Datenzentrierte Unternehmen – Wo Revolutionen zusammenlaufen

In den letzten Monaten häufen sich die Artikel über die generative KI-Revolution und ihre Auswirkungen auf Wirtschaft und Gesellschaft. Tatsächlich gibt es jedoch viele laufende Revolutionen, die fast ebenso bedeutend, wenn auch nicht so bekannt sind. Und wenn diese Revolutionen zusammenkommen, könnte ihr kollektiver Effekt weitaus größer sein als das, was KI allein erreichen wird. Wir glauben, dass das datenzentrierte Unternehmen der Konvergenzpunkt für all diese Entwicklungen sein könnte. In diesem Artikel gehen wir der Frage nach, was ein datenzentriertes Unternehmen ist, und beschreiben die neuen Revolutionen, die in diesem Unternehmen zusammenlaufen. Diese prägen die Art und Weise, wie Unternehmen ihre Daten nutzen, um Innovationen und Werte zu schaffen. Wir glauben, dass diese Gesamtkonvergenz eine weitaus stärkere – und vielleicht beängstigende – Transformation ermöglicht als ein einzelner Faktor wie generative KI allein.

Klassische Unternehmen sind heute hauptsächlich anwendungszentriert. Das bedeutet, dass ihre geschäftlichen Fähigkeiten durch Prozesse ermöglicht werden; und große, oft monolithische Anwendungen ermöglichen diese Prozesse. Hier kann man mit Fug und Recht behaupten, dass die Anwendungen wie Könige sitzen und die IT-Landschaften mit Dienern gefüllt sind, die Daten extrahieren, die einem Königreich gehören, sie umwandeln und einem anderen Königreich zur Verfügung stellen. Die Unternehmensarchitektur lehrt uns, dass wir uns zuerst auf die Daten konzentrieren sollten, aber die Realität sieht so aus, dass die Unternehmen bisher Anwendungen von der Stange gekauft haben und nicht Daten von der Stange, so dass die Anwendung im Mittelpunkt des Unternehmens steht.

Software-as-a-Service in Verbindung mit einer explosionsartigen Zunahme von Standardschnittstellen und Konnektoren führt nun zum datenzentrierten Unternehmen. In Anlehnung an unser Königreich ist ein datenzentriertes Unternehmen ein Kollektiv oder ein Kibbuz, in dem die Daten nicht einem einzelnen König untergeordnet sind. Vielmehr sind Daten eine gemeinsame Ressource und primäre Wertquelle, genau wie das Land oder die Maschinen in einem Kibbuz. Jedes Mitglied der Gemeinschaft (Abteilung) bringt seine eigenen speziellen Fähigkeiten ein, um mit den Daten zu arbeiten und Erkenntnisse (Ernte) zu gewinnen, die dem gesamten Unternehmen (Kollektiv) zugute kommen. Das Wichtigste ist, dass die Daten nicht mehr in einem Reich eingesperrt sind, sondern frei bewegt und dort genutzt werden können, wo sie den größten Nutzen für die Gemeinschaft bringen.

Wie baut man ein datenzentriertes Unternehmen auf?

Man beginnt damit, Daten als die zentrale Ressource zu betrachten, wie das Land oder die Maschinen, die das Kollektiv befähigen. Und man entwirft integrierte IT- und Geschäftsarchitekturen, damit diese Daten konsistent und zuverlässig sind, aber vor allem, damit sie frei dorthin fließen können, wo sie gebraucht werden. Ein wichtiger Punkt ist die Erkenntnis, dass Daten ein Unternehmenswert sind, kein IT-Wert. Das Unternehmen muss die Verantwortung für seine Daten übernehmen, um deren Qualität und Konsistenz zu gewährleisten, aber für diese Aufgabe ist nur das Unternehmen selbst ideal geeignet, nicht die IT. Die Rolle der IT ist nicht mehr die des Inhalts, sondern die der Zugänglichkeit, um sicherzustellen, dass die Daten frei zwischen den Bereichen ausgetauscht werden können.

Revolution 1: das Datennetz

Es gibt zwar viele Möglichkeiten, ein datenzentriertes Unternehmen zu schaffen, aber in den letzten Jahren hat sich das Modell der Datenvernetzung durchgesetzt. Bei diesem «Daten-als-Produkt»-Ansatz stellen die Geschäftsbereiche (nicht die IT) ihre Daten als Produkte zur Nutzung durch andere Bereiche zur Verfügung. Die wesentlichen Bestandteile sind Data Governance (die Regeln für den Umgang der Mitglieder des Kollektivs mit ihren gemeinsamen Ressourcen), Datenkataloge, damit jeder die Datenprodukte kennt, die Dateneigentümer und die Datenverwalter (Caretaker). Während sich die Geschäftswelt auf die Inhalte (Ernten) konzentriert, wird die Infrastruktur für die gemeinsame Nutzung von Daten (Bewässerung und Straßen) von der IT-Abteilung verwaltet und betrieben.

Revolution 2: Bürgerliche Entwicklung und Demokratisierung von Daten

Low-code/no-code (LC/NC) sind die Technologien (wie Microsoft Power Apps, aber inzwischen auch in die meisten großen SaaS-Plattformen wie salesforce.com integriert), die die Programmierleistung in die Hände von Nicht-IT-Spezialisten im Unternehmen, so genannten «Bürgerentwicklern», legen Die meisten Branchenschätzungen gehen davon aus, dass bald über 70 % aller Anwendungsentwicklungen mit LC/NC durchgeführt werden. Fast täglich kündigen große Unternehmen die Einführung von «LC/NC-first»-Strategien an, die die traditionelle Softwareentwicklung ablösen. Zu den kritischen Erfolgsfaktoren für diesen Ansatz gehören «Kompetenzzentren» sowie die Forderung nach einer rigorosen Beachtung der Governance, um Sicherheit zu gewährleisten und Wildwuchs zu verhindern.

Eine Folge dieses Ansatzes kann die zunehmende Volatilität der Anwendungen im Unternehmen sein. Anstatt permanente Legacy-Anwendungen zu erstellen, die über Jahre hinweg bestehen und oft veraltet sind, ermöglicht LC/NC eine schnelle Entwicklung für kurzfristige Anforderungen. Solche «ephemeren Anwendungen» können für ein bestimmtes Projekt oder einen bestimmten Zweck entwickelt und dann wieder eingestellt oder überarbeitet werden, wenn sich die Anforderungen ändern. Auf diese Weise kann das Unternehmen die Anhäufung veralteter Altsysteme vermeiden, die oft den Fortschritt und die Effizienz behindern.

Revolution 3: Künstliche Intelligenz und generative KI

Die KI-Technologie ist entscheidend für die Verarbeitung großer Datenmengen und die Ausschöpfung ihres vollen Werts. Dadurch können neue Erkenntnisse gewonnen und die Entscheidungsfindung in datenzentrierten Unternehmen verbessert werden. Nischenunternehmen, die diese Dienste für spezielle Bereiche anbieten, wachsen explosionsartig. Aber die Möglichkeit, dass Unternehmen oder Einzelpersonen auf diese Leistung von Cloud-Computing-Anbietern (wie AWS, Microsoft Azure, Alibaba Cloud, Google Cloud Platform oder HPE GreenLake) zugreifen können, senkt die Hürde für die Übernahme. Dank LC/NC wird diese KI-Leistung zunehmend direkt in die Hände der Entwickler im Unternehmen gelegt, anstatt in der IT-Abteilung isoliert zu sein.

Revolution 4: DataOps

So wie DevOps eine agile Methodik ist, die die Produktivität durch die Integration von Anwendungsentwicklung und Betrieb steigert, ist DataOps ein agiler Ansatz, der die Zeit verkürzt und die Qualität der Datenanalyse verbessert. Wie DevOps basiert es auf Zusammenarbeit, Governance, Automatisierung und der so genannten kontinuierlichen Integration und Bereitstellung (CI/CD) von «Datenpipelines», also den Prozessen, mit denen Daten aufgenommen, umgewandelt und für die Analyse vorbereitet werden. Durch die Sicherstellung eines reibungslosen und effizienten Flusses hochwertiger Daten durch das Unternehmen ermöglicht DataOps dem datenzentrierten Unternehmen, agiler und reaktionsfähiger zu sein und die Zeit von der Datenerkenntnis bis zu geschäftlichen Maßnahmen zu verkürzen.

Revolution 5: Technologien zum Schutz der Privatsphäre (PETs)

PETs sind die Technologien, die einen «Privacy-by-Design»-Ansatz ermöglichen, der sowohl den Datenschutz als auch den Schutz der Daten in die Prozesse einbettet, um den Nutzen der Daten zu maximieren und gleichzeitig die Risiken zu minimieren. Diese reichen von bekannten Ansätzen wie Verschlüsselung, Anonymisierung und Pseudonymisierung bis hin zu neu entstehenden Spitzentechnologien. Secure Multi-Party Computing (SMPC) ermöglicht es mehreren Parteien, die Privatsphäre und die Hoheit über ihre eigenen Daten zu wahren, selbst wenn sie an Berechnungen teilnehmen, die die Daten der anderen Partei betreffen. Die homomorphe Verschlüsselung ermöglicht es, Daten zu verarbeiten und dabei verschlüsselt zu bleiben. In datenzentrierten Unternehmen ist der Einsatz von Technologien zum Schutz der Privatsphäre von entscheidender Bedeutung, und mit der wachsenden Menge der erzeugten und verarbeiteten Daten steigt auch die Bedeutung von Technologien zum Schutz der Privatsphäre.

Revolution 6: Edge Computing

Da immer mehr Geräte mit dem Internet der Dinge (IoT) verbunden sind, gibt es einen wachsenden Trend, die Daten dort zu verarbeiten, wo sie erzeugt werden, d. h. die «Cloud» und ihre Algorithmen auf die Daten am Rand zu verlagern, anstatt die Daten in die Cloud zu bringen. Dies ermöglicht mehr Funktionen und Einblicke durch die Verringerung von Latenzzeiten und Bandbreiten und erlaubt dezentralisierte Echtzeit-Analysen und -Dienste. Hier gibt es viele Voraussetzungen, wie die Verbreitung von IoT-Geräten sowie Fortschritte bei 5G und anderen Hochgeschwindigkeits-Netzwerktechnologien, einschließlich WiFi-6 und Satelliten-Internet (wie OneWeb und SpaceX). Die Cloud-Anbieter (alle zuvor genannten) investieren zusätzlich zu ihren traditionellen regionalen und nationalen Cloud-Angeboten stark in stadtbasierte Edge-Computing-Ressourcen und bringen so die Cloud näher an Datenquellen und Nutzer heran. Unternehmen wie HPE machen die Edge zur neuen Cloud – wobei die Cloud nicht länger ein Ort, sondern eine Erfahrung ist. Dieser dezentralisierte Ansatz ist ein Paradigmenwechsel im Datenmanagement, da er datenzentrierten Unternehmen die effiziente Nutzung von Daten ermöglicht, unabhängig davon, wo sie sich befinden.

Wo Revolutionen konvergieren

Zu Beginn haben wir über die Revolution der generativen KI gesprochen und über die Macht, die sie hat, um Wirtschaft und Gesellschaft zu verändern. Doch wie wir gesehen haben, gibt es noch viele andere Revolutionen – das Aufkommen des Datennetzes, Low-Code/No-Code-Plattformen, DataOps, Edge Computing und Technologien zur Verbesserung des Datenschutzes -, die sich eher im Hintergrund abspielen. Zusammen mit dem zentralen Designprinzip der datenzentrierten Architektur können diese Entwicklungen schnell reifen und zusammenwachsen. Infolgedessen befähigen sie das datenzentrierte Unternehmen. Dieser Wandel verspricht eine kollektive Wirkung, die weit über das hinausgeht, was KI allein bewirken wird.

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AUTHOR: Kenneth Ritley

Kenneth Ritley ist Professor für Informatik am Institut für Datenanwendungen und Sicherheit (IDAS) der BFH Technik & Informatik. Der gebürtige US-Amerikaner hat schon eine internationale Karriere in IT hinter sich, er hatte diverse Führungspositionen in mehreren Schweizer Unternehmen inne wie Swiss Post Solutions und Sulzer und baute unter anderem Offshore-Teams in Indien und Nearshore-Teams in Bulgarien auf.

AUTHOR: Stefan Brock

Stephan Brock ist Enterprise Architecture und ICT Operations Manager bei Hewlett Packard Enterprises in Zürich.

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