Wie Gigwork selbstbestimmte Laufbahnen im Digitalzeitalter ermöglicht

Istock 1347663896

Die Arbeitslandschaft des 21. Jahrhunderts befindet sich in einem radikalen Wandel (De Vos & Van der Heijden, 2017). Neue Laufbahnen sind entstanden, welche weniger linear, weniger vorhersehbar und nicht an einen Arbeitgeber gebunden sind (Arthur, 2008). Ein Beispiel für eine solche neue, moderne Form der beruflichen Laufbahn ist Gigwork. Diese Arbeitsform untersuchen Forscher*innen der BFH Wirtschaft und der Universität Bern in einem Projekt.

Gigwork ist Arbeit, die über eine Online-Plattform wie Uber, Upwork oder Fiverr vermittelt wird, und bei der Freelancer sowie Kund*innen oder Unternehmen für eine kurze Zeit und projektbezogen – für einen Gig – zusammengebracht werden. Gigwork unterscheidet sich dabei stark von traditionellen Arbeitsverhältnissen wie der Festanstellung bei einem Arbeitgeber. Online-Plattformen nutzen beispielsweise Algorithmen, um Arbeitnehmer*innen mit Kund*innen zusammenzubringen und setzen Leistungsmanagement durch öffentlich zugängliche Online-Bewertungssysteme ein (z.B. können Kund*innen/Organisationen die Gigworker*innen bewerten) (Meijerink & Keegan, 2019). Darüber hinaus sind Entlohnung und Leistungen digital so gestaltet, dass sie zu erwünschtem Verhalten motivieren (z.B. automatische Einbehaltung von Entgelt bei unzureichender Arbeitsleistung) und die Arbeitsorganisation ermöglicht zeitliche und inhaltliche Flexibilität (z.B. die Möglichkeit zu arbeiten, wann immer die Arbeitnehmer*innen wollen) (Meijerink & Keegan, 2019).

Einblicke in die Arbeitswelt der Schweizer Gigworker

Gigwork hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen, ist aber auch immer wieder Gegenstand von Kontroversen und negativen Schlagzeilen. Hauptkritikpunkte sind häufig die Unsicherheit der Arbeitsverhältnisse, die mangelnde soziale Absicherung sowie eine unzureichende Bezahlung (Caza et al., 2021).

Wir haben uns die konkrete Frage gestellt: Welche Erfahrungen machen Personen mit Gigwork, und wie verläuft die anfängliche berufliche Laufbahn von Gigworkern?

Im Jahr 2021 (Januar bis April) haben wir Interviews mit 45 Personen aus der Schweiz geführt, die auf Online-Plattformen tätig sind. Ziel der Interviews war es, ihre Erfahrungen und ersten beruflichen Schritte mit Gigwork zu erfassen. Das Durchschnittsalter lag bei 36 Jahren (Streuung zwischen 21 und 51 Jahren). Die meisten Teilnehmer*innen arbeiteten nur über eine einzige Plattform und durchschnittlich 24,5 Stunden pro Woche. Während 62% vor Ort tätig waren (z.B. Handwerkerdienste), arbeiteten 38% online (z.B. Videoschnitt, Marketing). Im Durchschnitt verfügten sie über knapp 2 Jahre Erfahrung mit Gigwork und hatten im Schnitt bereits 45 Gigs absolviert. Ausserdem hatten die meisten einen Hochschulabschluss (42%), gefolgt von 36% mit einer Berufsausbildung. Die Gigworker*innen erzielten ein durchschnittliches monatliches Nettoinkommen von 2.514,60 Schweizer Franken, was deutlich unter dem Einkommen von Selbstständigen in der Schweiz liegt (4.392 Schweizer Franken; BFS, 2023).

Phasen der beruflichen Entwicklung von Gigworkern

Aus unseren Interviews geht hervor, dass die anfängliche berufliche Entwicklung eines Gigworkers in drei Phasen verläuft: Etablierungsphase, Einbindungsphase, und Erweiterungsphase. Jede Phase ist durch spezifische Auslöser gekennzeichnet, wie z.B. Bewerbungen und Profilerstellung. Darüber hinaus identifizieren wir Herausforderungen in jeder Phase sowie den Übergang zwischen den Phasen, einschliesslich einhergehenden Verhalten und Emotionen.

Gigwork Bild2

Abbildung: Laufbahnlernzyklus von Gigworkern mit den drei Phasen: Etablierungsphase («Establish»), Einbindungsphase («Embed»), und Erweiterungsphase («Expand»).

Etablierungsphase (Establish stage): In dieser Phase registrieren sich Gigworker*innen zum ersten Mal auf einer Plattform und müssen sich als Neuling auf der Plattform einrichten und an die neue Umgebung gewöhnen. Die Gigworker*innen lernen, die Funktionen der Plattform zu nutzen und genügend Bewertungen zu erhalten, um von den Kunden wahrgenommen zu werden («Newbie Challenge»).

«Und wenn du als Neuling auf der Plattform anfängst […] ist es sehr schwierig, die ersten Projekte zu bekommen, weil du noch nicht viel vorweisen kannst oder kein Portfolio hast und noch keine Bewertungen in deinem Profil stehen.» (Online Gigworker*in)

In der Etablierungsphase wird exploriert und experimentiert, um die ersten Gigs und Bewertungen zu erhalten und dadurch von weiteren Kund*innen wahrgenommen zu werden. Dabei erleben die Gigworker*innen gemischte Gefühle von Begeisterung bis Frustration. Die Begeisterung rührt von der anfänglichen Attraktivität der Plattformen her, die ihnen im Vergleich zu traditionellen Arbeitsverhältnissen einen einfachen Zugang zu Arbeit und scheinbar unbegrenzte Beschäftigungsmöglichkeiten in ihren persönlichen Interessensgebieten bieten. Die Befragten heben hervor, dass es nur minimale Einschränkungen bei der Bewerbung gibt und dass man sich auch ohne die erforderliche Ausbildung bewerben kann. Auch das Hochladen des Lebenslaufs sei ihrer Auffassung nach einfach und effizient, da ohne langwierige Auswahlverfahren oder Bewerbungsgespräche erfolgend. Andererseits entsteht auch Frustration durch das Gefühl, «immer wieder abgelehnt zu werden» und zu merken, dass es «am Anfang besonders schwer ist», gesehen zu werden.

 Einbindungsphase (Embed stage): In dieser Phase sehen sich Gigworker nach den ersten erfolgreichen Aufträgen mit einem wettbewerbsintensiven Plattformumfeld konfrontiert. Sie stehen vor der Herausforderung, sich zu positionieren und vertrauensvolle Kundenbeziehungen aufzubauen («Positioning and Relational Challenge»).

«Manche Personen, die am Anfang ihre eigenen Projekte starten, wissen, wie man kommuniziert, und wie man sich gut schriftlich ausdrückt. Ich bin immer nett zu den Kund*innen und versuche, eine gute Kommunikation [mit den Kund*innen] aufzubauen, weil das wichtig ist.» (Online Gigworker*in)

In dieser Phase sind strategische Profilanpassungen sowie Personal Branding (das entwickeln einer eigenen Marke) entscheidend, um sich von der Konkurrenz abzuheben. Diese Phase erfordert insbesondere eine geschickte Kommunikation, um Kundenbeziehungen aufzubauen. Emotional ist diese Phase geprägt von Dankbarkeit über Beziehungen zu Kund*innen und Feedback, aber auch von Ärger in Konflikten und dem Gefühl, ausgenutzt zu werden.

Erweiterungsphase (Expand stage): Der Aufbau von Kundenbeziehungen führt zu einer Zunahme der Aufträge und der Notwendigkeit, die eingehenden Aufträge nach Qualität (Inhalt) und Quantität (Zeitaufwand) zu priorisieren («Balancing Challenge»).

«[Kund*innen fragen oft:] Könnten Sie ein paar kleine zusätzliche Dinge für mich tun? Heutzutage stelle ich immer die Frage: Was sind diese kleinen Dinge? Wie viel sind Ihnen diese kleinen Dinge wert? Ich glaube, man hat immer mehr Entscheidungen zu treffen, die auch nicht immer die einfachsten sind. Da kann man sich wirklich den Kopf zerbrechen.» (Online Gigworker*in)

Die Gigworker*innen gehen bei der Auswahl ihrer Aufträge stärker auf ihre Bedürfnisse ein und lernen, mit technischen Einschränkungen oder Plattformbeschränkungen umzugehen. In dieser Phase entwickeln sie mehr emotionale Stabilität und Sicherheit im Umgang mit Kunden, insbesondere in Konfliktsituationen.

Unsere Ergebnisse verdeutlichen, dass der Erfolg von Gigworker*innen massgeblich von ihrer Anpassungsfähigkeit an Plattformen, Kund*innen sowie neuen Aufgaben abhängt. e Bewältigung dieser Herausforderungen führt zu mehr Selbstwirksamkeit, Kompetenzentwicklung und letztlich zu einer besseren Positionierung und Wahlmöglichkeiten in der Gigwork.

«Ich dachte immer, ich käme nicht gut mit Menschen zurecht. Ich dachte, ich sei ein Introvertierter. […] Die Arbeit auf der Plattform hat mir gezeigt, dass ich sehr, sehr gut mit Menschen umgehen kann. Dass ich sehr kommunikativ bin, dass meine Kunden und Kollegen mit mir zufrieden sind.» (Ortsgebundene Gigworker*in)

Was können Plattformen und Karriereberater*innen tun?

Aus den geschilderten Erfahrungen der Gigworker*innen ergibt sich für die Plattformen der Auftrag zur gezielten Unterstützung ihrer Gigworker*innen in den verschiedenen Laufbahnphasen. So könnten Plattformen den Einstieg erleichtern, indem sie Einarbeitungsprogramme anbieten und neuen Gigworker*innen die Möglichkeit geben, sich auf der Plattform prominent zu präsentieren, um ihnen den Einstieg zu erleichtern, auch wenn sie noch keine Bewertungen haben. Um das Vertrauen der Kunden in neue Gigworker*innen zu stärken, könnte ein differenziertes Online-Reputationssystem sowie beispielsweise ein digitaler Lebenslauf, der die konkreten Leistungen und den Wert, den Gigworker*innen für ihre bisherigen Kunden oder Arbeitgeber*innen erbracht haben, transparent darstellt, eingeführt werden (Rosenblat et al., 2017). Ein solches System könnte den Vertrauensaufbau gerade zu Beginn der Zusammenarbeit erheblich unterstützen. Des weiteren sollten Karriereberater*innen Gigworker*innen bei der Entwicklung von Schlüsselfähigkeiten unterstützen, insbesondere in Bereichen wie Kommunikation und Markenbildung. Diese Fähigkeiten sind entscheidend für den Start und die Aufrechterhaltung einer erfolgreichen Laufbahn in der Gigwork.

Es liegt somit nahe, dass eine erfolgreiche Gigwork-Laufbahn nicht nur von individuellen Fähigkeiten und Anstrengungen abhängt, sondern auch von unterstützenden Strukturen und Werkzeugen, die von Plattformen und Berater*innen bereitgestellt werden sollten.

Zusammenfassung und Ausblick

Es wird deutlich, dass es sich bei Gigwork um eine selbstgesteuerte Karriereform handelt. Die drei Phasen des Laufbahnzyklus – Etablierungsphase, Einbindungsphase, Erweiterungsphase – spiegeln die Herausforderungen und Entwicklungsschritte wider, denen sich Gigworker*innen stellen müssen. Diese Phasen sind geprägt von einem ständigen Lernen und Anpassen. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von Fähigkeiten wie Kommunikation, Aufbau einer persönlichen Marke und Bewältigung der anfänglichen Herausforderungen für den Erfolg.


Literatur

    1. Arthur, M. B. (2008). Examining contemporary careers: A call for interdisciplinary inquiry. Human Relations, 61(2), 163–186. https://doi.org/10.1177/0018726707087783
    2. Caza, B. B., Reid, E. M., Ashford, S. J., & Granger, S. (2021). Working on my own: Measuring the challenges of gig work. Human Relations, 75(11), 2122–2159. https://doi.org/10.1177/00187267211030098
    3. De Vos, A., & Van der Heijden, B. I. J. M. (2017). Current thinking on contemporary careers: the key roles of sustainable HRM and sustainability of careers. Current Opinion in Environmental Sustainability, 28, 41–50. https://doi.org/10.1016/j.cosust.2017.07.003
    4. Bundesamt für Statistik, Schweiz (2023). https://www.bfs.admin.ch/bfs/de/home/statistiken/arbeit-erwerb/loehne-erwerbseinkommen-arbeitskosten/erwerbseinkommen.html
    5. ILO. (2013). Global Wage Report 2012/2013: Wages and equitable growth. Geneve: International Labour Office. https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/—dgreports/- –dcomm/—publ/documents/publication/wcms_194843.pdf
    6. Meijerink, J., & Keegan, A. (2019). Conceptualizing human resource management in the gig economy. Journal of Managerial Psychology, 34(4), 214–232. https://doi.org/10.1108/JMP-07-2018-0277
    7. Rosenblat, A., Levy, K. E. C., Barocas, S., & Hwang, T. (2017). Discriminating Tastes: Uber’s Customer Ratings as Vehicles for Workplace Discrimination. Policy & Internet, 9(3), 256–279. https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=2858946

Die Publikation

Die Autor*innen haben ihre Forschungsergebnisse in diesem Paper veröffentlicht: Zwettler, C., Straub, C., & Spurk, D. (2023). Kicking off a Gig Work Career: Unfolding a Career Learning Cycle of Gig Workers. Journal of Career Assessment, 0(0). 


BFH  forscht zu Gigwork

Zusammen mit der Universität Bern, Coople und der Gewerkschaft Syndicom untersuchen Forscher*innen des Instituts New Work das noch junge Phänomen Plattformarbeit im deutschsprachigen Raum. Das Forschungsprojekt «Plattformarbeit in der Schweiz» wird vom Schweizerischen Nationalfonds im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms 77 zu digitaler Transformation finanziert.

Creative Commons Licence

AUTHOR: Caroline Straub

Prof. Dr. Caroline Straub forscht und lehrt am Institut New Work der BFH Wirtschaft. Ihre Forschungsthemen sind Plattformarbeit (Gigwork), digitales HRM, Work-Life-Integration, flexible Arbeitsgestaltung.

AUTHOR: Clara Zwettler

Clara Zwettler ist Dozentin an der BFH Wirtschaft und Vordoktorandin an der Fakultät für Arbeits- und Organisationspsychologie der Universität Bern. Sie arbeitet am SNF-Projekt: Plattformbasierte Arbeit.

AUTHOR: Daniel Spurk

Daniel Spurk ist Professor für Arbeits- und Organisationspsychologie an der Universität Bern.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert