Wie unterstützen Apotheken die Digitalisierung im Gesundheitswesen

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Die Lage im Gesundheitswesen ist nicht rosig. Die Schweiz steht vor grossen Herausforderungen, so ist zum Beispiel die Schweizer Haus- und Kinderärzteschaft überaltert. Das könnte mittelfristig die ambulante Grundversorgung verschlechtern (Work Force Studie, 2020). Aber es gibt auch viel Potential für die Digitalisierung (Thiel et al., 2023) und zum Sparen (McKinsey & Company, 2021). Deshalb lautet eine wichtige Frage: Können die Apotheken zur Verbesserung der Lage beitragen?

Bereits heute spielen die Apotheken eine grundlegende Rolle im Schweizer Gesundheitssystem – von der Beratung und Abgabe von Medikamenten, Begleitung bei Neutherapie, Blutentnahme und Impfen, pharmazeutische Betreuung von anderen Gesundheitsinstitutionen bis zur Wundversorgung (Brügger, 2023). Die COVID Pandemie hat gezeigt, wie vielfältig und flexibel sie eingebunden werden können, um eine bessere Gesundheitsversorgung zu gewährleisten (GFS Bern, 2021).

Doch nun stehen die Apotheken in der Schweiz mehr denn je vor der Herausforderung, ihre Dienstleistungen digital zu transformieren und den steigenden Anforderungen der Patienten gerecht zu werden. Die Gesundheitskompetenz wird steigen (Babitsch et al., 2022) und Versandhandel ist bereits eine gängige Praktik in den umliegenden Ländern. Das führt zur Frage: Wie können konventionelle Apotheken in einem umfänglich digitalisierten Gesundheitswesen weiterhin relevant bleiben?

Potenzielle Innovationen

Heutzutage sind Apotheken integraler Bestandteil des gesamten Behandlungsprozesses. Durch Interviews und einen Design-Thinking-Ansatz wurden Lösungen herausgearbeitet, die Apotheken in den Bereichen Prävention, Diagnose, Therapieunterstützung und Nachsorge unterstützen könnten.

  1. App-Beratung: Die wachsende Anzahl und Komplexität von mHealth-Apps stellen eine Herausforderung dar. Apothekerinnen könnten durch ihre Expertise und einen niederschwelligen zugänglichen Ansatz effektiv Unterstützung bei der Nutzung bieten. Apotheken könnten somit eine Schlüsselrolle bei der Aufklärung und Förderung der Nutzung von mHealth-Apps spielen. Dies erfordert jedoch sowohl Weiterbildungen für Apotheker als auch eine Integration relevanter Schulungen an Universitäten, um zukünftige Tools erfolgreich zu nutzen.
  2. Unterstützte Triage durch Apotheken: Apotheken erhalten durch die Digitalisierung den Zugang zu mehr Informationen und können dadurch noch besser als erste Anlaufstelle für Gesundheitsprobleme fungieren. Sie besitzen Expert*innen wissen, können Ersttherapien verabreichen und haben einen niederschwelligen Zugang. Feedback-Mechanismen ermöglichen eine kontinuierliche Verbesserung des Services und fördern eine Bindung zu den Patient*innen.
  3. Medikamentenboards: Ähnlich wie Tumorboards können in «Medikamentenboards» die Expertise von Apotheker*innen bei der Optimierung von Arzneimitteltherapien nutzen. Die virtuelle Teilnahme erhöht eine interdisziplinäre Zusammenarbeit und stellt sicher, dass auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft angewendet wird. Damit würde die Expertise der Apotheker*innen dem kompletten Gesundheitssystem breiter zugänglich.
  4. Fernunterstützte Verschreibung: Die Implementierung eines Online-Unterstützungsprozesses für Verschreibungen könnte die Validierung von Verschreibungen durch Apothekerinnen vereinfachen und optimieren. Die Medikationskontrolle kann unabhängig von der Abgabe durchgeführt werden.
  5. Drucken: Drucken von Medikamenten direkt vor Ort, basierend auf patientenspezifischen Informationen wäre bald möglich. Medikationstherapien werden immer spezifischer. Der Zugang zu relevanten Patientendaten ist für diesen Prozess entscheidend und stellt sicher, dass der Apotheker personalisierte Dosierungen erstellen kann. Zum Beispiel in der Behandlung von Kindern, fehlen oft spezifische Produkte und müssen eigenhändig dosiert werden.
  6. Medikationsanalysen: Apotheken können digitalisierte Medikationspläne analysieren, Risikopatient*innen identifizieren und möglicherweise die Medikation durch «Deprescribing» reduzieren. Standardisierte Datenformate und sichere Bereiche wie das elektronische Patientendossier sind für den Informationsaustausch entscheidend. Patient*innen müssen aktiv teilnehmen und ihre Daten für Beratungen mit ihre*m bevorzugten Apotheker*in zu teilen.
  7. Feinabstimmung: Apotheker*innen können eine entscheidende Rolle bei der Feinjustierung von Medikamenten spielen, indem sie Dosieranpassungen vornehmen und einen vorzeitigen Abbruch verhindern. Der Zugang zu umfassenden Krankengeschichten erlaubt es ihnen gezielte Optimierungen vorzunehmen.
  8. Schweizer Apothekenwissensdatenbank: Eine Schweizer Apothekenwissensdatenbank, die ein Large Language Model nutzt, könnte als umfassende Informationsquelle für die Apothekenschaft dienen. Expertengremien und die Beteiligung von individuellen Apotheken würden Genauigkeit, Transparenz und kontinuierliche Verbesserung der Wissensdatenbank sicherstellen. Die kantonalen Regeln und Vorschriften wären eine potenzielle Erweiterung für die Wissensquelle.

Expertenfeedback

In der Diskussion mit Apotheker*innen wurden die potenziellen Innovationen diskutiert, um die Effektivität und Machbarkeit der vorgeschlagenen Massnahmen zu überprüfen. Apotheken spielen eine zentrale Rolle im Schutz der Öffentlichkeit vor Fehlinformationen, insbesondere im digitalen Zeitalter mit dem Überfluss an Gesundheits-Apps. Durch die Einführung einer App-Beratung könnte die Apothekenschaft eine koordinierendere Rolle einnehmen, um die Therapien sicherzustellen und die Behandelnden vor Scharlatanerie zu schützen. Das Konzept des Medikamentenboards wird als äusserst effektiver Service betrachtet, besonders wenn es sich auf spezifische Medikamententherapien konzentriert. Die Integration von z.B. Expert*innen auf spezifischen Gebieten wird als vielversprechend angesehen. Koordination, Medikamentenanalyse, Feinabstimmung und Verschreibungsunterstützung sind relevante Dienste. Diese könnten kombiniert werden in z.B. ein «digitales» ambulantes Gesundheitsnetzwerks, bei dem Patient*innen ihre Expert*innen auswählen und berechtigen. Der 3D-Druck von Medikamenten in Apotheken wird positiv gesehen aber eher in einem späteren Zeitpunkt. Der Mehrwert wäre vor allem bei einer regionalen Umsetzung, um sich konkret zu spezialisieren. Während die Schweizer Apothekenwissensdatenbank als wertvolle Quelle angesehen wird, stellen ihre Einführung und Finanzierung komplexe Herausforderungen dar. Die Etablierung neuer Möglichkeiten sollte mit engagierter Unterstützung und der Nutzung von mHealth-Apps beginnen. Die gesammelten Daten könnten dann für weitere Massnahmen wie das Medikamentenboard genutzt werden. Die Einbindung der Patient*innen wird als entscheidend betrachtet, und niedrige Barrieren, insbesondere zwischen allen Akteur*innen, ist das «A und O».

Die Herausforderungen der Digitalisierung für Apotheken erstrecken sich über verschiedene Bereiche. Die Integration neuer digitaler Lösungen erfordert eine sorgfältige Abwägung zwischen Invasivität und Akzeptanz sowie komplexe Anpassungen an bestehende Prozesse. Risiken bezüglich der Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung, logistische Hürden bei der Einführung neuer Technologien wie 3D-Druck und die Notwendigkeit eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Autonomie und Zusammenarbeit stehen im Fokus. Die erfolgreiche Bewältigung dieser Herausforderungen setzt nicht nur technologische Innovation, sondern auch eine umfassende Berücksichtigung menschlicher, organisatorischer und regulatorischer Aspekte der Digitalisierung im Gesundheitswesen voraus.

Perspektiven für Schweizer Apotheken

Die Analyse und Diskussion haben verschiedene Ansätze und Möglichkeiten für die Einführung zusätzlicher Dienste für Apotheken in der Schweiz aufgezeigt. Die Priorisierung und Festlegung der Richtung für die Umsetzung sind entscheidend. Zwei Perspektiven sollten berücksichtigt werden:

  1. schnelle, unkomplizierte Implementierung zur Erfahrungsgewinnung
  2. und die Adressierung aktueller Bedürfnisse für eine nachhaltige flächendeckende Etablierung.

Die Umsetzung muss sich auf den Nutzen aus Patientensicht konzentrieren, wobei die objektiven und subjektiven Wahrnehmungen berücksichtigt werden müssen. Niedrigschwellige Massnahmen wie die «App-Beratung» und die «Schweizer Apothekenwissensdatenbank» können kurzfristig umgesetzt werden, um erste Erfahrungen zu sammeln und die Machbarkeit zu demonstrieren. Für die App-Beratung ist aber eine Koordination mit den Universitäten, um den Apotheker*innen von morgen die benötigten Fähigkeiten mitgeben zu können umso wichtiger. Zudem braucht es gezielte Weiterbildungsprogramme in diese Richtung.

Beim Erwägen langfristiger Perspektiven für Apotheken und das Gesundheitssystem lohnt sich der Blick auf bereits existierende Ansätze in anderen medizinischen Bereichen. Ein Beispiel ist die erfolgreiche Implementierung von Software-Tools zur Unterstützung kollaborativer, virtueller, standortübergreifender molekularer Tumorboards in der Onkologie (Schapranow et al., 2023). Dies zeigt, dass ähnliche Ansätze wie das «Medikamentenboard» bereits erfolgreich in anderen medizinischen Disziplinen, wie der Radiologie, angewendet werden und als Vorbild für innovative Lösungen in der Apothekenpraxis dienen können. Der Nationalrat stimmte am 28. September 2023 der Revision der Artikel 25 und 26 des KVG zu, was Apothekern ermöglicht, in interprofessioneller Zusammenarbeit kostendämpfende Leistungen anzubieten (PharmaSuisse, 2023). Die Digitalisierung bietet die Möglichkeit, diese interprofessionelle Zusammenarbeit explizit zu fördern und das Fachwissen der Apothekenschaft mit den anderen Disziplinen zu vereinen.


Event zum Thema

Mit dem Thema dieses Beitrags beschäftigt sich auch der nächste Event der Reihe Digital Snack der BFH Wirtschaft.

    • Zeit: 17.01.2024, 17.00–18.00 Uhr
    • Ort: Online, via MS Teams

Der Autor Mauro Tschanz hat sich im Rahmen seines Studiums an der BFH Wirtschaft mit dem Thema auseinandergesetzt und präsentiert seine Ergebnisse zu Herausforderungen und Chancen der digitalen Transformation. Danach diskutiert er mit Reinhard Riedl, dem Experten für HealthTech am Institut Digital Technology Management darüber, wie digitale Lösungen Apotheken in den Bereichen Prävention, Diagnose, Therapieunterstützung und Nachsorge unterstützen können.

Hier geht es zur Zur Anmeldung.


Referenzen

  1. Babitsch, B., Hannemann, N., Schmidt, L., & Götz, N. A. (2022). Gesundheitskompetenz und digitale Kompetenzen in Zeiten der Corona-Pandemie. In Gesundheitskompetenz (pp. 1-11). Berlin, Heidelberg: Springer Berlin Heidelberg.
  2. Brügger, A. (2023). Rolle der Apotheken in der medizinischen Grundversorgung. Pharmasuisse. Abgerufen am 2. Dezember 2023, von https://pharmasuisse.org/de/handlungsfelder/entwicklung/rolle-der-apotheken-der-medizinischen-grundversorgung
  3. GFS Bern. (2021). Apothekenmonitor 2021-2. Abgerufen am 2. Dezember 2023, von https://cockpit.gfsbern.ch/de/cockpit/apothekenmonitor-2021-2/
  4. McKinsey & Company. (2021, September). Digitalisierung im Gesundheitswesen: Die 8,2-Mrd.-CHF-Chance für die Schweiz.
  5.  PharmaSuisse. (2023, 28. September). Neues aus dem Bundeshaus. pharmasuisse. https://info.pharmasuisse.org/de/news/neues-aus-dem-bundeshaus
  6. Sabbagh, K., Friedrich, R., El-Darwiche, B., Singh, M., Ganediwalla, S. A. N. D. E. E. P., & Katz, R. A. U. L. (2012). Maximizing the impact of digitizationThe global information technology report2012, 121-133.
  7. Schapranow, M. P., Borchert, F., Bougatf, N., Hund, H., & Eils, R. (2023). Software-Tool Support for Collaborative, Virtual, Multi-Site Molecular Tumor Boards. SN computer science4(4), 358. https://doi.org/10.1007/s42979-023-01771-8
  8. Universitäres Zentrum für Hausarztmedizin beider Basel. (2020). Work Force Studie 2020 (Ausgabe 2/2020). mfe Haus- und Kinderärzte Schweiz.
  9. Thiel, R., Deimel, L., Schmidtmann, D., Piesche, K., Hüsing, T., Rennoch, J., Stroetmann, V., & Stroetmann, K. (2023). #SmartHealthSystems: Digitalisierungsstrategien im internationalen Kontext
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AUTHOR: Mauro Tschanz

Mauro Tschanz arbeitet als Experte Digitalisierung bei pharmaSuisse, dem Schweizerischen Apothekerverband. Er studiert im Master Digital Business Administration an der BFH Wirtschaft.

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