«Scheitern ohne Happy End ist nicht publizierbar» – Podcast über die Schattenseiten von Unternehmertum

Erfolgreiche Unternehmer*innen haben Visionen, setzen sie in sensationelle Geschäftsmodelle um und schlafen nur 4 Stunden. Dieses glorifizierte Bild kennen wir, doch kaum die Schattenseiten. Die BFH-Forscher Pascal Dey und Jan Keim untersuchen sie. In der aktuellen Episode des Podcasts «Let’s Talk Business der BFH Wirtschaft sprechen die beiden darüber, wie auch Scheitern vermarktet wird und welche gesellschaftlichen Auswirkungen eine Ansammlung von Start-ups auf die umliegende Region hat.

Unternehmer*innen erhalten meist zu Beginn viel Beachtung – es gibt eine Art Hype um einen Durchbruch, ein neues Produkt oder eine neue Person. Aber über die Schattenseiten dieses Unternehmertums sprechen wir kaum. Ihr untersucht das in eurer Forschung. Welche Phänomene gibt es?

Jan Keim ist Doktorand am Institut Innovation an strategic Entrepreneurship.

Jan Keim: Dazu gehören übermässiger Stress, Burnouts, Familienkonflikte und zerstörte Beziehungen mit Familie und Freunden, weil man sich so sehr auf das Unternehmen fokussiert. Aber es gibt auch negative Auswirkungen auf die Gesellschaft. Diverse Studien zeigen, dass Unternehmer*innen nicht nachhaltig verhalten, obwohl sie sich dazu verpflichtet hatten, wenn sie politisiert oder öffentlich nicht genau kontrolliert werden. Weiter sehen wir Unternehmen, die schlechte Arbeitsbedingungen in „least developed countries“ ausnutzen. Und wir sehen auch, dass Unternehmen sich meistens in grösseren Ballungsgebieten ansiedeln, wo Ressourcen, Fachkräfte und Infrastruktur vorhanden sind. Das Umland wird dabei zurückgelassen und das kann zur politischen Polarisierung beitragen. Das haben wir etwa beim Brexit gesehen.

Die gesellschaftlichen Auswirkungen werden in der Öffentlichkeit dokumentiert. Wie kann man die negativen Auswirkungen im persönlichen Bereich untersuchen?

Pascal Dey ist Professor am Institut Innovation and Strategic Entrepreneurship.

Pascal Dey: Diese Forschung ist wahrscheinlich eine der am weitesten fortgeschrittenen Disziplinen ist, innerhalb dieser übergeordneten dark side-Forschung. Hier tummeln sich nicht zuletzt Psychologen, die etablierte Instrumente, diagnostische Instrumente und auch Behandlungs- und Präventionsmassnahmen zur Hand haben, um zu diagnostizieren, ob beispielsweise die Prävalenz von Depression, die Prävalenz von Angststörungen, das Auftreten von Trennung höher bei Unternehmer*innen ist, verglichen mit der Normalbevölkerung. Und das tun sie, denn der Leistungs- und auch zeitliche Aufwand von Unternehmer*innen steht global über dem, was in anderen Berufsbereichen geleistet wird. Dazu kommt noch der Druck zu scheitern, vor allem auch wenn man eigenes Kapital Dieser Mix von Aspekten führt dazu, dass der Level von Stress sehr hoch ist.

Unternehmer*innen brauchen also eine gewisse mentale und körperliche Ausstattung, um Stress, Risiko und Unsicherheit auszuhalten. Eine dark side ist ja das Scheitern. Wie zeigt sich das denn in eurer Untersuchung?

Jan Keim: Scheitern ist eines der grössten Themen im Bereich dark side. Es gibt oft Stories von gescheiterten Unternehmer*innen, die nachher ein erfolgreiches Unternehmen aufgebaut haben und dann ihre Lernerfahrung auf einer Tedx-Bühne vermarkten. Das ist auch Teil der Wahrheit, absolut. Aber Scheitern bedeutet bei vielen Unternehmer*innen eben auch Depressionen oder Angstzustände. Dazu kommen finanzielle Verluste und vielleicht zerbrochene Beziehungen nicht nur von Freunden oder Familienangehörigen, sondern auch Investor*innen. Scheitern ist oft ein Mix ist aus internen und externen Faktoren, rund 70-80% der Unternehmen scheitern nach fünf bis sechs Jahren. Das heisst: die Minderheit ist nicht erfolgreich. Deshalb müssen wir das beleuchten, damit wir Vorschläge machen können, um die negativen Folgen zumindest abzumildern.

Pascal Dey: Ein wichtiges Element, das bisher zu wenig verstanden wurde, ist Stigmatisierung. Das kann eine kulturelle Komponente haben. In der Schweiz ist die Kultur des Scheiterns nicht ausgeprägt. In einer schweizer Umfrage haben 35% der Befragten, die sich noch nie unternehmerisch beteiligt haben, gesagt haben, sie würden es auch nicht machen. Aus Angst, dass wenn sie scheitern, Freund*innen, Investor*innen und die Gesellschaft sie stigmatisieren. Zum andern war Scheitern lange Zeit ein „non-theme“ in der Forschung. Das hat sich inzwischen zwar geändert, aber nun wird Scheitern aus dem Blickwinkel „stepping stone für künftigen Erfolg“ beforscht. Also das Scheitern ist eine Lernerfahrung, die die Unternehmer*innen in der Folge befähigt hat erfolgreich zu sein. Es wird ein bestimmter Kontext des Scheiterns in den Blick genommen. Das eigentliche Scheitern, das wirklich in einer Misere endet, ohne Happy End, ist nämlich nicht publizierbar.

Dies ist eine gekürzte Version des Gesprächs, die ganze Länge hören Sie hier:

 

Alle Episoden von Let’s Talk Business finden Sie auf Spotify, Apple Podcast, Deezer und Google Podcast.

Dieser Podcast wird produziert mit freundlicher Unterstützung von Audioflair Bern und Podcastschmiede Winterthur.

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AUTHOR: Anne-Careen Stoltze

Anne-Careen Stoltze ist Redaktorin des Wissenschaftsmagazins SocietyByte und Host des Podcasts "Let's Talk Business". Sie arbeitet in der Kommunikation der BFH Wirtschaft, sie ist Journalistin und Geologin.

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