Wenn der Chatbot zum Lerncoach mit offenem Ohr wird

Projekt App MindMate

Seit der Corona-Pandemie leiden immer mehr Studierende unter psychischen Problemen, doch nur 10% nutzen bestehende Beratungsangebote. Ein interdisziplinäres Team an der BFH entwickelt die App «MindMate» die nicht nur professionelle Hilfe vermittelt, sondern auch als persönlicher Lerncoach fungiert. Wir sprachen mit den BFH-Forschenden Lorenz Affolter und Daniel Reichenpfader sowie den Studierenden Sara Lüthi und Jennifer Bürki, die im Rahmen ihrer Bachelorarbeit einen funktionsfähigen Prototyp der App erstellt haben.

Was war der Auslöser für das MindMate-Projekt?

Lorenz Affolter: Seit Beginn der Corona-Pandemie haben psychische Probleme bei Studierenden massiv zugenommen. Der Verband Schweizer Studierendenschaften hat daraufhin das Student Minds Network ins Leben gerufen. Gleichzeitig nutzen im Kanton Bern nur etwa 10% der Studierenden die bestehenden Beratungsangebote – oft wegen mangelnder Kenntnis, Stigmatisierung oder Zugangsbarrieren. Hier wollen wir ansetzen.

Daniel Reichenpfader: Das Gute ist dabei: Technologisch sind wir heute in der Lage, mit modernen Sprachmodellen sehr natürliche und hilfreiche Konversationen zu führen. Das wohl bekannteste kommerzielle Tool hierfür ist aktuell ChatGPT von OpenAI, Inc. Es gibt jedoch auch zahlreiche frei verfügbare Modelle und Tools. Wir haben uns folgende Frage gestellt: Wie können wir diese Technologien sinnvoll für die Förderung der mentalen Gesundheit von Studierenden einsetzen?

Wie sind Sie als Studierende zu diesem Projekt gekommen?

Jennifer Bürki: Wir haben zunächst in einem Semesterprojekt eine erste Version der mobilen App erstellt. Das Thema hat mich persönlich sehr angesprochen, da mir die Herausforderungen und der Leistungsdruck im Studium durchaus vertraut sind. Daraus ist dann unsere Bachelorarbeit entstanden, in der wir den ersten Prototypen getestet, erweitert und verbessert haben.

Sara Lüthi: Ich kann mich dem nur anschliessen. Was mich besonders fasziniert hat, war die technische Herausforderung: Wie bringt man einen Chatbot dazu, wirklich empathisch und hilfreich zu reagieren? Und wie integriert man diese Technologie in eine mobile App?

Können Sie uns das Konzept von MindMate erklären?

Lorenz Affolter: MindMate ist mehr als nur ein gewöhnlicher Chatbot. Das System hat zwei Hauptkomponenten: Den «Listener Bot», der empathische Unterstützung bietet und bei Bedarf zu professionellen Beratungsangeboten weiterleitet, und den «Learning Coach», der bei der Organisation des Studiums hilft.

Daniel Reichenpfader: Technisch basiert das System auf modernsten Large Language Models, die wir über eine sichere Schnittstelle einbinden. Die Herausforderung lag darin, die Modelle so zu konfigurieren, dass sie sowohl empathisch als auch fachlich kompetent reagieren können. Für die Definition der Persönlichkeit des Chatbots sowie der Unterstützung der Nutzenden bei der Umsetzung von Verhaltensänderungen stützen wir uns auf aktuelle Forschungsergebnisse.

Welche technischen Hürden mussten Sie überwinden?

Daniel Reichenpfader: Die grösste Herausforderung war die Priorisierung der diversen erhobenen Anforderungen. Ausserdem arbeiten wir mit sensiblen Daten zur mentalen Gesundheit, da sind höchste Sicherheitsstandards erforderlich. Gleichzeitig soll die App niederschwellig und einfach nutzbar sein.

Jennifer Bürki: Besonders knifflig war es, den Chatbot so zu programmieren, dass dieser Krisensituationen korrekt einschätzen kann und die Nutzenden bei einer akuten Krise direkt mit einem Notfalltelefon (z.B. dem psychiatrischen Notfalldienst des Inselspitals Bern) verbindet. Dafür haben wir Prompt Engineering eingesetzt, Beispieltexte erstellt und die Antworten des Chatbots gemeinsam mit zwei Psychologinnen evaluiert.

Wie stellen Sie sicher, dass die App wirklich den Bedürfnissen der Studierenden entspricht?

Lorenz Affolter: Wir verwenden Methoden des partizipativen Designs. Das heisst, die diversen Stakeholder sind von Anfang an in den Entwicklungsprozess eingebunden. Dazu zählen natürlich primär die Studierenden, aber auch Studierendenvertretungen, Beratungspersonen, Fachpersonen und Dozierende. Wir arbeiten eng mit den Organisationen Students Mind Network und Mindbalance zusammen, um sicherzustellen, dass wir die realen Bedürfnisse treffen.

Sara Lüthi: Wir haben ein Usability Testing mit neun Studierenden verschiedener Fachrichtungen durchgeführt. Im Anschluss gaben sie Feedback zum Eindruck zur App und formulierten Verbesserungsvorschläge. Dabei zeigte sich, dass viele die Beratungsangebote gar nicht kannten. Eine Übersicht dazu haben wir deshalb direkt in die App integriert.

Wo sehen Sie die Grenzen eines solchen Systems?

Daniel Reichenpfader: Ein Chatbot kann niemals professionelle psychologische Betreuung ersetzen. Unser Ziel ist es, Hemmschwellen abzubauen und als Brücke zu fungieren. MindMate soll erkennen, wann professionelle Hilfe nötig ist, und dann entsprechend weiterleiten.

Lorenz Affolter: Genau. Wir sehen MindMate als präventive Massnahme und als Türöffner. Wenn wir erreichen, dass mehr Studierende frühzeitig Unterstützung suchen, haben wir schon viel gewonnen. Und mit der Unterstützung bei der Lernplanung zielen wir darauf ab, die App attraktiver für alle Studierenden zu gestalten und auch in Nicht-Krisenmomenten einen Mehrwert und Bindung zur App zu schaffen.

Wie geht es mit dem Projekt weiter?

Daniel Reichenpfader: Wir bereiten gerade einen Antrag für die weitere Finanzierung des Projektes vor. Der Prototyp läuft aktuell mit einem kommerziellen Sprachmodell, diesen wollen wir möglichst bald mit einem eigenen, lokalen Modell ersetzen. In Bezug auf den Betrieb möchten wir MindMate langfristig gesehen in bestehende Kommunikationsplattformen integrieren – Messenger-Dienste, Moodle, Campus-App, etc.. Je niederschwelliger und diverser die Kanäle, desto besser.

Sara Lüthi: Unsere Bachelorarbeit ist im Sommer abgeschlossen. Da wir aber finden, dass das Thema extrem wichtig ist und die aktuelle App eine gute Grundlage für die Weiterentwicklung bietet, sind wir motiviert, uns weiter einzubringen. Für die nächste Entwicklungsphase haben wir bereits viele Ideen wie Push-Benachrichtigungen, detailliertere Ansichten der erfassten Aufgaben und eine verbesserte, evidenzbasierte Lernplanung.

Was ist Ihre Vision für die Zukunft der digitalen Studierendenbetreuung?

Lorenz Affolter: Wir sehen MindMate als ein Puzzleteil in der studentischen Gesundheitsversorgung. Im Rahmen eines verwandten Projektes schaffen wir gerade die Grundlage für die Etablierung eines gesamtheitlichen studentischen Gesundheitsmanagements an der BFH. Die MindMate-App würde sich hier perfekt eingliedern.

Daniel Reichenpfader: Die Technologie entwickelt sich rasant weiter. Ich sehe grosse Chancen darin, KI-basierte Systeme verantwortungsvoll für das Wohlbefinden von Menschen einzusetzen. MindMate ist ein wichtiger Schritt in diese Richtung, jedoch müssen wir die Risiken von Chatbots weiterhin berücksichtigen und versuchen zu minimieren.

Sara Lüthi: Als Studentin hoffe ich, dass solche Tools bald Standard werden. Wir brauchen Lösungen, die unsere Generation dort abholen, wo sie steht – digital, ganzheitlich und ohne Vorurteile.

Jennifer Bürki: Am Ende geht es darum, dass Studierende nicht mehr allein mit ihren Problemen dastehen müssen und wissen, wo sie sich Hilfe holen können. Wenn MindMate auch nur einer Person hilft, rechtzeitig Unterstützung zu finden, hat sich die ganze Arbeit gelohnt.


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AUTHOR: Daniel Reichenpfader

Daniel Reichenpfader ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Patient-Centered Digital Health und doktoriert an der Universität Genf im Bereich Digital Health. Seine Forschung konzentriert sich auf die Anwendung und Optimierung von Methoden der Computerlinguistik (u.a. Chatbots) im Gesundheits- und Bildungswesen.

AUTHOR: Lorenz Affolter

Dr. Lorenz Affolter ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut New Work und Experte für mentale Gesundheit im Arbeits- und Studienkontext.

AUTHOR: Sara Lüthi

Sara Lüthi ist Studentin am Bachelor-Studiengang Medizininformatik der Berner Fachhochschule.

AUTHOR: Jennifer Bürki

Jennifer Bürki ist Studentin am Bachelor-Studiengang Medizininformatik der Berner Fachhochschule.

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