Wie ein digitaler Coach bei der Rehabilitation hilft
Im Rahmen des internationalen eHealth-Projekts «CARE» hat das Unternehmen Ateleris einen digitalen Trainingscoach entwickelt, der Menschen bei der Durchführung von Bewegungsübungen begleitet. Die Übungen werden mit einer Webkamera aufgenommen und mit Hilfe von künstlicher Intelligenz (KI) in Echtzeit analysiert und ausgewertet. Die Personen können sich während der Übungen auf dem Bildschirm beobachten und erhalten ein visuelles Feedback.
Medizinische Studien[1] zeigen, dass Herzinfarktpatienten, die ein Rehabilitationsprogramm durchlaufen haben, längerfristig unter weniger Herzproblemen leiden und eine geringere Sterblichkeitsrate aufweisen. Gleichzeitig zeigen Studien aber auch, dass solche Angebote oft nicht in Anspruch genommen oder vorzeitig abgebrochen werden[2]. In Europa nehmen teilweise nur bis zu 50% aller Herzpatienten diese Programme wahr und zwischen 12 und 56% schliessen sie nicht ab[3].
Die Gründe für den Nichtantritt oder Abbruch eines solchen Programms sind vielfältig. Fehlende persönliche Betreuung, logistische Probleme wie Terminfindung oder schlechte Erreichbarkeit der Reha-Einrichtungen, aber auch der Stress, die Übungen in der Gruppe durchzuführen, sind die am häufigsten genannten Gründe[4],[5].
Persönliche Beratung für positive Langzeiteffekte
Im Eurostars-Projekt «CARE», einer Zusammenarbeit mit den beiden dänischen Unternehmen Tutee[6] und Wellfaster[7] und dem Radboud Universitätsspital[8] in den Niederlanden, ging es um die Entwicklung einer eHealth-Plattform für eine bessere Reha-Begleitung von Herzpatienten nach einem Herzinfarkt oder dem Auftreten anderer Herz-Kreislauf-Erkrankungen.
Teil des Projektes war es zu untersuchen, welche digitalen Methoden die Reha-Teilnahme erhöhen, Abbrüche reduzieren und insgesamt eine nachhaltigere Bewegungsbereitschaft erreichen können. Dazu wurden verschiedene Aspekte umgesetzt, beispielsweise digitale Beratungskanäle via Video für die individuelle Betreuung zu Hause zwischen Patient und Therapeutin oder eine Reha-Begleit-App zur digitalen Motivation und Begleitung während und nach der Rehabilitation. Die App wurde auch in einer Studie des Partners Radboud Universitätsspital eingesetzt[9].
Abbildung 1: Reha-Begleit-App des Partners Wellfaster, aus dem Paper https://bmjopensem.bmj.com/content/7/3/e001159
Der digitale Trainingscoach
Wir haben den digitalen Trainingscoach mit der Idee entwickelt, eine individuellere Begleitung von selbstständig durchgeführten Rehabilitationsübungen zu Hause zu ermöglichen, um so die Trainingstreue zu erhöhen. Die Anwendung spielt verschiedene Trainingsvideos ab, die auch zu Übungssequenzen zusammengestellt werden können, und nimmt die trainierende Person mit einer Kamera auf.
Um eine Übung zu starten, stellt man sich vor die Kamera, der digitale Trainer überprüft die Körperhaltung und wenn diese korrekt ist, startet die Übung nach einigen Sekunden automatisch. Während der Übung sieht er Patient nicht nur sich selber, sondern auch ein Video der Trainerin, wie sie die die Übung vorzeigt. Im Hintergrund zählt der digitale Coach automatisch die Übungswiederholungen und wechselt selbständig zur nächsten Übung.
Die KI erkennt die Körperhaltung und zählt Wiederholungen
Die Anwendung nutzt das Machine Learning (ML) Modell «MediaPipe Pose» von Google, das in Echtzeit die Körperhaltung einer Person im Video erkennen kann (sog. «Pose Detection»). Die Besonderheit des gewählten ML-Modells ist die hohe Erkennungsleistung auch auf einfacher Hardware, was sogar eine Ausführung auf mobilen Geräten ermöglicht.
Abb. 2: Die 33 Referenzpunkte des ML-Modells zur «Pose Detection», von https://google.github.io/mediapipe/solutions/pose.html
Anhand von 33 verschiedenen Referenzpunkten am Körper, die sich meist entlang der verschiedenen Gelenke befinden, kann das ML-Modell verschiedene Körperhaltungen erkennen, voneinander unterscheiden und den Bewegungen folgen. Als Orientierungshilfe während des Trainings wird das erkannte Körperskelett in das Echtzeit-Videobild eingeblendet, so dass eine permanente visuelle Haltungskontrolle möglich ist.
Zum anderen kann es den Bewegungsablauf zwischen Trainervideo und Trainierendem analysieren und die Übung erkennen und zuordnen. Dies ermöglicht es der Anwendung, die korrekte Ausführung der Übung zu kontrollieren und die entsprechenden Wiederholungen zu zählen.
Erfahrungen und Entwicklungen
Im Laufe des CARE-Projekts konnten wir verschiedene Erfahrungen mit dem Trainingscoach sammeln und ihn weiterentwickeln. Zum Beispiel zeigte sich schon früh, dass eine flüssige Abspielgeschwindigkeit für ein gutes Trainingserlebnis unerlässlich ist. Ein erstes langsameres ML-Modell liess die Videowiedergabe stocken, unterbrach den Übungsfluss und war für das Training unbrauchbar.
Eine weitere Herausforderung für den ML-Algorithmus stellten Übungen dar, die nicht frontal stehend, sondern gebeugt, seitlich oder am Boden liegend ausgeführt werden mussten. Gerade in solchen Situationen war die Übereinstimmung mit dem Trainervideo unzureichend. Tiefeninformationen im Videobild, wie sie z.B. eine Microsoft Kinect Kamera liefert, wären hilfreich gewesen, wären aber nur mit spezieller Hardware realisierbar gewesen. Auch hier konnte das weiterentwickelte ML-Modell «MediaPipe Pose» helfen: Es hat gelernt, bestimmte Tiefen- und Winkelinformationen aus einem normalen Videobild zu extrahieren und kann so die 33 Referenzpunkte als 3D-Positionen liefern.
Quelle: Beispielvideo von Google für die 3D-Posisionierung
Weitere Anwendungsbereiche für «Pose Detection»
Der digitale Trainingscoach kann prinzipiell sowohl im Gesundheits- als auch im Fitnessbereich eingesetzt werden, wobei er als reine «Lifestyle App» mit weniger Hürden zu kämpfen hat. Für den Einsatz im Gesundheitsbereich, z.B. in der Rehabilitation, müsste die Anwendung zunächst als medizinisches Gerät zertifiziert werden, was nicht Teil des Projektes war.
Für «Pose Detection» ML-Modelle gibt es viele weitere Anwendungsmöglichkeiten. Beispielsweise zur Erkennung der Aktivitäten von Personen im Sport, in der Sicherheit und Überwachung, im Bereich der Ergonomie oder zur Erfassung von Arbeitsprozessen, was auch als sog. «Process Mining» bekannt ist.
Referenzen
[1] https://doi.org/10.1007/s12471-020-01413-1
[2] https://doi.org/10.1002/14651858.CD007131.pub4
[3] https://doi.org/10.1097/hcr.0000000000000580
[4] https://doi.org/10.1186/s12872-017-0512-7
[5] https://doi.org/10.1097/HCR.0000000000000709
[6] https://tutee.dk/en/tutee-english/
[7] https://wellfaster.com/indexen.html
Dein Kommentar
An Diskussion beteiligen?Hinterlasse uns Deinen Kommentar!