Mit Begeisterung und Pragmatismus für den digitalen Wandel
Am 1. September hat Christian Geiger seine Professur zu Digital Government, Innovation und Transformation an der Berner Fachhochschule angetreten. Der langjährige Chief Digital Officer der Stadt St. Gallen forscht und lehrt künftig zu Innovation im öffentlichen Sektor. Im Interview spricht er über seine Erfahrungen mit organisationalem Wandel in der Verwaltung und wie er sie in die Lehre einbringen wird.
Christian, du bist neu Dozent Tenure Track im Bereich Digital Government, Innovation und Transformation angetreten. Was ist mit Digital Government genau gemeint?
Beim Digital Government geht es darum, wie die Digitalisierung im Staat, also in der Politik und der Verwaltung wirkungsvoll umgesetzt werden kann. Hierzu gehört beispielsweise eine effizientere, agilere, bevölkerungsnähere, transparentere und auch kunden- und dienstleistungsorientiertere Wahrnehmung der Verwaltungsaufgaben, als dies normalerweise der Fall ist. Bei der Diskussion um Digital Government stehen nicht nur die technischen Aspekte im Fokus der Forschung, sondern auch die sozialen und organisationalen Fragestellungen, wenn es um die Digitalisierung, bzw. die Digitale Transformation von Staat und Gesellschaft geht. Es geht darum, mit Hilfe der Digitalisierung den Public Value gegenüber der Bevölkerung und der Wirtschaft zu erhöhen.
In den letzten sechs Jahre hast du als Chief Digital Officer in der Stadt St. Gallen zahlreiche Dienstleistungen der Stadt vorangetrieben. Welches Projekt ist dir am besten in Erinnerung geblieben?
Wir haben einige gute Projekte und Initiativen mit ganz unterschiedlichen Stakeholdern aus der Bevölkerung, der Forschung und der Wirtschaft vorangetrieben: Ein Beispiel ist sicherlich die #smarthalle – ein Pop-Up-Store für Digitalisierung der vor ein paar Jahren in der St.Galler Innenstadt realisiert werden konnte. Dort konnte sich die Bevölkerung zu verschiedenen Themen der Digitalisierung informieren, Lösungen ausprobieren und Workshops zur Digitalisierung besuchen, die von verschiedenen Unternehmen und Organisationen «bespielt» wurden. Bei meinem Team und mir lag zudem die Leitung der Koordinationsstelle Open Government Data für den Kanton St.Gallen und die St.Galler Gemeinden. Mit dem städtischen und kantonalen Engagement in dem Bereich war St.Gallen nach dem Bund und dem Kanton Zürich einer der ersten Akteure, die das Thema in der Schweiz vorangetrieben haben. Ein wesentlicher Meilenstein, um gemeinsam die Smart City-Themen in den Städten umzusetzen war sicherlich auch die Gründung des Smart City Hub Switzerland. Hier durfte ich über fünf Jahre als Präsident den Erfahrungsaustausch zu smarten und digitalen Themen in der Schweiz fördern und mich auch für die interkommunale Zusammenarbeit engagieren. Fachlich und persönlich spannend war zudem ab dem letzten Jahr die Mitarbeit im operativen Führungsgremium der Digitalen Verwaltung Schweiz (DVS), da hier über alle Staatsebenen hinweg in Zusammenarbeit zwischen nationaler, kantonaler und Gemeindeebene gute, gemeinsame Lösungen im Bereich der digitalen Verwaltung gefunden werden sollen.
Was brauchtest du am meisten für eine effektive Digitalisierung im öffentlichen Sektor?
Optimismus und Begeisterungsfähigkeit, Kreativität und Pragmatismus sowie Durchsetzungsvermögen und Selbstreflexion – und natürlich die vielen Kolleg*innen die auch die Potenziale in der Digitalisierung für den öffentlichen Sektor gesehen haben und mich in meinen Aktivitäten, bei den Ideen und den Umsetzungen der einzelnen Projekte unterstützt haben:
- Optimismus und Begeisterungsfähigkeit, weil es darum ging, den digitalen Wandel gemeinsam zu gestalten und neue Dinge auszuprobieren, sich nicht von kleinen Rückschlägen entmutigen zu lassen, sondern vielmehr neuen Anlauf zu nehmen und die Veränderungen gemeinsam mit allen Akteuren Schritt für Schritt zu forcieren.
- Kreativität und Pragmatismus, wenn es darum geht, den bestehenden Herausforderungen lösungsorientiert zu begegnen. Neue, digitale Instrumente sollten immer als sinnvoller Lösungsansatz erachtet werden, nicht als Selbstzweck eingeführt werden. Dabei ging es für mich auch immer darum, für die einzelnen Dienststellen und Ämter die Lösungen zu finden, welche zu Ihnen gepasst haben – und das in dem Tempo und in der Intensität welche für die Mitarbeitenden und für die Stadt optimal waren.
- Durchsetzungsvermögen und Selbstreflexion waren dann gefragt, wenn es darum ging, hinter den eigenen Ideen und Visionen zu stehen, die eigene Meinung zu vertreten – aber natürlich gleichermassen offen zu sein für die Ideen, Bedürfnisse, Anmerkungen, aber auch Befürchtungen Anderer. Hierzu gehört auch, sich immer wieder selbstkritisch zu hinterfragen.
Von der Praxis kommst du nun zurück in die Forschung. Du bringst also ganz viel Pragmatismus anstelle von trockener Theorie mit, stimmt’s?
Ich hoffe es! (lacht). Da ich ja aus der Wissenschaft komme, fünf Jahre an der Universität gearbeitet habe, nun zehn Jahre in der Praxis war und jetzt wieder zurück in die Wissenschaft wechsle bringe ich für die Studierenden aber auch für die Forschung und Praxisprojekte sehr viel mit. Der wissenschaftliche Hintergrund und die langjährige praktische Erfahrung sind in meinen Augen äusserst wertvoll, um in Zukunft exzellente Lehre, Forschung und Projekte zu machen. Es ist immer wieder wichtig, nicht nur mit theoretischen Aspekten argumentieren zu können, sondern auch zu wissen, wie es in der Praxis tatsächlich abläuft, was funktioniert und wo mit «Stolperfallen» zu rechnen ist. Gleichermassen ist eine gute Theorie aber auch wertvoll, um die Praxis zu erklären, verschiedene Perspektiven einzunehmen und zukünftige Entwicklungen und Verhaltensweisen zu antizipieren. Ich glaube, mit diesem kombinierten Ansatz können Theorie und Praxis noch näher zusammenrücken und die Mehrwerte für die Studierenden maximiert werden. Natürlich freue ich mich auch auf die zahlreichen zukünftigen Begegnungen und Diskussionen mit den Kolleg*innen aus der Wissenschaft, mit den Studierenden und auch mit den «alten» Weggefährtinnen und Weggefährten aus Gemeinden und Städten, verschiedenen Kantonen und den Austausch auf nationaler Ebene.
Was kann die Forschung von der Praxis lernen?
In meinen Augen gibt es hier drei wesentliche Punkte: Zum einen, dass eine theoretische Idee bzw. Lösung noch lange keine praktische Umsetzung darstellt. Es ist das eine, Ideen zu produzieren, auszuarbeiten und zu formulieren. Aus diesen Ideen dann aber die richtigen Produkte, die richtige Politik, das richtige Handeln abzuleiten und in die Realität umzusetzen, um den gewünschten Impact zu generieren, ist nicht trivial.
Zum zweiten, wird es in der Praxis immer komplizierter, je konkreter man wird – wenn die Frage ist, wie eine technische Lösung definiert, ausgeschrieben, beschafft, eingeführt, betrieben und weiterentwickelt wird. Wenn wir uns die Pfadabhängigkeiten betrachten, weil wir technisch wie auch organisatorisch nicht «auf einer grünen Wiese» anfangen können und wenn es darum geht, dass auch neue technische Lösungen in Organisationen immer zu einem Bestandteil in einem sozio-technischen System werden, bei dem nicht nur die Technik, sondern auch der Mensch wesentliche Variablen sind.
Drittens, dass nicht immer die objektiv beste Lösung umgesetzt wird. Die Wissenschaft kritisiert oftmals die Praxis in ihren Handlungsweisen. Für bestimmte Handlungen und Entscheidungen sollte aber auch die Wissenschaft ein Verständnis für die Praxis aufbringen.
Wir bilden an der BFH junge Leute aus, die dann mit ihrem frischerlangten Wissen in die Berufswelt gehen. Was gibst du den Studierenden von heute mit, damit sie gute Fachpersonen in der Verwaltung werden?
Was bedeutet «gute Fachpersonen»? Wie stellen wir uns als Gesellschaft denn eine gute Verwaltung vor? Welche Anforderungen habe ich als Bürger*in, als Unternehmer*in an eine Verwaltung? Ich persönlich denke, die Verwaltung sollte ein Abbild der Gesellschaft sein, ihre Bedürfnisse erfüllen und der Gemeinschaft dienen. Hierfür sollten die Verwaltung und die Politik innovativ und nachhaltig Handeln, sollte krisenfest, resilient agieren. Aber um das zu erreichen, muss die Verwaltung sich verändern, weiterentwickeln wie jedes andere Unternehmen auch und zeitgemässe (digitale) Instrumente einsetzen. Ein wesentlicher Schlüssel sind natürlich die Mitarbeitenden, welche im Dienst der Gesellschaft stehen. Sie haben sehr viel Expertise und sind wertvoll für die Organisation. Eben darum müssen wir die Mitarbeitenden in ihrem Alltag mit modernen (digitalen) Instrumenten und den richtigen Organisationsstrukturen unterstützen. Die Herausforderungen und Probleme von heute lösen wir nicht mit den Instrumenten von gestern. Aber natürlich werden in den nächsten Jahren auch zahlreiche Fachpersonen die Verwaltung verlassen. Umso wichtiger ist, dass wir hier an der BFH qualifizierte und motivierte Mitarbeitende – auch als Changemaker und Zukunftsgestaltende – für die Schweizer Verwaltung ausbilden. Hier möchte ich die jungen Leute ermutigen authentisch zu sein, voranzugehen, Themen zu hinterfragen, Innovation voranzutreiben, um die Verwaltung von morgen zu gestalten.
Wo siehst du die Herausforderungen für diese jungen Leute, wenn sie die Verwaltung digital transformieren wollen?
Unsere Verwaltung ist aus ihrer Historie heraus eher auf Kontinuität und Stabilität ausgelegt, nicht zwangsläufig auf schnelle, kontinuierliche oder auch radikale Innovation. Je nach Tätigkeit und Zuständigkeit kann die digitale Transformation allerdings sehr einschneidend für die einzelnen Fachthemen, aber auch für die verschiedenen föderalen Ebenen in der Schweizer Verwaltung sein. Betrachtet man die digitale Transformation, so gibt es je nach gewähltem Zeitpunkt und je nach betroffenen Stakeholdergruppen teilweise einen sehr schmalen Grad zwischen «akzeptierter Verwaltungsmodernisierung», «Digitalisierungseuphorie» und «radikaler Innovationsverweigerung». Hierbei die richtigen «windows of opportunity» zur adäquaten Umsetzung der entsprechenden Themen zu finden und auch die innerhalb der Verwaltungen gelebte (Verwaltungs-) politik zu verstehen benötigt viel Erfahrung, um die gewünschten Veränderungen im Bereich der Transformation tatsächlich realisieren zu können. Dabei kann die Intensität der Digitalisierung variieren. Wir befinden uns aktuell in einem gewissen Paradoxon: Würden wir die Verwaltung heute auf der «grünen Wiese» neu aufbauen, würden wir die Digitalisierung sehr wahrscheinlich aktiver nutzen, als wir es in der etablierten Verwaltungsgliederung im bestehenden, bewährten föderalen System tatsächlich wollen und machen.
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