). Factors associated with health professionals’ stress reactions, job satisfaction, intention to leave and health-related outcomes in acute care, rehabilitation and psychiatric hospitals, nursing homes and home care organisations. BMC Health Services Research, 24(1), 269. https://doi.org/10.1186/s12913-024-10718-5

[8] Gerlach, M., Renggli, F. J., Bieri, J. S., Sariyar, M., & Golz, C. (2025). Exploring nurse perspectives on AI-based shift scheduling for fairness, transparency, and work-life balance. BMC Nursing, 24(1), 1161. https://doi.org/10.1186/s12912-025-03808-0

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AUTHOR: Fabienne Renggli

Fabienne Renggli arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Innovationsfeld Gesundheitsversorgung und Personalentwicklung am Departement Gesundheit der Berner Fachhochschule.

AUTHOR: Christoph Golz

Christoph Golz ist Leiter des Innovationsfeldes Gesundheitsversorgung - Personalentwicklung an der Berner Fachhochschule Gesundheit. Seine Forschungsschwerpunkte sind die zukunftsgerichtete und bedarfsorientierte Entwicklung der Gesundheitsversorgung.

AUTHOR: Mascha Kurpicz-Briki

Dr. Mascha Kurpicz-Briki ist Professorin für Data Engineering am Institute for Data Applications and Security IDAS der Berner Fachhochschule, und stellvertretende Leiterin der Forschungsgruppe Applied Machine Intelligence. Sie beschäftigt sich in ihrer Forschung unter anderem mit dem Thema Fairness und der Digitalisierung von sozialen und gesellschaftlichen Herausforderungen.

AUTHOR: Manuela Kocher Hirt

Manuela Kocher Hirt ist diplomierte Pflegefachfrau HF mit Weiterbildungen als Gesundheitsschwester NDS und im CAS Public Management. Sie ist Präsidentin des Berufsverbands der Pflegefachpersonen SBK Sektion Bern, Gemeindepräsidentin von Worben und Präsidentin der SP Kanton Bern. Im Grossen Rat des Kantons Bern engagiert sie sich für eine zukunftsorientierte Gesundheits- und Pflegepolitik mit Fokus auf Fachkräftesicherung und Berufsverbleib.

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