Digitale Souveränität, Data Spaces und Large Language Models
Was heisst «Digitale Souveränität» in der Praxis und wie hängt das mit den Schweizer LLMs zusammen, die derzeit entwickelt werden. Der Beitrag zeigt: Digitale Souveränität erfordert zwingend nationale LLMs.
Digitale Souveränität ist für die Schweiz ein politisches Ziel, das praktisch in vollem Umfang nicht erreichbar ist. Deshalb stellt sich die Frage: In welchem Ausmass soll es erreicht werden?
Bei wesentlichen Komponenten des digitalen Ökosystems ist die Schweiz auf das Ausland angewiesen. Aber auch der EU ergeht es nicht viel besser. Und ob die USA über digitale Souveränität verfügen, ist eine vieldiskutierte Frage. Wie viel digitale Souveränität wollen wir also?
Wenn wir das Ziel moderater formulieren, gibt es drei Fragen. Die erste können wir schnell abhaken. Ist die Schweiz digital erpressbar? Antwort: Grundsätzlich ja. Es kommt nur darauf an, wie drastisch die Drohungen sind. Aber das gilt auch für das zehnmal grössere Deutschland. Es ist immer die Frage, was teurer ist: Der Erpressung zu widerstehen oder ihr nachzugeben. Sind die Kosten ähnlich gross, sollte man der Erpressung widerstehen. Auch dann noch, wenn sie etwas höher sind. Aber irgendwo gibt es eine Grenze, ab der man Erpressungen akzeptieren wird, weil der Widerstand zu teuer ist. Die Ausnahme ist, wenn das Nachgeben zu weit gehen würde.
Mögliche Erpressungsmittel sind: Das Abschneiden von wichtigen digitalen Technologien oder vom internationalen Finanztransaktionssystem, nebst den üblichen analogen Erpressungen wie der Androhung immens hoher Zölle. Die möglichen Erpressungsziele: Der Verzicht auf die Regulierung marktbeherrschender digitaler Plattformen (dies wurde von der Schweiz bereits proaktiv offeriert im Zollstreit mit den USA), die Adaption von Gesetzen (beispielsweise des BGEID, in einer Weise, dass nationale Schweizer eIDs von grossen ausländischen Konzernen ausgestellt werden können) oder auch die Rücknahme bereits bestehender Gesetze (beispielsweise des Datenschutzgesetzes oder zumindest der Datenportabilität im Datenschutzgesetz).
Die die genannten Erpressungsmittel sind um ein Vielfaches teurer für die Schweiz als die Nadelstiche der EU-Kommission gegen die Schweiz in der Vergangenheit (z.B. den Ausschluss vom Forschungsrahmenprogramm der EU). Wenn Schweizer Banken nur eingeschränkten Zugang zu Kund*innen im Ausland haben, ist das eine Sache – schon jetzt verzichten viele auf amerikanische Kund*innen. Wenn Schweizer Banken dagegen keine internationalen Geschäfte mehr tätig können, weil sie digital abgeschnitten werden, dann wäre das ihr Ende.
Solche und andere Horrorszenarien sind jedoch sehr unrealistisch, weshalb die Unmöglichkeit einer vollständigen Immunität gegenüber Erpressung nicht weiter beunruhigen sollte. Wer für das Unwahrscheinliche plant, scheitert meist am Vorhersehbaren. Also stehen zwei Fragen im Zentrum (welche aber auch bei den Kosten von Erpressungen eine zentrale Rolle spielen): Erstens, kann die Schweiz digital massgeschneiderte Lösung für sich selbst entwickeln, oder hat sie den ewigen Nachteil, Lösungen anderer Länder nutzen zu müssen, zu denen die Schweizer Bevölkerung nicht passt? Das klingt zynisch, ist aber ganz normaler IT-Alltag, wenn auch nur anekdotisch belegt. Ich habe erlebt, wie die IT-Verantwortlichen einer Universität sich beschwerten, dass die Weisung des Rektors nicht zu ihrem SAP-System passe.
Abseits solcher kulturellen Eigenheit der IT-Szene: Wenn Schweizer Forschung Krankenakten in den USA einkauft, hat sie genau das Problem. Die Daten passen nicht zur Schweizer Bevölkerung, denn Lebensstil, Genverteilung und Gesundheitswesen sind in der Schweiz anders als in den USA. Wir haben zwar verschiedene Big Data Methoden, um das Problem zu reduzieren, aber es bleibt seltsam, dass wir aufgrund des Datenschutzes hier mit den Daten der Amerikaner arbeiten. Das ist ethisch zumindestens bedenklich – und es würde sich leicht begründen lassen, wenn die amerikanische Regierung diesem Treiben ein Ende setzt. Wenn die Schweiz den Export Schweizer Daten in die USA nicht zulässt, dürfen auch keine amerikanischen Daten in die Schweiz exportiert werden. Das wäre nur fair – nur dass es in der Schweiz kaum personenbezogene Daten gibt, welche für die Forschung zur Verfügung stehen. Die Schweiz hat im Bereich der Sekundärdatennutzung einen grossen Rückstand auf China und die USA.
Die zweite Frage lautet: Können wir unsere Werte bewahren, oder müssen wir uns die Werte jener aufzwingen lassen, die uns technologisch überlegen sind. Objektiv betrachtet ist die Frage befremdlich. Denn viele Menschen in der Schweiz (und genauso in anderen europäischen Ländern) hoffen nämlich, dass mittels Technologie ihre politischen Gegner bekämpft werden können. Mit Technologie sollen so Fakten-Checker gegen Fake News kreiert werden. Das heisst in Klarsprache: Mit Technologie sollen glaubwürdige Fake News verbreitet werden, denn Fakten-Checker sind bekannt für das eigene Verbreiten von Fake News (und wurden in Deutschland dafür auch schon verurteilt). Mit Technologie soll aber auch die Freiheit der Rede garantiert werden. Das heisst im Klartext, dass mit Technologie die Zerstörung der liberalen Demokratie vorwärtsgetrieben werden soll. Denn vieles, was man im Namen der Freiheit in der Vergangenheit digital entwickelt wurde, wird von antidemokratischen politischen Kräften und von Kriminellen sehr erfolgreich genutzt – unter dem Label Redefreiheit.
Das illustriert, dass auch im Inland mit viel Idealismus über Technologieprojekte die Untergrabung der liberalen, halbdirekten Demokratie vorwärtsgetrieben wird. Die Frage ist aber, ist die Nutzung ausländischer Technologie basierend auf ausländischen Werten alternativlos oder nicht?
Dass diese Frage nicht harmlos ist, zeigen die sehr speziellen Versionen des christlichen Denkens, welche im Silicon Valley populär sind. Dort vergleichen sich Digitalunternehmer mit Jesus Christus (Daub, 2020) (Thiel, 2014). Sie glaubten ernsthaft, dass sie die Welt erlösen müssen – unter anderem vom Bösen der liberalen Demokratie. Natürlich ist das eine legitime Sichtweise, aber wenn sie in Algorithmen unsichtbar kodiert wird, wird sie zum Machtinstrument. Deshalb sollte es zu den digitalen Diensten und Werkzeugen aus dem Ausland Alternativen geben, die nicht uns fremde Werthaltungen implementieren, sondern unsere Werte. Dazu zählen in der Schweiz insbesondere Offenheit für die Auseinandersetzung mit anderen Meinungen, politische Neutralität von Informationsdienstleistungen (sofern nicht anders deklariert) und Mehrsprachigkeit. Open Source Lösungen sind in diesem Kontext besonders wünschenswert.
Die oben diskutierte erste Frage macht klar: Wir (die Schweiz, andere europäische Länder, die EU, Europa) benötigen eigene Data Spaces! Die Tagung Informatik und Recht am 26. August im Berner Rathaus wird dies ausführlich und grundsätzlich diskutieren. Die zweite Frage legte nahe, viel mehr als bisher in Open Source zu investieren. Und zwar vor allem und insbesondere im Bereich Künstliche Intelligenz.
Was es braucht, sind einheimisch trainierte KI-Modelle, welche einheimische Denklogik und einheimische Werte widerspiegeln. Konkret und insbesondere im Bereich Large Language Models (LLMs). Die Schweiz benötigt Large Language Models, welche nach den Werten der Schweiz entwickelt wurden. Konkret bedeutet dies vor allem keinen Datenklau, das heisst keine Nutzung von Text ohne Zustimmung derer, die das Copyright besitzen. Des Weiteren sollen die Werte der Schweiz widergespiegelt werden (beispielsweise die Gleichheit aller Menschen, das heisst insbesondere, aber nicht nur, die Nichtdiskriminierung von Frauen) und das LLM soll auf die Mehrsprachigkeit ausgerichtet sein. Denn Mehrsprachigkeit ist ein wesentliches Element der Schweizer Kultur.
Die ETH und die EPFL werden solche nationale LLMs auf dem neuen Supercomputer ALPS am Swiss National Supercomputing Center (SCNC) in Lugano entwickeln, damit sie dann als Services konventioneller Cloud Computing Diensteanbieter laufen können. Das verlangt Erfahrung und braucht dementsprechend Zeit und Strom, hat aber den Vorteil, dass die einmal gemachte Erfahrung für viele, sektorspezifische Spezial-LLMs genutzt werden kann, und dabei dank der durch Erfahrung gewonnenen Effizienz auch weniger Strom verbraucht wird. Die Dienste von ALPS sollen in Zukunft auch privaten Schweizer Unternehmen angeboten werden – sinnvollerweise ergänzt um Beratungsdienstleistungen durch die Hochschulen. Beim 7. Digitalgipfel von Digitalwitzerland auf dem Bürgenstock wurden die entsprechenden Aktivitäten ausgiebig vorgestellt und diskutiert.
Den Anfang wird das Swiss Justice Base Model machen, ein LLM für Schweizer Recht. Dass es hier eine nationale Lösung braucht, ist offensichtlich. Denn Recht ist – von wenigen Ausnahmen abgesehen – eine nationale Angelegenheit. Neben veröffentlichten, anonymisierten Gerichtsurteilen (ein Erfolg der Open Access Bewegung) werden auch von Verlagen bereitgestellte Rechtstexte mit Zustimmung derer Autor*innen für das Trainieren des LLMs verwendet. Parallel dazu werden Grundsätze einer Fair Use Regelung ausgearbeitet werden, die zur Schweiz passen – respektive mehrere Versionen solcher Regelungen, zwischen denen die Entwickler*innen von LLMs ausgewählt werden (denn auch anderswo gibt es unterschiedliche Lizenzmodelle). Selbstverständlich werden nur solche Fair Use Regelungen ausgewählt, deren Kompatibilität mit Schweizer Recht ausserhalb jeden begründbaren Zweifels steht.
Seit langem predigen die Change Manager*innen, dass Quick Wins entscheidend sind. Das Swiss Justice Base Model soll ein solcher Quick Win auf dem Weg zur partiellen digitalen Souveränität sein!
Referenzen
Daub, Adrian (2020). Was das Valley denken nennt (4. Aufl.). Suhrkamp.
Thiel, Peter (2014). Zero to one: notes on startups, or how to build the future. Chapter 14.

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