Welcher Kanton bietet die meiste digitale politische Partizipation?

Die Digitalisierung wirkt sich auf alles aus, auch auf die Demokratie. Junge Menschen leben in einer immer stärker digitalisierten Welt. Die Demokratie passt sich daher an dieses digitale Zeitalter an, indem sie digitale Werkzeuge einführt, wo immer dies möglich, sicher und nützlich ist. Es gibt eine große Vielfalt an verschiedenen Tools für die digitale politische Beteiligung, aber keinen systematischen Überblick. Aus diesem Grund wurde der DigiPartIndex (siehe Hofmann et al. 2022; Serdült et al. 2021, 2022; Serdült und Hofmann 2022) lanciert, um die digitale politische Partizipation in den Schweizer Kantonen zu evaluieren und eine Grundlage für die Diskussion zu schaffen.

Es gibt zwei Gründe, warum sich die Demokratie an das digitale Zeitalter anpassen muss: Erstens beeinflusst die fortschreitende Digitalisierung zunehmend demokratische Prozesse – ob wir das wollen oder nicht, und zweitens leben die jüngeren Generationen in einer immer stärker digitalisierten Welt. Da die politische Partizipationsrate junger Menschen in der Regel niedrig ist, gibt es möglicherweise andere Wege, sie zur Teilnahme zu motivieren, und dazu gehören höchstwahrscheinlich digitale Optionen. Daher wird die Gesellschaft zunehmend darüber nachdenken, welche Aspekte der Demokratie digitalisiert werden können, welche Aspekte digitalisiert werden sollten und welche Aspekte in der analogen Welt verbleiben sollten (siehe zum Beispiel Ammann und Schnell 2019; Fichter 2017; Gfeller et al. 2019; Graf und Stern 2018; Kersting 2019; Vayenas 2017).

Um diese gesellschaftliche Debatte führen zu können, benötigen wir jedoch Informationen über aktuelle Praktiken, Innovationen und Visionen. Im Falle der Schweiz wird dies durch den Föderalismus und einen wichtigen Teil der demokratischen Prozesse, die auf kantonaler Ebene stattfinden, zusätzlich erschwert. Aus diesem Grund haben wir den DigiPartIndex eingeführt: Mit dem DigiPartIndex können wir die Möglichkeiten der digitalen politischen Partizipation systematisch messen und vergleichen. Dies wiederum ermöglicht die Identifikation von Best Practices und zeigt auf, wo jeder Kanton das Potenzial hat, die digitale politische Partizipation zu verbessern.

Was ist digitale politische Partizipation und wie kann sie gemessen werden?

«Digitale politische Partizipation ist ein Prozess, der die Bürgerinnen und Bürger mit Hilfe von Informations- und Kommunikationstechnologien in die Gestaltung, Entscheidungsfindung und Umsetzung von Politiken einbezieht, mit dem Ziel, diesen Prozess partizipativ, inklusiv und deliberativ zu gestalten» (UNDESA) 2020)

Der DigiPartIndex erfasst digitale Werkzeuge, die auf einen politischen Prozess ausgerichtet sind, und gewichtet sie nach dem Grad des Mehrwerts, den sie im Vergleich zu analogen Beteiligungsformen schaffen. Während einfache Websites mit Informationen zum politischen System nur eine niedrige Punktzahl erhalten, punkten Wahlberatungsanwendungen (VAA) wie smartvote, weil sie durch die Kombination von Nutzereingaben und vorhandenem politischen Wissen zusätzliche Erkenntnisse schaffen. Der DigiPartIndex umfasst drei Dimensionen: Meinungsbildung (eDeliberation, eCivic Eduction und eTransparency), Mitgestaltung (eConsultation und eDemand) und Entscheidungsfindung (eID und eVoting). Jeder Kanton wird auf einer Skala zwischen 0 und 100 Punkten bewertet.

Wie schneiden die Kantone ab?

Es gibt eine grosse Streuung und sehr niedrige bis mittlere Punktzahlen:

  • Die beiden Appenzeller Kantone und Glarus, kleine Kantone mit einer langen Tradition der direkten und sogar der Versammlungsdemokratie, weisen die niedrigsten Werte für die digitale Welt auf.
  • Genf, St. Gallen, Zürich und Aargau liegen derzeit an der Spitze des Indexes. Dabei handelt es sich um Kantone, die entweder grosse Städte oder eine hohe Bevölkerungszahl aufweisen.
  • Der Unterschied zwischen den Kantonen an der Spitze und am Ende des Indexes ist relativ gross.
  • Kein Kanton erreicht derzeit mehr als 55 Punkte, was im Vergleich zu den Möglichkeiten nur eine mittlere Punktzahl darstellt. Es gibt also noch viel Raum für Entwicklung.
  • Wir stellen fest, dass die Punktzahlen zwischen 2021 und 2022 leicht ansteigen.
  • Einige Kantone mussten einen massiven Rückgang ihrer Punktzahl hinnehmen (vor allem weil die eConsultation-Software 2022 nicht mehr eingesetzt wurde)

Abbildung 1: Kantonale Punktzahlen für den DigiPartIndex (DPI) für die Jahre 2021 und 2022 (Quelle: Hofmann et al. 2022)

Was sind einige bewährte Verfahren?

Der Kanton Genf betreibt eine Open-Source-Beteiligungsplattform. Diese Plattform kann für eDeliberation, eConsultation und eventuell auch für eDemands genutzt werden. Mit anderen Worten: Die Bürgerinnen und Bürger können diese Plattform nutzen, um über politische Themen zu sprechen und sich so ihre Meinung zu bilden, sie können Rückmeldungen zu geplanten Gesetzgebungen geben und schliesslich können sie auch ihre eigenen politischen Projekte starten und so einen Beitrag zum politischen System leisten. Unserer Meinung nach ist dies ein wichtiges Instrument, da es einen breiten Zugang zur politischen Debatte bietet. Da es sich um ein Online-Tool handelt, ist die Teilnahme nicht an Zeit und Ort gebunden, so dass die Bürgerinnen und Bürger sich beteiligen können, wann und wo sie wollen. Doch obwohl das Instrument viel Potenzial bietet, ist die aktive Beteiligung derzeit noch nicht sehr ausgeprägt. Unser Index bestraft eine solche mangelnde Nutzung: Es hat wenig Sinn, etwas zu messen, das nur wenige nutzen.

Für eCivic Education sind mehrere interessante Initiativen erwähnenswert. Zum Beispiel die gesetzgeber simuliert den Gesetzgebungsprozess des Kantons Zürich mit dem Bild eines Flipperautomaten. Dieses interaktive und (fast) spielerische Modell des Gesetzgebungsprozesses schafft es, ein sehr technisches Thema für junge Menschen attraktiv zu machen. Im Bereich der VAAs hat das CH+ projekt auch eine spielerische Version von smartvote, die ebenfalls politische Themen für jüngere Bürgerinnen und Bürger attraktiver macht. Schliesslich gibt es in vielen Kantonen Initiativen, um wichtige Informationen über das politische System entweder in vereinfachter Sprache oder in vielen verschiedenen Sprachen, die keine Amtssprachen sind, zur Verfügung zu stellen (z.B. hallo-glarus.ch).

Für eTransparenz ist der «politische Themenmonitor» der Kantone Basel-Stadt ein wichtiges Instrument zur Beobachtung des Kantonsparlaments. Er verarbeitet alle debattierten Motionen und kategorisiert sie nach Herkunft, Thema und anderen Faktoren.

Für die eConsultation gibt es mehrere erwähnenswerte Best Practices. Neben der oben erwähnten Partizipationsplattform des Kantons Genf verwenden mehrere Kantone eine eigene Software, die ein ausführliches Feedback der Bürgerinnen und Bürger ermöglicht. Auch der Kanton Aargau verwendet ein eigenes Tool mit standardisierten Umfragen für alle seine Konsultationen

Auf dem Gebiet der eID sind die Kantone Schaffhausen und Zug führend. Sie haben ein eigenes eID-System eingeführt, das eine sichere Online-Identifikation ermöglicht, die für die Interaktion mit der Verwaltung und eventuell auch für eVoting oder eCollecting genutzt werden kann. Viele andere Kantone nutzen die von SwissID angebotene Lösung.

Alles in allem hat unser Index gezeigt, dass in der Schweiz auf kantonaler Ebene ein hohes Mass an Pilotprojekten und Experimenten mit digitalen Demokratiewerkzeugen stattfindet.


Über das Zentrum für Demokratie Aarau

Das Zentrum für Demokratie Aarau (ZDA) ist ein Forschungszentrum der Universität Zürich und der Fachhochschule Nordwestschweiz. Weitere Träger sind der Kanton Aargau und die Stadt Aarau. Welche Auswirkungen hat die Globalisierung auf die Demokratie? Wie verändert elektronisches Abstimmen und Wählen die direkte Demokratie? Was für Ziele hat politische Bildung in Demokratien? Mit solchen und ähnlichen Fragen setzen sich die rund 45 Forscherinnen und Forscher am ZDA auseinander. Als wissenschaftliches Zentrum betreiben wir Grundlagenforschung und befassen uns mit aktuellen Fragen zur Demokratie – in der Schweiz, in Europa und weltweit. Diese Fragen werden aus der Perspektive der Politikwissenschaft, der Rechtswissenschaft und der Politischen Bildung/Geschichtsdidaktik untersucht.


Literatur

  1. Ammann, P. und M. Schnell (2019). Digitale direkte Demokratie. Avenir Suisse, Avenir Debatte
  2. Economic, D. of und U. N. Social Affairs (UNDESA) (2020). E-Government-Umfrage der Vereinten Nationen 2020: Digitale Gouvernanz in der Aktionsdekade für nachhaltige Entwicklung
  3. Fichter, A. (2017). Smartphone-Demokratie. Zürich: NZZ Libro
  4. Gfeller, K., N. Braun Binder, und U. Serdült (2019). Demokratie im digitalen Zeitalter: Das Beispiel von Initiative und Referendum in der schweiz. In Kübler, D. et al. (Hrsg.), Brennpunkt demokratie: 10 Jahre zentrum für demokratie aarau. Baden: hier+jetzt (48-65)
  5. Graf, D. und M. Stern (2018). Agenda für eine digitale demokratie. Zürich: NZZ Libro
  6. Hofmann, G. et al. (2022). DigiPartIndex Schweiz 2022. Jahresberichte. Aarau, Zürich, Lugano: Zentrum für Demokratie Aarau, pro civis Think Tank, Università della Svizzera Italiana
  7. Kersting, N. (2019). Online-Partizipation: Evaluation und Entwicklung – status quo und zukunft. In Hofmann, J. et al. (Hrsg.), Politik in der digitalen Gesellschaft. Bielefeld: Transcript (105-22)
  8. Serdült, U. und G. Hofmann (2022). Möglichkeiten digitaler politischer Partizipation in den Kantonen der Schweiz – Wie erklären sich die grossen Unterschiede? Jahrbuch der Schweizerischen Verwaltungswissenschaften 13(1): 95-110
  9. Serdült, U., G. Hofmann, und C. Vayenas (2022). Einführung in den DigiPart-Index: Mapping and explaining digital political participation on the subnational level in Switzerland. Proceedings of the 15th International Conference on Theory and Practice of Electronic Governance, ICEGOV ’22. New York, NY, USA, Association for Computing Machinery
  10. Serdült, U., C. Vayenas, H. Du Clary, und G. Hofmann (2021). DigiPartIndex Schweiz 2021. Serdült, Uwe; Vayenas, Costa; Du Clary, Herveline; Hofmann, Gabriel (2021). DigiPartIndex Schweiz 2021. Aarau, Zürich: DigiPartIndex. Aarau, Zürich: DigiPartIndex
  11. Vayenas, C. (2017). Demokratie im digitalen Zeitalter. Arena Books
  12. Gabriel Hofmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Demokratiestudien Aarau (ZDA) an der Universität Zürich. Er studiert Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Schweizer Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, wo er auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikanalyse & Evaluation tätig ist. Während seines Studiums beschäftigte er sich intensiv mit bürgerlichen Kompetenzen und Entscheidungsprozessen.
  13. OrcID: https://orcid.org/0000-0001-7376-1511
Creative Commons Licence

AUTHOR: Gabriel Hoffmann

Gabriel Hofmann ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Zentrum für Demokratiestudien Aarau (ZDA) an der Universität Zürich. Er studiert Politikwissenschaft mit dem Schwerpunkt Schweizer Politik am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich, wo er auch als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Politikanalyse & Evaluation tätig ist. Während seines Studiums hat er sich intensiv mit Bürgerkompetenzen und Entscheidungsprozessen auseinandergesetzt.

Create PDF

Ähnliche Beiträge

0 Kommentare

Dein Kommentar

An Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns Deinen Kommentar!

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert