Was Citizen Scientists gegen visuellen Hass tun können

Am 4. Februar 2004 ging Facebook als eine der ersten sozialen Plattformen online. Youtube wurde ein Jahr später 2005 gegründet, Twitter gibt es seit 2006. Sie sind – wie auch Nutzungsdaten für die Schweiz zeigen – aus unserem beruflichen und privaten Alltag kaum mehr wegzudenken (Latzer et al 2021). Mit sozialen Medien war die Hoffnung verbunden, dass sich möglichst viele Menschen schnell und einfach vernetzen und zu Themen und Positionen austauschen können (bspw. Park und Perry, 2008). Diese Plattformen sind jedoch auch ein Ort an dem – meist anonym – Hass im grossen Umfang verbreitet werden kann.

Hassrede umfasst sämtliche Äusserungen, die soziale Gruppen oder Angehörige von sozialen Gruppen aufgrund eines Merkmals herabsetzen, verunglimpfen oder sogar bedrohen (vgl. Stahel et al. 2021, S.5). Davon betroffen sind u.a. Prominente, Sportler:innen, Wissenschaftler:innen, People of Color, Menschen mit Behinderungen, mit niedrigem Einkommen, aber auch Personen mit bestimmten Einstellungen oder auch Impfstatus. Einige Beispiele: Sanija Ameti, Co-Präsidentin der Operation Libero, machte Anfang des Jahres auf ihren Social Media-Kanälen publik, wie oft sie im Netz angefeindet wird. Sie erhalte im Schnitt zehn bis 20 Hassmails pro Tag – manchmal seien es sogar «über 100» Im September 2022 verkündete die damalige Zürcher Kantonsrätin Sarah Akanji, dass sie nicht mehr zur Wiederwahl antrete. Wichtigster Grund für ihren Entscheid: rassistische und sexistische Zuschriften. Tatjana Henni, ehemalige Direktorin des Frauenfussballverbands, veröffentlichte im August 2022 eine gegen den Frauenfussball gerichtete hasserfüllte Mail mit zahlreichen sexistischen, homophoben und obszönen Verunglimpfungen. Die Uni Bern sah sich im Februar 2022 veranlasst, einen Tweet abzusetzen, in dem sie sich schützend vor ihre Wissenschaftlerinnen stellt, die nach der Teilnahme an der SRF-Sendung Einstein massiven Beleidigungen ausgesetzt waren.

Diese Beispiele sind jedoch keine Einzelfälle. Im Gegenteil: Hass im Netz ist ein weit verbreitetes Phänomen: 78 Prozent der befragten Personen in Deutschland berichten mit Hassreden und Hassbotschaften konfrontiert worden zu sein (Landesanstalt für Medien NRW 2018: S. 2). Besonders Jugendliche sind davon betroffen wie eine ländervergleichende Studie für Finnland, Frankreich, Polen, Spanien, Grossbritannien und die USA zeigt (Reichelmann et al. 2021). Auch in der Schweiz wurde fast jede und jeder zwanzigste im letzten Jahr aufgrund einer Gruppenzugehörigkeit beleidigt, diskreditiert oder bedroht. Am häufigsten geschah dies aufgrund des körperlichen Aussehens oder der Nationalität (Stahel et al, 2022).

Individuelle und gesellschaftliche Folgen von Hass im Netz

Hass hat dabei gravierende Folgen und das auf allen Ebenen: Die psychischen (und teilweise körperlichen) Belastungen für das Individuum sind enorm. Und auch für die gesamte Gesellschaft hat dies schwerwiegende Konsequenzen: Personen, die Hasserfahrungen machen mussten, ziehen sich meist aus der Öffentlichkeit zurück. In der Folge nimmt die Vielfalt im gesellschaftlichen Diskurs ab. Zudem werden Personen, die selbst als Betroffene Hasserfahrungen gemacht haben, wahrscheinlicher selbst auch zum Täter (Stahel et al, 2022).

Massnahmen gegen Hass

Um gegen Hass vorzugehen bedarf es eines Zusammenspiels verschiedener Akteure und Massnahmen: Neben staatlichen Instrumenten wie bspw. Gesetzen gegen Diskriminierung (Art. 261bis StGB) und dem Engagements sensibilisierter Bürger:innen durch Gegenrede, müssen sich auch Plattformen ihrer Verantwortung bewusst sein und Formen der manuellen und automatisierten Content Moderation in ausreichenden Ausmass sowie einfache Meldeverfahren von stossenden Inhalten gewährleisten.

Aufruf zur Teilnahme am Citizen Science-Projekt: «Ein Bild verletzt mehr als 1000 Worte»

Um Massnahmen gegen Hass im Netz weiter entwickeln zu können, benötigt es auch wissenschaftlicher, unabhängiger Forschung. Ziel des Forschungsprojektes «Ein Bild verletzt mehr als 1000 Worte» ist es, möglichst repräsentative Daten darüber zu erhalten, wer Hassbilder versendet, gegen wen sie sich richten, auf welchen Plattformen sie verbreitet werden und welche Massnahmen dagegen ergriffen werden können. Dabei soll nicht nur auf eine Plattform, wenige Accounts oder nur wenige Themen fokussiert werden. Stattdessen soll ein möglichst repräsentativer Einblick über das Ausmass und die Merkmale von visuellen Hass erhalten werden. Deshalb ist das Projekt auf die Beteiligung möglichst vieler Citizen Scientists angewiesen: Die Bevölkerung wird gebeten, ab sofort und bis zum 05.03.23 Hassbilder, auf die sie im Netz stossen, auf http://www.hassbilder-verletzen.ch/ zu spenden – selbstverständlich anonym und ausschliesslich für Forschungszwecke.

Das vom Bundesamt für Kommunikation (BAKOM) geförderte Projekt wird vom Autorenteam mit Unterstützung durch Nikki Böhler, Sozialunternehmerin und ehemalige Geschäftsführerin von Opendata.ch realisiert.


Referenzen

  1. Landesanstalt für Medien NRW (2018): Ergebnisbericht Hassrede. Forsa.
  2. Latzer, M., Büchi, M., Kappeler, K., Festic, N. (2021). Internetanwendungen und
    deren Nutzung in der Schweiz 2021. Themenbericht aus dem World Internet Pro-
    ject – Switzerland 2021. Zürich: Universität Zürich. http://mediachange.ch/rese-
    arch/wip-ch-2021
  3. Park, H. M., & Perry, J. L. (2008). Do campaign web sites really matter in electoral civic engagement? Empirical evidence from the 2004 post-election internet tracking survey. Social science computer review, 26(2), 190-212.
  4. Reichelmann, A., Hawdon, J., Costello, M. Ryan,J., Blaya, C., Llorent, V,  Oksanen, A.,  Räsänen, P., & Zych,.I (2021). Hate Knows No Boundaries: Online Hate in Six Nations, Deviant Behavior, 42(9), 1100-1111, DOI: 10.1080/01639625.2020.1722337
  5. Stahel, L., Weingartner, S., Lobinger, K., Baier, D. (2022). Digitale Hassrede in der Schweiz. Einfluss und sozialstrukturelle Faktoren.

BFH Wirtschaft engagiert sich gegen Hassrede

Im Jahr 2022 hat die BFH Wirtschaft eine Serie in den sozialen Medien realisiert, bei der 20 Mitarbeitende mitgewirkt haben.

Zudem sind ist die BFH Wirtschaft Mitglied bei zwei Vereinen, die sich für Stop Hate Speech einsetzen:

Creative Commons Licence

AUTHOR: Franziska Oehmer-Pedrazzi

Prof. Dr. Franziska Oehmer-Pedrazzi, Blaw forscht und lehrt als Kommunikationswissenschaftlerin an der Fachhochschule Graubünden zu Medieninhalten, Digitalisierung und zur Governance von Plattformen.

AUTHOR: Stefano Pedrazzi

Stefano Pedrazzi, lic. phil., forscht und lehrt als Kommunikationswissenschaftler an der Université de Fribourg zur Digitalisierung, Governance von Algorithmen und zu digitalen Medienkompetenzen.

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