Wie ein Roboter Kindern hilft, ihren Stress zu bewältigen

Zusammen mit Partnern aus den Niederlanden und der Schweiz startete die Berner Fachhochschule (BFH) 2021 ein von Innosuisse unterstütztes Projekt: Während knapp drei Jahren wird eine digitale Lösung entwickelt und erprobt, um das soziale sowie psychische Wohlbefinden von Schulkindern zu fördern.

Ein Drittel der Kinder und Jugendlichen in der Schweiz sind gestresst, was sich negativ auf ihr Wohlbefinden auswirkt (Juventute, 2021; Schj, 2022). Gemäss Volksschulgesetz Artikel 2 soll das physische, psychische und soziale Wohlbefinden von Schüler- und Schülerinnen gefördert, sowie ihre seelisch-geistige und körperliche Integrität geschützt werden (Bern, 2017). Somit stellte sich uns die Frage, ob digitale Lösungen einen Mehrwert generieren können, welcher sich förderlich auf das Wohlbefinden und die Gesundheit von Primarschulkindern auswirken kann.

Der Ist-Zustand

Im Rahmen einer umfassenden Bedarfsanalyse zum Thema Wohlbefinden, Gesundheit und Digitalisierung konnten drei Schulklassen, sechs Primarlehrpersonen sowie elf Eltern, Mütter und Väter befragt werden. Aus den qualitativen Interviews und Gruppendiskussionen ging hervor, dass durch die vielen vorgegebenen Strukturen nur noch wenig Spielraum zur Verfügung steht, in welchem die Kinder selbstbestimmt handeln können. Wenn zuhause nach der Schule noch Hausaufgaben und andere Verpflichtungen warten, kann dies schnell zu Frustration bei den Kindern führen.

Viele Regeln stressen sowohl die Kinder als auch die Eltern. Dienlich ist, wenn man «Verantwortung ans Kind abgibt und es spüren lässt, was es braucht», betonen Eltern. Weiter sind die sozialen Beziehungen mit Freunden und Familie von hoher Wichtigkeit. Auch während dem Schulunterricht ist eine individuelle Betreuung der Kinder schwierig, da unterschiedliche Bedürfnisse ins gleiche Schulsetting passen müssen. «Kinder brauchen jemanden an ihrer Seite, der mit ihnen macht, was das Kind soll, aber das ist fast illusorisch im heutigen Schulalltag.», meinten einige Eltern. Die Ergebnisse der Bedarfsanalyse zeigten, dass vor allem das psychische und soziale Wohlbefinden der Kinder gefördert werden soll.

Zukunftsmusik

Das Projektteam wollte daher in Erfahrung bringen, welches Potenzial die Befragten in einer digitalen Lösung zur Steigerung des Wohlbefindens und der Gesundheit der Kinder sehen. Positiv eingeschätzt wurden die verschiedenen Lernformen, welche durch digitale Medien möglich sind. Insbesondere Kreativität, Kompetenzentwicklung, Entspannung, Achtsamkeit und motorisches Lernen wurden als geeignete Anwendungsbereiche genannt. Einige sind überzeugt, dass bestimmte Inhalte und Themen motivierender und urteilsfreier über ein digitales Medium vermittelt werden können. Kinder können beispielsweise negative Gefühle dem digitalen Medium gegenüber äussern, ohne dass jemand direkt Schaden davonträgt oder Inhalte bezüglich gesunder Ernährung können vermittelt werden, ohne dass dies zu einer Konfliktsituation während der gemeinsamen Mahlzeit führt.

Bild: Kinder des Pilotversuchs beim Programmieren

Auch Bedenken wurden geäussert, vor allem im Zusammenhang mit übermässigem Konsum von digitalen Medien. Dieser kann zu Reizüberflutung, Gefühlsverlust, Übermut oder zu Ängsten führen, wie Eltern und Lehrpersonen betonten. Ausserdem seien Kinder in der Nutzung digitaler Medien meist physisch inaktiv, was Bewegungsdefizite noch verstärken kann. Zudem müsse man sich den Gefahren, bspw. Cybermobbing oder Realitätsverlust, bewusst sein, aber gleichzeitig dem Umstand Rechnung tragen, dass die digitale Welt die Zukunft ist und man Kinder nicht davor ‘bewahren’ kann, sondern im Gegenteil, sie dafür befähigen sollte.

Die Idee

Unsere Bedarfsanalyse bestätigt Ergebnisse von Pro Juventute, die aufzeigen, dass Schulkinder unter Stress leiden. Hinsichtlich Digitalisierung haben in den letzten Jahren computer- und robotergestützte Technologien zunehmend Einzug in die Bildungswelt erhalten (DiPietro et al., 2019; Zhexenova et al., 2020; Papadopoulos et al., 2020). Trotz technischen Schwierigkeiten, bspw. Internetzugang oder Verständigungsprobleme (Serholt et al., 2020), konnten bei robotergestützten Technologien klare Vorteile identifiziert werden, und zwar: Ein Schulroboter kann für mehrere Schüler*innen zugänglich sein, personalisiert werden, sofortiges Feedback geben und urteilsfrei und motivierend reagieren (Zhexenova et al., 2020). Des Weiteren erleichtert er das Klassenmanagement, indem er beispielsweise als Lehrerassistent fungiert und die Kinder engagiert und motiviert behält (Zhexenova et al., 2020). Durch das humanoide Aussehen, werden Roboter als menschenähnlicher und kreativer wahrgenommen, als beispielsweise herkömmliches Tablets und in Folge dessen von den Schulkindern lieber benutzt (Zhexenova et al., 2020). Dies bestärkte uns in der Idee, den Roboter Nao im Schulsetting einzusetzen.

Der Testlauf

Dank der Zusammenarbeit mit der Hochschule für Angewandte Psychologie, Fachhochschule Nordwestschweiz (FHNW), dem Kompetenzschwerpunkt ‘Social Robotics’ des Digital Innovation Labs (DIL), konnten wir den humanoiden Roboter Nao ausleihen und diesen einer 4. und 6. Primarschulklasse vorführen. Nao stellte sich selbst vor und forderte die Kinder dazu auf mit ihm zu tanzen. Im Anschluss bearbeiteten die Kinder in zwei verschiedenen Gruppen Aufgaben zum Thema Konfliktmanagement.

Bilder: Humanoider Roboter Nao im Klassenzimmer.

Die eine Klassenhälfte bereitete dazu ein Rollenspiel vor, wobei jeweils ein Kind den Roboter spielte und sich überlegte, wie sie den Konflikt lösen könnten. Die anderen Kinder programmierten einen Dialog, welcher später durch Nao vorgespielt wurde. Am Ende des 90-minütigen Testlaufs wurden die Kinder gefragt, ob sie sich vorstellen könnten, auch in Zukunft mit einem Roboter zu arbeiten und ob ihnen der Workshop gefallen hatte. Hier gab es enthusiastisches Feedback und die meisten Kinder gaben an, dass sie gerne jeden Tag einen solchen Roboter in der Schule hätten. Sie erlebten die Arbeit mit Nao als motivierend.

Der Pilotversuch

Auf Grund der möglichen positiven Auswirkungen eines Roboters sowie den vorhandenen digitalen Ressourcen unserer niederländischen Projektpartner, plant das Projektteam derzeit ein Pilotversuch. Dabei ist es das Ziel, den Einsatz eines humanoiden Roboters im Schulsetting zu testen und zu evaluieren. Insbesondere soll Kindern mit einem roboterintegrierten Programm Inhalte sowie Übungen in den Bereichen Selbstwahrnehmung, Sozialkompetenzen sowie Gedanken und Gefühle vermittelt werden. Im ersten Halbjahr 2023 soll der Pilotversuch in zwei Schulklassen lanciert und evaluiert werden.


Referenzen

  1. Bern, D. g. R. d. K. (2017). Volksschulgesetz. https://www.belex.sites.be.ch/app/de/texts_of_law/432.210/versions/1165
  2. DiPietro, J., Kelemen, A., Liang, Y., & Sik-Lanyi, C. (2019). Computer- and Robot-Assisted Therapies to Aid Social and Intellectual Functioning of Children with Autism Spectrum Disorder. Medicina, 55(8), 440. https://www.mdpi.com/1648-9144/55/8/440
  3. Juventute, P. (2021). Stress-Studie: Rund ein Drittel der Kinder und Jugendlichen sind gestresst. Retrieved 22.02.23 from https://www.projuventute.ch/de/stress-studie
  4. Papadopoulos, I., Lazzarino, R., Miah, S., Weaver, T., Thomas, B., & Koulouglioti, C. (2020). A systematic review of the literature regarding socially assistive robots in pre-tertiary education. Computers & Education, 155. https://doi.org/10.1016/j.compedu.2020.103924
  5. Schj. (2022). Psychische Gesundheit – Wurde die Psyche an Schulen zu wenig beobachtet, Frau Rösler? Schweizer Radio und Fernsehen (SRF). Retrieved 22.02.23 from https://www.srf.ch/news/schweiz/psychische-gesundheit-wurde-die-psyche-an-schulen-zu-wenig-beachtet-frau-roesler
  6. Serholt, S., Pareto, L., Ekstrom, S., & Ljungblad, S. (2020). Trouble and Repair in Child-Robot Interaction: A Study of Complex Interactions With a Robot Tutee in a Primary School Classroom. Front Robot AI, 7, 46. https://doi.org/10.3389/frobt.2020.00046
  7. Zhexenova, Z., Amirova, A., Abdikarimova, M., Kudaibergenov, K., Baimakhan, N., Tleubayev, B., Asselborn, T., Johal, W., Dillenbourg, P., CohenMiller, A., & Sandygulova, A. (2020). A Comparison of Social Robot to Tablet and Teacher in a New Script Learning Context. Frontiers in Robotics and AI, 7. https://doi.org/10.3389/frobt.2020.00099
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AUTHOR: Selina Burch

Selina Burch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Gesundheit der BFH.

AUTHOR: Natalie Bez

Natalie Sara Bez ist wissenschaftliche Assistentin am Fachbereich Ernährung und Diätetik der BFH Gesundheit.

AUTHOR: Kai-Uwe Schmitt

Prof. Dr. Kai-Uwe Schmitt lehrt und forscht an der BFH Gesundheit. Er leitet die Akademie-Praxis-Partnerschaft zwischen BFH Gesundheit und der Insel Gruppe.

AUTHOR: Klazine Van der Horst

Prof. Dr. Klazine Van der Horst ist Leiterin aF&E Ernährung und Diätetik
an der BFH Gesundheit.

AUTHOR: Friederike J. S. Thilo

Prof. Dr. Friederike Thilo ist Leiterin Innovationsfeld "Digitale Gesundheit", aF&E Pflege, BFH Gesundheit. Ihre Forschungsschwerpunkte sind: Design Zusammenarbeit Mensch und Maschine; Technologieakzeptanz; need-driven Entwicklung, Testung und Evaluation Technologien im Kontext Gesundheit/Krankheit; datenbasierte Pflege (Künstliche Intelligenz).

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