Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Pflege – eine ambivalente Haltung

Die Haltung von Pflegeden zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der klinischen Praxis bleibt ambivalent. Sie reicht von der Hoffnung, dass die Künstliche Intelligenz die Profession wünschenswert revolutioniert, bis hin zur Angst um den eigenen Arbeitsplatz.

Angesichts des anhaltenden Fachkräftemangels sind Pflegende* einer hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt1. Es fehlt nicht nur an Pflegenden, es ist auch schwierig qualifiziertes Personal zu rekrutieren und zu halten2. Es ist zu beobachten, dass die pflegerische Versorgungsqualität und die Zufriedenheit der Patient/-innen aufgrund des Fachkräftemangels zu leiden beginnt.

Innovative und zukunftsträchtige Ansätze sind gefragt, die konkrete und für die Pflege wahrnehmbare Entlastungs- bzw. Unterstützungsmöglichkeiten bieten. Ein Ansatz kann die Nutzung von Künstlicher Intelligenz (KI) in der pflegerischen Versorgung der Patient/-innen sein. Und zwar eine KI, die «in einem eng definierten Aufgabenbereich, für den sie speziell trainiert wurde, die menschliche Leistung verbessert»3. Funktionierende KI- Anwendungsbereiche, wenn auch oft noch in Laborsituationen bzw. Pilotphasen, sind bspw. Prognosen hinsichtlich Infektionsereignissen, Wundbehandlung, Rehospitalisierung, Sturzereignis oder auch Empfehlungen zum benötigen Personalbedarf oder zur Burnoutgefahr von Pflegefachpersonen4. KI-Systeme können in der Pflege administrative Aufgaben übernehmen, z.B. in der Dokumentation, Stichworte Nutzung von Terminologien, Datenqualität oder Pflegeprozesssteuerung, oder die Überwachung von Patient/-innen, also Alarmierungen kombiniert mit Zustandsanalyse und Empfehlungen.

Obwohl KI-Anwendung zahlreiche Vorteile für die Versorgung der Patient/-innen mit sich bringen kann, haben es solche Anwendungen noch schwer den Weg in den klinischen Alltag zu finden4,5. Abgesehen von technischen Entwicklungen, fehlt es oft an qualitativ hochstehenden Datensätzen, die eine KI trainieren3. Ein weiteres Problem ist, dass Gesundheitsfachpersonen in die Entwicklung, Testung und Implementierung von KI-Anwendungen oft kaum involviert sind4. Besonders wichtig ist aber auch, dass nur ein günstiges Akzeptanzprofil der Nutzenden, also der Gesundheitsfachpersonen, eine Technologieadoption positiv beeinflussen kann6. Interessant war es deshalb zu untersuchen, welche Evidenz zur Haltung von Pflegefachpersonen hinsichtlich von KI-Anwendungen im klinischen Arbeitsalltag anzutreffen ist.

KI-Systeme und die Haltung von Pflegefachpersonen

Die Literatur zeigt, dass Pflegende dem Einsatz von KI-Systemen in der Pflege ambivalent gegenüberstehen. Hoffnungen setzen die Pflegenden darin, dass sie bei administrativen Tätigkeiten oder Routineaufgaben durch KI-Systeme entlastet werden7,8. Beispielsweise könnten Roboter neuen Mitarbeitenden Räumlichkeiten zeigen oder ihnen für die medizinische Behandlung relevanter Geräte erklären. Aus Sicht der Pflegenden liegt der positive Aspekt besonders darin, dass repetitive und klar strukturierte Aufgaben und Prozesse durch KI unterstützt und übernommen werden und sie dadurch mehr Zeit für die Beziehungspflege zu ihren Patient/-innen sowie deren Angehörigen gewinnen können8. Anderen Anwendungen, wie z.B. einer Roboterbadewanne, stehen sie skeptisch gegenüber, da sie diese weder als entlastend empfinden noch einen ergonomischen Nutzen darin sehen9.

Neben dem Einsatz für Routineaufgaben sehen Pflegende den Einsatz von KI-Systemen auch für Aufgaben, die der Patientensicherheit dienen, als sinnvoll an. Beispielsweise können Patient/-innen durch KI-Systeme, die im Notfall einen Alarm auslösen, sowohl in den Institutionen als auch zu Hause rund um die Uhr gemonitort werden7,8,10. Ebenso kann die Anzahl medizinischer Fehler reduziert werden, wenn KI-Systeme bestimmte Handlungen überprüfen oder unterstützen, wie z.B. in der Pädiatrie, wo Roboter bei der Dosierung von Medikamenten eingesetzt werden. Die Pflegenden weisen jedoch darauf hin, dass die Geräte regelmässig gewartet und das Personal für deren Nutzung im Einklang mit dem technologischen Fortschritt im Umgang mit ihnen geschult werden müssen8.

Einen weiteren Nutzen von KI-Systemen sehen die Pflegenden in der Unterstützung der Patient/-innen, z.B. bei der Erinnerung an die Medikamenteneinnahme oder der Unterstützung bei sportlichen Aktivitäten10. Der emotionalen Unterstützung von Patient/-innen stehen Pflegefachpersonen hingegen noch eher kritisch gegenüber, da sie die Fähigkeit von KI-Systemen, sich in Patient/-innen einzufühlen, als unrealistisch einschätzen8,11. Dennoch können sie sich vorstellen, dass Roboter z.B. Patient/-innen beruhigen können, wenn Pflegende nicht sofort verfügbar sind8,10.

Menschlicher – aber wie?

Die KI hat grosses Potenzial die Pflegebranche menschlicher zu machen. Indem repetitive, administrative, Überwachungs- oder Früherkennungs-Aufgaben durch KI-Systeme automatisiert und vereinfacht werden, können sich Pflegefachpersonen wieder auf ihr Kerngeschäft, die Patientin/den Patienten, fokussieren. Das bedeutet aber auch, dass die freiwerdenden Ressourcen, also dort, wo KI-Systeme übernehmen, dann auch wirklich dem Menschen, d.h. der Interaktion zwischen Pflegefachperson und Patient/-in, zugutekommen und nicht durch andere administrative oder ähnliche Aufgaben ‘gefüllt’ werden. Die Interaktion soll nämlich wieder länger dauern dürfen und häufiger stattfinden, z.B. beim Assessment, in der Bedarfsabklärung, im Umgang mit schwierigen psychischen oder sozialen Situationen oder in der Befähigung mit einer Krankheit im Alltag zurechtzukommen sowie in der Förderung der individuellen Gesundheitskompetenz.

Der Einsatz von KI-Systemen kann zu einer hochstehenden Qualität der pflegerischen Versorgung beitragen, insbesondere dann, wenn Daten systematisch ausgewertet und zur Verfügung gestellt werden, damit Pflegefachpersonen und das interdisziplinäre Team ‘bessere’ Entscheide treffen können. KI-Systeme können auch dazu beitragen, dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken, wenn Pflegefachpersonen, wie erwähnt, wieder angemessen Zeit für den Menschen haben, d.h. für die Interaktion mit der Patientin/dem Patienten, was oft ein Grund war, weshalb Pflegefachpersonen den Beruf erlernt haben.

Schlussfolgerung

Noch scheint eine ambivalente vorsichtige Haltung gegenüber KI-Systemen in der Profession Pflege vorzuherrschen. Es darf davon ausgegangen werden, dass oft Wissen fehlt und konkrete Erfahrungs- und Testmöglichkeiten selten sind. Institutionen, deren Pflegefachpersonen und auch die Führungspersonen sind gefordert, sich in den Diskurs und die Mitentwicklung einzubringen. Eine ambivalente Haltung ist so lange kein Problem, als das sie die Mitentwicklung von für die Pflege relevanten KI-Systemen erschwert oder gar verhindert. Dann machen es Andere.


Literatur

  1. Peter, K. A., Hahn, S., Schols, J. M. G. A. & Halfens, R. J. G. Work‐related stress among health professionals in Swiss acute care and rehabilitation hospitals – A cross‐sectional study. J. Clin. Nurs. 29, 3064–3081 (2020).
  2. Hahn, S. & Golz, C. Gemeinsam gegen den Fachkräftemangel. NOVAcura 50, 18–21 (2019).
  3. Riedl, R. Was Künstliche Intelligenz heute schon im Gesundheitswesen leistet. SocietyByte https://www.societybyte.swiss/2023/07/04/kuenstliche-intelligenz-ki-in-der-gesundheitsversorgung/ (2023).
  4. O’Connor, S. et al. Artificial intelligence in nursing and midwifery: A systematic review. J. Clin. Nurs. 32, 2951–2968 (2023).
  5. Topol, E. J. Deep medicine: how artificial intelligence can make healthcare human again. (Basic Books, 2019).
  6. Thilo, F. J., Hahn, S., Halfens, R. J., Heckemann, B. & Schols, J. M. Facilitating the use of personal safety alerting device with older adults: The views, experiences and roles of relatives and health care professionals. Geriatr. Nur. (Lond.) 42, 935–942 (2021).
  7. Taryudi, T., Lindayani, L., Purnama, H. & Mutiar, A. Nurses’ View towards the Use of Robotic during Pandemic COVID-19 in Indonesia: A Qualitative Study. Open Access Maced. J. Med. Sci. 10, 14–18 (2022).
  8. Liang, H.-F., Wu, K.-M., Weng, C.-H. & Hsieh, H.-W. Nurses’ Views on the Potential Use of Robots in the Pediatric Unit. J. Pediatr. Nurs. 47, e58–e64 (2019).
  9. Beedholm, K., Frederiksen, K., Frederiksen, A. S. & Lomborg, K. Attitudes to a robot bathtub in Danish elder care: A hermeneutic interview study. Nurs. Health Sci. 17, 280–286 (2015).
  10. Papadopoulos, I., Koulouglioti, C. & Ali, S. Views of nurses and other health and social care workers on the use of assistive humanoid and animal-like robots in health and social care: a scoping review. Contemp. Nurse 54, 425–442 (2018).
  11. Abdullah, R. & Fakieh, B. Health Care Employees’ Perceptions of the Use of Artificial Intelligence Applications: Survey Study. J. Med. Internet Res. 22, e17620 (2020).

 

* Pflegefachpersonen, Fachmänner/Fachfrauen Gesundheit, Pflegeassistenzpersonal

Creative Commons Licence

AUTHOR: Larina Schenk

Larina Schenk hat im Rahmen ihres Studiums in Pflege an der BFH ihre Bachelor-Thesis zum Thema «Künstliche Intelligenz in der Pflege – Die Haltung der Pflegefachpersonen» verfasst. Mit diesem Thema wollte sie ihr technisches Interesse, das sie aus ihrer früheren Ausbildung zur Hochbauzeichnerin mitbrachte, mit einem pflegerischen Thema verbinden. Derzeit macht sie eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin.

AUTHOR: Sabrina Gröble

Sabrina Gröble ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Innovationsfeld «Psychosoziale Gesundheit», aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Sie hat Gesundheitswissenschaften und Technologie studiert und im Bereich Robotik in der pädiatrischen Neurorehabilitation gearbeitet. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Themen Migration, Obdachlosigkeit, Chancengerechtigkeit und Alter.

AUTHOR: Friederike J. S. Thilo

Prof. Dr. Friederike Thilo ist Leiterin Innovationsfeld "Digitale Gesundheit", aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Design Zusammenarbeit Mensch und Maschine; Technologieakzeptanz; need-driven Entwicklung, Testung und Evaluation Technologien im Kontext Gesundheit/Krankheit; datenbasierte Pflege (Künstliche Intelligenz).

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