Kann uns Künstliche Intelligenz beim Klimaschutz helfen?

Kann uns Künstliche Intelligenz beim Klimaschutz helfen?

Die Künstliche Intelligenz (KI) verspricht Wirtschaft und Gesellschaft zu transformieren, und damit zum Klimaschutz beizutragen. Doch trotz über zehn Jahren rasant fortschreitender Digitalisierung bleiben unsere Klimaprobleme ungelöst. Warum sollte dies nun mit KI grundlegend anders sein?

Viele Unternehmen, die an der Entwicklung von KI beteiligt sind, versprechen, dass sie hilft Treibhausgas-Emissionen zu senken, indem sie die Dematerialisierung von physischen Prozessen erleichtert, die Ressourcen- und Energieeffizienz verbessert oder Materialkreisläufe schliesst [1], [2]. Selbst die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen betonte in ihrer Rede (Jahr, Ort): «Das Gleiche sollte für die künstliche Intelligenz gelten. Sie wird die Gesundheitsversorgung verbessern, die Produktivität steigern und den Klimawandel bekämpfen» [3].

Solche Hoffnungen werden jedoch nicht durch wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt, da es noch zu wenig Studien zu den Emissionseffekten der KI gibt. Es gibt jedoch empirische Studien zu den Klimaauswirkungen digitaler Technologien, und diese stellen den Optimismus der KI-Industrie und der Politik in Frage. Sie zeigen, dass die Digitalisierung bestenfalls zu einer geringen Senkung von Treibhausgas-Emissionen geführt hat oder diese sogar erhöhte [4], [5]. Gründe dafür sind, dass digitale Technologien in der Produktion und im Betrieb ressourcen- und energieintensiv sind und aufgrund von Rebound-Effekten oft klimaschädigende Aktivitäten verstärken [6]. Und das gilt auch für die KI.

 Energieintensive Entwicklung und Betrieb

Die Entwicklung, das Training und der Betrieb grosser KI-Modelle können sehr energieintensiv sein. Der Rechenaufwand für das Training hat sich bis 2012 alle 24 Monate verdoppelt hat, seit 2012 alle 3,4 Monate und seit 2019 alle 2 Monate [7], [8]. Auch der Betrieb der Modelle, in dem ein Modell Anfragen beantwortet, kann viel Energie benötigen. Der niederländische Digitalisierungsexperte Alex De Vries schätzte jüngst, dass der Stromverbrauch der Google-Suche auf etwa 30 TWh pro Jahr steigen würde, wenn Generative KI genutzt werden würde. Das ist mehr als der jährliche Stromverbrauch von Ländern wie Portugal oder Ungarn [9]. Der immense Energiebedarf hat nun dazu geführt, dass KI-Unternehmen wie Microsoft und Alphabet ihre Klimaziele neu überdenken müssen [10], [11]. Zu betonen ist jedoch, dass dies nur für sehr grosse KI-Modelle gilt, und die meisten KI-Anwendungen deutlich weniger Energie benötigen. Dennoch ist es wichtig Massnahmen zu entwickeln, um das Potenzial der KI ausnutzen zu können und gleichzeitig Energieverbrauch und Emissionen niedrig zu halten. Dazu gehören auch Richtlinien, wann KI überhaupt einen Mehrwert bietet und wann auf sie auch verzichtet werden kann [9].

KI in der Anwendung: Segen und Fluch zugleich

Neue KI-Anwendungen werden alle Wirtschaftsbereiche wie den Verkehr oder die Industrie durchdringen und hier schlummert ein enormes Klimaschutzpotenzial. Denn KI kann dabei helfen die Entwicklung emissionsarmer Technologien zu beschleunigen oder die Ressourceneffizienz in der Landwirtschaft zu steigern [12]. Eine Studie von Microsoft und PricewaterhouseCoopers prognostiziert, dass KI-Anwendungen bis 2030 über 4 % der weltweiten Treibhausgas-Emissionen (THG) vermeiden werden [13]; die Boston Consulting Group (BCG) schätzt, dass die Technologie bereits heute 5 bis 10 % der globalen THG-Emissionen reduzieren könnte [14].

Diese Potenziale existieren zwar, aber sie beruhen auf sehr optimistischen Annahmen und ignorieren klimaschädigende Effekte. Beispielsweise kann KI auch zur Ausweitung der Fleischproduktion, zur Intensivierung der Öl- und Gasexploration, oder zur Steigerung des Online-Konsums durch personalisierte Werbung genutzt werden [2].

Es ist gefährlich, nur eine Seite der Medaille zu beleuchten. Überoptimistische Studien schüren den Glauben, dass sich das Klimaproblem von allein lösen könnte. Laut BCG erwarten heute 87 % der «Klima- und KI-Führungskräfte», dass KI zur Bekämpfung der Klimakrise beitragen wird [15].

Wir sollten nicht wieder in die gleiche Falle tappen

Vor etwa zehn Jahren standen wir im Bereich Digitalisierung und Klimaschutz an einem ähnlichen Punkt. IT-Branchenverbände und -Unternehmen priesen das Klimaschutzpotenzial digitaler Technologien an und weckten die Hoffnung, dass die Digitalisierung eine Wunderwaffe für den Klimaschutz sei. Heute wissen wir, dass dieses Szenario nicht eingetreten ist und der Beitrag zum Klimaschutz überschätzt wurde [4], [6]. Damit wir mit der KI nicht in die gleiche Falle tappen, müssen wir vom Ziel herdenken. Klimaschädigende Sektoren wie der Verkehr oder die Landwirtschaft müssen überlegen, wie KI für eine absolute Emissionssenkung genutzt werden kann. Letztendlich braucht es dann aber auch den politischen und gesellschaftlichen Willen solche Massnahmen umzusetzen. Denn dass wir weniger Auto fahren und weniger Fleisch essen sollten, ist seit Jahren bekannt und wird sich auch durch die KI nicht ändern.


Dieser Artikel basiert auf einem kürzlich erschienen Paper im Band der Konferenz ICT for Sustainability: AI and Climate Protection: Research Gaps and Needs to Align Machine Learning with Greenhouse Gas Reductions


Referenzen

 [1]    R. Agrawal, V. A. Wankhede, A. Kumar, S. Luthra, A. Majumdar, and Y. Kazancoglu, “An Exploratory State-of-the-Art Review of Artificial Intelligence Applications in Circular Economy using Structural Topic Modeling,” Oper Manag Res, vol. 15, no. 3, pp. 609–626, Dec. 2022, doi: 10.1007/s12063-021-00212-0.

[2]    L. H. Kaack, P. L. Donti, E. Strubell, G. Kamiya, F. Creutzig, and D. Rolnick, “Aligning artificial intelligence with climate change mitigation,” Nat. Clim. Chang., vol. 12, no. 6, Art. no. 6, Jun. 2022, doi: 10.1038/s41558-022-01377-7.

[3]    European Commission, “2023 State of the Union Address by President von der Leyen.” Accessed: Dec. 08, 2023. [Online]. Available: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/ov/speech_23_4426

[4]    Digitalization for Sustainability, “Digital Reset: Redirecting Technologies for the Deep Sustainability Transformation,” Oekom, 2023. [Online]. Available: https://digitalization-for-sustainability.com/digital-reset/

[5]    S. Lange, J. Pohl, and T. Santarius, “Digitalization and energy consumption. Does ICT reduce energy demand?,” Ecological Economics, vol. 176, p. 106760, Oct. 2020, doi: 10.1016/j.ecolecon.2020.106760.

[6]    J. C. T. Bieser, R. Hintemann, L. M. Hilty, and S. Beucker, “A review of assessments of the greenhouse gas footprint and abatement potential of information and communication technology,” Environmental Impact Assessment Review, vol. 99, p. 107033, Mar. 2023, doi: 10.1016/j.eiar.2022.107033.

[7]    D. Amodei and D. Hernandez, “AI and compute,” Open AI, 2018. Accessed: Nov. 27, 2023. [Online]. Available: https://openai.com/research/ai-and-compute

[8]    A. Mehonic and A. J. Kenyon, “Brain-inspired computing needs a master plan,” Nature, vol. 604, no. 7905, Art. no. 7905, Apr. 2022, doi: 10.1038/s41586-021-04362-w.

[9]    A. De Vries, “The growing energy footprint of artificial intelligence,” Joule, vol. 7, no. 10, pp. 2191–2194, Oct. 2023, doi: 10.1016/j.joule.2023.09.004.

[10]  S. Kimball, “Microsoft’s carbon emissions have risen 30% since 2020 due to data center expansion,” CNBC. Accessed: Jul. 08, 2024. [Online]. Available: https://www.cnbc.com/2024/05/15/microsofts-carbon-emissions-have-risen-30percent-since-2020-due-to-data-center-expansion.html

[11]  D. Milmo, “Google’s emissions climb nearly 50% in five years due to AI energy demand,” The Guardian, Jul. 02, 2024. Accessed: Jul. 08, 2024. [Online]. Available: https://www.theguardian.com/technology/article/2024/jul/02/google-ai-emissions

[12]  D. Rolnick et al., “Tackling Climate Change with Machine Learning.” arXiv, Nov. 05, 2019. doi: 10.48550/arXiv.1906.05433.

[13]  C. Herweijer, B. Combes, and J. Jonathan, “How AI can enable a Sustainable Future,” Pwc, Microsoft, 2019. Accessed: Nov. 27, 2023. [Online]. Available: https://www.pwc.co.uk/sustainability-climate-change/assets/pdf/how-ai-can-enable-a-sustainable-future.pdf

[14]  S. Duranton, M. Frédeau, and R. Hutchinson, “Reduce Carbon and Costs with the Power of AI,” BCG, 2021. Accessed: Nov. 27, 2023. [Online]. Available: https://www.bcg.com/publications/2021/ai-to-reduce-carbon-emissions

[15]  BCG, “87% of Climate and AI Leaders Believe That AI Is Critical in the Fight Against Climate Change.” Accessed: Nov. 27, 2023. [Online]. Available: https://www.bcg.com/press/7july2022-ai-is-critical-in-fight-against-climate-change

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AUTHOR: Jan Bieser

Jan Bieser ist Assistenzprofessor für Digitalisierung und Nachhaltigkeit am Institut Public Sector Transformation der BFH. In seiner Forschung untersucht er Chancen und Risiken der Digitalisierung für Gesellschaft und Umwelt. Zuvor forschte und lehrte er als Senior Researcher, Postdoktorand und Doktorand zu Digitalisierung und nachhaltiger Entwicklung am Gottlieb Duttweiler Institut, am Institut für Informatik der Universität Zürich und am Departement für Nachhaltige Entwicklung, Umwelt- und Ingenieurwissenschaften des KTH Royal Institute of Technology in Stockholm.

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