Von Technologie bis Farm-Management – wie smart ist die Schweizer Landwirtschaft?, Teil 1

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Auch in der Landwirtschaft werden längst Apps und digitale Geschäftsmodelle eingesetzt. Zwar läuft nicht alles optimal, aber die Schweiz ist trotzdem vielversprechend positioniert. Warum es zentrale IT-Abteilungen in der Agrargenossenschaft Fenaco braucht und wie weit der Digitalisierungsstand der Schweizer Landwirtschaft ist, darüber spricht Societybyte-Autor und Digotalisierungsexperte Reinhard Riedl mit Michael Buser, dem Leiter IT und Logistik der Fenaco im Teil 1 eines Interviews.

Was begeistert Sie in Ihrem Job am meisten?

Die Fenaco ist ein sehr vielfältiges Unternehmen. Wir sind zentral für eine funktionierende Versorgung der Schweiz mit Lebensmitteln, Alltagsgütern und Energie. Bei uns verantwortlich zu sein für IT und Logistik, ist enorm herausfordernd. Mich motiviert es tagtäglich, dazu beizutragen, dass unsere rund 40 Tochterunternehmen in ihren jeweiligen Märkten erfolgreich unterwegs sein können.

Welche Rolle spielt die zentrale IT für diese Tochterunternehmen?

Eine immer wichtigere. Die Optimierung und Automatisierung von Prozessen mithilfe der Digitalisierung beschäftigt uns stark. Und es gibt neue Geschäftsmodelle, die umgesetzt werden müssen: Zum Beispiel E-Commerce-Lösungen, die es früher so nicht gab. Gleichzeitig ist der zuverlässige, sichere Betrieb sehr wichtig. Wir sind systemrelevant in der Schweiz. Unsere Aufgabe ist es, beides zu ermöglichen: Innovationen und einen sicheren Betrieb.

Michael Buser leitet das Departement Informatik / Logistik bei Fenaco.

Michael Buser leitet das Departement Informatik / Logistik bei Fenaco.

Was sind die aktuellen Hauptherausforderungen für die IT der Fenaco?

Es sind die vorher erwähnten Themen: Prozessdigitalisierung, neue Geschäftsmodelle und Schutz vor Cyber-Risiken. Diese drei Herausforderungen tauchen in allen Unternehmensbereichen auf und werden immer komplexer. Deshalb macht es erstens keinen Sinn und es wäre zweitens viel zu aufwendig, wenn unsere Tochterfirmen alle Lösungen dafür selber bauen würden. Beispielsweise ist der Schutz der IT-Systeme für alle ähnlich und die Identity- und Accessmanagement-Lösung ist für alle die gleiche.

Wie kommen Sie zu den Fachkräften für diese Aufgaben?

Dezentral Spezialistinnen und Spezialisten aufzubauen, ist für unsere Tochterfirmen anspruchsvoll. Als zentrale IT sind wir ein attraktiver Arbeitgeber für IT-Fachleute, beispielsweise beim Thema Cyber-Security; Smart-Farming oder beim Thema SAP. Die IT der Fenaco zu schützen, ist herausfordernd und spannend. Entsprechend finden wir gute Leute und können eine hohe Expertise aufbauen. Ähnlich beim Bau der SAP-Systeme, wo wir die S4-Migrationen in vielen unterschiedlichen Bereichen durchführen werden: zum Beispiel bei der Fleischverarbeiterin Ernst Sutter, bei der Getränkeherstellerin Ramseier, im Detailhandel bei Volg, im zentralen Finanz- und Rechnungswesen, im Stammdatenmanagement und im HR. Es gibt wenig Unternehmen in der Schweiz, die so vielfältige Aufgaben bieten.

Es gibt das Klischee, dass die Landwirtschaft in der Digitalisierung rückständig sei, denn es ist ja die Landwirtschaft. Wie erleben sie das?

Ganz anders. Die Landwirtschaft ist im Gegenteil schon sehr weit und wir wollen sie noch weiterbringen. Sie soll nachhaltiger werden und gleichzeitig produktiv bleiben. Die Digitalisierung spielt hierfür eine entscheidende Rolle. Das ist eine der Schlüsselinitiativen der Fenaco. Heute kann sich die Schweiz brutto zu 57 Prozent selbst versorgen. Der repräsentative Fenaco Stadt-Land-Monitor zeigt, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung einen Selbstversorgungsgrad von rund 70 Prozent wünschen würde. Das erachten wir angesichts begrenzter landwirtschaftlicher Nutzflächen und des Bevölkerungswachstums nicht für realistisch. Doch wir sind überzeugt, dass mithilfe des technologischen Fortschritts eine ökologische Intensivierung möglich ist.

Was bedeutet das konkret?

Beispiel eins: Wir gehen Partnerschaften mit Herstellern innovativer Agrartechnik ein und machen ihre neuen, oft sehr teuren Maschinen den Landwirtinnen und Landwirten via die LANDI über ein Mietmodell zugänglich. Eine dieser Maschinen ist Ecorobotix. Dabei handelt es sich um ein kameragesteuertes Präzisionssprühgerät, dass mittels künstlicher Intelligenz zwischen Nutzpflanze und Unkraut unterscheiden kann und dann nur dort sprüht, wo es nötig ist. Dadurch lässt sich der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nachweislich um 90 Prozent reduzieren. Beispiel zwei: Wir unterstützen die digitale Administration. Auf Papier Buch zu führen über den Kauf und das Ausbringen von Pflanzenschutzmitteln und Dünger ist viel aufwendiger als digital mit automatisierten Dateneinträgen. Beispiel drei: Barto, die Smart-Farming-Plattform, die wir zusammen mit neun weiteren Branchenakteuren lanciert haben, ist in Betrieb und wächst.

Barto ist ein Farmmanagement-Informationssystem. Es hilft den Landwirt*innen, die 360-Grad-Sicht auf seinen Betrieb zu erhalten, und zwar für alle Betriebszweige vom Pflanzenbau bis zur Tierhaltung.

Für unsere Leserinnen und Leser: Was ist Barto genau?

Barto ist ein Farmmanagement-Informationssystem. Es hilft dem Landwirt, die 360-Grad-Sicht auf seinen Betrieb zu erhalten, und zwar für alle Betriebszweige vom Pflanzenbau bis zur Tierhaltung. Barto stellt Basisfunktionalitäten bereit. Apps von Dritten können darauf aufsetzen und die bereitgestellten Daten nutzen, wo dies vom Landwirt gewollt ist. Der Vorteil für die App-Entwickler ist einerseits, dass sie viele Funktionalitäten nicht selbst entwickeln müssen. Andererseits haben sie über Barto Zugang zu vielen Kunden – genau wie bei anderen digitalen Plattformen wie zum Beispiel Apple.

Und für den Landwirt?

Er muss die Basisdaten seines Betriebs, zum Beispiel Parzellen und Tierbestände, nur einmal erfassen und kann sie dann für mehrere Anwendungen nutzen. Er kann Eingaben schnell und bequem im Stall und auf dem Feld machen, die Daten vernetzen und so ganz neue Erkenntnisse daraus gewinnen. Unsere Motivation ist primär, Nutzen zu stiften für die Landwirtinnen und Landwirte. Einerseits durch die Vereinfachung der Administration, andererseits durch Entscheidungshilfen für eine nachhaltigere, produktive Produktion. Wir sind dabei für Kooperationen völlig offen – explizit auch für solche mit nachgelagerten Branchen wie dem Handel oder anverwandten Bereichen wie Versicherungen. Es gibt noch viele kreative Ideen, wie man Barto weiterentwickeln könnte.

Alle reden vom Smart Farming. Wo steht Smart Farming in der Schweiz heute?

Wir haben Umfragen bei unseren Landwirt*innen gemacht zu ihren Erwartungen an die Digitalisierung der Landwirtschaft. Erste Priorität hat für sie die Vereinfachung der Administration. Precision und Smart Farming kommen erst an zweiter Stelle. Das hat damit zu tun, dass die Behörden der Landwirtschaft zunehmend kompliziertere Auflagen machen und den Fokus in der Digitalisierung mehr auf die Kontrolle dieser Auflagen, als auf die Unterstützung eines nachhaltigeren, smarten Produktion. Eines der grössten Digitalisierungsprogramme des Bundes in der Landwirtschaft ist zurzeit digiFLUX. Für die eigentliche Arbeit auf dem Feld bringt es der Schweizer Landwirtschaft wenig Mehrwert. Es kontrolliert den Kauf und die Ausbringung von Dünger und Pflanzenschutzmittel. Diese Kontrolle ist sicherlich wichtig, um zu sehen, ob die entsprechenden Reduktionsziele des Bundes erreicht werden, doch es wäre auch wertvoll, wenn öffentliche Gelder in die nachhaltigere und effizientere Produktion investiert würden, so wie dies z.B. auch in der EU in grossem Umfang geschieht.

Was bedeutet das mittelfristig?

In der Schweiz werden wir uns die nächsten fünf Jahre leider mehrheitlich damit beschäftigen müssen, wie wir die Administration vereinfachen können. Und deshalb werden wir vorerst zu wenig Gewicht auf die Entwicklung von smarten Entscheidungshilfen legen können. Beispielsweise zu Fragen wie: «Wie kannst du auf der Parzelle X mit Boden Y und Exposition Z, eine bestimmte Pflanze anbauen und dabei die Düngermengen reduzieren ohne Ertragsverlust?»

Ist die kleinräumige Diversifizierung in der Schweiz ein Nachteil für die Digitalisierung?

Schon ein wenig. Wenn man in den USA Mais anbaut und dann 3 Prozent Dünger sparen kann, ist das viel Geld. In der Schweiz dagegen sind die Skaleneffekte viel kleiner. Nichtsdestotrotz: Wenn man den Schädlingsbefall früher erkennen und gezielter Schädlingsbekämpfungsmittel einsetzen kann oder eben wirklich nur dort Dünger einsetzt, wo es ihn wirklich braucht, bringt das auch in der Schweiz Nutzen.

Arbeiten Sie mit der Hochschulforschung zusammen?

Ja, die Entwicklung von smarten Entscheidungshilfen benötigt smarte Algorithmen. Diese zu entwickeln, ist aufwendig und dauert Jahre. Wir sind deshalb Forschungskooperationen mit der ETH Zürich, Agroscope, dem FiBL und weiteren Institutionen eingegangen. Am World Food System Center der ETH Zürich unterstützen wir zum Beispiel gezielt Projekte an der Schnittstelle zwischen Agronomie und Big Data, Artificial Intelligence und Robotics. Das erste Projekt befasst sich mit der optischen Erkennung des Weizenwachstums. Landwirtinnen werden in Zukunft mit ihren Smartphones das Wachstum auf ihrem Weizenfeld mit anderen Weizenfeldern vergleichen können. Danach braucht es aber weitere Entwicklungsschritte: Wenn eine Landwirtin erkennt, dass sich ihr Weizen schlechter entwickelt als der Benchmark, müsste sie zudem herausfinden können, warum. Ist es wegen des Mikroklimas, ist es die Bodenqualität, habe ich nicht den falschen Dünger ausgebracht et cetera.


Von Landi bis Ramseier Most

Die Fenaco ist eine Agrargenossenschaft mit Sitz in Bern. Mitglieder sind 153 landwirtschaftliche Organisationen, die meist unter der Marke Landi auftreten. Indirekt ist daher die Fenaco grossmehrheitlich im Besitz von rund 41’000 Mitgliedern der Landi-Genossenschaften, davon sind rund 23’000 aktive Landwirte. Bekannte Unternehmen und Marken der Fenaco sind der Getränkehersteller Ramseier Suisse, der Fleischverarbeiter Ernst Sutter AG, die Detailhandelsunternehmen Volg und Landi, die Dünger-Marke Landor, der Futtermittelhersteller UFA sowie der Mineralölkonzern Agrola.

Die Fenaco-Genossenschaft beschäftigt rund 11’500 Mitarbeitende und erwirtschaftete 2022 einen Umsatz von rund 8,06 Milliarden Franken.


Partnerschaft mit BFH

Die Fenaco ist Partnerin des Instituts Digital Technology Management. Zudem bietet die BFH Wirtschaft eine massgeschneiderte Kaderausbildung in IT für die Führungskräfte der Fenaco an.

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AUTHOR: Reinhard Riedl

Prof. Dr. Reinhard Riedl ist Dozent am Institut Digital Technology Management der BFH Wirtschaft. Er engagiert sich in vielen Organisationen und ist u.a. Vizepräsident des Schweizer E-Government Symposium sowie Mitglied des Steuerungsausschuss von TA-Swiss. Zudem ist er u.a. Vorstandsmitglied von eJustice.ch, Praevenire - Verein zur Optimierung der solidarischen Gesundheitsversorgung (Österreich) und All-acad.com.

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