Steigert «Fuzzy Voting» die Demokratiezufriedenheit?
Wer vor einer Abstimmung auch schon unschlüssig war, ob man nun «Ja» oder «Nein» auf den Stimmzettel schreiben soll, ist in guter Gesellschaft: Eine Befragung im Rahmen des «Demokratie Labor Basel» ergab, dass es 61% der Befragten mindestens «ab und zu» schwerfällt, sich vor Abstimmungen eine eindeutige Meinung zu bilden. Und 42% haben auch schon auf die Teilnahme an Abstimmungen ganz verzichtet, da sie sich nicht zu einem Entscheid durchringen konnten.[1] Es handelt sich also ganz offenkundig um ein verbreitetes Phänomen, an dem das heutige Abstimmungsverfahren nicht ganz unschuldig ist.
Die Stimmbürger:innen werden nämlich mit einer Situation konfrontiert, in der Sie eine Vorlage, an deren Ausarbeitung sie nicht beteiligt waren, entweder hundertprozentig annehmen oder ablehnen müssen. Grautöne sind nicht vorgesehen, obwohl ein gewisser Grad an Unentschiedenheit in fast jeder menschlichen Entscheidung innewohnt. Ursprünglich aus der Naturwissenschaft stammend, wird diese Unschärfe-Logik («fuzzy logic») in den letzten Jahren mehr und mehr auch auf den gesellschaftlichen Bereich übertragen.[2] Das Ziel ist, dass die Präferenzen der Bürger:innen im Ergebnis besser abgebildet werden, indem sie den Grad ihrer persönlichen (Un-)Zufriedenheit mit einer konkreten Vorlage auf dem Stimmzettel ausdrücken können. Die einfachste Möglichkeit der Umsetzung des sogenannten «Fuzzy Voting» besteht darin, auf dem Stimmzettel eine kontinuierliche Skala anstelle von «Ja» und «Nein» anzubieten.
Testlauf bei «klimagerechtes Basel»-Initiative
Was theoretisch schlüssig ist, kann jedoch an der Realität scheitern. Im Rahmen des «Demokratie Labor Basel» wurde darum anlässlich einer real stattfindenden Volksabstimmung getestet, welche Auswirkungen von der Einführung eines skalenbasierten Verfahrens zu erwarten wären. Zudem wurde ebenfalls untersucht, ob das neue Verfahren unter den Stimmberechtigten auf Akzeptanz stösst und wie sie es im Vergleich zum bisherigen Ja-Nein-Verfahren bewerten.
Getestet wurde im Rahmen der Abstimmung vom 27. November 2022 über die kantonale Volksinitiative «für ein klimagerechtes Basel (Klimagerechtigkeitsinitiative)». Gleichzeitig gelangte auch der vom Parlament erarbeitete Gegenvorschlag zur Abstimmung. 1’872 Stimmberechtigte aus dem Kanton Basel-Stadt haben mittels Online-Befragung angegeben, ob und wie sie in der Realität abgestimmt haben und welchen Entscheid sie unter dem alternativen Fuzzy-Voting-Verfahren getroffen hätten. Die Antworten wurden nach Geschlecht, Alter und Parteipräferenz gewichtet, um ein annähernd repräsentatives Bild für die Basler Stimmberechtigten zeichnen zu können.
In der Befragung wurde eine sehr einfache Form des skalenbasierten Verfahrens verwendet (vgl. Screenshot in Abbildung 1). Es handelte sich um eine kontinuierliche Skala, die von 0 (nein) bis 100 (ja) reichte.
Abbildung 1: Screenshot der skalenbasierten Abstimmungsfrage im Rahmen der Online-Befragung
Wie würde sich die Bereitschaft zur Teilnahme an Abstimmungen durch die Einführung des skalenbasierten Verfahrens verändern? Dabei ist vor allem interessant, ob das neue Verfahren einen Effekt auf Stimmberechtigte hat, die heute eher selten an Abstimmungen teilnehmen. Tatsächlich zeigen die Studienergebnisse, dass bis zu einem Drittel dieser Gruppe zu einer häufigeren Teilnahme motiviert werden könnte. Allerdings gaben 19% auch an, dass sie bei einem skalenbasierten Wahlverfahren (noch) weniger abstimmen gehen würden, woraus sich schlussendlich eine positive Gesamtbilanz von noch +14 Prozentpunkten ergibt. Weitergehende Analysen haben zudem gezeigt, dass vor allem Personen, die vor dem Abstimmungstermin häufig unentschlossen oder mit dem Funktionieren der Demokratie eher unzufrieden sind, durch das Fuzzy-Voting-Verfahren zur Teilnahme motiviert würden.
Attraktiver oder komplizierter?
Die Bewertung des alternativen Verfahrens fällt jedoch nicht nur positiv aus. Die Befragten hatten die Möglichkeit, ihre Einschätzung zu sechs Aussagen zum Fuzzy-Voting-Verfahren abzugeben. In der Abbildung 2 sind die Zustimmungswerte zu den einzelnen Aussagen dargestellt, unterteilt nach dem Grad der Unentschlossenheit vor Abstimmungen. Darin bestätigt sich einerseits Befund, dass häufig Unentschlossene das neue Verfahren am positivsten beurteilen. So finden 49% aus dieser Gruppe, dass es das Abstimmen für sie attraktiver machen würde und 54% geben an, dass es ihnen die Entscheidungsfindung erleichtern würde. Andererseits wird auch deutlich, dass die anderen Gruppen dem neuen Verfahren deutlich weniger abgewinnen können: Über 80% der selten Unentschlossenen – und wohlgemerkt auch zwei Drittel der häufig Unentschlossenen – stimmen der Aussage zu, dass das Verfahren das Abstimmen verkompliziere und die Leute überfordere. Auch zeigt sich in allen Gruppen eine Mehrheit, die findet, dass das neue Verfahren am Endergebnis nichts ändern würde.
Abbildung 2: Prozentuale Zustimmung zu sechs Aussagen zum Fuzzy-Voting-Verfahren nach Grad der Unentschlossenheit vor Abstimmungen
Gegen diese Haltung liesse sich einwenden, dass das Grundanliegen des «Fuzzy Voting» in der besseren Abbildung der politischen Präferenzen der Bürger:innen liegt, was im Idealfall zu einer höheren Demokratiezufriedenheit beiträgt. Dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass klare Abstimmungsergebnisse durch das skalenbasierte Verfahren «gedreht» werden, zeigte sich auch an den beiden Vorlagen, die in der Studie als Testfälle dienten: In der hypothetischen Auswertung nach Fuzzy-Voting-Verfahren kamen sowohl die Klimagerechtigkeitsinitiative (-1,1 Prozentpunkte) als auch der Gegenvorschlag des Parlaments (-5,5 Prozentpunkte) auf niedrigere Werte als nach herkömmlichem Ja-Nein-Verfahren. Da aber beide Vorlagen mit sehr grosser Mehrheit von der Basler Stimmbevölkerung angenommen wurden, hätte dies für das Endergebnis keine Rolle gespielt.
Fazit
Das skalenbasierte Abstimmungsverfahren spricht die «richtigen» Gruppen an: die häufig Unentschlossenen, Stimmabstinenten, Unzufriedenen. Mit Blick auf diese Gruppen wäre es lohnend, das Verfahren weiteren Tests zu unterziehen und sich darüber hinaus zu fragen, welche Möglichkeiten der optischen und linguistischen Ausgestaltung der Skala bestehen, damit die Stimmbürger:innen das Fuzzy-Voting-Verfahren auf intuitive und sachgerechte Weise nutzen könnten. Spätestens an diesem Punkt ist ein interdisziplinärer Ansatz gefragt, der politikwissenschaftliche, psychologische und Design-Aspekte vereinen sollte.
Über das Projekt
[1] Sämtliche Resultate des Fuzzy-Voting-Projekts im Rahmen des «Demokratie Labor Basel» finden sich im Schlussbericht. Das Gesamtprojekt wird von der Stiftung Mercator Schweiz und der Raiffeisen Jubiläumsstiftung finanziell unterstützt. Die Projektleitung vor Ort liegt beim Basler Verein «Demokratie Labor», die BFH Wirtschaft ist für die wissenschaftliche Projektdurchführung verantwortlich.
[2] Vgl. für Details: Portmann, Edy und Andreas Meier (2019). Fuzzy Leadership. Trilogie Teil I: Von den Wurzeln der Fuzzy-Logik bis zur smarten Gesellschaft. Wiesbaden: Springer Vieweg.
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