Alle Hoffnung liegt im Stakeholder-Management
Die Schweiz humpelt im E-Health hinterher – obwohl einzelne Institutionen Summen ausgeben, von denen die E-Health Vorreiter selbst auf nationaler Ebene nur träumen können. Nun soll das anders werden – durch professionelles Stakeholdermanagement. Dieses Thema stand im Zentrum des Swiss eHealth Forums 2023. Die grossen Fragen: Wie gehen wir mit Stakeholdern um? Wie informieren wir sie, denn das Unwissen über eHealth ist gross. Und: Wie überwinden wir ihre Widerstände, welche bislang weitgehend blockierend wirkten?
Roland Blättler, Informatik-Leiter des Kantonsspitals Obwalden, ist offensichtlich in einer Doppelrolle: als Gestalter im eigenen Perimeter will er andere mitnehmen und als Beteiligter an grösseren Weichenstellung, wird er selbst mitgenommen. Er berichtete von anekdotischen, aber repräsentativen Beispielen von Ablehnung neuer digitaler Lösungen innerhalb seines Bereichs. Dabei betonte er, dass man erst ganz am Anfang stehe mit der digitalen Transformation. Ausserdem zog er Parallelen zum kalifornischen Goldrausch, wo die Werkzeughersteller das grosse Geschäft machten, nicht die Goldsucher. Das heisst, auch wenn es so nicht ausgesprochen wurde, die IT-Industrie und eventuell die Beratungsdienstleister werden sich eine goldene Nase verdienen, aber der Nutzen für die Organisationen wird noch längere Zeit überschaubar bleiben. Ausserdem sieht er grossen Spitäler und die zentrale Standardisierung als die Gewinner an – notabene auf Kosten der Kleinen und des Föderalismus.
Liechtenstein als Vorbild?
Christian Wolf, Co-Projetleiter des elektronischen Gesundheitsdossiers (eGD) in Liechtenstein, berichtete, wie Liechtenstein im zweiten Anlauf und mit intensiver Beratung – vor allem aus Österreich, aber auch aus der Schweiz – in sehr kurzer Zweit und mit sehr wenig Mitteln das eGD auf die Beine stellen konnte. Ab 1. Juli ist die Nutzung verpflichtend, wofür drei grosse Weiterbildungsveranstaltungen im Vorfeld organisiert wurden. Wolf geht davon aus, dass tatsächlich das eGD ab Mitte Juli von allen genutzt wird, die dazu verpflichtet sind. Die Liechtensteiner Erfolgsgeheimnisse sind das Lernen von Good Practices, ein vergleichsweise sehr kurzes Gesetz (und eine kurze Verordnung), sowie Opt-out für Patient*innen statt doppelter Freiwilligkeit. Das nächste Ziel ist, auch wenn hier aus Sicht Wolfs der Gesetzgebungsprozess nicht optimale Voraussetzungen geschaffen hat, durch direkte Kooperationen auch Daten aus den Nachbarländern in die Dossiers zu bringen.
Gerade die Zügigkeit und Prägnanz der Gesetzgebung im zweiten Liechtensteiner Anlauf sind beeindruckend! Was die Verfügbarkeit der Lösung betrifft, ist das eGD schon jetzt ein Erfolgsprojekt. Ob das auch in der praktischen Nutzung sein wird, das wird die Zukunft zeigen. Kleinere Kreise versuchen derzeit das Opt-out-Prinzip zu kippen und so den Erfolgslauf des eGD zu stoppen.
20.000 haben bereits ein EPD
Gian-Reto Grond, Sektionsleiter Digitale Gesundheit im Bundesamt für Gesundheit (BAG) berichtete von der Neuaufstellung des Vorhabens «elektronischen Patientendossier (EPD)» im Schweizer Gesundheitswesen. Dazu muss man historisch wissen: Vor 15 Jahren, als dieses Vorhaben in die Gänge kam, ging es vor allem um die Erledigung eines Regierungsauftrags. Die Perspektiven der Stakeholder standen nicht in Zentrum. (Allerdings beteiligte sich eHealth Schweiz an den Large Scale Pilots EPSOS als auch STORK 2.0 und pflegte den internationalen Austausch.). Im Parlament wurde dann die Gesetzesvorlage zwischen den beiden Räten hin- und hergeschoben und am Ende mit dem Prinzip der doppelten Freiwilligkeit als grundsätzlich verteilte Lösung ohne schweizweit geteilte Infrastruktur verabschiedet. In der Folge erlebte die Umsetzung Verzögerungen und das Wissen über das Projekt sammelte sich in einigen wenigen Köpfen, während es im Rest des Gesundheitssystems vaporisierte. Zwar sind die Ziele vorbildlich online dokumentiert, aber anders als beim österreichischen Theaterdichter Raimund gilt «Schon vor dem End weiss keiner nix», wie vor zwei Jahren bei uns ein studentisches Forschungsprojekt zeigte.
Grond betonte, dass es mittlerweile schon 20’000 Inhaber*innen von EPDs gibt und er das Eröffnen ganz einfach findet. Unsere im Vorfeld der Veranstaltung getätigte Recherche zeigte: Es braucht Durchsetzungswillen, um einen Termin für das Eröffnen in Bern zu bekommen. Anders als beim Passwesen in Berlin, ist man dann aber in Bern doch erfolgreich. Die Aussage Gronds, nur jene mit EPD dürften über die Eröffnung des EPD mitreden ist allerdings unfreiwillig witzig: Mit dieser Logik könnte man in Berlin nämlich die eGovernment-Kritik gänzlich zum Verstummen bringen. Trotzdem ist die Neuausrichtung auf eine Teilhabe der Stakeholder ein grosser, welche von Grond und seinen Kolleg*innen vorgenommen wurde, ein grosser Schritt Richtung tatsächliche Umsetzung des elektronischen Patientendossier!! Sie wird nicht nur zu zugleich nutzungsfreundlicheren und nützlicheren Lösungen führen, sondern auch die Akzeptanz im Gesundheitsökosystem erhöhen und überdies das Wissen über das EPD bei den Gesundheitsfachpersonen vergrössern. Mit diesem Vierfachbooster scheint ein Erfolg des EPD auch in der Schweiz möglich. Das ändert bis auf Weiteres jedoch nichts daran, dass der Rückstand auf die skandinavischen Staaten und Österreich gross ist. Aber wenn das Anwachsen des Rückstands gestoppt wird dank professionellem Stakeholdermanagement, ist schon viel mehr erreicht, als bislang möglich schien.
Interoperabilität ja, aber anders als die EU
Die nächsten Schritte wurden von Martine Bourqui-Pittet vorgestellt. Sie präsentierte das Programm DigiSanté und ging dabei insbesondere auf das Thema Interoperabilität ein. Auch dies ist ein Thema, das es bislang schwer hatte in der Schweiz. Die Realisierung des eUmzug dauerte deshalb so lange, weil man die europäischen Konzepte ablehnte und statt dessen auf grosse europäische Dienstleister setzte. Doch jetzt hat doch die Konzepte des European Interoperability Frameworks (EIF) verinnerlicht und will die entsprechenden Standards für die Schweiz zusammen mit den Stakeholdervertreter*innen ausarbeiten. Das ist eine gute Nachricht und einen grossen Applaus wert!! Dass diese Ausarbeitung u.a. in Gremienarbeit geschieht, wird vermutlich diverse Lästerzungen auf den Plan rufen, welche die Schweizer Gremienpraxis für eine besonders schlimme Unkultur des Landes halten. Aber abgesehen davon, dass das Schweizer Gremienwesen ein wahrlich weites Land ist – von Egoshooter-Clubs über Runden sympathischer und idealistischer Chaot*innen bis zu äusserst konstruktiv arbeitenden Gremien, bei denen Neugier und Sachorientierung die Rituale prägen – geht es im Fall der digitalen Transformation des Gesundheitswesens kaum ohne institutionalisierte Stakeholder-Teilhabe, sprich nur mit Gremien gewählter Mitglieder. Für Light-Versionen der Teilhabe, agil und situativ, ist zu viel Politik im Spiel: Lösungen müssen nicht nur sachlich richtig, sondern ihr Design muss auch legitimiert sein.
Dass professionelles Stakeholdermanagement keine Besonderheit der öffentlichen Verwaltung ist, sondern auch in Gesundheitsorganisationen möglich ist, zeigte der Vortrag von Ulrike Burkhard. Sie berichtet über die erfolgreiche Implementierung eines digitalen Stationsboards in der Psychiatrie, welche die Nutzerinnen sehr intensiv involvierte.

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