Wie ein menschenzentrierter Ansatz in der Robotik die Mitarbeitenden stärkt

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Robotik kann mehr als nur Routinearbeiten übernehmen – sie hat das Potenzial, die Rolle von den Mitarbeitenden in der Produktion zu stärken. In einem SNF-Projekt gingen Forscher*innen der BFH und des Idiap in Martigny dieser Frage nach und untersuchten, wie neue Technologien die Arbeitswelt positiv verändern können. Ein Team von Psycholog*innen unter der Leitung von Prof. Dr. Andreas Sonderegger stand den Mitarbeitenden während des gesamten Entwicklungsprozesses zur Seite, um ihre Bedürfnisse zu verstehen und sie optimal auf die neuen Herausforderungen vorzubereiten. Im Interview erläutert Amélie Jeanneret, wie psychologische Faktoren diesen Wandel beeinflussen.

Societybyte: Welche Rolle spielten Sie als Psychologin in diesem Projekt?

Amélie Jeanneret ist Teil des Forschungsteams.

Amélie Jeanneret: Als Psycholog*innen haben wir bei diesem Automatisierungsprojekt, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt, eine vielseitige Aufgabe. Unser Hauptziel ist es, sicherzustellen, dass die Integration neuer Technologien, wie in diesem Fall kollaborativer Roboter, von den Bedienenden positiv oder zumindest nicht negativ wahrgenommen wird. Dazu gehört die Bewertung der psychologischen und emotionalen Auswirkungen der Einführung dieser Technologien, die Bewältigung des Wandels und die Unterstützung der Bediener bei der Anpassung an die neuen Arbeitsmethoden. Wir bemühen uns auch, die interne Gruppendynamik innerhalb des Unternehmens zu verstehen, um ein ganzheitliches Bild der Situation zu erhalten, potenzielle Stress- und Demotivationsquellen zu identifizieren und Strategien zu entwickeln, um diese zu entschärfen. Insgesamt wollen wir sicherstellen, dass die Automatisierung die Produktivität steigert, ohne das Wohlbefinden der Mitarbeiter zu beeinträchtigen, im Idealfall sogar zu verbessern.

Warum ist es wichtig, auch Bedienende einzubeziehen, die die Technologie vielleicht nicht verstehen?

Es ist klar, dass man die Technologie hinter einer Maschine nicht verstehen muss, um sie komfortabel zu nutzen. Da die Bedienenden direkt von der Einführung neuer Technologien in die Produktionsprozesse betroffen sind, ist es von entscheidender Bedeutung, sie in den Automatisierungsprozess einzubeziehen, auch wenn sie kein tiefes technisches Verständnis haben. Dies ist aus mehreren Gründen wichtig. Sie verfügen über praktisches Fachwissen und detaillierte Kenntnisse der täglichen Aufgaben und Herausforderungen in der Produktionslinie. Ihre Sichtweise ist entscheidend für die Identifizierung von Aspekten der Arbeit, die effizient verbessert oder automatisiert werden können. Zweitens erhöht ihre Beteiligung am Prozess ihr Gefühl von Kontrolle und Verantwortung, was Ängste im Zusammenhang mit technologischen Veränderungen verringern und ihre Bereitschaft erhöhen kann, die Nutzung dieser Technologien zu erlernen. Indem wir sie von Anfang an einbeziehen, können wir Lösungen entwickeln, die wirklich auf ihre Bedürfnisse und Vorlieben zugeschnitten sind, was eine bessere Akzeptanz und einen reibungsloseren Übergang zur Nutzung neuer Technologien ermöglicht.

Wie wurden die Mitarbeitenden einbezogen und was sind die wichtigsten Vorteile dieses partizipativen Ansatzes?

Zunächst führten wir Einzelinterviews mit den Teilnehmenden, um mehr über ihre Erwartungen, Ängste, Hoffnungen und ihre allgemeine Einstellung zur Einführung neuer Technologien zu erfahren und um Aspekte ihrer täglichen Arbeit zu ermitteln, die ihre Motivation oder ihr Wohlbefinden steigern oder mindern könnten, wenn sie automatisiert würden. Ein zweites Interview ist in Kürze geplant, um zu beobachten, ob sich all diese psychologischen und praktischen Elemente im Laufe der Zeit und durch den schrittweisen Umgang mit dem kollaborativen Roboter verändert haben. Anschliessend haben wir Workshops durchgeführt, in denen einige Teilnehmende durch eine Reihe von Übungen direkt mit dem Roboter interagieren konnten. Auf jeden Workshop folgte ein kurzes Interview, in dem sie über ihre Gefühle und die Benutzerfreundlichkeit des Roboters sowie über eher praktische Aspekte wie die Intuitivität der Schnittstelle und die Leichtigkeit, mit der ein Problem beim Betrieb des Roboters identifiziert und gelöst werden kann, sprechen konnten. Diese Gespräche dienten auch dazu, ihre Meinungen und Vorschläge für Verbesserungen des Roboters und seiner Schnittstelle einzuholen.

Welche Herausforderungen haben Sie im Zusammenhang mit der Einführung neuer Technologien festgestellt?

Die von der BFH mit Auto-Mate Robotics entwickelte flexible Zelle.

Die Herausforderung bei der Einführung neuer Technologien besteht für die Mitarbeitenden darin, verschiedene Ängste zu bewältigen. Erstens müssen sie mit der Angst vor dem Unbekannten fertig werden, da keiner der Befragten über berufliche Erfahrungen mit kollaborativen Robotern verfügt. Sie müssen auch mit der Angst umgehen, dass ihre Fähigkeiten abgewertet werden, sie ihren Arbeitsplatz verlieren oder ihre Arbeitsgewohnheiten gestört werden, was sich auf ihre Leistung auswirken könnte. Um diese Herausforderungen zu bewältigen, schlagen wir vor, eine umfassende Schulung zur Verwendung des kollaborativen Roboters, kontinuierliche Schulungen, Möglichkeiten für einige Mitarbeitende zur Vertiefung der technischen Fähigkeiten (z. B. Programmierung) und offene Kommunikationsplattformen einzuführen, um Transparenz seitens des Unternehmens, Dialog und Verständnis zu fördern.

Welche Instrumente oder Ansätze haben Sie verwendet, um den Mitarbeitenden die Möglichkeit zu geben, sich weiterzubilden?

Um die Weiterbildung zu erleichtern, haben wir einen praxisnahen Lernansatz gewählt. Wir richteten Workshops ein, in denen die Mitarbeitenden direkt mit dem Roboter interagieren konnten (Benutzertests), konkrete Probleme lösten und ihre Fähigkeiten schrittweise weiterentwickelten, während sie die aufgetretenen Schwierigkeiten identifizierten. Diese Workshops dienten auch als Informationsquelle, um den Betrieb des Roboters an die Bedürfnisse, Erwartungen und Kenntnisse der Angestellten anzupassen.

Haben Sie bemerkenswerte Veränderungen in der Motivation oder im Wohlbefinden der Studienteilnehmer*innen nach dem Projekt festgestellt?

Das Projekt ist noch nicht abgeschlossen, so dass wir noch nicht alle erforderlichen Daten gesammelt haben, um die Auswirkungen auf die Motivation und das Wohlbefinden vollständig zu messen. Erste Beobachtungen deuten jedoch auf positive Anzeichen hin. Es wurden Interviews zu drei Themenbereichen durchgeführt:

  • beruflicher Hintergrund
  • Einstellung zur Technologie
  • Wahrnehmungen und Präferenzen in Bezug auf den Einsatz von kollaborativen Robotern.

Die Ergebnisse zeigen, dass die Befragten Interesse an der Technologie zeigen und sich an ihren zunehmenden Einsatz im Berufsleben anpassen, während sie gleichzeitig Befürchtungen und Ängste vor einer übermässigen Abhängigkeit von der Technologie und negativen Auswirkungen auf persönliche Aspekte ihres Lebens äussern. Was die spezifischen Aufgaben anbelangt, die die Bediener ausdrücklich beibehalten wollten, und diejenigen, die sie lieber dem Roboter überlassen wollten, erwiesen sich die Präferenzen als sehr individuell.

Was die Motivation und das Wohlbefinden bei der Arbeit betrifft, so konnten die Bediener ihre Bedenken äußern, da sie von Anfang an einbezogen wurden, und sie schätzten es, dass ihnen zugehört wurde und sie aktiv an der Entwicklung des Projekts beteiligt waren, was zu einem besseren psychologischen Wohlbefinden beitragen sollte. Während des zweiten Workshops sagten die Befragten auch, dass sie sich im Umgang mit dem Roboter wohler fühlten, nachdem sie bereits während des ersten Workshops mit seiner Verwendung konfrontiert worden waren.

Die nächste Interviewreihe, die in einigen Monaten stattfinden soll, wird es uns ermöglichen, die Veränderungen in der Motivation und im Wohlbefinden der Mitarbeitenden bei der Arbeit genauer und umfassender zu bewerten. Wir hoffen, dass diese Interviews tiefere Einblicke in die langfristigen Auswirkungen ihrer aktiven Teilnahme am Projekt und des Einsatzes des kollaborativen Roboters geben werden.


Über die Person

Amélie Jeanneret ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Wirtschaft der BFH. Sie hat einen Bachelorabschluss in Psychologie und einen Master in Recht, Kriminologie und Sicherheit, sie ist auf qualitative Forschung spezialisiert.


Mehr über das Projekt

Dieses BFH-Projekt wurde vom SNF NFP-Programm 77 für die menschlichen Aspekte und von Innosuisse für die technologischen Aspekte finanziert. Das Projekt wurde in Zusammenarbeit mit der Firma Bien Air Dental S.A. durchgeführt. Das Start-up Auto-Mate Robotics wird die Entwicklung des Systems weiterführen.

Ein Konferenzartikel über das Projekt wurde hier veröffentlicht.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Emma Vattilana

Emma Vattilana arbeitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der BFH Wirtschaft. Sie hat einen Bachelor-Abschluss in Psychologie und absolviert derzeit ein Master-Studium in Gesundheits- und Organisationspsychologie mit einem starken Forschungsinteresse an Human-Centered Design an der Universität Freiburg.

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