Wie Neurofeedbacktraining die Wahrnehmung von Tinnitus beeinflussen kann 

Neurofeedbacktraining ist eine innovative Technik, die es Personen ermöglicht, ihre eigene Gehirnaktivität zu beobachten. Ein gemeinsames Forschungsprojekt der Berner Fachhochschule, der EPFL, der Universität Zürich und der Universität Fribourg untersucht den Einfluss der Gestaltung im Kontext von Neurofeedback, um insbesondere Tinnitusbetroffene zu unterstützen.  

Neurofeedbacktraining wird zur Behandlung von psychischen Störungen wie ADHS, Epilepsie oder Tinnitus angewendet. Im Wesentlichen basiert Neurofeedback auf dem psychologischen Konzept der positiven Verstärkung. Die Forscher*innen gehen davon aus, dass ein Verhalten, das positiv verstärkt wird, in der Folge häufiger auftritt. Wenn eine Person beispielsweise ein Kompliment für einen Pullover erhält, wird sie oder er den Pullover in der Folge wahrscheinlich häufiger tragen. Ähnlich funktioniert auch Neurofeedback, nur dass anstelle des Pullovers dabei ein Aktivitätsmuster im Gehirn belohnt wird: Wenn das Gehirn «richtig denkt», erhält es eine positive Rückmeldung wie: «Gut gemacht!» 

 Doch was bedeutet «richtig denken»? Aus der Forschungsliteratur ist bekannt, welche Aktivitätsmuster beispielsweise mit ADHS oder Tinnitus verknüpft sind. Neurofeedback hilft den Betroffenen, weniger «krankmachende» und mehr «gesundmachende» Aktivitätsmuster zu erzeugen. Das Gehirn erhält aber nicht etwa eine elektrische Stimulation: Die Benutzer*innen lernen stattdessen, ihr Denken selbst zu verändern. Eine Software führt im Hintergrund komplexe Berechnungen durch und generiert einen Wert, der angibt, wie gesund oder krankmachend die Gehirnaktivität ist. Dieser Wert wird den Benutzer*innen in Echtzeit angezeigt und verleiht ihnen eine erstaunliche Fähigkeit: Sie können ihre eigene Gehirnaktivität beobachten und steuern.  

Personen, die an Tinnitus leiden, nehmen Brumm- oder Pfeiftöne, Zischen oder Rauschen in einem oder beiden Ohren wahr, welche keinen äusseren Schallquellen zugeordnet werden können. Mit Neurofeedbacktraining können die Betroffenen lernen, ihre Gehirnaktivität so zu beeinflussen, dass der Tinnitus leiser wird oder an Bedeutung verliert.  

Wie können neue Technologien das Neurofeedbacktraining und die Behandlung von Tinnitus unterstützen? 

Der technologische Fortschritt eröffnet drei spezifische Entwicklungspotenziale für die Anwendung von Neurofeedbacktraining bei Tinnitusbetroffenen:  

  1. Neurofeedback-Training zu Hause: Bisher musste das Neurofeedbacktraining in einer spezialisierten Praxis durchgeführt werden, was organisatorischen Aufwand und Kosten verursachte. Mit immer erschwinglicheren und benutzerfreundlicheren Messgeräten wird es möglich sein, Neurofeedback-Übungen bequem von zu Hause aus durchzuführen. Ähnlich wie Achtsamkeitsübungen könnten Betroffene diese Übungen mit dem Smartphone auf der Couch absolvieren. 
  1. Fortgeschrittene Analysemethoden: Moderne mathematische Ansätze, insbesondere Machine Learning, könnten die Effizienz und Anwenderfreundlichkeit des Neurofeedbacktrainings verbessern. Mit diesen Technologien können relevante Aktivitätsmuster im Gehirn noch präziser identifiziert und dargestellt werden. 
  1. Neue Hardware: Derzeit werden verschiedene Technologien entwickelt, um die Therapiemethode zu vereinfachen. Neuralink, beispielsweise, erstellt aktuell ein innovatives (wenn auch sehr invasives) Brain-Computer-Interface, das eine zeitlich und räumlich hochauflösende Messung von Gehirnaktivität einfach zugänglich machen könnte. Wenn die Technik sicher und nutzer*innenfreundlich ist, dürfte sie die Anwendung von Neurofeedbacktraining enorm vereinfachen. Andere, nicht invasive Verfahren, umfassen neue Materialien, die es erlauben würden, die EEG-Kappe wie eine Mütze aufzuziehen. Damit gehört die Anwendung von Elektrodenleitgel vielleicht schon bald der Vergangenheit an. 

Welches Ziel verfolgt das Forschungsprojekt? 

Das Projekt «Advancing Neurofeedback in the Treatment of Tinnitus» ist ein interdisziplinäres Forschungsprojekt, das den Einfluss von Design im Kontext von Neurofeedbacktraining auf unterschiedlichen Ebenen untersucht. Neben der visuellen Gestaltung (z.B. ästhetische Wahrnehmung von Gestaltungsprinzipien) befassen sich die Forscher*innen auch mit auditiven Elementen. Sie stellen sich zum Beispiel die Frage, wie Geräuschkulissen oder Musikanwendungen gestaltet sein sollten, um die Information «Du zeigst gerade das richtige Aktivitätsmuster» möglichst verständlich und angenehm darzustellen. Dabei definieren sie zum einen allgemeine Gestaltungsleitlinien und fokussieren zum anderen speziell auf die Bedürfnisse von Tinnituspatient*innen. 

Neben Fragen zur Gestaltung haben sich die Forscher*innen auch zum Ziel gesetzt, die Methoden zur Messung der Aktivitätsmuster im Gehirn weiterzuentwickeln. Mit Machine Learning und weiteren Berechnungsmethoden (z.B. Entropie) möchten sie die Berechnung effizienter machen und die Interpretation der Ergebnisse vereinfachen.  

Die Zusammenarbeit mit den Projektpartner*innen der EPFL (EELAB), der Universität Zürich und der Universität Fribourg ist von zentraler Bedeutung für den Erfolg des Projekts. Spezialisierte Zentren aus den Themenbereichen Neurologie, Data Management, Design und Gestaltung sowie Methodik, Experimentaldesign und Statistik bringen ihre Kompetenzen ein, um die Zukunft des Neurofeedbacktrainings zu gestalten und damit neue Behandlungsmethoden für Tinnituspatient*innen zu entwickeln. 


Mehr Informationen

Zum Projekt

Institut New Work 

Themenfeld Caring Society

Creative Commons Licence

AUTHOR: Adrian Naas

Adrian Naas ist Doktorand am Institut New Work.

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1 Antwort
  1. Alexander Hunziker
    Alexander Hunziker sagte:

    Tolles Projekt! Ich glaube, dass Trainingsmethoden, die helfen, das eigene Denken zu steuern, enorm wichtig sind. Und zwar nicht nur für Menschen mit Tinnitus. Sondern ganz allgemein, etwa für den Umgang mit alltäglichem Stress. Fortschritte in diesem Bereich könnten rasch sehr breite gesellschaftliche Relevanz erlangen.

    Antworten

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