Wie Neuromonitoring postoperative Hirnschäden verhindern kann
Signaldaten im intraoperativen Neuromonitoring mittels maschinellen Lernens analysieren – mit diesem Thema seiner Bachelor-Arbeit hat Simon Koller die Jury an der DMEA in Berlin überzeugt. Bereits zum sechsten Mal innert acht Jahren wurde ein Absolvent des Bachelor of Science in Medizininformatik der Berner Fachhochschule BFH beim internationalen Nachwuchspreis für die beste Bachelor-Arbeit ausgezeichnet. Im Interview erläutert er das Thema.
Societybyte: Du hast in deiner Abschlussarbeit für die Universitätsklinik für Neurochirurgie Bern Signaldaten im intraoperativen Neuromonitoring mittels maschinellen Lernens analysiert. Was hat dich zu diesem Thema motiviert?
Simon Koller: In meiner Lehre als Orthopädist musste ich direkt nach Hirnoperationen von Patient*innen auf die Intensivstationen, um dort einen Masshelm zum Schutz des Hirnes anzufertigen. Dies waren bleibende Erfahrungen die mich geprägt haben, da Hirnschäden in einigen Fällen bedeutete, dass der oder die Patientin nicht mehr die gleiche war wie vor der Operation. Ich war darum top motiviert, Forschung zu betreiben um Eingriffe am Hirn schon während der Operation sicherer zu machen und Machine Learning ist ein Themenfeld, welches mich sehr interessiert und wo ich grosses Potential sehe.
Wie bist du bei deiner Analyse vorgegangen betreffend Studiendesign und Methodik?
Bei Tumoroperationen ist es für Chirurg*innen teilweise eine Herausforderung den Unterschied zwischen gesundem Nervengewebe und einem Tumor der entfernt werden soll, von Auge zu erkennen. Darum braucht es Tools die die Chirurg*innen bei der Operation unterstützen, an denen das Inselspital intensiv Forschung betreibt. Ich entwickelte ein Machine Learning Modell, das anhand von Muskelsignalen nach Hirnstimulation während der OP subtile Muster erkennt, die auf Nervenschäden hindeuten. Das Modell soll so schon intraoperativ vor möglichen Schäden warnen. Trainiert wurde es mit Echtdaten von Patient*innen des Inselspitals Bern, getestet an neuen Patientendaten aus vergangenen Operationen, auf die das Modell noch nicht trainiert wurde. Das Ganze dauerte ein Semester im Rahmen meiner Bachelorarbeit.
Bei welchen Patient*innen kann das Verfahren angewendet werden?
Grundsätzlich bei allen Operationen mit intraoperativem Neuromonitoring, also an Hirn und Wirbelsäule. Bis zum Praxiseinsatz sind aber noch Hürden zu überwinden. Mein Fokus lag darauf, das bestmögliche Modell zu entwickeln. Als Nächstes muss erforscht werden, wie es konkret eingesetzt werden soll und wie mehr strukturierte Daten gesammelt werden können.
In wiefern passen unser Gehirn und Machine Learning zusammen?
Vereinfacht gesagt stimulieren die Chirurg*innen während der OP das Nervengewebe und leiten so elektrische Signale vom Gehirn über die Nerven zu den Muskeln. Bewegt sich der Muskel, deutet das auf intakte Nerven hin, bleibt er still, könnte ein Schaden vorliegen. Die resultierenden komplexen Muskelsignale werden aufgezeichnet und einem neuronalen Netz als Trainings- und Testdaten zugeführt. Dieses lernt dann die subtilen Muster zu erkennen, die mit Nervenschäden korrelieren. Faszinierenderweise wurde mit diesen künstlichen neuronalen Netzen die Funktionsweise des menschlichen Gehirns digital nachgebildet, um dann wiederum das biologische Gehirn zu schützen.
Wie kann deine Arbeit den Patient*innen helfen und wie dem Gesundheitspersonal – schon jetzt und in Zukunft?
Das Modell soll künftig schon während der OP mit nachvollziehbarer Wahrscheinlichkeit vorhersagen, welcher Schaden später auftreten könnte. So liesse sich teilweise noch während der Operation etwas anpassen, um den Schaden rückgängig zu machen oder wenigsten nicht schlimmer. Als «Nebenprodukt» entwickelte ich auch Tools, die Ärzt*innen schon jetzt bei der Signalinterpretation und Erkennung von Fehlern beim Verkabeln der Patient*innen helfen könnten.
Welche folgenden Untersuchungen ergeben sich aus den Ergebnissen für die Zukunft?
Das Inselspital arbeitet an einer wissenschaftlichen Publikation zu der Arbeit, wofür auch mehr Trainingsdaten verwendet werden, um die Vorhersagegenauigkeit zu erhöhen. Ich unterstütze sie dabei gerne, bin aber nicht mehr Vollzeit involviert.
Über den Preis
Jedes Jahr werden die besten Bachelor- und Master-Arbeiten aus den Bereichen Medizininformatik, E-Health, Gesundheits-IT, Gesundheitsmanagement, Gesundheitsökonomie und Healthcare Management und weiteren Studiengängen an der DMEA (Digital Medical Expertise & Applications) in Berlin prämiert. Der Nachwuchspreis wird für Abschlussarbeiten verliehen, welche die Gesundheitsversorgung mittels IT nachhaltig verbessern. Der erste Preis für die beste Bachelor-Arbeit ist mit 1‘500 Euro dotiert.
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!